Aus der jungen Welt vom 05.10.2002 - Ausland

Kolumne von Mumia Abu-Jamal


Krieg an der maritimen Front

Oder: Warum sichere Arbeitsplätze in den USA keine Frage der nationalen Sicherheit sind

In Zeiten des Krieges, mögen sie auch noch so nebulös sein wie der gegenwärtige »Krieg gegen den Terrorismus«, gibt es auch Kriege innerhalb des eigentlichen Krieges – Kriege, die nicht nach außen geführt werden, sondern auf niedrigerer Ebene im Innern, in denen es auch um das Durchsetzen von Interessen geht.

Seit dem vom Obersten Bundesgericht ermöglichten Aufstieg von George W. Bush in das höchste Amt des Landes werden die Interessen der Bosse von »ihrem Mann« in Washington gut vertreten. Und jetzt versuchen sie, unter Einsatz von Bundesinstitutionen und geballter Regierungsmacht die organisierte Arbeiterschaft unter Druck zu setzen und in eine Komplizenschaft mit den Interessen des Kapitals zu zwingen. Das konnte man sehr gut verfolgen am Kampf zwischen der Pacific Maritime Association (PMA, Arbeitgeberverband der Pazifikregion an der Ostküste der USA) und der International Longshore and Warehouse Union (ILWU, Gewerkschaftsverband der Dock- und Werftarbeiter).

Die PMA ließ den Tarifvertrag zum 1. Juli 2002 auslaufen und konfrontierte die Gewerkschaften mit harschen Forderungen, die zum Ziel hatten, lang bestehende und hart erkämpfte Arbeitsrechte zu unterminieren. Die PMA will in der Werftindustrie neue Technologien einführen, wozu die ILWU grundsätzlich ihre Zustimmung gegeben hat. Aber die PMA will diese Technologien auch dazu nutzen, um die altehrwürdigen »Heuerbüros« (hiring halls) der Gewerkschaft zu umgehen, ein Schritt, der tief in die Rechte der Gewerkschaften einschneidet.

Die »Heuerbüros« der Gewerkschaft hat es nicht schon immer gegeben. Sie waren das Ergebnis langer, harter Kämpfe, bei denen es auch Tote gab. Diese Kämpfe gingen nicht auf die Initiative der Gewerkschaftsführung, sondern der ILWU-Basis zurück, die mit dem »Great Maritime Strike« von 1934 in die Geschichte der Arbeitskämpfe einging.

Der Historiker Howard Zinn schreibt, daß »die Basis der Dock- und Werftarbeiter der Westküste sich erhob, ... eine Versammlung abhielt, in der sie die Abschaffung des ›shape-up‹ (eine Art frühmorgendlicher Sklavenmarkt, bei dem Arbeitskolonnen für den Tag zusammengestellt wurden) forderte und dann den Streik erklärte. Zweitausend Meilen Küste waren im Nu lahmgelegt. Die gewerkschaftlich organisierten Transportarbeiter unterstützten den Streik, indem sie sich weigerten, Waren zu den Piers zu fahren, und auch die Seeleute schlossen sich dem Streik an. Als die Polizei versuchte, die Blockaden der Piers zu brechen, leisteten die Streikenden in großer Zahl Widerstand, und zwei von ihnen starben, als die Polizei das Feuer eröffnete. An einer Prozession beim Begräbnis der getöteten Arbeiter beteiligten sich Zehntausende Unterstützer des Streiks. Danach wurde in San Francisco der Generalstreik ausgerufen, 130000 befanden sich im Ausstand, das Leben in der Stadt kam zum Erliegen.« (H. Zinn, »A People’s History of the United States«, S. 386 f.)

Die Heuerbüros waren kein Geschenk der Bosse, sondern ein Arbeiterrecht, das mit hohem Blutzoll erkämpft worden war. Die PMA will nun mittels Computertechnik die Funktionen der Heuerbüros an weit entfernte Orte wie Utah, Arizona und sogar nach Übersee verlagern.

Die wohlhabenden Arbeitgeber der Hafenstädte setzten die Konzernpresse als ihr Werkzeug ein, indem die Dock- und Werftarbeiter in Artikeln dargestellt wurden, als würden sie wie Baseballspieler 100000 Dollar und mehr im Jahr verdienen. Während die ILWU zu Recht stolz darauf ist, daß sie für ihre Mitglieder – von denen zum Beispiel in den Häfen von San Francisco/Oakland über 70 Prozent Afroamerikaner und Latinos sind – angemessene Entlohnung durchgesetzt hat, zielt die Taktik des Unternehmerverbandes PMA darauf, in Zeiten einer niedergehenden und großen Schwankungen unterworfenen Wirtschaft den Neid unter den Arbeiterinnen und Arbeitern zu schüren.

In diesen brodelnden Arbeitskonflikt intervenierte Thomas Ridge, ehemaliger Gouverneur von Pennsylvania und von Bush unter Umgehung der Verfassung vor einem Jahr zum Koordinator der »Heimatverteidigung« berufen. Sicherheits-Zar Ridge mit seinem steinernen Gesicht ließ Jim Spinosa, dem Präsidenten der ILWU, eine kaum verhüllte Drohung zukommen. Inhalt dieser Botschaft: Ein Abbruch der Tarifverhandlungen (ganz zu schweigen von einem Streik!) würde die »nationale Sicherheit« bedrohen. Warum wird nicht von einer Bedrohung der »nationalen Sicherheit« gesprochen, wenn ein Arbeiter oder vielleicht sogar tausend Arbeiter ihren Job verlieren? Warum ist die Arbeitsplatzsicherheit keine Frage von »nationaler Sicherheit«? Wie kann es im »Interesse der Nation« liegen, wenn ein hart erkämpftes Recht abgeschafft wird, das die Arbeiterschaft nur durch blutige Schlachten erringen konnte?

Der radikale Schriftsteller Randolph Bourne hat einmal festgestellt: »Krieg dient dem Wohlergehen des Staates.« Er meinte damit, daß Regierungen in Kriegszeiten immensen Machtzuwachs verzeichnen und diese Macht nur selten – wenn überhaupt – wieder an das Volk zurückgeben.

Die ILWU muß kämpfen und sie muß auf dem Hintergrund ihrer Traditionen hart kämpfen gegen dieses neue »shape-up«-System, das ihr vom Management, begleitet von Drohungen seitens der Bush-Regierung, aufgedrückt werden soll. Die ILWU kann mit der Unterstützung ihrer Schwesterorganisationen erneut eine historische Lektion erteilen, daß »die Sicherheit der Arbeitsplätze eine Frage nationaler Sicherheit« ist.

(Übersetzung: Jürgen Heiser)