Antifa-AG der Uni Hannover:
Das folgende Interview behandelt zwar längst nicht alle im Zusammenhang
mit dem Nahost-Konflikt interessanten Fragen, es verleiht allerdings einem
Teil der palästinensischen Bewegung Stimme, der ansonsten oftmals untergeht:
den Palästinensern im israelischen Kernstaat, die zwar Staatsbürger
Israels sind, aber dennoch auf vielfältige Weise rassistisch diskriminiert
werden. Und in diesem Fall speziell einem Vertreter der Bewegung Abnaa
el Balad (Kinder der Heimat), einer marxistisch inspirierten linksradikalen
Bewegung, die in den letzten Jahren unter den “israelischen” Palästinensern
deutlich an Stärke gewonnen hat und als die zweitstärkste Kraft
der arabischen Linken in Israel gilt.
Das Interview wurde von der in Mailand produzierten, monatlich erscheinenden
online-Zeitschrift "REDS" geführt und erschien in der Nr.
59 (neue Serie), im Mai 2002. Die Zeitung und die gleichnamige
Gruppe sind 1997 / 98 aus einer Abspaltung der italienischen Sektion der
offiziellen IV. Internationale (Vereinigtes Sekretariat / Krivine, Maitan
etc.) hervorgegangen, d.h. aus der Gruppe um die Zeitschrift "Bandiera Rossa".
"REDS" ist zwar sehr (ein wenig eindimensional) bewegungsorientiert
und zuweilen auch durch eine stark moralistische Tendenz geprägt, aber
immer links, intelligent, frech und gut informiert.
Ein Blick auf Palästina aus dem
Innern Palästinas
Interview mit Majid Kanaana
(Majid Kanaana ist ein palästinensischer Genosse, der im Gebiet von
Nazareth in Galiläa lebt, wo er als Schulpsychologe arbeitet. Er hat
in Italien - in Padua - studiert, wo er Ende der 90er Jahre sein Diplom in
Psychologie mit einer Arbeit über die Identitätswahrnehmung der
Palästinenser in Israel erworben hat, die wir in dieser selben Nummer
veröffentlichen. Er ist Aktivist von Abnaa el Balad, einer politischen
Bewegung der Palästinenser in Israel, die auf einer Internetseite in
arabischer Sprache veröffentlicht (http://www.abnaa-elbalad.org), wobei
es dort auch einiges Material in Englisch gibt. In dieser Phase wird der
Unterstützung der Intifada breiter Raum gewidmet. Er ist auch Mitglied
der kulturellen Vereinigung Al Jeel al Jadeed mit Sitz in Haifa und in Dounia,
einer internationalen Vereinigung für den Schutz der Menschenrechte,
die in Italien ihren Sitz in Padua hat.)
Kannst Du kurz die Organisationen der palästinensischen Linken umreißen,
die es in Israel bzw. in den besetzten Gebieten gibt ? Welche Rolle
spielen sie heute in den internen politischen Verhältnissen der palästinensischen
Gemeinschaft und in den Beziehungen zu Israel ?
“Die israelische Kommunistische Partei (Rakah) ist die erste Massenorganisation
gewesen, die in ihrem Innern die Araber als den Juden gleichgestellte Mitglieder
akzeptiert und ihnen erlaubt hat die politische Aktivität auszuüben
und sich in der Partei zu organisieren.
Heute verfügt die Rakah zusammen mit Hadash (Demokratische Front für
den Frieden und die Gleichheit) über eine bedeutende Präsenz unter
den Palästinensern in Israel und ist in wichtigen arabischen Zentren
wie Nazareth und Sakhnin verankert. Außerdem ist die Partei in der
Knesset (dem israelischen Parlament) mit 3 Mitgliedern vertreten.
Die Rakah geht in ihrem Programm über die Forderungen nach der Gleichheit
und den Bürgerrechten der Palästinenser in Israel nicht hinaus
und sieht nicht, daß ihr Hauptproblem von der Natur des Staates Israel
als Staat der Juden herrührt. In der Tat erkennt die Rakah Israel als
jüdischen Staat, der eine arabische Minderheit umfaßt, an.
Außerdem ist die Rakah eine der ersten Parteien gewesen, die die Schaffung
zweier Staaten für zwei Völker gefordert hat, d.h. die Schaffung
eines palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967 neben dem Staat
Israel. Auf dieser Linie sah die Partei in den Osloer Abkommen eine Errungenschaft
für das palästinensische Volk. Die Partei ist noch heute über
die Frage des Rückkehrrechtes der palästinensischen Flüchtlinge
zwiegespalten, weil sie fährt fort, nicht klar Stellung für die
Umsetzung der UNO-Resolution 194 zu beziehen, die ein solches Recht vorsieht.
Die zweitstärkste politische Kraft auf der Linken ist die Bewegung Abnaa
el Balad (Kinder der Heimat), die marxistisch inspiriert ist und die radikale
und progressive Linke innerhalb der palästinensischen Gemeinschaft <in
den israelischen Grenzen> von 1948 repräsentiert. Die Bewegung glaubt,
daß die Palästinenser in Israel einen integralen Bestandteil des
palästinensischen Volkes bilden und betrachtet sich als Teil der arabischen
und palästinensischen nationalen Befreiungsbewegung. Die Bewegung ist
1969 in der Kleinstadt Umm el Fahem entstanden und hat sich dann, nach den
Demonstrationen am Tag des Bodens, 1996 mit einer Studentenorganisation (der
Progressiven Patriotischen Bewegung) vereint, die unter den arabischen Universitätsstudenten
in Israel aktiv ist.
Die Bewegung weigert sich am Spiel der israelischen Demokratie teilzunehmen,
weshalb sie sich nicht an den Parlamentswahlen beteiligt. Tatsächlich
repräsentiert das israelische Parlament die Legalität des Staates
und seine Legitimität. Und die Beteiligung an seinen Wahlen ist eine
Anerkennung dieses Staates, der auf den Trümmern unseres Volkes und
unserer Gesellschaft aufgebaut ist, durch uns.
Außerdem muß man, um an den Wahlen zur Knesset teilzunehmen,
den Treueschwur auf den Staat Israel leisten und muß vor allem den
jüdischen Charakter des Staates anerkennen. Laut dem Grundlegenden Wahlgesetz
Punkt 7, Komma A (verändert im Jahre 1984) werden alle die Listen ausgeschlossen,
die den Charakter des Staates als Staat der Juden nicht klar anerkennen.
Deshalb weigern wir uns, an diesem Spiel teilzunehmen und mit unserer Wahlenthaltung
erklären wir der Welt <gegenüber> unser Mißtrauen in
das israelische System und denunzieren den rassistischen Charakter des Staates.
Israel ist ein ethnisch-religiöser und kein demokratischer Staat. Das
heißt er ist Staat der Juden, die den Anderen, die Eingeborenen (seine
palästinensischen Bürger), systematisch diskriminiert.
Die Bewegung glaubt dagegen an den Volkskampf, glaubt an die Stärke,
die die Massen haben, wenn sie vereint sind, um ihre Rechte (die alltäglichen
wie die nationalen) zu erringen.
Die Bewegung sagt voraus, daß jede Lösung des arabisch-israelischen
Konfliktes, um Erfolg zu haben, die Frage der palästinensischen Flüchtlinge
in Betracht ziehen muß und zwar auf der Grundlage der Resolution 194,
die das Rückkehrrecht klar und deutlich vorsieht.
Innerhalb der arabisch-palästinensischen Gemeinschaft in Israel hat
sich in den letzten Jahren eine weitere politische Kraft behauptet: die Demokratisch-Nationale
Versammlung (Al Tajamua), die eine liberale Partei ist, die sich als nationalistisch
betrachtet und entsprechend den demokratischen Regeln des Staates an den
Parlamentswahlen teilnimmt. Diese Partei erkennt an, daß Israel das
Selbstbestimmungsrecht des jüdischen Volkes repräsentiert und fordert
die Veränderung des Staates Israel von einem Staat der Juden in einen
Staat seiner Bürger.
Al Tajamua wird als Partei der arabischen Eliten in Israel betrachtet und
nimmt gegenüber der Arbeiterfrage und der Frage des Sozialismus reaktionäre
Positionen ein. Der Führer dieser Gruppe, Azmi Bishara, z.B. hat erklärt,
daß Che Guevara gescheitert sei, daß er keinen revolutionären
Staat repräsentiert und daß die Identifikation der Jugendlichen
mit dem Che über die Fahnen, die ihn zeigen und über seine Bilder
nur ein idealistisches und unbedeutendes Verhalten ist. Außerdem hat
Bishara bei verschiedenen Gelegenheiten das 1.Mai-Fest und das, was es für
die Arbeiterklasse darstellt, angegriffen.
In den 1967 besetzten Gebieten sind zahlreiche Organisationen aktiv. In diesem
besonderen historischen Moment des nationalen Befreiungskampfes verbinden
einige dieser Organisationen die Ebene des nationalen Kampfes mit dem des
Klassenkampfes.
Unter diesen Letzteren haben wir vor allem die ‚Volksfront für die Befreiung
Palästinas‘ (PFLP), die eine zentrale Kraft im palästinensischen
politischen Panorama ist, die den Marxismus als Analysemethode anwendet und
an den bewaffneten Kampf als einen Weg zur Befreiung Palästinas glaubt.
Die Volksfront glaubt, daß die Lösung des Konfliktes in Palästina
über die Schaffung des Laizistischen Demokratischen Staates im historischen
Palästina <also die 1-Staaten-Lösung für alle Bewohner
mit gleichen Rechten und Pflichten> verläuft.
Die ‚Demokratische Front für die Befreiung Palästinas‘ (DFLP) betrachtet
sich als eine marxistische Organisation und ist in den letzten Jahren zu
einer Elitegruppe geworden. Die Demokratische Front hat sich bei verschiedenen
Gelegenheiten sehr nah an der palästinensischen Rechten befunden, insbesondere
was die Abkommen von Oslo anbelangt und fordert die Schaffung eines palästinensischen
Staates neben dem Staat Israel.
Wir haben auch die ‚Partei des Palästinensischen Volkes‘ (PPP), eine
ehemals kommunistische Partei, die ihre Aktivitäten in den <kulturellen
und sozialen> Vereinigungen konzentriert, in den NGO‘s und in den Institutionen
der Zivilgesellschaft. Die politischen Positionen der Partei folgen sehr
stark den Positionen der Israelischen Kommunistischen Partei, insbesondere
in der Frage der Schaffung zweier Staaten für zwei Völker. Außerdem
wendet die Partei den bewaffneten Kampf nicht an, etwas das sie von den palästinensischen
Massen entfernt hat.”
Der Beginn der zweiten Intifada ist durch zahlreiche Tote und durch starke
Proteste der palästinensischen Bürger in Israel charakterisiert
gewesen. Dies hat die schwierige Situation der arabischen Bürger in
Israel deutlich gemacht. Kannst Du uns im Detail, auch mit Beispielen, erklären,
welches die Begrenzungen der Rechte der palästinensischen Bürger
in Israel sind ?
“Vor allem darf nicht vergessen werden, daß sich der Staat Israel als
Staat der Juden definiert. Er definiert seine arabischen Bürger daher
als Nicht-Juden und weigert sich ihre nationale Identität anzuerkennen
und sie als eine Kollektivität zu betrachten. Er betrachtet sie nur
als religiöse Minderheiten. Aus diesem Grund, d.h. aufgrund des jüdischen
Charakters Israels sind alle Projekte und Interessen des Staates auf die
Verwirklichung eines jüdischen Staates ausgerichtet, ohne das Vorhandensein
des Anderen (der palästinensischen Eingeborenen) auch nur im Mindesten
in Betracht zu ziehen.
In Israel gibt es verschiedene Gesetze, die die palästinensischen Bürger
in allen Bereichen des Lebens (von der Bildung bis zur Gesundheit, von den
öffentlichen Diensten bis zu den für arabische Städte und
Gemeinden bestimmten Geldmitteln) und vor allem auf der Ebene der Beschlagnahmung
der arabischen Böden und der Städteplanung direkt diskriminieren.
Zum Beispiel wurden 40% der arabischen Böden mit Hilfe des Gesetzes
von 1950 über das Eigentum der Abwesenden beschlagnahmt. Mit diesem
Gesetz wurden die Palästinenser, denen es nicht gelang in ihre eigenen
Häuser oder auf ihre Felder zurückzukehren, weil die israelischen
Militärs sie daran hinderten, als abwesende Eigentümer klassifiziert
und dem Staat so die Handhabe gegeben, ihre verlassenen Böden zu requirieren.
Diese abwesenden Anwesenden (abwesend von ihrem Eigentum und anwesend als
Bürger in dem Staat) bilden heute zwischen 30% und 40% der palästinensischen
Bevölkerung in Israel und sind als interne Flüchtlinge anerkannt.
Das Rückkehrgesetz von 1950 gewährt den Juden automatisch die israelische
Staatsbürgerschaft aus welchem Teil der Welt sie auch kommen, während
die arabischen Bürger, wenn sie keine Juden heiraten, erleben, daß
ihnen die Forderung nach Familienzusammenführung abgelehnt wird, wenn
sie nicht gar mit der Ausweisung bedroht werden. Um vom Rückkehrrecht
der palästinensischen Flüchtlinge, das kategorisch abgelehnt wird,
gar nicht zu reden !
Es gibt Dutzende weiterer Gesetze, die die arabischen Bürger direkt
diskriminieren (wie das Grundlegende Wahlgesetz und das Notstandsgesetz,
die nur auf die arabischen Bürger angewandt werden). Die Verweigerung
der Bewegungsfreiheit, die viele palästinensische Aktivisten willkürlich
daran hindert sich frei zu bewegen. (Das ist <z.B.> beim Generalsekretär
von Abnaa el Balad, dem Genossen Muhamad Kanaana, der Fall, der seit ungefähr
drei Jahren aufgrund eines Militärbefehls die Besetzten Gebiete nicht
betreten, nicht nach Jordanien und nicht nach Ägypten reisen darf, wiederum
aufgrund von Militärbefehlen.) Die Gesetze, die das Schulsystem regeln
(im arabischen Teil steht dieses System unter der direkten Kontrolle des
Inlands-Sicherheitsdienstes, des Shin Beth), legen als eines der Hauptziele
die Förderung der jüdischen und zionistischen Kultur und die Negierung
der palästinensischen und arabischen Nationalkultur fest. Womit sie
versuchen so einen arabischen Schüler zu formen, der entfremdet, unsicher
und gefügig ist. Gerade vor einer Woche ist es zu einer Einschüchterungsmaßnahme
seitens des Bildungsministers gekommen, der mit der Besetzung der arabischen
Schulen gedroht hat, um sofort alle Formen der Geld- und humanitären
Hilfssammlung für die Palästinenser in den Besetzten Gebieten zu
stoppen.
Wir haben auch das Problem der Nicht-anerkannten Arabischen Dörfer,
in denen die elementaren Dienstleistungen fehlen, die jeder Staat seinen
Bürgern garantieren muß, wie Elektrizität, fließendes
Wasser, Kanalisation, Schulen, Gesundheitsstationen und asphaltierte Straßen.
Noch heute weigert sich der Staat ungefähr 100 dieser Dörfer, in
denen ca. 80 000 Leute leben und die auf keiner Karte des Staates eingezeichnet
sind, obwohl der größte Teil von ihnen schon Jahrzehnte vor der
Schaffung des Staates Israel existierte, anzuerkennen.
Es gibt viele Fälle, in denen der Staat seinen Bürgern Erleichterungen
anbietet, wie den Kauf eines Hauses oder eines Grundstückes, die Universität
oder den Arbeitsplatz, von denen die Araber ausgeschlossen werden, weil sie
in keiner Weise die Bedingungen garantieren können, um diese Erleichterungen
in Anspruch zu nehmen, wie: ein neu Eingewanderter zu sein, ein Haridi (<orthodox->religiöser
Jude) zu sein oder den Militärdienst geleistet zu haben.”
Ist die Solidarität zwischen den Palästinensern in Israel und
jenen in den Besetzten Gebieten noch stärker als zu Beginn dieser Intifada
oder war sie - wie es uns von außen erscheint - dabei sich zu verringern
? Kannst Du konkrete Beispiele geben ?
“Die Art der Solidarität der Palästinenser innerhalb Israels
mit ihren Brüdern in den besetzten Gebieten hat entsprechend der Phase
und der politischen Situation des Augenblickes Veränderungen erlebt.
Der bedeutendste Augenblick aber hat sich während der ersten Woche dieser
Intifada, d.h. im Oktober 2000 ereignet als ganz Palästina rebelliert
hat - auf beiden Seiten der grünen Linie. Die Reaktion der Israelis
auf diese Form der Solidarität ist sehr hart gewesen: Es sind 13 palästinensische
Jugendliche <im israelischen Kernstaat !> getötet worden, es sind
dabei Hunderte verletzt und ungefähr Tausend verhaftet worden und diese
Reaktion hat die arabischen politischen Führer in Israel dazu gebracht
die Initiative zu ergreifen, um die Proteste und Demonstrationen des Volkes
in den arabischen Dörfern und Städten zu kontrollieren und zu stoppen.
Wir denken, daß dies aufgrund der Tatsache geschehen ist, daß
die Massenbewegung dabei war die Linien der arabischen Parteien und Führungen
zu überwinden und dies diese Führungen erschreckt und sie dazu
gebracht hat die Kontrolle der Situation in die Hand zu nehmen und die Solidarität
in eine einfache Sammlung von Geld und Lebensmitteln und in zahllose, vorausgeplante,
friedliche Demonstrationen zu verwandeln.”
Heute treten fast alle Organisationen, die sich mit dem palästinensischen
Volk solidarisieren, für die Hypothese “Völker - 2 Staaten !” ein.
Ist das wirklich die einzig mögliche Perspektive oder existiert die
Möglichkeit eines gemeinsamen Staates ? Was betrachtest Du - wenn
dann langfristig - als eine bessere Lösung als diejenige eines Palästinensischen
Ministaates allein in den Gebieten von 1967 ?
“Heute treten alle demokratischen und progressiven Kräfte in der ganzen
Welt für das Einreißen aller Mauern und für die Beseitigung
der Grenzen zwischen den Völkern ein und kämpfen dafür, aber
man begreift nicht, warum nur in Palästina viele dieser Kräfte
es akzeptieren, eine Mauer zu errichten und einen großen Stacheldrahtzaun
an der gesamten grünen Linie zu installieren (der Linie, die das 1948
besetzte Palästina von dem 1967 besetzten trennt) !
Wir von Abnaa el Balad meinen, daß die Lösung ‚2 Völker -
2 Staaten !‘ nicht die einzige Lösung ist. Im Gegenteil, diese Lösung
wird langfristig ein Hindernis für die Entwicklung des Gebietes und
den Wohlstand der beiden Völker sein. Außerdem, wie schaffen wir
es zwei Staaten in einem so kleinen Gebiet zu bilden - mit Bevölkerungen,
die auf den beiden Seiten der Grünen Linie miteinander verwoben sind
? Der geopolitische Charakter des Landes und seiner demographischen
Zusammensetzung bildet langfristig einen Gegensatz zu dieser Trennung. Die
einzige Lösung, die die Bindungen der beiden Völker mit diesem
Boden berücksichtigt, liegt in der Schaffung eines einzigen Staates,
des Laizistischen und Demokratischen Staates Palästina, in dem es sowohl
für die Araber wie für die Juden gleiche Rechte gibt. Diese Lösung
wird noch praktikabler, wenn man an die palästinensischen Flüchtlinge
denkt und an ihr Recht auf Rückkehr in die eigenen Häuser und auf
die eigenen Felder, von denen sie 1948 verjagt worden sind. Ein Recht, daß
von der Resolution 194 (von 1948) der UNO-Vollversammlung sanktioniert wird.
Die Lösung löst auch das Problem der arabischen Palästinenser
in Israel, die hingegen bei der Schaffung von zwei Staaten weiterhin in einem
Status als Nicht-Juden als Bürger in dem Staat leben würden, aber
nicht als Bürger des Staates, da sie gerade keine Juden sind.
Die Möglichkeit, daß eine derartige Lösung praktikabel wird,
beginnt ab dem Augenblick <zu existieren>, in dem die beiden Seiten
zu einer Art historischer Aussöhnung gelangen, wie sie in Südafrika
geschehen ist, und ab der Anerkennung der historischen und moralischen Verantwortung
des Staates Israel und der zionistischen Bewegung (aber natürlich nicht
der Juden) für das, was 1948 und in den folgenden Jahren geschehen ist.
Wir glauben, daß in dem Augenblick, in dem wir die Konsequenzen des
Konfliktes beseitigen (d.h. das Problem der palästinensischen Flüchtlinge
und die militärische Kontrolle eines ethnisch-religiösen Staates
über das gesamte Gebiet) und wir zur Schaffung eines gemeinsamen demokratischen
Staates kommen, der sowohl den Arabern wie den Juden gleiche Rechte gibt,
die Bewohner dieses Bodens friedlich zusammenleben können.”
Wie siehst Du und Deine Organisation die Initiative der israelischen Pazifisten
in dieser politischen Phase und perspektivisch ? Habt Ihr Beziehungen
zu ihnen ? Welche reale Möglichkeit haben sie Einfluß auf
das Handeln der Regierung und auf die öffentliche Meinung in Israel
zu nehmen ?
“Wir können die pazifistischen Kräfte Israels im Großen und
Ganzen in zwei Lager teilen. Das erste, stärkere, bewegt sich auf zionistischen
Positionen und ist nur deshalb aktiv, weil es sieht, daß die Existenz
Israels von einem Abkommen mit den Palästinensern und mit der arabischen
Welt abhängt. Zu diesem Lager haben wir keine Beziehung, da sie einen
Teil der zionistischen Bewegung bilden und mit dieser darin übereinstimmen,
daß Israel weiterhin seinen jüdischen Charakter bewahren und der
Vorposten der jüdischen Bourgeoisie und des US-Imperialismus in der
arabischen Welt sein soll und vor allem, weil sie das Rückkehrrecht
der palästinensischen Flüchtlinge kategorisch verweigert.
Das zweite Lager, das in der israelischen Gesellschaft noch schwächer
ist, ist das der radikalen Linken, die den jüdischen Charakter des Staates
ablehnt, das Recht der palästinensischen Flüchtlinge anerkennt
und für die Schaffung eines gemeinsamen Staates in Palästina für
die beiden Völker kämpft.
Zu diesem Lager haben wir gute und starke Beziehungen und versuchen zusammen
ihre Stärke innerhalb der israelischen Gesellschaft zu erhöhen.
Ich will <an dieser Stelle> daran erinnern, daß es innerhalb
unserer Bewegung jüdische Genossen gibt.
In diesem Moment versuchen wir zusammen eine gemeinsame Front von Arabern
und Juden auf der Grundlage der Verwirklichung des Rückkehrrechtes der
palästinensischen Flüchtlinge, des gemeinsamen Kampfes gegen die
israelische Apartheid und der Schaffung eines gemeinsamen demokratischen
Staates in Palästina zu bilden.”
In Italien und in Europa spielt die Rechte als Unterstützerin Israels
und der imperialistischen Politik (zusammen mit Gruppen und Intellektuellen
der Mitte und der Linken) in instrumenteller Weise die Karte des Antisemitismus,
indem sie die unakzeptable Gleichsetzung palästinenser-freundlich =
antisemitisch = terroristisch spielt. Um die Wahrheit zu sagen, überdauern
innerhalb der europäischen Linken niemals völlig geklärte
und überwundene anti-jüdische Spuren. Welches Gewicht hat dieses
Gefühl in den Beziehungen zwischen Palästinensern und Juden in
Israel, wenn es eines hat ?
“Es ist sicherlich falsch und abwegig jede Person, die palästinenser-freundlich
ist und gegen die Politik Israels opponiert, als einen Antisemiten zu betrachten.
Wir Araber sind semitischen Ursprungs und es ist eine lächerliche Sache,
uns des Antisemitismus zu beschuldigen. Die zionistische Bewegung und ihre
Unterstützer haben den Begriff Antisemitismus in instrumenteller Weise
benutzt, um die Verbrechen Israels in Palästina zu überdecken.
In der Tat wird jede Person, die sich der Politik Israels und seiner Armee
widersetzt, des Antisemitismus beschuldigt und dabei spielt es keine Rolle,
ob es ein Araber oder einer aus dem Westen oder sogar ein Jude ist, so wie
es mit einer berühmten israelischen Sängerin geschehen ist, die
erklärt hatte, daß sich die israelischen Soldaten bei den palästinensischen
Gefangenen in derselben Weise benehmen würden, wie die Nazis bei den
Juden.
Sicherlich haben anti-jüdische, aber auch anti-arabische und anti-palästinensische
Gefühle ein starkes Gewicht in den Beziehungen zwischen Arabern und
Juden und nähren das Mißtrauen zwischen den beiden Parteien, das
bereits enorm ist, auch wenn die Palästinenser im Allgemeinen keine
antisemitischen und noch weniger anti-jüdische Einstellungen haben,
sondern ihre Position ist hauptsächlich antizionistisch.”
<Groß- und Kleinschreibung zentraler Begriffe wie im Original
!>