Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Die größte Überraschung in Sachen Opposition gegen einen neuerlichen Angriff auf den Irak bildete sicherlich die sehr starke Anti-Kriegs-Stimmung und Bewegung in Großbritannien. Um etwas tiefere Einblicke gerade in den gewerkschaftlichen Teil dieser Bewegung zu ermöglichen als sie die Berichterstattung in der bürgerlichen Presse erlaubte, bringen wir im Folgenden die Übersetzung zweier Interviews mit den Generalsekretären der britischen Lokführer- sowie der Journalistengewerkschaft (ASLEF bzw. NUJ) zu diesem Thema. Beide wurden von der Londoner Korrespondentin der unabhängigen linken italienischen Tageszeitung il manifesto geführt. Das erste erschien am 11.9.2002:
Interview:
Zuallererst der Frieden
Der Sekretär der Lokführergewerkschaft: Die internationale Solidarität ist für die Gewerkschaftsbewegung lebenswichtig.
Orsola Casagrande Blackpool
Er ist Lokführer in Leeds seit er 17 Jahre alt war. Heute ist Mick Rix 39 und 1998 wurde er zum Generalsekretär der ASLEF (der Lokführergewerkschaft) gewählt. Als energischer, leidenschaftlicher und ermüdlicher campaigner für die Sicherheit bei den Eisenbahnen ist er auch einer der engagiertesten Gewerkschaftsführer bei der Förderung internationaler Solidaritätsbeziehungen und kampagnen. Er war es, der vorschlug, den kolumbianischen Gewerkschafter Hector Fajardo (Generalsekretär der CUT) zur TUC-Konferenz einzuladen und das dann auch tat. Es ist uns gelungen, sagt er, den TUC zu überzeugen, ein Solidaritätsprogramm mit den kolumbianischen Gewerkschaftern zu beschließen. Wer in Lebensgefahr ist, muß für einen bestimmten Zeitraum untergebracht werden. Wir glauben, daß das eine wichtige Initiative ist. Die internationale Solidarität muß wieder einer der Angelpunkte der englischen Gewerkschaftsbewegung sein.
Während der Debatte über den Irak haben Sie wegen eines Krieges, der mit der Bedrohung durch Saddam Hussein wenig und stattdessen mit der Verteidigung der US-amerikanischen und der Interessen der multinationalen Konzerne viel zu tun hat, gegenüber der Regierung Blair sehr harte Töne angeschlagen.
Es lag mir daran zu unterstreichen, daß auch wenn wir als Gewerkschaft viele heiße Fragen auf der Tagesordnung haben und nicht zufällig seit zwei Tagen im Streik sind wir heute daran denken, daß der drohende Krieg auch für die Arbeiterbewegung die prioritäre Frage sein muß. Dies ist ein Krieg, der als reale Ziele das Erdöl und die Interessen des neuen amerikanischen und des Imperiums der multinationalen Konzerne hat. Wir unterstützen ihn nicht. Wir denken, daß Tony Blair die Opposition gegen eine bewaffnete Intervention im Irak in Betracht ziehen muß, weil nicht nur ein Großteil der Gewerkschaftsbewegung, sondern auch ein Großteil der Labour Party und der Bürger dagegen ist.
Leider ist jedoch der Änderungsantrag, der von der Regierung verlangte, nicht an der Aggression gegen den Irak teilzunehmen wenn auch mit wenigen Stimmen <Differenz> unterlegen. Und Blair wird versuchen, davon zu profitieren.
Wir können eine Abstimmung verloren haben, aber es ist die Stärke unserer Argumentation, die gewonnen hat. Beweise gegen Saddam Hussein gibt es nicht. Es gibt dagegen den Willen George Bushs zum Krieg, aus den Gründen, die ich vorhin genannt habe. Wir wollen nicht, daß unser Land Komplize einer Tragödie ist, die den Tod von Tausend unschuldiger Menschen bedeuten wird. Unsere Botschaft an Blair und an die Regierung ist klar: Dieser Krieg findet nicht in unserem Namen statt. Wir werden alles tun, um diesen Wahnsinn zu stoppen. Denkt Bush wirklich, daß er in der Welt herumziehen und die Staaten und Regierungen angreifen kann, die nicht seinen Regeln entsprechen ? Und Tony Blair ? Glaubt er wirklich, daß diese Allianz mit den USA gewinnbringend ist ?
Wir sagen Nein zum Terrorismus und Nein zum Krieg. Der erste zu vollziehende Schritt ist es, dafür zu arbeiten, daß in Palästina ein gerechter und dauerhafter Frieden geschaffen wird: Die Anerkennung zweier Staaten ist entscheidend. Dies ist der Schlüssel, um die Probleme des Mittleren Ostens zu lösen. Und sicher nicht weitere Gründe für Instabilität in einer Region zu schaffen, die bereits durch den Krieg verwüstet ist.
Das zweite Interview wurde mit dem Generalsekretär der National Union of Journalists (NUJ), Jeremy Dear, geführt und in il manifesto vom 28.9.2002 veröffentlicht:
Heute sagt Großbritannien Nein
Es spricht Jeremy Dear: Niemals waren soviele gegen den Krieg. Die Medien sind still.
Orsola Casagrande London
Der verächtliche Kommentar des Premierministers Tony Blair über die heutige Demonstration gegen den Krieg <mit schlußendlich 150 000 Teilnehmern !>, die allen Voraussagen zufolge das Zentrum Londons lahmlegen wird, ist nicht gut angekommen. Er hat sie als ein Sich-in-Pose-werfen bezeichnet. Was die Abgeordneten anbelangt, die gegen die bewaffnete Intervention im Irak sind, hat der Premier wiederum die den linken Gewerkschaftern gewidmete Phrase verwendet: Altes, anachronistisches Zeug ! Und doch könnten zu den 56 Abgeordneten, die sich am Dienstag gegen die Regierung gestellt haben, mindestens 80 weitere hinzukommen, wenn das Parlament vor der Intervention aufgerufen wird <darüber> abzustimmen. Und morgen geht der Protest zum Labour-Parteitag. Für Jeremy Dear (Sekretär der Journalistengewerkschaft NUJ) wird die heutige die größte Demonstration gegen den Krieg sein, die das Land jemals erlebt hat.
Wie denkst Du über Blairs Kommentar ?
Ich denke, daß das Abtun von Zehntausenden Leuten, die auf die Straße gehen, um eine friedliche Lösung zu fordern und Nein zum Krieg im Irak zu sagen, als ein unsinniges Sich-in-Pose-werfen zeigt, wie sehr der Premierminister den Kontakt zu dem verloren hat, was das Land denkt. Die Umfragen zeigen weiter, daß die Mehrheit der Leute in diesem Land gegen den Krieg im Irak ist. Weil sie den Begründungen nicht glauben, die gegeben werden, um für einen Konflikt einzutreten, von dem in Wirklichkeit Viele meinen, daß er vor allem mit dem Erdöl und mit dem Revanchewillen der Vereinigten Staaten zu tun hat. Und nicht mit der Förderung von Frieden und Demokratie.
Und doch zieht Blair es vor den Vereinigten Staaten zu folgen. Warum ?
Ich glaube, daß der Premierminister die öffentliche Meinung und das Urteil vieler Abgeordneter und aktiver Parteimitglieder der Labour Party unterschätzt hat. Wahrscheinlich glaubt er, daß das Sich-den-USA-anschließen Großbritannien eine Machtposition speziell in Sachen Verträge und Einfluß in der Zeit nach Saddam Hussein geben wird. Weil es <genau> darum geht: um eine ökonomische Frage. Aber die Partei, die Gewerkschaften, die öffentliche Meinung denken nicht in dieser Weise. Und sie werden ihrem Urteil Gehör verschaffen.
Wie wird die Reaktion der Medien bezüglich der heutigen Demonstration aussehen, von der sie bis zu diesem Moment tatsächlich sehr wenig gesprochen haben ?
Es wird sicher ein ganz andere Reaktion sein als diejenige, die sie vergangene Woche nach der, von der Countryside Alliance initiierten, Demonstration der Viehzüchter gezeigt haben. Die Medien werden darüber berichten, aber sicher nicht in mit der Anti-Kriegs-Bewegung solidarischen Worten. Mit Sicherheit werden sie dem Termin nicht sieben Seiten widmen, wie es der Daily Telegraph bei der Demonstration der Viehzüchter zur Verteidigung der Fuchsjagd getan hat. In den Augenblicken des Krieges oder der Krise kommt in noch offensichtlicherer Weise zum Vorschein, welches die wahren Interessen der Medienbesitzer sind. Der Großteil der Zeitungen wird am Ende für die Regierung und die USA Partei ergreifen. Die Berichterstattung <über die Anti-Kriegsdemonstration> wird minimal und sicher sehr kontrolliert sein. Einige Radios haben uns bereits das Ausüben von Druck auf die Journalisten gemeldet, damit sie verhindern, daß der Demonstration zu breiter Raum gewährt wird.
Vorbemerkung, Übersetzung aus dem Italienischen und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover