Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:

 

Der nachfolgende, aus der linksliberalen italienischen Tageszeitung “la Repubblica” vom 22.7.2002 entnommene Artikel referiert kurz und anschaulich wie sehr die italienische Antiglobalisierungsbewegung auch nach (und trotz) der gut besuchten Gedenkdemonstration zum 1.Jahrestag der Anti-G8-Proteste in Genua und der brutalen Polizeirepression, die u.a. zur Erschießung von Carlo Giuliani führte, (nicht nur über die Gewaltfrage) tief gespalten und zum Entwurf einer gemeinsamen Zukunftsperspektive unfähig ist. – Ein Zustand, der unserer Einschätzung nach mittlerweile weltweit auf diese so hoch gejubelte “Bewegung der Bewegungen” zutrifft.

 

 

Der Fall:

 

Casarini lanciert die “Herbstkampagne”. Katholiken und Sozialforen dagegen.

 

Antiglobalisierer über die Gewalt gespalten.

“Jetzt bedarf es der sozialen Subversion !”

 

Nach dem Erfolg vom Samstag Wortgefecht zwischen Agnoletto und dem Führer der Disobbedienti (Ungehorsamen).

Spaltung bezüglich der Vertretung. Und es gibt diejenigen, die protestieren: Demonstrationen veranstalten, genügt nicht mehr.

 

Anais Ginori

 

GENUA – Ein Saal, gerammelt voll mit Jugendlichen, Schulterklopfen, breites Grinsen. Zwei Jugendliche zeigen digitale Fotos von der Demonstration am Samstag, an dem Punkt, wo in der via 20 settembre die rote Zone begann. Andere streiten über das “Sich-Hinabbegeben auf die Straße” von Violante und Fassino <den Führern der Linksdemokraten (DS), die vor einem Jahr noch für den G8-Gipfel waren und die Repression mit vorbereitet hatten>. <Der CGIL-Generalsekretär und DS-Linke> “Cofferati ist da schon besser.” Andere gratulieren sich noch gegenseitig, während sie die Zeitungen lesen: “Ein schöner Image-Erfolg für die Bewegung.”

 

Keiner hat Zweifel: Es ist die erhoffte und erwartete Wende gewesen. “Ein Neustart”, wie <der ehemalige Sprecher des Genoa Social Forum und bisherige “Konsens-Onkel”> Agnoletto sie nach 12 Monaten des Sumpfes bezeichnet. Und nun ?   3 000 sind bereits am Morgen auf der Versammlung im Teatro della Corte (“Hoftheater”), um über die Zukunft der Bewegung zu diskutieren. Die vielen Organisationen, die den Sozialforen angehören, d.h. den “kleinen Parlamenten”, die kurz vor dem G8-Gipfel entstanden und den hartnäckigen Verleumdern zufolge “zu reformieren” oder schlechter noch “bereits tot” sind. Es sind <die landesweite linksliberale Kultur-Dachorganisation> ARCI, Attac, Mani Tese <”Ausgestreckte Hände” = Misereor in Deutschland vergleichbare katholische Hilfsorganisation für die 3.Welt>, die Botteghe eque e solidali <”Gerechte und solidarische” 3.Welt-“Läden”>, Rifondazione Comunista, <die linksradikale Basisgewerkschaft> COBAS, <die zur CGIL gehörende, größte italienische Metallarbeitergewerkschaft> FIOM und die Disobbedienti <vormals: Tute Bianche> vertreten. Auf der Bühne wechseln sich die Redebeiträge bei einem Tagesordnungspunkt ab: Kurze Bilanz angesichts des Europäischen Sozialforums, das vom 7. bis 10. November in Florenz stattfinden wird. “Das Porto Alegre Europas”, erklärt Raffaella Bolini (internationale Delegierte der ARCI).

 

Hier ist es: Der Protest und das ewige Thema der Gewalt. Nicht weit von hier, in der Straße, die zur piazza Alimonda führt, haben sich die Bewohner über die Schriftzüge beklagt, die sie auf die Mauern geschmiert haben. “Carletto lebt” und “Polizei – Mörder”. Das sind allerdings die einzigen Probleme, die der Stadt von den Demonstranten bereitet wurden. Luca Casarini strahlt: “Gestern war ein außerordentlicher Tag. Wir lagen nicht falsch damit, weiter auf der Straße zu demonstrieren.” Agnoletto bedrängt ihn: “Das ist der Gegenbeweis dafür, daß unsere Bewegung eine gewaltfreie Bewegung ist.” Casarini weicht nicht zurück: “Ich bin damit nicht einverstanden. Auch die Revolte ist ein Bestandteil des Protestes. Wir müssen Netzwerke der sozialen Subversion organisieren. Ich weiß nicht, wie man das macht. Wir werden es jedoch versuchen.” Und er lanciert die “Kampagne” für Florenz: “Häuser besetzen und Konfliktaktionen produzieren.”

 

Es ist nunmehr klar, daß der ehemalige Tuta bianca <Luca Casarini> und der ehemalige Sprecher des Genoa Social Forum <Vittorio Agnoletto> die Antipoden sind. Sie vermeiden es, miteinander zu sprechen. Die Pressekonferenzen der entsprechenden Gruppen finden separat statt. Und auch das Rete Lilliput (Lilliput-Netzwerk) <ein Zusammenschluß gewaltfreier Aktionsgruppen; zum Großteil aus links-katholischen Frauen-, 3.Welt- und ökologischen Basisgruppen bestehend> hat sich distanziert und organisiert Initiativen auf eigene Rechnung. “Weiter zu demonstrieren, interessiert uns nicht”, hat ihre Sprecherin Debora Lucchetti erklärt. Die Katholiken, die auf der Demonstration fehlten, rufen die Bewegung zu einer Selbstkritik auf. Der Missionar Alex Zanotelli schreibt: “Man muß eine grundlegende Reflektion durchführen und eine klare Entscheidung für die aktive Gewaltfreiheit treffen.” Marco Bersani von Attac klagt Zanotelli an, weil er sich nicht den Sozialforen angeschlossen habe. Und <der Sprecher der Confederazione COBAS> Piero Bernocchi beschuldigt die Disobbedienti, die Szene hegemonisieren zu wollen. Er ist allerdings, wegen einer <von diesem geforderten> Stärkung der Sozialforen auch mit Agnoletto nicht einverstanden: “Es bedarf elastischerer Vertretungen.” Agnoletto versucht die Vermittlung: “Es gibt keinen Zweifel, daß diese Bewegung plural ist. Aber” – fragt er – “können wir nicht – auch ohne die Differenzen unter den Tisch zu kehren, eine Art finden, gemeinsam zu agieren ?” Es taucht dann erneut die Idee der rotierenden Sprecher auf. <Der Vater von Carlo Giuliani und linientreue Linksdemokrat> Giuliano Giuliani hat gemahnt: “Wenn wir uns spalten, ist der Einzige, der lacht: Berlusconi !”

 

Vorbemerkung, Übersetzung, Hervorhebungen und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover