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Offener Brief an den AStA der Uni Hannover

Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen,

in Eurem Schreiben vom 30. April habt Ihr die Antifa-AG der Uni Hannover ultimativ aufgefordert sich von allen »als antisemitisch zu verstehenden Inhalten« in ihrem Flugblatt »Solidarität mit Israel bedeutet das Ende linker Politik« zu distanzieren und sich für die »Schädigungen« der Diskussionskultur im Zusammenhang mit dem Antisemitismus-Streit an der Uni zu entschuldigen. Andernfalls, so Eure Drohung, »müssen wir eine weitere Finanzierung Eurer Arbeit in Frage stellen«.


Wir halten dieses Ultimatum für einen Skandal, markiert es doch das Ende jeglicher politische) Kultur an der Uni überhaupt. Als Studenten und Doktoranden an der Uni Hannover fordern wir Euch auf, dieses Ultimatum unverzüglich zurückzunehmen und Euch dafür öffentlich zu entschuldigen.


Die Forderung, sich generell - nichts anderes läßt Eure Formulierung übrig - von einem argumentativen politischen Positionspapier zu distanzieren, kommt faktisch der Zensur einer politischen Meinungsäußerung gleich. Zensur stellt aber die schwerste Beschädigung der Diskussionskultur dar, da sie die offene Diskussion, so polemisch sie auch immer geführt werden mag behindert und bestimmte Positionen ausgrenzt.


Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, daß in Eurem Schreiben keinerlei Gründe für Euer Ultimatum konkretisiert werden. Was soll unter »als antisemitisch zu verstehenden Inhalten« verstanden werden? Entweder seid Ihr der Auffassung, in dem Flugblatt der Antifa-AG befinden sich antisemitische Aussagen - dann wäre es nur billig, diese auch zu benennen. Oder es gibt darin mißverständliche Aussagen, dann ließen sich diese Mißverständnisse aufklären und Euer Ultimatum wäre gegenstandslos.


Die Unkonkretheit Eurer Aussage verrät die Sprache derjenigen, die sich einer offenen demokratischen Diskussion nicht stellen wollen und statt dessen auf bürokratische Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen zurückgreifen. In Anbetracht der Tatsache, daß die Versuche, die Antifa-AG aus den hochschulpolitischen Zusammenhängen herauszudrängen, bereits dreimal an der Mehrheit in der Fachschaftsräte-Vollversammlung gescheitert ist, stellt Euer Verhalten einen eklatanten Bruch mit den bisherigen politischen Gepflogenheiten an der Universität und darüber hinaus eine Verletzung grundlegender demokratischer Prinzipien dar. Da der ebenfalls von der FSR-W in den AStA gewählte Jens Ihnen auf der folgenden StuPa-Sitzung nicht für das vorgesehene Amt

bestätigt wurde, müssen alle politisch interessierten Studierenden an der Uni Hannover offenbar davon ausgehen, daß eine Anbindung der Entscheidungen des AStA an eine wenn auch schmale demokratische Öffentlichkeit der Studierenden von Euch nicht mehr erwünscht ist.


Vielleicht ist es allen von Euch selbst nicht bewußt, aber der de facto Rausschmiß der Antifa-AG aus den AStA-Räumen auf autoritärem Wege ist ein Symbol für einen Bruch mit den emanzipativen politischen Traditionen, wie sie seit Ende der 6oer Jahre innerhalb der Studierendenschaft vorherrschend waren.


Für die zukünftige Vertretung der sozialen und politischen Interessen der Studierenden der Uni Hannover läßt das schlimmste Befürchtungen erahnen; autoritär-bürokratische Tendenzen, das zeigt nicht zuletzt die Auseinandersetzung um die Agenda des sozialen Kahlschlags innerhalb der SPD, gehen stets einher mit Angriffen auf die sozialen Rechte der breiten Bevölkerung. Vor dem Hintergrund, daß auf der letzten FSR-VV mit fragwürdigen Mitteln ein Haushalt durchgebracht wurde, der nur durch das massive Heranziehen von Rücklagen ausgeglichen werden konnte, ist wohl von zukünftigen »Sparrunden« im AStA-Haushalt auszugehen. Anstatt den Kampf gegen die Gebühren für »Langzeit«-Studenten zu organisieren, ja überhaupt eine Öffentlichkeit über die Uni-Deform herzustellen, finden sich die den AStA tragenden politischen Gruppen mit dem Schrumpfen der Studierendenschaft und damit dem Schrumpfen der finanziellen Ressourcen der verfaßten Studierendenschaft ab. Als jetziger AStA - wir fragen uns, ob Euch allen das in der ganzen Tragweite klar ist - macht Ihr Euch damit zur Speerspitze der Gegenreform an der Uni Hannover. Statt ein Teil der Lösung zu sein werdet Ihr selbst zu einem Problem.


Daß der Angriff auf die demokratischen und sozialen Rechte der Studierenden - darum, um nichts anderes geht es - in dieser Phase mit der Maskerade des »Kampfes gegen den Antisemitis­mus« erfolgt, verweist darauf, daß es sich nicht um Kleinigkeiten handelt. Emanzipativen Kräften ist schon oft vorgeworfen worden, ihr Utopismus führe graden Weges in den Terrorismus. Linke Gruppen gleich mit dem Terror zu identifizieren, bedeutet eine neue Qualität der Denunziation, die nichts Gutes verheißt.


Wir können uns nicht vorstellen daß die Mehrheit des AStA und der sie tragenden Hochschul­gruppen, daß die Mehrheiten von Organisationen, die sich Jungsozialisten und demokratische Sozialisten nennen, sehenden Auges eine solch fragwürdige politische Linie unterstützen. Jeder Schritt, der weiter in diese Richtung führt, verbaut nach unserer Meinung den Weg in Richtung einer demokratischen und sozialen Gesellschaft. Das sollte zumindest erwogen werden.

Utz Anhalt, Sven Calvacanti

Marcus Hawel

Oliver Heins

Gregor Kritidis

Zur argumentativen Auseinandersetzung befindet sich im Anhang unsere Flugschrift: »Im Über­eifer des Gefechts - Zur antideutschen Debatte über angeblichen und tatsächlichen Antisemitismus innerhalb der Linken«, auf die wir zur weiteren Lektüre verweisen.