Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:


Im Folgenden präsentiert der offizielle Vertreter der italienischen Antiglobalisierungsbewegung im Koordinationsausschuß des Weltsozialforums und vormalige Sprecher des Genua Sozial Forums, Vittorio Agnoletto, in einem Interview mit der linken italienischen Tageszeitung “il manifesto” vom 13.11.2002 seine Einschätzung des kurz zuvor zuende gegangenen Europäischen Sozialforums in Florenz und skizziert die ihm vorschwebende weitere Perspektive jener “Bewegung der Bewegungen”. Was allemal interessant ist (auch wenn wir erheblichen Dissens gegenüber seinen Ansichten und der mitunter nicht zu übersehenden und wenig gerechtfertigten Selbstbeweihräucherung haben), weil der beruflich in der AIDS-Forschung tätige linksliberale Intellektuelle Agnoletto unseres Erachtens den Mainstream der “No globals” zum Ausdruck bringt.



“Wir kollektiven Intellektuellen”


Es spricht Vittorio Agnoletto: Wir sind eine kompetente und erwachsene Bewegung, die Vorschläge macht und das Verhältnis zur Politik umkehren will. Der Dialog mit den Parteien ? Ja, aber ausgehend vom Nein zum Krieg und zum Wirtschaftsliberalismus. Mit Prodi setzen wir uns über die europäische Verfassung auseinander.


Angelo Mastrandrea


Er definiert die Bewegung als “einen kollektiven Intellektuellen”, der nicht nur Fragen stellt, sondern auch konkrete Vorschläge macht. Und er akzeptiert den Dialog mit den politischen Kräften, vorausgesetzt, daß sie die grundlegenden Positionierungen gegen den Krieg und den Neoliberalismus berücksichtigen. Und auf den Präsidenten der Europäischen Kommission Romano Prodi antwortet er mit einem Ja zur Auseinandersetzung, aber beginnend beim Europäischen Konvent. Wir erreichen Vittorio Agnoletto in Florenz, wo er geblieben ist, um an den Vorbereitungsversammlungen des Weltsozialforums teilzunehmen.


Bis vor einigen Tagen sprach man von der Bewegung nur als einem Problem der öffentlichen Ordnung. Nun sagen viele, daß sie ein Gespräch mit ihr wollen.


“Ich denke, daß man die Stärke dieser Bewegung vor allem in den 3 Tagen der Diskussion wahrgenommen hat, an denen es gelungen ist starke Vorschläge zu machen und von diesem Gesichtspunkt aus glaube ich, daß wir gezeigt haben, daß wir eine sehr kompetente Bewegung sind und nicht - wie viele Analytiker gesagt hatten - “bravi ragazzi” (brave Jugendliche). Dies ist eine generationenübergreifende Bewegung, die in bezug auf einzelne Themen lange spezifische Kampfprozesse hinter sich hat. Ich würde sie als einen ‚kollektiven Intellektuellen‘ bezeichnen. Außerdem hat sie die Fähigkeit die eigene Zustimmung bei einer Vielzahl von gesellschaftlichen Gesprächspartnern auszuweiten. Um die Breite dessen zu erklären, gebe ich zwei Beispiele: Das erste ist der Beschluß einen Tag der prekären Beschäftigten zu organisieren. Das zweite ist ein Treffen, das ich mit ungefähr 60 kleinen und mittleren Unternehmern hatte, die in der Gesellschaft ‚Prato futura‘ (Zukünftige Weide) zusammengeschlossen sind und die wissen wollten, ob es Möglichkeiten für eine Beziehung mit uns gibt. Ausgehend von einer sehr einfachen Tatsache: Sie sind Textilunternehmer mit vielen Arbeitskräften und wenig Technologie und die gegenwärtige Globalisierung sorgt dafür, daß im Süden der Welt die multinationalen Konzerne Textilprodukte fertigen, ohne irgendwelche Regeln zu respektieren. Es ist offenkundig, daß diese Kleinindustrie Gefahr läuft zu schließen, weil sie von den Monopolen und Oligopolen überschattet wird. Deshalb sind sie die Ersten, die fordern einen Kampf für die Regelung des internationalen Handels in Sachen <Arbeits->Rechte zu führen und die Übermacht der Multis zu stoppen. Diese Bewegung hat auch das Charakteristika die neoliberale Globalisierung in den Arbeitsstätten anzugreifen, in denen sie die Frage des <Kündigungsschutz->Artikels 18 wieder aufwirft und in den Mittelpunkt stellt und sich innerhalb der Arbeitsstätten bewegt und nicht als etwas von außen oder vom Überbau Kommendes präsentiert. Die Bewegung interveniert in Sachen Konsum, weil wir nur auf diese Weise in der Lage sind den Markt zu bestimmen. Und sie agiert in bezug auf die Ersparnisse, um Einfluß auf die bewaffneten Banken zu nehmen.”


Zum ersten Mal ist es Euch gelungen, auch die <größte italienische Gewerkschaftszentrale> CGIL mit einzubeziehen. Während alle Parteien der Linken gezwungen sind, mit Euch zu rechnen.


“Ich glaube, daß die Beteiligung der CGIL an unseren Initiativen ein wichtiges Element gewesen ist. Wir müssen allerdings die Sichtweise überwinden, daß dies eine Bewegung ist, die Fragen stellt und die Politik sie beantwortet. Und zwar gerade deshalb, weil sie <die Bewegung> kompetent ist und Vorschläge macht. Dies verändert die Verhältnisse, an die wir zwischen Bewegung und politischer Gesellschaft gewöhnt waren.”


Gehen also Prodi, <Linksdemokraten (DS)-Generalsekretär> Fassino und <Mitte-Links-Spitzenkandidat> Rutelli von falschen Voraussetzungen aus, wenn sie von Euch sprechen ?


“Ich denke, daß diese Bewegung mit ihrem Handeln (und wenn sie die Charakterisierung durch den Pluralismus, die Einheit und die Autonomie der politischen Formationen aufrechterhält) dazu bestimmt ist, eine Transformation des politischen Rahmens in der Mitte-Linken - auch als Ergebnis der eigenen Stärke - in Gang zu setzen. Wenn sich jemand mit der Bewegung auseinandersetzt, kann er selbst nicht der Gleiche bleiben, weil es ihr gelingt, sehr starke Inhalte zu rüber zu bringen, bezüglich derer sie von den Anderen eine Stellungnahme verlangt.”


Zum Beispiel ?


“Wir stellen die Frage des Krieges in den Mittelpunkt. Eine Frage, die eine ethische Dimension hat (d.h. die Ablehnung des Krieges immer und überall), aber auch eine politische (d.h. der Krieg als integraler Bestandteil des Neoliberalismus). Wenn wir ohne Wenn und Aber, mit oder ohne UNO zum Krieg Nein sagen, üben wir auch eine sehr starke Kritik am Neoliberalismus. Die politischen Kräfte akzeptieren sie entweder oder sie lehnen sie ab. Das ist der Grund, warum wir einen Generalstreik fordern.”


Dies ist also das Thema, an dem sich die Möglichkeit einer Beziehung mit Euch mißt.


“Heute einen Krieg zu unterstützen, dem die UNO zugestimmt hat, bedeutet die ethischen Werte der Realpolitik <im Original als deutscher Begriff !> gegenüber eine untergeordnete Stellung zuzuweisen. Außerdem bedeutet es, nicht begriffen zu haben, daß diese Bewegung eine Systemalternative darstellt. Diese Bewegung fordert zum Ausstieg aus dem <neoliberalen> Einheitsdenken auf. Den Kräften, die mit uns in den Dialog treten wollen, sage ich, daß wir für den Dialog mit Allen offen sind. Ich glaube, daß es ein Sieg der Bewegung ist, daß <der rechts-christdemokratische Präsident des italienischen Senates> Casini sagt, daß man im Parlament darüber diskutieren muß, weil dies heißt, daß alle verpflichtet sind, die Bedeutung unserer Themen zur Kenntnis zu nehmen. Dies vorausgeschickt, ist klar, daß unsere Entscheidungen radikale sind, weil es keinen Spielraum gibt, um den Neoliberalismus zu reformieren. Es ist positiv, daß Prodi mit der Bewegung in Dialog treten will, allerdings unter der Bedingung, daß er uns nicht als brave ragazzi betrachtet, die man verstehen muß. Weil wir eine erwachsene und kompetente Bewegung sind, die Vorschläge macht. Und dann setzen wir uns über die Frage des Europäischen <Verfassungs->Konventes auseinander. Wir stellen die Frage nach der Methode und nach den Inhalten. Das Erste ist, daß die Verfassung zwischen den sozialen Bewegungen in breitester Weise diskutiert werden muß und nicht etwas sein kann, das nur von den Repräsentanten des Europäischen Parlamentes, des Europäischen Rates und der EU-Kommission ausgearbeitet wird, weil heute das Verhältnis zwischen politischen Institutionen und Bürgern anders ist. Das Zweite ist, daß er den Krieg in jedweder Form ablehnen und sich klar dazu äußern muß, welches die einlösbaren sozialen Rechte sind, d.h. diejenigen, die nicht der Vereinbarkeit mit der Finanzpolitik der Subjekte des herrschenden Wirtschaftsliberalismus unterworfen sind.”


Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover