Rede des Gewerkschaftsforums Hannover

auf der 3. hannoverschen Montagsdemonstration am 11.10.2004   Zwischenkundgebung vor der Hauptverwaltung der IG BCE:

 

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter gegen Hartz IV und die Agenda 2010,

 

bevor ich darauf eingehe, warum wir hier vor der Hauptverwaltung der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie eine Zwischenkundgebung abhalten, möchten ich unsere Gruppe kurz vorstellen.

 

Das Gewerkschaftsforum Hannover ist der Zusammenschluss der Gewerkschaftslinken in dieser Stadt und Teil der Bundesweiten Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken in der BRD. Wir sind Ende 1998 entstanden und vor allem mit zahlreichen Informations- und Diskussionsveranstaltungen in Erscheinung getreten. Neben inländischen Themen wie den Hartz-Gesetzen, der Lage in der Automobilindustrie oder dem sogenannten „Bündnis für Arbeit“ lag es uns besonders am Herzen die Erfahrungen in Ländern wie Frankreich, Holland, England oder Italien greifbar zu machen. Darüber haben wir eine umfangreiche Interviewbroschüre zur „Europäischen Gewerkschaftslinken“ herausgegeben. Auch internationale Solidarität z.B. mit den VW-Arbeitern in Südafrika und den Conti-Arbeitern in Mexiko zu üben gehörte zu unseren Aktivitäten. Zudem waren wir an den ersten Protesten gegen die Politik der Schröder-Regierung, deren heute offenkundiger „Gehalt“ sich schon abzeichnete, bei Schröders Auftritt auf dem 1.Mai-Fest 2000 auf dem Klagesmarkt nicht unwesentlich beteiligt – womit wir uns leider nicht nur Freunde gemacht haben…

 

Unser Ziel sind kämpferische und basisdemokratische Gewerkschaften, die eng und solidarisch mit fortschrittlichen außerparlamentarischen Bewegungen, wie der gegen die Agenda 2010, aber auch der Antifa-Bewegung, Frauenbewegung etc. zusammenarbeiten, ohne diese kontrollieren oder monopolisieren zu wollen. Um das zu erreichen, bedarf es einer aktiven Gewerkschaftsbasis und einer starken, engagierten und couragierten Gewerkschaftslinken.

 

Wir stehen hier heute vor der Zentrale der IG BCE, weil der Kampf gegen Hartz IV Teil eines umfassenden Kampfes gegen Lohnsenkung, gegen die Ausweitung der Arbeitszeit, gegen eine neue Form von Arbeitsdienst, gegen die Privatisierung der Krankenversicherung, kurz gegen die weitere Umverteilung von unten nach oben ist. Diesen Kampf kann die Arbeitslosenbewegung nicht allein gewinnen. So wichtig die Montagsdemos sind, dafür bedarf es einer gemeinsamen Abwehrfront aller potentiell Betroffenen und das heißt insbesondere auch der Gewerkschaften.

 

Leider ist dies von vielen Gewerkschaftsführern noch nicht begriffen worden. So konnte sich der DGB-Bundesvorstand bisher nicht zu einer grundlegenden Ablehnung von Hartz IV und zu einer bundesweiten Teilnahme an der Anti-Hartz-Bewegung durchringen. Vielmehr wurde auf dem Höhepunkt der Montagsdemos – nicht nur in der DGB-Spitze – ein Schlingerkurs zwischen begrenzter Annäherung an die Bewegung und mancher verbalradikalen Schröder-Kritik einerseits und Liebäugeleien mit einer neuen Sozialpartnerschaft und der spalterischen Initiierung sog. „Donnerstagsdemos“ (wie z.B. in Bremerhaven) andererseits betrieben.

 

Die einzige bedeutende DGB-Gewerkschaft, die keinen Schlingerkurs gefahren hat, war die IG BCE. Sie hat nie einen Hehl daraus gemacht, wo sie steht, nämlich im innergewerkschaftlichen Spektrum ganz rechts! Nachdem die Hartz-Kommission ihr Konzept (auch mit Beteiligung führender Gewerkschafter!) erarbeitet hatte und der Öffentlichkeit vorstellte, verkündete der IG BCE-Vorsitzende Hubertus Schmoldt hochoffiziell: „Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie begrüßt die Vorschläge der Hartz-Kommission als einen umfassenden Reformansatz, der die Grundlagen für gemeinsames, zukunftsweisendes Handeln schafft. (…) Alle Verantwortlichen in Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik sind jetzt aufgerufen, die Vorschläge zügig umzusetzen und ihren Beitrag zur Erfüllung dieser vordringlichen Aufgabe zu leisten.“

 

Auch dass das Unzumutbare für Arbeitslose von nun an zumutbar sein soll, erregt bei IG BCE-Chef Schmoldt und seinen Vorstandskollegen keinen Widerspruch. Zitat: „Andererseits unterstützen wir aber auch jene Vorschläge, die von den Betroffenen mehr Bereitschaft zur Eigeninitiative und Mobilität verlangen.“ Und auch prekäre Beschäftigungsverhältnisse nach Art des Manchester-Kapitalismus, wie PSA’s, „Ich-AG’s“ und Mini-Jobs gefallen ihnen gut. Zitat: „Mit der Schaffung der Ich-AG und den Mini-Jobs für Arbeitslose sollen neue Möglichkeiten zum Übergang in Beschäftigung eröffnet werden. (…) Eine Erprobung dieser Instrumente gemäß den Vorschlägen der Hartz-Kommission halten wir in jeder Weise für sinnvoll.“ An der Durchsetzung dieser Instrumente, die schon für Maggie Thatcher einer der Hebel zur Zerschlagung der englischen Gewerkschaften waren, verspricht die IG BCE-Führung – Zitat – „nach Kräften mitzuarbeiten“. Na vielen Dank!

 

Wer meint, Hubertus Schmoldt und Kollegen hätten sich nach Beginn der Montagsdemos, das heißt nachdem insbesondere, aber nicht nur, in Ostdeutschland Hunderttausende gegen diesen Mist auf den Straßen waren, eines Besseren besonnen, der täuscht sich. Am 26.August, auf der Höhe der Bewegung, schrieb Schmoldt zusammen mit dem stellvertretenden IG BCE-Vorsitzenden Ulrich Freese einen Offenen Brief an alle IG BCE-Mitglieder „in den neuen Bundesländern“. Darin wird ihnen von höchster Stelle noch einmal eingehämmert: „Reformen sind unumgänglich.“ Mit anderen Worten: „Jeder Widerstand ist zwecklos!“ Angeblich ginge es mit Hartz IV darum „den Sozialstaat zu erneuern und fit zu machen für die Herausforderungen der Zukunft“. Wir fragen: Fit für wessen Zukunft? Für die des Kapitals und der Reichen in diesem Land, die sich auf niedrigere Löhne und höhere Profite und noch größere Steuergeschenke freuen dürfen oder fit für die zukünftigen Bettler, Schuhputzer und Ein-Euro-JobberInnen?

 

Das maximale Zugeständnis der IG BCE sind kleine Korrekturen im Detail, denn: „Der IG BCE geht es nicht um einen grundsätzlichen Politikwechsel, sondern um Korrekturen im Detail.“

 

Alle, die sich – wie wir – mit diesem Minimalismus und dieser Unterwürfigkeit nicht zufrieden geben, werden von der IG BCE-Führung wüst beschimpft und attackiert. Den „Begriff ‚Montagsdemonstration’“ zu verwenden, sei „verbaler Missbrauch historisch bedeutender Ereignisse“. Und mehr zu fordern als die IG BCE-Chefs sei glatter Extremismus. Wobei sich Schmoldt und Freese nicht entblöden, in bester Adenauer- bzw. Schröder-Manier linke Demonstranten und die Faschisten der NPD auf eine Stufe zu stellen. Zitat: „Extremistische Gruppierungen und Parteien versuchen, die Stimmung für sich auszunutzen. Rechts- und Linksradikale melden sich lautstark zu Wort. Denen geht es sicher nicht darum, sich konstruktiv einzumischen und den Reformprozess in Waage zu bringen. Sie verfolgen ganz andere Ziele.“ Und: „Wir werden niemals gemeinsame Sache mit Extremisten machen. Alles andere wäre ein Verrat an unseren Grundsätzen. Wir haben die Lehren der Geschichte verstanden. Wir werden die Demonstrationen nur da dann und dort unterstützen, wo die politische Stoßrichtung glasklar ist: Reformen Ja – aber gerecht. (…) Wir stehen für Reformen. Wir wollen unser Modell Deutschland modernisieren und erneuern.“

Lehren aus der Geschichte? Offenkundig hat die IG BCE-Führung überhaupt nichts aus der Geschichte gelernt, denn sonst wüsste sie, dass nicht nur der deutsche Faschismus eine Veranstaltung der NSDAP in Kooperation mit den Eigentümern und Managern von Stinnes, Krupp, Thyssen, IG Farben, Deutscher und Dresdner Bank war, in deren Interesse die Nazis die Arbeiterparteien und die Gewerkschaften zerschlugen, SPD’ler genau wie KPD’ler in die KZ’s steckten, einen Eroberungskrieg entfesselten, der Millionen Menschen das Leben kostete und Massen an Zwangsarbeitern durch Arbeit „vernichteten“. Und dass es die IG Farben, Degussa & Co. waren, die noch aus dem Massenmord an den europäischen Juden ihre Gewinne zogen.

 

Beschimpft werden von der IG BCE-Führung übrigens nicht nur die angeblichen „Extremisten“ und angeblich „verbalen Missbrauch“ betreibenden Montagsdemonstrierer, sondern auch alle anderen Gewerkschaftschefs, die sich irgendwann mal kritisch über die Politik der SPD- und Grünen-Regierung äußern. Solche Gewerkschafter sind für Schmoldt alles nur „Verweigerer“ und „Blockierer“, die – ja, tatsächlich, das sagen sie so – einen „falsch verstandenen Gerechtigkeitsbegriff“ haben. Man müsse auch mal zum „Verzicht“ bereit sein und dem armen Schröder nicht immer nur ein „trotziges Nein“ entgegenhalten.

 

Wir dagegen wünschen uns mehr von diesem diffamierten Gerechtigkeitssinn. Nicht nur, aber gerade auch von den Gewerkschaften. Und mehr von ungewöhnlichen Kampfmaßnahmen, etwa so wie von den KollegInnen von DaimlerChrysler vorgemacht, die während der Haustarifverhandlungen die sechsspurige B 10 dichtmachten.

Diese laufenden Tarifauseinandersetzungen der Metaller sind überhaupt ein gutes Beispiel die die Erpressbarkeit der Belegschaften, wenn diese vor die „freie Wahl“ gestellt werden: entweder Lohnverzicht oder Arbeitslosigkei - und damit drohende Verarmung aufgrund der Hartz-Gesetze. Ein guter Grund also für alle Gewerkschaften, sich endlich dem Widerstand gegen Hartz anzuschließen.

 

Zum „Modell Deutschland“, dem (auf Plakaten meist mit einer großen schwarz-rot-goldenen 1 und dem verlogenen Zusatz „zuerst der Mensch“ versehenen) Leitmotiv der IG BCE-Spitze: Dazu hat, nach den drei großen DGB-Demos am 3.April 2004, der Wolfsburger VW-Betriebsrat Stephan Krull, der auch Mitglied des IG Metall-Ortsvorstandes Wolfsburg ist, in einem Offenen Brief bereits das Entscheidende gesagt, und zwar folgendes: „Was ist das für ein nationalistischer und sozialer Blödsinn, den Ihr da auf das Plakat gebracht habt ? Deutschland ist nun wirklich kein Modell und sollte es nie mehr sein wollen!!! Niemand in Europa will ein Land als Modell für andere Länder! Wer hat Euch auf diese Schindmähre gesetzt? Und in Deutschland – zuerst der Mensch? Das ist wohl eine Verhöhnung der Opfer der Sozialabbaupolitik, wie sie seit vielen Jahren betrieben wird. In Deutschland gelten Profit, Konkurrenz und Wettbewerb weit mehr als die Menschen.“

 

Dem haben wir wirklich nichts hinzuzufügen!!!

 

... außer diesem:

 

Weg mit Hartz IV und der gesamten Agenda 2010!

 

Schluss mit dem nationalistischen Standortdenken und der Unterwürfigkeit unter das Kapital!

 

Klassenkampf statt „neuer Sozialpartnerschaft“!

 

Für einen „grundsätzlichen Politikwechsel“, der weltweit Schluss macht mit Ausbeutung und Unterdrückung!

 

 

Gewerkschaftsforum Hannover