Fachleute nennen die Staaten, die voraussichtlich nicht die
Konvergenzkriterien erfüllen, entweder outs, euphemistisch pre-ins
oder gleich abwertend pigs, wobei dieses Wort sich aus den Initialen
von Portugal, Italien, Griechenland und Spanien ergibt. Daß keines dieser
Länder sich so ohne weiteres mit dieser aus ihrer Sicht vorschnellen
Verurteilung abfindet, zeigen die intensiven Bemühungen, die Staatsfinanzen
zu ordnen. Die südlichen Länder holen bei dieser kuriosen Aufholjagd
auf, während z.B. Frankreich und die Bundesrepublik einzelne Kriterien
nicht mehr erfüllen können. Die Ausgangslage in den einzelnen Staaten
ist recht unterschiedlich, mußten doch alle mit ihren nationalen Ökonomien
sich auf dem Weltmarkt behaupten und auch noch Mittel für das Funktionieren
des Staates mittels Steuern oder Kredite beschaffen. Dennoch ist es vorrangiges
Ziel fast jeder Regierung (nur Dänemark, Schweden und Großbritannien
wollen vorerst nicht an der Währungsunion teilnehmen), sich nicht durch
Nichterfüllung der vertraglich festgelegten Konvergenzkriterien die Chance
eines gemeinsamen Währungs- und Wirtschaftsraumes zu verspielen. Die reale
Konvergenz, der ähnliche Entwicklungsstand von Volkswirtschaften
(Indikatoren wie Lohnstückkosten, Arbeitslosenquote u.ä.), wird
hierbei allerdings nicht berücksichtigt. Insbesondere bezüglich
Produktivität und Arbeitslosenquote lassen sich erhebliche Unterschiede
ausmachen.
Diese Ungleichheiten verursachen Probleme bei einem anstehenden
Finanzausgleich auf niedrigerer staatlicher Ebene, bei der Finanzierung von
Sozialleistungen und einer Wirtschaftsförderung. Das Gefälle zwischen
den Regionen innerhalb eines Staates kann enorme Ausmaße annehmen. So
spiegelt das Gefälle zwischen der Region mit dem niedrigsten Pro-Kopf-BIP
(Bruttoinlandsprodukt) und dem höchsten in der Bundesrepublik, Thüringen
und Hamburg, zugleich die Extreme in der gesamten europäischen Union wider.7 Betrachtet man die jeweils reichsten und ärmsten
Regionen hat sich seit den 80er Jahren im Abstand zueinander keine Veränderung
ergeben. Die 25 reichsten Regionen wiesen 1991 ebenso wie 1980 ein
durchschnittliches Pro-Kopf-BIP von 2,5 mal jenem der ärmsten 25 Regionen
auf. Vergleicht man die 10 reichsten und 10 ärmsten Regionen ergibt sich
sogar eine geringfügige Verschlechterung vom 3,3 fachen zu einem 3,6 fachen
Wert des durchschnittlichen BIP-pro-Kopf (Europ. Kommission 1994a, 39)8 Zur Illustration noch einige Zahlen: Bei einer Einteilung der
EU in 180 Regionen haben Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und
Alentejo gerade einmal 30% bis 33,9% des BIP-pro-Kopf (in Kaufkraftparitäten
- KKP), während die stärksten Regionen Hamburg (1.), Ile de France und
Darmstadt 194,5%, 166,8% und 162,9% haben. Der Maßstab 100% wird aus dem
Mittel aller 12 EU Staaten gezogen. Ähnlich sieht es bei der
Arbeitslosigkeit aus: Die Gebiete mit der höchsten Arbeitslosigkeit Réunion,
Andalucia und Extremadura haben mit einer Quote von 37%, 27,4% und 26,3% annähernd
den dreifachen Wert des EU-Mittels, Luxemburg (1.), Oberbayern und Centro mit
1,9%, 2,5% und 2,7% nur gut ein Fünftel.
Die schwächeren Mitglieder der EU, Griechenland, Irland, Portugal und
Spanien, haben allerdings im Vergleich zu den ökonomisch Stärkeren
erheblich aufzuholen, was ihnen trotz relativ hoher Transferzahlungen kaum
gelungen ist. Das Pro-Kopf-BIP (in KKP) dieser vier lag 1993 bei 70% des EU-12
Durchschnittes. Ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum reicht für ein
Anschluß an die Spitzengruppe nicht aus. Vergleicht man die
Arbeitsproduktivität, so lassen sich auch hier erhebliche Divergenzen
erkennen: Während die Bundesrepublik auf einem der vorderen Plätzen
rangiert, bilden Staaten wie Griechenland und Portugal die Schlußlichter.9 Die Arbeitsproduktivität läßt sich jedoch
nicht sprunghaft entwickeln. Die ökonomisch potenten Regionen heben sich
deutlich von dem Rest Europas ab, ihre Leistungsfähigkeit und
Anziehungskraft scheint dauerhaft.
Einzelne Nationen versuchen durch Standortpolitik
anlagesuchendes Kapital anzuziehen. Eine Region ist jedoch als Standort nur
attraktiv, wenn erstens ein Kapital sich durch die Neuansiedlung eine leichtere
Erschließung eines Marktes oder größere Marktnähe
verspricht und zweitens die Region über eine ausreichende Infrastruktur
verfügt (oder der Staat vielfältige Vergünstigungen verspricht),
dazu zählen neben einem ausgebauten Verkehrs- und Kommunikationssystem auch
genügend qualifizierte Arbeitskräfte. Insbesondere multinationale
Konzerne verfügen über die Macht, verschiedene Standorte gegeneinander
auszuspielen. So will der französische Autokonzern Renault das belgische
Werk in Vilvoorde schließen, was dort verständlicherweise zu heftigen
Protesten führt. Das spanische Werk in Valladolid hingegen bekommt von der
spanischen Regierung Subventionen in einer zweistelligen Millionensumme. Die
Attraktivität des Standortes Großbritannien beruht auch zumindest zum
Teil auf den hohen Subventionen, so heißt es, daß Siemens und die LG
Group mehr als 41 000 bzw. 73 500 DM pro neu geschaffenen Arbeitsplatz erhalten
haben (vgl. Le Monde Diplomatique vom 6.2.1997).
Für die Lohnabhängigen werden derartige Situationen immer wieder
unangenehm. Vor die Alternative gestellt, auf das Pflaster geworfen zu werden
oder erhebliche Zugeständnisse an das Kapital in Form von Lohneinbußen,
Arbeitszeitverlängerungen oder -flexibilisierungen zu machen, muß das
Gefühl der Existenzbedrohung einer solidarischen Auseinandersetzung mit dem
Resultat eines gemeinsamen Kampfes mit den Belegschaften der Konkurrenzbetriebe
weichen. Nationalistische Phrasendrescherei gefällt nur rechten Parteien
und den Unternehmern10. Deutlich wird, daß nur eine
Koordinierung auf europäische Ebene es leisten kann, effektiven Widerstand
zu leisten, als Grundlage einer Diskussion wäre die durchaus nicht
unproblematische Forderung nach Mindestlöhnen oder Mindestsozialstandards.
Denn weniger produktive Staaten könnten durch solche Gesetze einen Nachteil
haben: Ein Staat, der seinen regulatorischen Stil und sein
Regulationsniveau auf europäischer Ebene verallgemeinern kann, baut eigene Standortnachteile
ab und transferiert die Anpassungskosten an die Partnerstaaten. (NZZ vom
3.1.1997) Daß das Kapital dorthin wandert, wo die niedrigsten Löhne
zu finden sind, ist Propaganda und gilt, falls überhaupt, lediglich bei
arbeitsintensiven, einfachen Produktionen.
Wie oben schon erwähnt, entfällt mit einer einheitlichen europäischen
Währung, die Möglichkeit, über die Wechselkurse entstandene
Wettbewerbsnachteile auszugleichen. Ohnehin wurde in einem Teil der EU davon
sehr selten Gebrauch gemacht, z.T. sind die Währungen aneinander gekoppelt,
so die österreichische an die deutsche. Um nun überhaupt erstmal die Möglichkeiten
zu schaffen, die Lohnhöhe leichter und schneller den Umständen
anzupassen, müssen die gesetzlichen und institutionellen Beschränkungen
und Regulierungen des Arbeitsmarktes so geändert werden, daß
sie diesen Anforderungen gerecht werden können. Elmar Altvater nennt das
den -...Trend zur Flexibilisierung von nationalspezifischen Rigiditäten
des Arbeitsmarktes und von tradierten Strukturen der industriellen
Beziehungen...11. Eine Anpassung der Löhne an
einen europäischen Durchschnitt nach unten, eine Ausdifferenzierung der
Tarif- und Lohnstrukturen, Schaffung von flexiblen, prekären Arbeitsverträgen
gehören ebenso dazu wie das Senken der Lohnnebenkosten auf ein
Minimum, sowohl was die Höhe der Beiträge als auch die Leistungen
betrifft. Das erklärt die Bemühungen fast aller Regierungen,
Liberalisierungen in diesen Sektoren durchzusetzen. Die intensiven Bemühungen,
die Bedeutung der Teilzeitarbeit zu erhöhen, ist ebenfalls in diesem
Zusammenhang zu sehen. Beschäftigte mit Teilzeitkontrakten sind in der
Regel keine Empfänger von staatlichen Leistungen und zahlen möglicherweise
(je nach Lohnhöhe und Beschaffenheit der Sozialversicherungssysteme) sogar
Versicherungsbeiträge. So vermindert sich die Zahl der Arbeitslosen und die
Kapitalseite verfügt über ein flexible Heerschar von Menschen, die ständig
wieder auf der Suche nach einem Job sind. Neben der Möglichkeit, die
Maschinenlaufzeiten zu verlängern geht eine Verkürzung der Arbeitszeit
mit einer Intensivierung der Arbeit einher. Nach EU-Zahlen hatten schon 1994
36,2% aller Beschäftigten in den Niederlanden Teilzeitverträge, während
es in Belgien 14,6%, in Frankreich 15,4% und in Deutschland 15,9% waren.
Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist in den Staaten der EU recht
unterschiedlich und schwankt zwischen acht Prozent in Frankreich bis zu 80% in Dänemark,
wobei diese Zahlen nicht allzuviel über Mobilisierungsfähigkeit, Verhältnis
zum Kapital, dem Verhältnis verschiedener gewerkschaftlicher Orientierungen
(von gelb zu rot) zueinander und die Bedeutung für
Tarifauseinandersetzungen und darüber hinausreichende Kämpfe sagt.
Auch die konservative Regierung Spaniens unter Ministerpräsident José
Maria Aznar bemüht sich intensiv, in den erlauchten Kreis der ersten
Teilnehmer der WWU aufgenommen zu werden. Ein Großteil der spanischen Bevölkerung
sind nach Umfrageergebnissen für die Einführung der neuen Währung.
Ungefähr 70% erwarten, daß Spanien zu der ersten Runde zählen
wird. Im Parlament stellt sich nur die Vereinte Linke gegen die Einführung
des Euro.
Spaniens Kampf um die Erfüllung der Maastricht-Kriterien ist hart, die
regierende Volkspartei PP kann sich finanzielle Zugeständnisse an
Streikbewegungen wie zu Beginn des Jahres an die Mitarbeiter des öffentlichen
Dienstes und kürzlich die Spediteure, die für eine Subventionierung
von Treibstoff und eine bessere Ruhestandregelung kämpften, nicht erlauben.
Für die Abwehr solcher Streiks kommt der Regierung der geringe
gewerkschaftliche Organisierungsgrad, der nach Frankreich niedrigste in Europa,
zugute.
Ein Problem in Spanien ist die hohe Arbeitslosigkeit. Die
Arbeitslosenrate liegt bei 21,91%, das ist sogar schon der niedrigste Wert seit
1992. Die Arbeitslosenquote bei Jugendlichen liegt überdies bei rund 50
Prozent. Eine anständige Deregulierung und Flexibilisierung des
Arbeitsmarktes soll da Abhilfe schaffen. Streitpunkt zwischen den
Kapitalverbänden und den Gewerkschaften ist die Höhe der Abfindungen
bei Entlassungen. Die Unternehmer fordern die Möglichkeit, Arbeiterinnen
und Arbeiter leichter zu entlassen und bei gesetzlich nicht als notwendig
anerkannten Kündigungen die Abfindungen, die im europäischen
Vergleich sehr hoch sind, auf ein Minimum zu beschränken. (Genaue Zahlen
siehe NZZ vom 6.3.) Spaniens Regierung ist stolz auf die hohe Zahl von über
8,6 Millionen neu abgeschlossenen Arbeitsverträgen im letzten Jahr. (vgl.
analyse & kritik Nr. 400) Diese hohe Zahl ist jedoch lediglich Resultat
einer Deregulierung des Arbeitsmarktes und der Zunahme prekärer und
befristeter Arbeit. Nur ein Bruchteil von 218000 Verträgen hat eine
unbefristete Laufzeit, hingegen sind 95,8% befristete Verträge, wobei die Hälfte
nur für einen Monat gilt. So verteilen sich die 8,6 Millionen neu
abgeschlossenen Verträge auf nur 4,39 Millionen Lohnabhängige! Da kann
ein Einzelner Arbeiter schon mal 15 Arbeitsverträge in einem Jahr abschließen!
34 Prozent der Arbeiter und Arbeiterinnen in Spanien haben zeitlich begrenzte
Arbeitsverträge, bei Frauen sind es sogar 75%. Die Förderung von
Zeitarbeitsverträgen sahen die Gewerkschaften als durchaus probates Mittel
zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, ein naiver Trugschluß, da die
Zahl der Zeitverträge zunimmt und die der unbefristeten Verträge ab.
Die hohe Arbeitslosigkeit und der geringe gewerkschaftliche Organisationsgrad
tragen zu der miserablen Situation bezüglich Arbeitsrecht und -sicherheit
bei.
Bei der Erfüllung der Konvergenzkriterien hat Spanien erhebliche
Fortschritte zu verbuchen: Die Inflationsrate liegt bei unter 3% und damit so
niedrig wie seit 28 Jahren nicht mehr. Das Wirtschaftswachstum war mit 2,3% im
vergangenen Jahr größer als in vielen anderen europäischen
Staaten. Das Haushaltsdefizit sank 1996 von 5,9% auf 4,4%, unter anderem durch
eine Vielzahl von Privatisierungen. Die Staatsverschuldung liegt mit 67% des BIP
noch recht nah am Referenzwert. Die gut zwei Millionen staatlichen Angestellten
werden wohl kaum noch eine weitere Nullrunde hinnehmen, sodaß die Kosten für
Löhne die Staatskasse stärker belasten werden. Schon 1992 wurde ein
Sparpaket verabschiedet, das die Arbeitslosenbezüge stark beschränkt
(Arbeitslosengeld erhält nur noch, wer zuvor mindestens ein Jahr gearbeitet
hat, pro Beschäftigungsjahr gibt es nur noch vier Monate lang staatliche
Zuwendungen). Ungefähr 60% des öffentlichen Haushaltes werden für
Sozialausgaben verwendet, allerdings sind die staatlichen Versicherungssysteme
vergleichsweise jung und das Leistungsniveau liegt noch unter dem europäischen
Durchschnitt. Durch die Verabschiedung von Liberalisierungspaketen
soll mit der Intensivierung des Wettbewerbes die Konjunktur angeschoben werden.
Das erste Paket beinhaltete fiskalische Anreize zur Förderung der
Investitionstätigkeit,..., sowie eine Senkung der Kapitalgewinnsteuer
(NZZ vom 22.2.1997). Auch die spanische ehemals staatliche Telefongesellschaft
Telefónica soll nun endgültig privatisiert werden, ähnlich wie
die deutsche Telekom mit dem Ziel, viele Kleinanleger zu gewinnen. Da der
staatliche Unternehmenssektor noch recht beachtliche Ausmaße hat und wegen
der teilweise fehlenden Rentabilität enorme Subventionen (für 1996
waren 390 Milliarden Peseten, das sind 4,6 Milliarden DM, Subventionen
veranschlagt; s. NZZ vom 14.5.1996) verschlingt, wird die Regierung hier wohl
noch ihre Hausaufgaben erledigen müssen.
Ein weiteres Problem ist die Steuerdisziplin des spanischen Bürgertums:
Gut 40% des potentiellen Steueraufkommens gehen auf legale und illegale Weise
verloren. Über 200 Milliarden Peseten (das sind ungefähr 2,36
Milliarden DM) Einnahmeausfälle aufgrund einer nachlässigen und
ineffizienten Steuerverwaltung wirft der Staatssekretär für Finanzen
Juan Costa der damaligen sozialistischen Regierung vor (vgl. NZZ vom
30.1.1997). Die wegen Steuerhinterziehung eingeleiteten Ermittlungsverfahren würden
häufig verschleppt und würden somit möglicherweise verjähren.
Zieht man die Polemik ab, so bleibt zumindest der nicht ganz unberechtigte
Vorwurf an die Behörden, nicht ordentlich zu arbeiten und somit der Nation
zu schaden. Ebenfalls eine mangelhafte Konstruktion des Steuersystems mit zu
vielen Schlupflöchern verleitet Empfänger hoher Einkommen leicht zur
Hinterziehung von Steuern. Diese Methode, die Abgaben auf schon recht
ansehnliche Einkünfte zu mindern, kann selbstverständlich
nur von denen genutzt werden, die mehr verdienen als ein durchschnittlicher
Arbeiter.
Die Stimmung der Bevölkerung auf der Insel ist in der Mehrheit gegen
die Einführung des Euro: 64% der Briten lehnen eine gemeinsame Währung
ab12. Hingegen befürworten 58% der Mitglieder des
britischen Industrieverbandes CBI die Teilnahme an der WWU, 30% lehnen diese ab.
Die Regierung nimmt eher eine Position eines abwartenden skeptischen Beobachters
ein, der noch von den Vorteilen überzeugt werden und auf jeden Fall die
eigenen Interessen hinreichend berücksichtigt wissen will, um dann in einem
günstigen Augenblick der Währungsunion beizutreten. Dennoch bemühen
sie sich, die Konvergenzkriterien zu erfüllen. Die Befürworter des
Euro hätten den Nachweis zu führen, daß die neue Währung
der Nation mehr Vorteile als die Beibehaltung des Pfundes brächte, so
Premierminister John Major (NZZ vom 20.2.1997). Der Kandidat der Labour-Party für
das Amt des Premier, Tony Blair, steht dem als knallharter Vertreter
der Opposition in nichts nach: Zum Wohle der Nation werde Labour britische
Interessen resolut vertreten. Beide sind sich einig darin, daß die
britische Nation allemal im Vordergrund steht und deren Eigentümlichkeiten
und Chancen durch eine vorschnelle oder überzogene europäische
Einigung in Gefahr geraten könnten.
Die Revision des Verhältnisses der Briten zur EU hat sich eine eigens
dafür gegründete Partei zur Aufgabe gemacht. Die Referendumspartei des
Geschäftsmannes und Multimillionärs Sir James Goldsmith fordert ein
Referendum über die Teilnahme Großbritanniens an einer EU, die ihrer
Meinung nach als förderalistischer, supranationaler Staat die Interessen
der einzelnen teilnehmenden Nationen unter das Gemeinwohl des europäischen
Superstaates unterordnet. Vor lauter idealistischem Nationalismus können da
leicht die Interessen derjenigen vernachlässigt werden, für die die
Verantwortlichen eigentlich zuständig sind: Das britische Kapital.
Angesichts dieses praktischen Zieles wird so manche Position relativiert. Sowohl
die Tories als auch Labuor sind gegen einen Beitritt zur WWU 1999. Beide sind für
ein Referendum, jedoch hält Labour-Schatten-Außenminister R. Cook
einen Beitritt im Jahr 2002 für möglich, sofern die Währungsunion
sich bis dahin als stabil und erfolgreich erwiesen habe. Einige Politiker
meinen, zu dem möglichen Beitritt auch verfassungsmäßige Überlegungen
anstellen zu müssen, inwieweit nämlich die Souveränität des
britischen Parlamentes angetastet werden könnte.
Das exportorientierte britische Kapital sieht gewissermaßen düstere
Wolken am ansonsten sonnigen Konjunkturhimmel. Seit August 1996 ist der
Pfundkurs wieder in eine für die britische Industrie bedrohliche
Höhe gestiegen, um ungefähr 15% gegenüber den wichtigsten Währungen,
die DM war kurzfristig so teuer wie kurz vor der Suspendierung des EWS im
September 1992. Damit verteuern sich die britischen Exporte und ein
Standortvorteil geht flöten. Gerade das Verhältnis zu den anderen
europäischen Währungen ist relevant, gehen doch 60% aller
Exporte in die EU und ist die BRD für britische Betriebe
bereits ein größerer Markt als die USA. (SZ vom 7.12.1996)
Etliche britische Unternehmen klagen zunehmend lauter über den daraus
entstehenden Nachteil, Vertreter des CBI warnen vor der Gefährdung der
Wettbewerbsfähigkeit. Diese Gefahr erkennen sogar japanische Manager, wie
der Vorstandschef von Toyota Hiroshi Okuda, der der britischen Regierung
eindringlich empfahl, an der WWU teilzunehmen, anderenfalls müßten
Investitionen neu überdacht werden (vgl. SZ vom 31.1.1997). Nimmt Großbritannien
nicht sofort an der WWU teil und die Beurteilung des Euro durch die Finanzmärkte
fällt negativ aus, könnte der Kurs des Pfundes noch weiter steigen.
Die Abhängigkeit Großbritanniens von ausländischem Kapital ist
enorm13, viele Kapitale aus USA und Japan nutzen den günstigen
Standort als Sprungbrett für den europäischen Markt. Vierzig Prozent
der japanischen und US-amerikanischen Investitionen sowie mehr als die Hälfte
der koreanischen und taiwanischen Industrieprojekte innerhalb der EU werden
jenseits des Kanals getätigt. Angelockt wird dieses Kapital durch für
seine Verwertung ganz hervorragende Bedingungen, wie die Möglichkeit willkürlicher
Entlassungen, Frauenarbeit in Bereichen, in denen sie ehemals verboten war,
Auflockerung des Kündigungsschutzes für Schwangere, keine gesetzliche
Begrenzung der Wochenarbeitszeit, eine bis zu vierundzwanzigmonatige Probezeit,
keinerlei Beschränkungen bei Zeitverträgen und Kurzeinstellungen, kein
Anspruch auf garantierte Mindesturlaubstage14 und ein
besonderer Erfolg der eisernen Lady, die Einschränkung der Aktivitäten
der Gewerkschaften. Eine lange Liste von Unannehmlichkeiten, die ahnen läßt,
was uns von Seiten des deutschen Kapitals noch an Forderungen bevorsteht. Nur
durch solch radikales Sozialdumping läßt sich Kapital
anlocken, denn die Produktivität oder das Ausbildungsniveau ist in anderen
europäischen Staaten entschieden besser. So läßt sich die
ablehnende Haltung der britischen Regierung zu der geforderten Sozialcharta
verstehen. Major sagte von der Sozialcharta, sie hindere die
Wirtschaftsentwicklung und fördere die Arbeitslosigkeit. (NZZ vom
8.2.1997)
Die lange Regierungszeit der konservativer Tories, beginnend mit Margaret
Thatcher, gilt als Lehrbeispiel für radikale Liberalisierung und
Privatisierung. In der Tat ist die Arbeitslosigkeit von 1992 ungefähr zehn
Prozent auf mittlerweile ungefähr 6,9%,das sind etwas weniger als zwei
Millionen Menschen, gesunken. Dabei findet keine Erwähnung, daß die
Zahl der Erwerbstätigen sich zwischen 1992 und 1996 um 600 000 vermindert
hat15 und daß zwei Drittel der neu geschaffenen
Arbeitsplätze Teilzeitstellen sind. Ein ganz vorzüglicher Trick, die
Zahl der Arbeitslosen zu reduzieren ist es, die Statistiken und Zählverfahren
zu ändern. Jeder Arbeitswillige, der sich nicht nachweislich aktiv um
eine Stelle bemüht (das betrifft eine Million Bewerber), wird aus dem
Register gestrichen, ebenso wie die (ca. 200 000), die nicht sofort verfügbar
sind. (Le Monde Diplomatique vom Februar 1997) 29,08 Millionen Briten
gehen einer entlohnten Tätigkeit nach. Allerdings sind auch 3,3 Millionen
Haushalte ohne Einkommen (vgl. NZZ vom 16.1.1997). Hinzu kommt, daß immer
mehr Menschen gezwungen sind, für geringe Löhne zu arbeiten. Die Sonne
des Erfolges scheint nicht für alle: 13,7 Millionen Briten leben unterhalb
der Armutsgrenze, ein viertel der Gesellschaft ist in irgendeiner Weise von
Sozialhilfe abhängig, 1979 war es nur jeder zwölfte (vgl. Freitag vom
4.4.1997). Ganz ihrer Absicht entgegen, stiegen die staatlichen Aufwendungen für
Sozialleistungen. So richtig glauben die Ideologen der Regierung nicht an die
propagierte Macht des Marktes: Die Ford-Tochter Jaguar bekam 40 Millionen Pfund
Subventionen beim Neubau eines Werkes, und Ford bemüht sich ebenfalls um
Subventionen für ein Werk in Halewood.
In der Zeit der Regierung der Eisernen Lady, seit 1979, gingen
in der britischen verarbeitenden Industrie 2,5 Millionen Arbeitsplätze
verloren. Ein wichtiger Erfolg der Politik Thatchers war die
Zerschlagung der Gewerkschaften durch eine Vielzahl von Gesetzesänderungen.
Aus dieser Position der Defensive heraus akzeptieren die Gewerkschaften eng an
lokale Arbeitsmarktbedingungen gekoppelte Lohnzahlungen, stimmten
Streikverzichtserklärungen zu und versuchen sich als Einzelgewerkschaft die
Exklusivvertretung in einzelnen Betrieben zu sichern. Das heißt, das in
dem entsprechenden Unternehmen nur eine Gewerkschaft das Recht hat, mit der
Unternehmerseite zu verhandeln.
Mitte November bis Mitte Dezember 1995 wurde Frankreich von einer Welle von
Massenstreiks und Demonstrationen erschüttert16. Auslöser
waren Pläne der Regierung Juppé zur Senkung der Staatsverschuldung
und der staatlichen Nettoneuverschuldung. Auch in Frankreich gab es vorher schon
eine Reihe eher unpopulärer Maßnahmen zur Konsolidierung des
Staatshaushaltes, so beispielsweise die Erhöhung der Mehrwertsteuer von
18,6% auf 20,6% gleich nach dem Amtsantritt der Regierung Juppé, jedoch
blieben größere Proteste aus. Der sogenannte Plan Juppé zur
finanziellen Sanierung der Sozialversicherung war vom Umfang der geplanten
Reformen nicht größer als bisherige, jedoch entzündete sich
daran die berechtigte Empörung der Betroffenen. Die staatlichen
Sozialversicherungssysteme standen im Mittelpunkt der Reformen, weil das damals
schon erwartete Defizit von ungefähr 250 Milliarden Francs (ca. 75
Milliarden DM) noch höher auszufallen drohte. Geplant waren die Einführung
einer Sondersteuer auf alle Einkommen in Höhe von 0,5%, die Erhöhung
der Sozialzuschläge und der Krankenkassenbeiträge für Rentner und
Arbeitslose sowie eine Einbeziehung der Familienbeihilfen in das zu versteuernde
Einkommen. Der Bewegung war es immerhin gelungen, die Regierung zur Rücknahme
eines Teils der Pläne zu zwingen, ein weiterer Bestandteil des Planes Juppé
sollte erneut diskutiert werden, einige Gesetze konnte jedoch nicht verhindert
werden. Jammert schon die deutsche Regierung über eine Rentnerschwemme,
so sieht es in Frankreich noch düsterer aus: Auf 100 Beschäftigte
kamen schon Ende der achtziger Jahre 55,9 Rentner und Rentnerinnen, während
es in der BRD nur 31,8 waren17. Der relativ hohe Anteil der
Beschäftigten im öffentlichen Sektor mit eigenen Rentenkassen verschärft
das Problem.
In Frankreich waren im März 1997 offiziell 3,1 Millionen Menschen oder
12,7% ohne bezahlte Arbeit. Im Januar des letzten Jahres waren 21% der
Ungelernten ohne Arbeit und über 25% der unter Fünfundzwanzigjährigen
(598 000 Menschen), das wird auch an dem nach Ansicht der Unternehmer
mangelhaften Ausbildungsstand liegen. Fast die Hälfte der Arbeitslosen erhält
weder Arbeitslosengeld noch -hilfe, Folge einer gesetzlichen Neuregelung aus den
Jahren 92/93, durch die die notwendigen Beitragszeiten heraufgesetzt, aber die Höhe
der Bezüge herabgesetzt wurden.
Ein Beispiel für die Subventionierung einer Branche war die im
vergangenen September auslaufende Prämie bei Neukauf eines Kraftfahrzeuges,
die nach Schätzung der NZZ vom 7.1.97 den Absatz um 200 000 Einheiten erhöhte.
Diese Hilfestellung nützte unglücklicherweise den französischen
Produzenten am wenigsten, im Gegenteil, sie verloren Marktanteile, und führte
schließlich zu den katastrophalen Verlusten von Renault in einer Höhe
von 5,25 Milliarden Franc (1,6 Milliarden DM; SZ vom 22.3.1997). Übrigens
gehört Renault zu 46% dem Staat! So werden nicht nur im belgischen Werk
Vilvoorde 3100 Kolleginnen und Kollegen arbeitslos, auch in den französischen
Werken sollen abermals 2700 gefeuert werden. Die Arbeiter und Arbeiterinnen des
erst 1992 modernisierten belgischen Werkes protestierten heftig gegen die angekündigte
Schließung, die eine ganze Region mit den dort angesiedelten
Zulieferbetrieben hart trifft. Aus diesem Grund gab es im belgischen Werk einen
mehrwöchigen Streik und Anfang März 1997 zum ersten Mal auch einen
Euro-Streik bei dem die belgischen und französischen Werke zusammen gegen
dem Arbeitsplatzabbau streikten. Am 11. März kam es vor dem Pariser
Hauptsitz von Renault zu einer gemeinsamen Großdemonstration an der sich
auch die Arbeiter aus dem spanischen Werk in Valladolid beteiligten.
In Frankreich sind die Gewerkschaften traditionell schwach, sie
organisieren gerade einmal 8% der Lohnabhängigen (oder weniger als 2,5
Millionen). Das ist wohl ein Grund für die ehemals dominierende Rolle des
Staates bei Tarifauseinandersetzungen, der Staat griff immer in die Gestaltung
der industriellen Beziehungen ein. Noch unter der sozialistischen Regierung
(Arbeitsminister Auroux) zog sich der Staat aus diesen Auseinandersetzungen zurück
und verlagerte sie auf niedrigere Ebenen. Dadurch wurden die Tarifkämpfe
auf Betriebsebene verlagert und waren Angelegenheit der dort Engagierten und
Organisierten, in der Regel die Minderheit. Betriebliche Abkommen können
von zentral ausgehandelten Tarifvereinbarungen abweichen, so wird die Arbeit der
Gewerkschaften behindert.
Die Mehrheit der Franzosen spricht sich für die Einführung der
neuen Währung aus, nach Meinungsumfragen wären sie sogar dazu bereit, den
Gürtel für Europa enger zu schnallen. (SZ vom 13.3.1997).
Frankreich erfüllt alle Konvergenzkriterien - bis auf die Neuverschuldung.
Allerdings versucht auch die französische Regierung durch Tricks in der
Buchführung das Defizit für 1997 auf einen Wert unter 3% zu bringen:
Die zur Privatisierung anstehende France Télécom überweist
umgerechnet 11,2 Milliarden Mark aus Pensionsrückstellungen an den Staat.
Nur die kommunistische Partei PCF und Teile der Sozialisten PS sprechen sich
gegen die Einführung des Euro aus. Auch von der rechten Seite wird ein
Stimme laut: der Front National. Der Front National hat in letzter Zeit einige
Erfolge zu verbuchen18, vor kurzem gewann er in der vierten
Stadt die Wahl zum Bürgermeister19. Die Schwäche
der Linken hat ein leichtes Vorstoßen des FN auf dem Felde der sozialen
Auseinandersetzungen zur Folge. Auch wenn die ersten Versuche des FN, eigene
Gewerkschaften zu bilden, bisher nicht übermäßig erfolgreich
waren, so zeigen sie dennoch, daß es eine Vielzahl von Menschen gibt, die
sich von der Rechten Lösungen versprechen. Der Angriff auf soziale
Besitzstände wird massiv als Ausverkauf französischer Interessen
verkauft. (Sozialismus 9/1997) So können Forderungen wie Bevorzugte
Einstellung von Franzosen vermehrt Anhänger finden. Der Kampf gegen
Maastricht ist für den FN ein Kampf gegen den Mondialismus (von
monde, die Welt), gegen den Ausverkauf der Interessen Frankreichs.
Mit diesen Methoden gelingt dem FN eine rassistische Spaltung der Arbeiterschaft
und die Konzentration der Kräfte der Linken, die die Themen des Front
National aufgreift und wieder beginnt, reine Antifa-Arbeit zu leisten.
Im Gegensatz zu der deutschen Regierung sind in Frankreich andere
Auffassungen über eine Währungspolitik verbreitet. Im Vordergrund
steht nicht die von deutscher Seite betonte Stabilität, sondern seine
Tauglichkeit für den Handel und für mögliche politisch gewollte
Interventionen. Das heißt jedoch nicht, daß der französischen
Regierung die Finanzierung ihres Haushaltes durch Kreditaufnahme gewährt
werden soll, sondern bloß, daß es in bestimmten Situationen sinnvoll
sein kann, ein Defizit oder eine höhere Inflationsrate in Kauf zu nehmen.
Allerdings müsse der Euro stark genug sein, um glaubwürdig zu
sein, so der Präsident des französischen Arbeitgeberverbandes
CNPF, Jean Gandois (SZ vom 6.12.1996). Vermieden werden soll eine Überbewertung
des Euro, der nur die Exporte verteuerte. Aus diesem Grund gibt es Stimmen, die
noch vor der Einführung der gemeinsamen Währung eine Abwertung
zumindest des französischen Francs fordern, insbesondere dem Dollar gegenüber.
Diese Kritik an der Politik der Bundesbank, die weder auf konjunkturelle
Schwankungen noch politische Großwetterlagen oder nationale Interessen Rücksicht
nehme, (so der ehemalige französische Staatspräsident V. Giscard
dEstaing NZZ vom 29.11.1996), offenbart die auch schon momentane Führungsrolle
Deutschlands. Daraus können leicht antideutsche Ressentiments entstehen,
die eine durchaus berechtigte Kritik an der deutschen Politik verhindern.
Frankreichs Regierung versucht mit diesen Mißbilligungen, die
faktischen Machtverhältnisse zu revidieren (s. Freitag vom
21.3.1997). Nach französischer Ansicht muß aber parallel zu dem
durch die Europäische Zentralbank gebildeten geldpolitischen Pol ein
wirtschaftspolitischer Pol geschaffen werden, der für die
haushaltspolitische Stabilität und die Abstimmung der Wirtschaftspolitiken
sorgen muß. (s. SZ vom 13.3.1997) Die Europäische Zentralbank
sollte auch immer die Möglichkeit haben, durch ihr Eingreifen zu versuchen,
beispielsweise wirtschaftliche Nachteile auszugleichen oder konjunkturbelebende
Maßnahmen zu ergreifen. Dazu müßte die Unabhängigkeit der
EZB durch ein europäisches Gremium eingeschränkt werden, was aber von
deutscher Seite abgelehnt wird.
Der Alptraum (nicht nur) der deutschen Banker, Chefmanager und Minister in
bezug auf die WWU hat einen Namen: Italien. Ein Name, dessen bloße Erwähnung
Grauen und Entsetzen verbreitet. Eine tickende Zeitbombe für
die WWU sei es, wenn Italien vom vorgesehenen Beginn 1999 an Mitglied sei,
warnte beispielsweise das Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, Ulrich
Cartellieri. Ein solcher Beitritt hänge wie ein Damoklesschwert über
den Märkten pflichtete ihm der Generalbevollmächtigte der
Dresdner Bank, Ernst-Moritz Lipp, bei und die Financial Times schlug
vor, Italien solle frühestens 1 bis 1,5 Jahre nach Beginn zur WWU stoßen
(Wirtschaftswoche 13.2.97). Den Ängsten ihrer wichtigsten Klientel kann die
Bundesregierung allerdings nur bedingt folgen, denn der Fall Italien
stellt die BRD-Regierung und die EU-Oberen vor ein schwieriges Problem. Auf der
einen Seite erfüllt Italien derzeit eindeutig nicht die
Konvergenzkriterien, wird dies trotz gigantischer Anstrengungen auch im
Stichjahr 1998 voraussichtlich nicht schaffen und stellt deshalb - immanent
betrachtet - eine erhebliche Gefahr für die Stabilität des Euro, seine
Akzeptanz auf den Finanzmärkten und die Geschlossenheit der Front in Sachen
Kürzungspolitik, Sozialabbau, Privatisierungen, Deregulierung etc. dar.
Andererseits ist Italien das 6.wichtigste Industrieland der Welt, daher auch
Mitglied der G 7, politisch und militärisch einer der wichtigsten
Mitgliedsstaaten von NATO und WEU, würde 57 Millionen Konsumenten (mit
einem BIP pro Einwohner von 1996 32 450 DM) in die WWU einbringen, war
bereits Mitbegründer der EWG (die Römischen Verträge
von 1955) und verfügt zusammen mit den ebenfalls ausgegrenzten Staaten
Spanien, Portugal und Griechenland über eine Sperrminorität von 28
Stimmen in der EU-Kommission, mit der diese 4 zusammen jede WWU-Starterliste
stoppen können. Mit diesem Fall Italien ist also einiger
politischer Zündstoff verbunden und das nicht nur auf europäischer
Ebene, sondern auch in Italien selbst.
Zwar waren laut der in vier Staaten durchgeführten Meinungsumfrage des
Daily Telegraph Anfang Januar dieses Jahres noch 62% aller Italiener
für die Einführung des Euro (NZZ 11.1.97) doch ist heute - 3 Monate später
- bereits absehbar, daß sich diese Begeisterung, hinter der
sich auch ein Gutteil Ausgrenzungsangst verbirgt, mit dem jüngsten
Sparpaket und dem ab Mai in Angriff zu nehmenden einschneidenden Sparhaushalt für
1998 spürbar abkühlt. Die seit Mai letzten Jahres regierende
Mitte-Links-Koalition des Olivenbaum-Bündnisses unter dem linken
Christdemokraten Romano Prodi kann sich rühmen mit dem im April
vom Parlament abgesegneten Nachtragshaushalt für 1996 eine
Netto-Haushaltsersparnis von 94 Billionen Lire (= 94 Milliarden DM) exekutiert
zu haben - ein absolutes Rekordergebnis in der italienischen
Nachkriegsgeschichte. Insgesamt wurden den Italienern von den verschiedenen
Regierungen mit Blick auf Maastricht seit 1992 Opfer in einem Gesamtwert von 420
Billionen Lire (in jener Periode = 400 Milliarden DM) zugemutet (il manifesto
12.4.97). Zusätzlich privatisierten die verschiedenen rechten wie mitte-linken
Regierungen nach OECD- Angaben bzw. (für 1997) -Schätzungen zwischen
1993 und 97 Staatsunternehmen zum Preis von 28,7 Mrd. Dollar (zum Vergleich:
Frankreich 32,2 Mrd. Dollar, GB 26,5 Mrd., Spanien 19,5 Mrd., BRD 16,5 Mrd.)
(NZZ 18.3.97). Trotz alledem lag aber die staatliche Netto-Neuverschuldung 1996
noch immer bei 6,6% (Konvergenzkriterium: max. 3%) und die staatliche
Gesamtverschuldung bei 123,4 % des BIP (Konvergenzkriterium: max. 60%). Die
Inflationsrate war mit 3,9% leicht und die langfristigen nominalen
Kapitalmarktzinsen mit 8,9% waren deutlich zu hoch (SZ 11.3.97).
Diese Zahlen verlangen zwar nach weiteren heftigen Einschnitten, doch nähert
sich Italien mittlerweile langsam aber sicher den Grenzen dieses Sparkurses
mit seinen immer neuen Opfern. Mit nur 0,8% verzeichnete Italien 1996 das schwächste
Wirtschaftswachstum unter den G 7-Staaten und die NZZ stellte in einem
Wirtschaftskommentar fest: Die italienische Konjunktur ist immer mehr
gezeichnet durch die scharfen Maßnahmen zur Sanierung des Haushalts. Der
Wunsch, bei der Währungsunion in der ersten Runde dabeizusein, hat für
die Wirtschaft hohe Kosten. Die Binnennachfrage liegt darnieder und die Stärke
der Lira sorgt überdies für eine Drosselung des Exportabsatzes. Wenn
sich die Handesbilanz trotzdem weiterhin nicht nur in tadelloser, sondern sogar
in immer besserer Verfassung präsentiert, dann nur, weil die abnehmenden
Exporte durch geringere Konsumgüterimporte mehr als aufgewogen werden. Am
deutlichsten sichtbar wird die Roßkur vorläufig in den
Produktionsstatistiken. So lag (kalendermäßig bereinigt)
beispielsweise die Industrieproduktion im Januar 97 um 2,7% unter der des
Vorjahresmonats (NZZ 25.3.97). Gleichzeitig betrug die Arbeitslosenrate 1996
italienweit 12,2% und die Jugendarbeitslosigkeit sogar 34,8%, wobei es ein
starkes regionales Gefälle gibt und die Raten in Süditalien doppelt so
hoch sind wie in Norditalien. Alle Landesteile gleichermaßen trifft
allerdings die Tatsache, daß in Italien laut den Berechnungen der
EU-Kommission (!) von der gesamtem Wirtschaftsleistung bereits im Jahr 1994 nur
noch 25,3% für Renten und Sozialleistungen aufgewendet wurden. Selbst in
Großbritannien waren es noch 28,1% und in der BRD gar opulente
30,8% (SZ 16.4.97). Wenn man darüberhinaus weiß, daß in Italien
beispielsweise ein Metallarbeiter durchschnittlich umgerechnet 1500 - 1700 DM
netto im Monat verdient und eine(r) der mehreren tausend Lehrer oder Lehrerinnen
auf den üblichen zeitlich begrenzten ABM-Stellen sogar nur 810 DM im Monat,
dann ist klar, wie schmerzhaft jede weitere Kürzung ist und wieviel Wut sie
auslöst.
Vielen mag es unerklärlich erscheinen, daß die herrschende
Klasse in Italien angesichts solcher ökonomischer Folgewirkungen und
politischer Risiken so versessen darauf ist, an der WWU teilzunehmen und sich
dem Diktat der Konvergenzkriterien zu beugen. Sie tut dies aus mehreren guten Gründen
und durchaus auch im eigenen Interesse: Zum einen fürchtet sie natürlich
- und nicht ganz zu unrecht - bei Nicht-Teilnahme protektionistische Maßnahmen
der WWU, die sie um wichtige Exportmärkte bringen würden. Zum zweiten
hat die (in den 80er Jahren politisch und sozial fürs Kapital
notwendige) italienische Staatsverschuldung ein Ausmaß angenommen, daß
für die Kapitalakkumulation zu einem echten Problem geworden ist, da
Zinszahlungen und Tilgung mittlerweile der größte Posten im
Staatshaushalt sind, immer neue Staatsanleihen die Währungsstabilität
der Lira gefährden und aufgrund der hohen Zinssätze die Kreditaufnahme
für Investitionen behindert bis unmöglich gemacht wird, da die
Profitraten deutlich darunter liegen. Und zum dritten ermöglichen die
WWU-bedingte Haushaltsdisziplin und die geschlossene Front der EU-Staaten dem
traditionell schwachen italienischen Privatkapital einen umfassenden Angriff auf
die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Lohnabhängigen in Sachen Sozial- und
Lohnabbau, Rationalisierung, Deregulierung und Privatisierung von
Staatsunternehmen, die sie sich dann selbst zum Freundschaftspreis
einverleiben und zu ihrer ökonomischen und politischen Stärkung nutzen
können.
Ganz in diesem Sinne hat die sog. Mitte-Links-Regierung Prodi
bereits weitere Privatisierungen von Banken (bei denen insgesamt 30 000
Angestellte zuviel sind) und Telekommunikationsgesellschaften sowie
eine durchgreifende Rationalisierung bei Post und Eisenbahn angekündigt,
die bei den beiden letzteren nocheinmal 250 000 Arbeitsplätze kosten soll.
Außerdem wurde mit einem Beschäftigungsdekret Ende März der Weg
freigemacht für vermehrte Teilzeitarbeit im - auch für italienische
Verhältnisse - ohnehin unterdurchschnittlich entlohnten öffentlichen
Dienst, für besondere Niedriglöhne in legalisierten
Schwarzarbeitsbetrieben und das freie Wirken von Zeitarbeitsfirmen (NZZ
22.3.97). Im Haushalt für 1998 soll dann die Umverteilung von unten nach
oben dadurch fortgesetzt werden, daß man sich auf Ausgabenschnitte
... konzentrieren will sowie darauf, den politisch schwierigen Kampf
zur Reform des Rentensystems aufzunehmen und auch bei den harzenden
Privatisierungen eine schnellere Gangart einzulegen. (NZZ 22.2.97)
Nachdem der Regierung Prodi zunächst von seiten der Arbeiter, der
Arbeitslosen, der Gewerkschaften und von vielen Jugendlichen sehr viel
politisches Vertrauen entgegengebracht worden war, da in ihr mit dem
sozialdemokratisierten ehemaligen Mehrheitsflügel der ital. KP (dem PDS =
Partei der Demokratischen Linken) die Linke zum ersten Mal seit 1948
wieder vertreten ist und auch noch die größte Partei stellt, und noch
längst nicht alle Illusionen verflogen sind, regt sich mittlerweile doch
zunehmend Widerstand gegen das Vorgehen von Regierung und Kapitalisten. So gab
es seit Ende letzten Jahres zahlreiche Streiks, Demonstrationen und Blockaden
der Metallarbeiter, um einen neuen Tarifvertrag zu erzwingen und damit die
Reallohnverluste der letzten Jahre zumindest wettzumachen, was allerdings nur
sehr unzureichend gelang und bei der Urabstimmungen Anfang März 97 zu 37,1%
Nein-Stimmen führte (il manifesto 7.3.97). Im November 96 mobilisierte die
Partei der kommunistischen Neu(be)gründung (PRC), die die Regierung Prodi
mit viel verbaler Kritik, einigen Erpressungsmanövern aber
wenig handfesten Erfolgen noch immer parlamentarisch stützt, 150 000 Leute
zu einer Massendemonstration für Arbeit in Neapel, wo es im Februar 97 zu
fast täglichen Protestdemonstrationen und Straßenblockaden von 1500 -
2000 Jugendlichen kam, die an staatlichen Ausbildungskursen teilnehmen und ihre
Übernahme auf kommunale Arbeitsplätze fordern. Dabei kam es am 21.2.
vor dem Sitz des Präfekten zu heftigen Straßenschlachten mit den
Carabinieri und der Polizei.
Vom 8. auf den 9. Februar fand ein gut befolgter landesweiter 24
Stunden-Streik der Eisenbahner statt. Am 18.2. gab es einen 8stündigen
Streik von 5 000 Bauarbeitern im Piemont (= die Region um Turin) für
Lohnerhöhungen. Am 17.3.97 wurde die italienische Post aus Protest gegen
den Nachtragshaushalt der Prodi-Regierung, der u.a. Rationalisierungen und
Portoerhöhungen vorsieht, durch einen branchenweiten 24stündigen
Generalstreik lahmgelegt. Alle 14 500 Postämter des Landes blieben
geschlossen. Am 22.3. führten die drei großen Gewerkschaftszentralen
CGIL, CISL und UIL in Rom eine Großdemonstration gegen die Kürzungspolitik
und den Arbeitsplatzabbau durch, an der laut unabhängigen Beobachtern 300
000 Menschen teilnahmen. Die bisher letzten Aktionen waren ein branchenweiter
Generalstreik der Elektrizitätsarbeiter am 8.April gegen die
Deregulierungsabsichten der Regierung im Energiebereich, der vom 3. bis 18.4.
von regionalen Streiks begleitet war, am 7. bzw. 8.4. acht- bzw. vierstündige
Streiks auf insgesamt 12 italienischen Flughäfen gegen dortige
Rationalisierungsmaßnahmen und Preiserhöhungen sowie am 10.4.97
Streiks der kommunalen Transportarbeiter in acht Großstädten für
einen neuen Tarifvertrag mit höheren Löhnen.
Bei der gewerkschaftlichen Großdemonstration am 22.März wurde
allerdings auch die inhaltliche Schwäche des Widerstandes deutlich, da man
sich nicht traute die Regierung als Gegner klar zu benennen und anzugreifen.
Vielmehr kam es zu der paradoxen Situation, daß sich diverse
Regierungspolitiker - allen voran PDS-Chef DAlema - gleichsam gegen sich
selbst demonstrierend, an der Demo beteiligten und dabei keineswegs ausgegrenzt
wurden, sondern mehrere Gewerkschaftsredner ausdrücklich betonten, dies sei
keine Demonstration gegen die Regierung Prodi sondern eine für Arbeit.
Gleichwohl haben durch das Finanzmanöver vom März und den
Ausblick auf einen noch rabiateren Sparhaushalt für 1998 sowohl
der PDS als auch der PRC und die Gewerkschaftsführungen deutlich an Ansehen
und Anhängerschaft verloren. So sank der Wähleranteil des PDS von Ende
Februar 97 24,6% auf 19,7% Ende März. Der PRC büßte aufgrund
seiner kompromißlerischen Parlamentspolitik im gleichen Zeitraum 1,3% ein
und liegt jetzt bei 9,5%. Die Popularität von CGIL-Chef Cofferati rutschte
von 50,3% auf 37,9% ab. Auf den ersten Blick profitieren davon die rechten
Parteien Forza Italia und Alleanza Nazionale, die seit den Wahlen im April 96
leicht (FI + 0,7%) bzw. deutlich (AN +3,9%) zulegen konnten und zusammen mit den
rechten Christdemokraten heute einen Vorsprung von satten 5,7% vor der gegenwärtigen
Parlamentsmehrheit haben. Schaut man jedoch genauer hin, so wird deutlich, daß
nicht nur die sozialen Abwehrkämpfe in allen Sektoren einen starken
Aufschwung erleben, sondern daß die Enttäuschung über die
Mitte-Links-Parteien sich politisch in einem massiven Anstieg der Wahlenthaltung
niederschlägt. So stieg die Quote derjenigen, die nicht wählen gehen,
leere oder ungültige Stimmzettel abgeben wollen, von 17,3% Ende Januar 97 über
20,5% Ende Februar auf 27,8% Ende März (Unicab-Umfrage, la Repubblica
30.3.97).
Das kann im Grunde auch nicht verwundern, da nach den noch frischen
Erfahrungen mit der Berlusconi-Regierung 1994 die rechten Parteien im Kampf
gegen Deregulierung, Sozial- und Arbeitsplatzabbau nicht gerade glaubwürdig
sind und Berlusconi der Regierung Prodi Ende Februar einen honorablen
Kompromiß in der Europafrage vorgeschlagen hat (NZZ 22.2.97), denn
auch Forza Italia und Alleanza Nazionale sind seit langem erklärte Anhänger
der WWU.
Was den weiteren Widerstand angeht, gibt es daher keinen Grund zu
pessimistisch in die Zukunft zu sehen. Im Partito della Rifondazione comunista
(PRC) organisierte sich bereits Ende letzten Jahres ein starker linker Flügel,
der das Ende der Unterstützung für die Prodi-Regierung und einen
entschiedenen Kampf gegen die WWU fordert. Die Parteiführung selbst geht
zunehmend auf Distanz zur Regierung. Italiens Gewerkschaften verfügen trotz
allem mit einem Organisationsgrad von offiziell 39% über einen der höchsten
gewerkschaftlichen Organisationsgrade in Europa (auch wenn er durch die
verbreitete Schwarzarbeit real einige Prozentpunkte geringer ist). Trotz aller
Einschränkungen seit Ende der 70er Jahre gibt es noch immer ein recht
weitgehendes Streikrecht, einen nicht geringen Fundus an Kampferfahrungen, eine
linke Strömung im größten Gewerkschaftsbund CGIL (die
Alternativa sindacale), die gut 15% der Mitgliedschaft hinter sich hat, eine
Reihe selbstorganisierter, klassenkämpferischer Basisgewerkschaften wie den
SLAI-Cobas, die CUB, RdB, SdB etc. mit zusammen 60 - 70 000 Mitgliedern und
Hochburgen beispielsweise bei Alfa Romeo, Alcatel, unter den Lehrern, im öffentlichen
Dienst oder auf dem römischen Flughafen Fiumicino und nicht zuletzt über
100 besetzte soziale Zentren (centri sociali) im ganzen Land, die auf z.T.
riesigen ehemaligen Fabrikgeländen ein wichtiger Treff- und
Organisationspunkt von linken Jugendlichen, Arbeitern, Arbeitslosen,
Frauengruppen und Immigranten sind und sich rege an den sozialen Kämpfen
beteiligen.
Auch wenn insbesondere die Betriebs- und Gewerkschaftslinke stark an ihrer
vielfältigen organisatorischen Zersplitterung und den sich dahinter
verbergenden Unterschieden in puncto Inhalte, Analysen und Arbeitsstile leidet,
können sie doch auf der Grundlage zunehmender Widerstandsbereitschaft der
Belegschaften, der Jugendlichen und der Arbeitslosen wirken, denn: Viele
der letzten Streikbewegungen gehen von der Basis aus. Soziale Spannungen kann in
einer Zeit des Umbruchs, der Einsparungen und der Rentenkürzungen auch eine
Regierung des linken Zentrums in Italien nicht unterbinden. (NZZ 24.2.97)
Ein Faktum, daß den einflußreichsten Kapitalisten Italiens,
Senator auf Lebenszeit und bisherigen Unterstützer der Mitte-Links-Koalition,
Gianni Agnelli (u.a. Haupteigentümer der FIAT), vor einigen Tagen in einem
vielbeachteten Interview zu der Feststellung veranlaßte, wenn die
Risiken, die <Haushaltsminister /d.V.> Carlo Azeglio Ciampi und der
Ministerpräsident Prodi eingehen nicht ausreichen, dann wird man den
politischen Rahmen ändern und zu Neuwahlen schreiten müssen. ...
Ansonsten ist es keine Tragödie, wenn sich unser Beitritt <zur WWU /d.V.>
um ein Jahr verschiebt. (Le Figaro 11.4.97)
Als Musterbeispiel für die Entwicklung eines schwächeren
Mitgliedsstaates gilt Irland. Mit einem Wirtschaftswachstum von 5,7%
liegt die kleine grüne Insel in der Spitzengruppe. Das führte nicht
nur zu einem Mehr an Steuereinnahmen von 11%, sondern auch zu einem Sinken der
Arbeitslosenquote auf 11%, die Zahl der Beschäftigten hat in den letzten
acht Jahren um knapp 18% zugenommen. (vgl. NZZ vom 4.1.1997) Als Erfolg darf man
auch den Abbau der Staatsverschuldung von 1987 116% des Bruttoinlandproduktes
auf 73,3% bewerten. Ein negativer Aspekt dieses Erfolges dürfte
lediglich das absehbare Ende der Transferzahlungen von den anderen Mitgliedern
der EU sein, Die Gelder aus den Europäischen Strukturfonds haben seit
1989 jährlich etwa ein halbes Prozent zum Wirtschaftswachstum beigetragen,
allein 1995 beliefen sie sich auf 900 Millionen Pfund. (Süddeutschen
Zeitung vom 31.5.1996) Sowohl die irische Regierung als auch die oppositionellen
Parteien befürworten die Einführung des Euro. Die irischen Sozialpartner
vereinbarten im Dezember 1996 im Voraus für die nächsten 39 Monate ein
Erhöhung der Löhne um insgesamt 9,25% bei gleichzeitigem Sinken der
Einkommenssteuer. Damit ist jedoch die Gefahr verbunden, daß durch den
Anstieg der Lohnkosten im öffentlichen Sektor die auch jetzt schon
nachlassende Haushaltsdisziplin weiter nachläßt.
Selten findet Erwähnung, daß schon zwei europäische
Nationen eine gemeinsame Währung haben: Belgien und Luxemburg.
Dabei zeigt dieses Beispiel, daß eine gemeinsame Währung auch bei
recht unterschiedlicher Auffassung, was die Staatsverschuldung betrifft,
funktionieren kann. Als einziger europäischer Staat wies Luxemburg 1995
einen positiven Staatshaushalt mit plus 1,4% aus, auch die Verschuldung war mit
7,6% (kein Tippfehler!) des BIP die niedrigste in Europa. Allerdings hat
Luxemburg auch nur 380 000 Einwohner und Einwohnerinnen, von denen 18 000 bei
einer der über 200 Banken und Kreditinstituten arbeiten. Mit einer solchen
Wirtschaftsstruktur ist es jedem Staat, der seinen Schwerpunkt eher in den
traditionellen Industriesektoren hat, überlegen. Belgiens
Finanzierungsdefizit betrug hingegen im selben Jahr 4,5%, immerhin von 7,2% im
Jahr 1992 gesunken, die Staatsverschuldung war mit 135,8% die höchste in
Europa. Dabei wird tief in die Trickkiste der staatlichen Haushaltspolitik
gegriffen: Beispielsweise werden fällige Zahlungen erst nach Beendigung des
Haushaltsjahres geleistet, irgendwie werden die offiziellen Einnahmen höher
ausgewiesen, etc. Neben den allerorten üblichen Privatisierungen hat der
belgische Staat die Goldreserven seiner Nationalbank versilbert und empfiehlt
nun allen öffentlichen Einrichtungen, ihre Überschüsse in
Staatspapieren anzulegen. Diese Anlagen werden bei der Berechnung der
Staatsverschuldung abgezogen. Die drückende Schuldenlast ist auch schon vor
der möglichen WWU durch enorm hohe Tilgungen und Zinszahlungen ein Klotz am
Bein der staatlichen Finanzpolitik. Im Falle einer europäischen Währung
werden sich die Märkte ihre Kreditvergabe an den belgischen Staat durch
entsprechende Zinsaufschläge belohnen lassen. Der Abbau eines derart hohen
Schuldenberges ist nach den Plänen der Regierung nur zu leisten, wenn
langfristig das Zinsniveau nicht steigt und das Wachstum der Wirtschaft nicht zu
gering ausfällt. Im Falle des Ausschlusses Belgiens aus der neuen
gemeinsamen Währung müßte auch die Währungsunion mit
Luxemburg aufgelöst werden. Aber das Beispiel Belgien zeigt auch, wie
Arbeiterinnen und Arbeiter versuchen, durch Protestaktionen ihre Interessen
durchzusetzen. 15 000 Beamte protestierten zu Beginn des Jahres für den
Erhalt ihrer sozialen Absicherungen, gegen den Rückzug des Staates aus
wichtigen Sektoren und gegen die fortlaufenden Privatisierungen (vgl. NZZ vom
11.2.1997), 5 000 unfreiwillige Teilzeitarbeiter und -innen protestierten gegen
ihre soziale Benachteiligung und am 2. Februar demonstrierten mehr als 30 000
Stahlkocher gegen die Schließung ihres Werkes, wobei auch ein
Konkursverwalter körperlich zu Schaden kam. Die Forderung nach einem Mehr
an staatlicher Hilfe ist gegen die Logik des Marktes und die daraus
resultierenden Verpflichtungen für die belgische Regierung hinsichtlich der
WWU eine eher naive Forderung. Ein Ansinnen allerdings, das, mit der
entsprechenden Dynamik verfolgt, durchaus für den Moment Erfolge erzielen
kann und Bewußtsein schafft, das für weitere Kämpfe und
weitergehende Forderungen förderlich ist. Die Kämpfe sind in Belgien
in vieler Hinsicht weiter entwickelt als in anderen Länden Europas. Dabei
ist es bisher gelungen, den Versuch der Beeinflussung durch rechte Parteien oder
Gruppierungen zurückzuweisen.
Die erstmals im Januar überschrittene Zahl von 300 000 Arbeitslosen muß
auch in Österreich als Begründung für eine
Flexibilisierung des Arbeitsmarktes herhalten. Mitte Februar
einigten sich die Sozialpartner unter Druck des SPÖ-Kanzlers Viktor Klima
und dem Vize aus der ÖVP Wolfgang Schüssel auf Rahmenbedingungen für
flexiblere Arbeitszeiten, die die österreichischen Lohnabhängigen jährlich
rund 10 Millionen Schilling (1,43 Millionen DM) kosten wird. Ein Sparpaket aus
dem letzten Jahr soll weitere Einsparungen in Höhe von 115 Milliarden
Schilling (ca. 16 Milliarden DM) bringen. Das Sparpaket beinhaltete die Kürzung
des Karenzurlaubs (Vgl. SZ vom 17.3.1997), Streichung der Geburtenbeihilfe, Kürzung
des Pflegegeldes, Anhebung der Pflichtjahre zu Frühverrentung, Verteuerung
des Nachkaufs von Versicherungszeiten und die Einführung der
Versicherungspflicht bei Werkverträgen. 1997 werden im Vergleich zu dem
Vorjahr knapp 20 Milliarden Schilling (ca. 2,9 Milliarden DM) im Sozialbereich
eingespart. Meinungsforscher haben herausgefunden, daß sich gerade ein
Drittel für den Euro erwärmt, aber fast 40% eher Nachteile als
Vorteile erwarten. Politiker und Wirtschaftsfachleute versuchen immer wieder,
die Vorteile der Teilnahme an einer gemeinsamen Währung anzupreisen. Österreichs
Position als Nettobeitragszahler in der EU müsse sich in der Realisierung
der eigenen Interessen beweisen.
Die Proteste gegen Regierungsbeschlüsse waren bislang eher selten.
Eine Ausnahme war der Widerstand der Studierenden und Angestellten der Universitäten
im März 1996. Die Regierung hatte geplant, Studierenden die
Familienbeihilfe zu kürzen, Kinderabsetzbetrag und kostenlose Fahrten mit
dem öffentlichen Nahverkehr zu streichen, den Universitätsmitarbeitern
sollten die Löhne gekürzt werden. Wien erlebte eine Demonstration mit
40000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, allerdings wurde eine Solidarisierung
anderer von Sparmaßnahmen Betroffener nicht erreicht.
Die Niederlande erfüllen alle Maastricht-Hürden bis auf
die des Schuldenstandes des öffentlichen Sektors, dort allerdings auch mit
abnehmender Tendenz. Die Menschen aus dem Land der Tulpen und Cannabispflanzen
haben ihre Reformen schon hinter sich gebracht, Konsequenter und mutiger
als die Deutschen, aber behutsamer als dereinst Margaret Thatcher in Großbritannien,
so das Urteil aus der Wirtschaftswoche vom 20.2.1997. In den letzten Jahren
wurden die Steuern und Abgaben gesenkt und der Versorgungsstaat um
das Unnötige erleichtert. Eine allzu großzügige
Praxis der Frühverrentung bei Berufsuntauglichkeit wurde abgeschafft, die wöchentliche
Arbeitszeit kann vorübergehend bis zu 60 Stunden betragen, nur zwei
Beispiele als Vorgeschmack, aber auch mit der Einführung von zwei
Karenztagen sind uns die Niederländer voraus. Im ersten Krankheitsjahr
haben die Unternehmen für die weitere Bezahlung ihrer Lohnabhängigen
Sorge zu tragen (gesetzlich vorgeschrieben sind 70% des Lohnes), was durch
vertrauensvolle Intensivierung des Verhältnisses zwischen beiden zu einem
niedrigeren Krankenstand führt20. Die Gewerkschaft
stimmt den Vorschlägen der Regierenden regelmäßig ohne besondere
Einwände zu: Lohnmäßigung und Arbeitszeitverkürzung,
Nullrunden (noch 1994 und 1995) und das Akzeptieren der Senkung des Mindestlohns
von 66 auf 54 Prozent des Durchschnittslohns, neue niedrigere Lohngruppen und
geringere Einstiegsgehälter für Berufsanfänger, dabei habe die
Gewerkschaft die Regierung überzeugt, es nicht zu weit zu treiben,
so ist es in der Wirtschaftswoche zu lesen. Ebenda lobt diese das permanente
Bündnis für Arbeit, jeder Niederländer denke in der ersten
Person Plural und somit an das Wohl des Kapitals21. Ende
Januar wurde von der regierenden Koalition beschlossen, daß für
Personen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind (Einschränkung:
Alleinerziehende,...), nicht mehr der gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohn
gezahlt werden muß!! Jährlich 100000 neue Arbeitsplätze, davon
allerdings zu einem Drittel nur Teilzeitjobs (37% der Lohnabhängigen haben
Teilzeitverträge), und eine Arbeitslosenquote von ungefähr 6,5% lassen
bei den Niederländern bedenken aufkommen, ob es für ihre Nation überhaupt
nützlich und sinnvoll ist, mit anderen Staaten, die die Konvergenzkriterien
weniger gut erfüllen und eine Vielzahl wichtiger und unangenehmer Reformen
noch durchzusetzen haben, eine gemeinsame Währung zu haben. Aus diesem
Grund wird von den Niederlanden auf die Einhaltung der Stabilitätskriterien
gepocht, unter anderem, weil sie ihr niedriges Zinsniveau nicht durch weniger
disziplinierte Staaten gefährden wollen.
Die Regierung Dänemarks besaß soviel Vertrauen in ihr
Staatsvolk, daß sie sich von diesem die Zustimmung für das Mitwirken
Dänemarks in einem durch den Maastricht-Vertrag bestimmten Europa durch ein
Referendum sichern wollte. Das Volk war jedoch bockig und stimmte am 2.6.1992
mit 50,7% gegen das Vertragswerk von Maastricht. Im zweiten Anlauf wurde der
allerdings um einige Punkte gekürzte Vertrag mit 56,8% der Stimmen
angenommen. Damit hat sich die dänische Regierung, um in der EU verbleiben
zu können, einige Sonderregelungen auferlegt: in Fragen der gemeinsamen
europäischen Staatsbürgerschaft, der Verteidigungspolitik, bei Europol
und bei der Währungsunion kann Dänemark einen eigenen Weg bestreiten.
Nun müssen die der EWU zugeneigten Politikerinnen und Politiker dem Volk
die Suppe, die es dann auszulöffeln hat, irgendwie noch schmackhaft machen.
Bis auf die Höhe der Schulden des öffentlichen Sektors erfüllt
das Land mit seinen 5,2 Millionen Einwohnern die Konvergenzkriterien. So heißt
es abwarten, schauen, ob sich die Währungsunion für Geschäfte bewährt,
um zum richtigen Zeitpunkt erneut ein Referendum anzuberaumen. Der Grundstein für
den ökonomischen Erfolg ist durch die geradezu familiäre Beziehung,
eine partnerschaftliche Idylle, wie die NZZ (vom 5.2.1997) bemerkt,
zwischen Gewerkschaften und Kapital gelegt. Der Staat hält sich
weitestgehend aus dieser Beziehung heraus und dementsprechend sind
wenig institutionelle Regulationsmechanismen vorhanden. So haben die
Tarifpartner lediglich einen Minimallohn vertraglich fixiert, in 80% aller Fälle
werden die Löhne auf betrieblicher Ebene vereinbart.
18. April 1997
7 Innerhalb eines Staates werden derartige
Unterschiede in der Regel leichter ertragen. Die Forcierung von Nationalismus,
der Idee des einig Vaterland, rechtfertigt so manches Opfer.
8 Vgl. Sylvia Pintarits; Macht, Demokratie und Regionen
in Europa; Marburg 1996; S. 174
9 Nach dem Wochenbericht des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung 38/95 rangiert Westdeutschland auf dem 5. Rang hinter
Frankreich (1.), Belgien, USA, und den Niederlanden während Griechenland
noch hinter Portugal der Verlierer ist. Laut dem Jahreswirtschaftsbericht 1995
der Europäischen Kommission ist Westdeutschland sogar Vize hinter Dänemark,
hier ist allerdings Portugal letzter.
10 Noch ein Beispiel für Standortkonkurrenz:
!993 sollte das französische Werk des Staubsaugerherstellers Hoover
geschlossen und das Werk nach Schottland verlagert werden. 650 französische
Arbeitsplätze waren bedroht. Die französischen Gewerkschaften
forderten von der sozialistischen Fraktion im Europaparlament, für eine Harmonisierung
der Sozialstandards zu sorgen. Die schottischen Gewerkschaften hatten nämlich
für die ersten zwei Beschäftigungsjahre auf Krankenversicherungs- und
Rentenansprüche verzichtet, akzeptierten eine Einschränkung des
Streikrechtes und eine flexible Arbeitszeitregelung.
11 Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf: Gewerkschaften
vor der europäischen Herausforderung; Münster 1993; Seite 157
12 42% der Briten sind für einen Verbleib in der
EU, 38% würden dafür plädieren, die EU zu verlassen; nur 26% der
Befragten sind für die Einführung des Euro. Der Auftraggeber dieser
Umfrage war allerdings der europakritische Daily Telegraph. NZZ vom
11.1.1997
13 Während in den vergangenen zwanzig Jahren
in Großbritannien die Zahl der Beschäftigten in einheimischen
Unternehmen um die Hälfte gesunken ist (auf 3,8 Millionen im Jahr 1995),
stieg die Zahl der Arbeitsplätze in ausländischen Betrieben um 30
Prozent. Le Monde Diplomatique vom 6.2.1997
14 12% der arbeitenden Bevölkerung erhält
keinen bezahlten Urlaub; 22% der Menschen mit einem Ganztagsjob arbeiten mehr
als 48 Stunden in der Woche. Ebd.
15 Als Vergleich muß Frankreich herhalten, das
1992 ebenfalls eine Arbeitslosenquote von ca. 10% hatte, mittlerweile allerdings
annähernd 13%. In Frankreich waren in dem selben Zeitraum allerdings 400
000 Erwerbstätige mehr zu verzeichnen.
16 Ein ausgezeichneter Artikel dazu in der
Arbeiterpolitik, Nummer 1 vom 31.1.1996
17 Aus diesem Grund ist der Beitragssatz zur
Basisrentenversicherung für die Beschäftigten zwischen 1981 und 1991
von 4,7 Prozent auf 7,6 Prozent gestiegen.
18 Bei den Präsidentschaftswahlen erhielt der
Parteivorsitzende Le Pen 15,5% der Stimmen im ersten Wahlgang; bei Arbeitslosen,
Wählern unter 30 und Haushalten mit geringen Einkommen (7000 FF) stimmten
sogar 25%, bei Arbeitern und einfachen Angestellten immerhin noch 20% für
ihn.
19 Am 9. Februar wurde im südfranzösischen
Vitrolles die Frau des Parteiideologen Bruno Mégret, Catherine Mégret
bei Nachwahlen mit 52,5% zur Bürgermeisterin gewählt.
20 In einigen größeren Unternehmen in
Deutschland müssen genesene Arbeiterinnen und Arbeiter nach ihrer Rückkehr
an den Arbeitsplatz mit ihren Vorgesetzten über die Gründe ihrer
Erkrankung sprechen. Bei Wiederholung finden diese Gespräche auf einer höheren
Ebene statt, mit sanftem Druck.
21 Sogar die Arbeitgeber sind voll des Lobes über
ihre früheren Kontrahenten: Wenn es die Gewerkschaften nicht gäbe,
müßten sie neu erfunden werden, sagt etwa Ronald de Leij,
Personalvorstand des Chemiekonzerns Akzo Nobel Nederland. (aus der
Wirtschaftswoche Nr. 9 vom 20.2.1997) Welch Lob für eine Gewerkschaft!