aus: "Debatte" Nr.5-2003

Nach der Demonstration vom 12. Dezember wollen die Zürcher StudentInnen weiter kämpfen

"Und sie bewegt sich doch !"

Die Mobilisierung an der Uni Zürich geht nach der erfolgreichen Demonstration vom vergangenen 12. Dezember, an der 3000 StudentInnen und SchülerInnen gegen die Revision des kantonalen Universitätsgesetz demonstriert haben, weiter. Am 29. Januar soll nach dem Willen des studentischen Aktionskomitees ein Warnstreik stattfinden. Zudem wollen sich viele aktiv gewordenen StudentInnen auch im Falle einer voraussichtlichen Annahme des neuen Universitätsgesetzes durch den Kantonsrat im März weiterhin gegen die geplante Erhöhung der Studiengebühren und die weiteren Massnahmen, die sich gegen die Studierenden richten, wehren.

Marco Feistmann, Sarah Schilliger

Angesichts der vom Regierungsrat vorgeschlagenen Revision des Universitätsgesetzes ist es für all jene, die eine starke StudentInnenbewegung aufbauen wollen, notwendiger denn je, eine Diskussion über Perspektiven des Widerstands von StudentInnen zu beginnen. Denn : das ganze öffentliche Bildungswesen, ihr Personal und die Studierenden ereilt das selbe Schicksal wie alle anderen Bereiche der Gesellschaft. Man verlangt von ihnen, sich den Gesetzen des kapitalistischen Marktes zu fügen. Die Semestergebühren an den Hochschulen steigen mit der selben Regelmässigkeit an, mit der die Beiträge ans Stipendienwesen gekürzt werden. Die Budgets der Universitäten haben im Verhältnis zur Studierendenzahl substantielle Kürzungen erlitten. Zulassungsbeschränkungen und Numerus Clausus halten an der Uni immer mehr Einzug.

Längerfristiges Ziel dieser Politik ist die Umwandlung der (Hoch) Schule in ein "modernes Unternehmen", das eine besondere Ware produziert : Bildung von Arbeitskraft. Eine massive Erhöhung der Studiengebühren an den Unis als "Investition in Humankapital" käme dieser Zielsetzung entgegen : sie würde das demokratische "Recht auf Bildung" ziemlich offen und radikal in Frage stellen. Die gesellschaftlichen Langzeitwirkungen dieser Politik [die Dario Lopreno und die Co-Autorin dieses Beitrags in der DEBATTE Nr. 4-5 analysiert haben, Anm. d. Red.] dürfen nicht unterschätzt werden.

Eine "Bildungsoffensive"...
des Kapitals

Seit Beginn der 1990er Jahre haben auch in der Schweiz die herrschenden Kreise aus der "Wirtschaft" eine "Reform" des Hochschulsystems in Gang gesetzt, die den Anspruch hat, die Universitäten zu "modernisieren". In den wirtschaftspolitischen "Weissbüchern" von Fritz Leutwiler und Stefan Schmidheiny et al. (1991) und von David De Pury et al. (1995) wurde das Ziel einer Privatisierung des gesamten Bildungswesens festgelegt. Die Grundidee dieser Gruppe von milliardenschweren "ModernisiererInnen" ist dabei, dass die Schulen direkt dem Wettbewerb auf dem kapitalistischen Markt ausgesetzt werden sollen und deshalb wie ein privates Dienstleistungsunternehmen zu funktionieren haben. In der Folge wurde fast die gesamte eidgenössische und kantonale Gesetzgebung abgeändert.

International vernetzte Strategen des "New Public Mangements" sind für die Umsetzung dieser Politik zuständig. Ein gutes Beispiel dafür liefert Ernst Buschor, ehemaliger HSG-Professor, heutiger Bildungsdirektor im Kanton Zürich und Mitglied des Stiftungsrates des Bertelsmann-Verlages. Dieser Verlag ist nicht nur am Bildungsmarkt massiv beteiligt, sondern betreibt in Deutschland zusammen mit der Hochschulrektorenkonferenz das von der "Wirtschaft" gesponserte CHE, Centrum für Hochschulentwicklung, eines der wichtigsten "think tanks" der HochschulvermarkterInnen und 1998 Mitherausgeber des ersten Studiengebührenmodells für die BRD. Wenn von "Synergien" die Rede ist...

In Zürich ist durch das Universitätsgesetz von 1998 eine stärker "marktkonforme" Funktionsweise der Uni schon zu einem grossen Teil institutionell verankert worden. Jetzt soll mit der anstehenden Revision des Unigesetzes ein weiterer Meilenstein in diese Richtung gesetzt werden. Die in der Revision vorgesehenen Massnahmen wie die drohende Verdoppelung der Studiengebühren, die kostendeckenden Gebühren für die Weiterbildung und Nachdiplomstudien, die verschärften Zulassungsbeschränkungen und die Kompetenzerweiterung des von oben eingesetzten Universitätsrates zielen auf ein und dasselbe Projekt ab : Die schleichende Privatisierung der Hochschulbildung und die Schaffung einer "Elite-Uni", wie es auf einem Transparent am 12. Dezember stand.

Eine Uni nur für wenige

In der Schweiz kann heute von einem massenhaften Zugang zur Hochschulbildung nicht gesprochen werden : nur 14,1 % der Jugendlichen im entsprechenden Alter besuchten 1991 eine Hochschule, im Vergleich zu 38,3 % in den USA, 31,2 % in Deutschland und 29 % in Frankreich. Bezüglich den HochschulabsolventInnen sahen die entsprechenden Zahlen 1993 wie folgt aus : 7,6 % in der Schweiz, 29,6 % in den USA, 12,7 % in Deutschland und 16,3 % in Frankreich (OECD-Statistik). Der Hochschulzugang in der Schweiz ist im europäischen Vergleich einer der restriktivsten, nur die Türkei hat noch einen kleineren Anteil Studierender pro Bevölkerung1.

Zudem ist der Zugang zur Hochschulbildung sozial selektiv geblieben. Die unteren Schichten sind an den Hochschulen klar unterrepräsentiert. An dieser Tatsache hat sich in den letzten 30 Jahren nichts Grundlegendes geändert. Laut einer Nationalfondsstudie schliesst jeder zweite Sohn und jede vierte Tochter eines Vaters mit Universitätsabschluss selber auch eine Uni-Ausbildung ab. Bei Vätern mit abgeschlossener Berufslehre schaffen dies nur noch jeder zehnte Sohn und jede zwanzigste Tochter. Praktisch keine Chancen haben die Töchter ungelernter Väter, nur jede hundertste schafft eine höhere Schulbildung. In der Region Zürich lässt sich die soziale Selektion im Bildungswesen illustrieren mit Statistiken der Bildungsdirektion, die zeigen, dass der Anteil an GymnasiastInnen in Gemeinden und Stadtkreisen mit wohlhabenden EinwohnerInnen (z. B. "Goldküste" und Kreis 7 in der Stadt Zürich) zwischen 30 % und über 50 % liegt, währenddem er im Grossteil der Stadt Zürich und in den meisten Landesgemeinden nur zwischen 10 % und 20 % liegt.

Trotzdem hat auch in der Schweiz in einer gewissen Phase eine partielle Öffnung der Hochschulbildung stattgefunden. Die absolute Zahl der HochschulstudentInnen verdreifachte sich von 1964 bis 1992 (von 30 000 auf 91 000) und der Anteil der Frauen, die ein Studium aufnahmen, erhöhte sich im gleichen Zeitraum von 18,9 % auf 41,3 %. Diese Verbesserungen im Zugang zur Universität sollen nun blockiert und sukzessive zurückbuchstabiert werden.

"Demokratie"? Ein Fremdwort

Wie in einem Privatunternehmen gibt es auch für die Universitätsangehörigen im Unternehmen Uni nicht den Schatten einer wie auch immer definierten "Demokratie". Daran ändert auch die vom Zürcher Regierungsrat vorgeschlagene Einrichtung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft (ÖRK) nichts. Was sich ändert, ist einzig und allein die finanzielle Lage des Studierendenparlaments : Da die Studentinnen und Studenten automatisch mit der Studiengebühr einen Beitrag an die öffentlich-rechtliche Körperschaft verrichten, stehen dem Scheinparlament der Studierenden in Zukunft etwas mehr finanzielle Mittel zu (um eine kleine Bürokratie von VertreterInnen der Studierenden zu unterhalten), was jedoch absolut nichts ändern wird an seiner politischen "Schlagkraft".

Im Gegensatz dazu ist das Aktionskomitee gegen das neue Universitätsgesetz der Auffassung, dass nach der Demo vom 12. Dezember keine Ruhe einkehren soll an der Uni, solange das Damoklesschwert des neuen Uni-Gesetzes und der Erhöhung der Semestergebühren über die Köpfe der Studierenden und ihrer meistens lohnabhängigen Familien schwebt. Tatsächlich kann angesichts der geballten Ladung an "Reformen" nur eine massive Mobilisierung der Studierenden und der verbündeten sozialen Kräften (und kein allfälliges Wahltheater der Regierungsparteien SP, SVP, usw.) die eingeschlagene Richtung in Frage stellen.


1. Angaben aus : Peter Streckeisen, Überleben auf dem Bildungsmarkt, attac-Broschüre 2000.