"Etwas besseres als den Tod finden wir allemal ..."

Zur Diskussion um den studentischen Protest und die Situation an den bundesdeutschen Universitäten.


Notwendige Vorbemerkung: Nachdem sich gegen den Umbau und die Kürzungen an den Universitäten monatelang nichts gerührt hatte, sehen einige mit den Streiks und Demonstrationen der vergangenen Monate eine Renaissance der "Studentenbewegung". Da wir im Verlauf des vergangenen Jahre einige sehr wertvolle Einblicke in das Innenleben der so genannten studentischen Selbstverwaltung gewonnen haben, wollen wir versuchen, die Situation etwas differenzierter zu betrachten.


Der Umbau an den Universitäten geschieht nicht im gesellschaftlich luftleeren Raum: Der Zusammenbruch des so genannten Ostblocks hat die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zugunsten der Kapitalisten verschoben. Im Zusammenwirken mit der so genannten “Globalisierung” ergab sich im Verlauf der vergangenen 10-15 Jahre ein enorm gesteigerter Offensivgeist der Bourgeoisie.


Dieser Offensivgeist der Kapital-Seite führt zu einer Reihe von Forderungen, die durchzusetzen noch vor zehn Jahren als unmöglich galt: Neben der Aufkündigung der paritätisch finanzierten Sozialversicherungssysteme und einer beispiellosen Hatz auf "Drückeberger" und "Faulenzer" zählt dazu auch die Privatisierung und der Umbau der Universitäten. Wir gehen in diesem Zusammenhang davon aus, dass die allgemeine Einführung von Studiengebühren in den nächsten Jahren erfolgt, und dass sich Stiftungs- und private Universitäten in einem Zeitraum von etwa zehn Jahren hierzulande etabliert haben werden.


Der Umbau von Hochschulbildung und Forschung soll 1) durch die Hinaussäuberung unbrauchbarer Teilnehmer die volkswirtschaftlichen Kosten für die Produktion von akademischem Nachwuch deutlich senken, 2) eine neue Schicht Schmalspur-Intellektueller hervorbringen, die flexibeler, jünger und vor Allem vergleichsweise billiger sind, als die bisher produzierten Universitätsabsolventen 3) den Zugriff des Kapitals auf die Inhalte von Forschung und Lehre direkter und effizienter gestalten.


Um an dieser Stelle keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Wir kritisieren diesen Umbau an den Hochschulen nicht von einem neo-romantischen bürgerlichen Standpunkt, der das bürgerliche Ideal des Universalgelehrten zurücksehnt. Ganz abgesehen davon, dass sich bisher an den Unis doch noch der eine oder andere interessante Freiraum finden lässt – der mit dem kommenden Umbau natürlich wegfällt – kann uns jedoch weder an der bedingungslosen Stromliniendressur des technokratischen Nachwuchses gelegen sein, noch daran, dass das Kapital aus der universitären Forschung seinen Selbstbedienungsladen macht. Klar ist , dass der Zugriff des Kapitals auf Forschung und Lehre eben im Dienste und Interesse des Kapitals stattfindet und nicht im Interesse derer, die vom Kapital ausgebeutet werden.


Der weiter oben grob skizzierte gesellschaftliche Wandel wirkt auch an den Universitäten auf eine veränderte gesellschaftliche Basis. Nach der 16. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks hat sich beispielsweise der Anteil der Studierenden aus der höchsten sozialen Herkunftsgruppe von 1982 bis 2000 fast verdoppelt (von 17% auf 33%), während sich die Anteile der Studierenden aus den beiden unteren Herkunftsgruppen, insbesondere der untersten Herkunftsgruppe, deutlich verringert haben („mittel“: von 34% auf 28%, „niedrig“: von 23% auf 13%).


Diese "sozialen Herkunftsgruppen" sind seit 1982 für die Sozialerhebungen ein "Grobindikator", der "Zusammenhänge zwischen ökonomischer Situation und Bildungstradition im Elternhaus und studentischem Verhalten meßbar machen soll". Sie bilden eine grobe Abstufung der beruflichen Tätigkeit nach den Kriterien Entscheidungsautonomie, Prestige und indirekt auchnach dem Einkommen.


In der Sozialerhebung ist außerdem nachzulesen, dass "eine hohe Korrelation zwischen der beruflichen Stellung des Vaters und der Bildungsbeteiligung" existiert. Fast drei Viertel der Kinder, deren Vater Beamter ist, beginnen ein Studium. Kinder von Selbständigen oder Freiberuflern studieren zu 60%. Die Bildungsbeteiligung des Nachwuchses aus Angestelltenhaushalten liegt mit 37% deutlich darunter und nur eine Minderheit der Arbeiterkinder gelangt an eine

Hochschule (12%). Die statusabhängigen Unterschiede in der Bildungsbeteiligung haben sich in den letzten Jahren verstärkt, wie u.a. eine Zeitreihe für die alten Länder seit 1985 veranschaulicht. Es ist ein deutlicher Zuwachs bei der Bildungsbeteiligung der Kinder von Beamten und Selbständigen

zu beobachten, während die Quote der Arbeiterkinder nur leicht anstieg bzw. in den letzten Jahren auf niedrigem Niveau stagniert.


Auch das Bewusstsein der Studierenden hat sich – nicht zuletzt aufgrund der Prägung durch den Zeitgeist -- gewandelt. Dieses Bewusstsein ist geprägt durch den (mittlerweile wieder geplatzen) Boom der New Economy: Eine weitgehende Vereinzelung, gnadenlose Selbstausbeutung, Denken in "Projekten" und einem Bewusstsein von der eigenen privilegierten Stellung in der Gesellschaft. Der Umbau der Universitäten wird von diesen personifizierten ICH-AGs in der Regel als Chance für die Förderung der eigenen Karriere begrüßt. Dort, wo diese Förderung aufgrund der äußeren Umstände nicht optimal funktioniert, kann sich vereinzelt ständischer Protest ausbilden, der aber nicht über den Tellerrand der eigenen Partikular-Interessen hinausgeht.


Kennzeichnend für diese Geisteshaltung war beispielsweise eine Diskussion der Fachschafsräte-Vollversammlung im Frühjahr zur Frage, ob die Studierenden der Uni Hannover drei Musterklagen gegen die so genannten Langzeit-Studiengebühren finanziell unterstützen würden. Die Diskussion um diesen Antrag war geprägt davon, dass die Mehrheit der anwesenden Fachschaftsräte eigentlich gar nichts gegen diese Form des Heraussäuberns von "Bummelstudenten" haben. Diese Grundhaltung brach sich Bahn in einer Reihe von von kleinlichen Einwänden, die davon bestimmt waren, ob eine solche Klage überhaupt Aussicht auf Erfolg habe und gipfelten in Aussagen wie "wer während des Studiums schwanger wird, ist selbst schuld" oder "es gibt kein Recht auf ein zweites Studium".


Die Fachschaftsräte, die solche Positionen vertreten, stellen keineswegs die reaktionäre Speerspitze dar. Das weitere Schicksal von mehreren Tausenden Kommilitoninnen und Kommilitonen, die nach Einführung dieser Strafgebühren aufgeben mussten und damit ohne Abschluss und Perspektive auf der Straße stehen, geht der überwiegenden Mehrheit der Studierenden -- auch wenn in Resolutionen manchmal anderslautende Formulierungen zu finden sind -- am Arsch vorbei. Das nahezu völlige Ausbleiben von Protesten gegen die Einführung der Langzeit-Studiengebühren zeigt, das die Fachschaftsräte in dieser Frage nur die Mehrheitsmeinung repräsentieren.


Auch die Ablehnung genereller Studiengebühren steht auf wackeligem Boden. MitteDezember verkündete der konservative Thinktank Centrum für Hochschulentwicklung (CHE ) stolz, eine deutliche Mehrheit der Studierenden in Deutschland ( 59 Prozent )befürworte die Einführung allgemeiner Studiengebühren, wenn die Mittel unmittelbar der Hochschule zugute kämenund die Gebühr erst nach Beendigung des Studiums fällig würde, wenn eine gewisse Einkommensgrenze überschritten wird. Vor drei Jahren soll diese Zahl bei derselben Frage noch 12 Prozentpunkte geringer gewesen sein.


Dazu kommt, dass die politisch aktiven, dass heißt Jusos, PDS und Basis-Fachschaftler, die den Grünen nahe stehen, überhaupt kein Interesse daran haben, "ihre Regierung", die diese Gebühren ja eingeführt hat, durch Proteste zu schwächen. Der Protest richtet sich hauptsächlich gegen die jeweiligen Landesregierung -- exemplarisch sichtbar beispielsweise an den erst in letzter Minute fallengelassenen Plänen, zur Demonstration Mitte November in Hannover mit Wofgang Jüttner und Rebecca Harms zwei hervorragende Vertreter rot-grüner Regierungspolitik als Redner auftreten zu lassen. Die Rolle von Thomas Oppermann, der als SPD-Wissesnchaftsminister die Langzeistudiengebühren in Niedersachsen eingeführt hat, wurde nicht thematisiert.


Unter diesen Umständen fällt uns der Aufruf für einen entschlossenen Kampf um die (immer noch existierenden) Freiräume an den Universitäten (inklusive der Errungenschaften des basisdemokratischen Rätemodells) ziemlich schwer. Grundsätzlich ist es natürlich richtig, solche Freiräume zu verteidigen. Die real existierenden Kräfteverhältnisse machen solche Versuche jedoch zu einem ähnlich aufreibenden Unterfangen, wie linke Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit von Linken im Sumpf des Co-Managements. An den Unis gibt es nur die Grundlage für punktuellen, korporativen Standesprotest und auch den nur wenn die individuelle Schiene gar nicht mehr geht (was konkret hier eher selten der Fall sein wird). Obwohl wir selbst aus der Tradition der studentischen Linken kommen, können wir von einem solchen Versuch unter den gegebenen Umständen nur abraten. Dennoch wollen wir hier keinen platten Anti-Intellektualismus predigen: Der Kampf um Wissen und Wissenschaft muss allerdings wieder außerhalb des Elfenbeinturms ausgetragen werden. Die Hoffnung auf eine -- quasi automatisch fortschrittliche -- Schicht von Linksintellektuellen ist vergeblich.


E. Root