Antifa-AG der Uni
Hannover:
Die
Krise innerhalb der Fatah hat sich nach dem Tod ihres Gründers und Präsidenten
der Autonomiebehörde, Yasser Arafat, weiter verschärft. Es bestehen tiefe
Gegensätze vor allem über die Kompromissbereitschaft gegenüber Israel und den
USA, beim Thema Korruption und einen (zumindest teilweisen) Generationswechsel
im Funktionärsapparat. Die schwere Niederlage bei den Teilkommunalwahlen im
Gaza-Streifen Anfang des Jahres, wo die Hamas einen haushohen Sieg einfuhr, hat
dabei für weitere Brisanz gesorgt und der Nachfolger von Arafat, Mahmud Abbas
(„Abu Mazen“), den die USA offen als „unseren wichtigsten Mann“ im Lager der
Palästinenser bezeichnen, ist weit davon entfernt Al Fatah zu einem neuen
internen Konsens und zu politischen Erfolgen zu führen. Jüngster Ausdruck der
parteiinternen Fraktionskämpfe war der Beschuss von Abbas’ Präsidentensitz in
Rammalah in der Nacht vom 30. auf den 31.März 2005 durch eine Gruppe von
Kämpfern der Al Aqsa-Brigaden, die allgemein als bewaffneter Arm der Fatah
angesehen werden. Die Berichte schwanken bei der Anzahl der Angreifer zwischen
15 und 70 Bewaffneten. Zwar wurde bei diesem offenbar als Protestaktion und
letzte Warnung gemeinten Feuerüberfall niemand verletzt, er führte allerdings
zu heftigen Reaktionen, nicht nur von Abbas.
Der International
Middle East Media Center brachte bereits am 6.3.2005 ein Interview
mit dem seit drei Jahren in Irland im Exil lebenden Führungsmitglied der Al
Aqsa-Brigaden Jihad Ja’ara. Das Interview beschäftigt sich im ersten Teil mit
dem persönlichen Schicksal Ja’aras (u.a. einem kürzlichen Attentatsversuch des
Mossad auf ihn) und im zweiten Teil mit der Lage in Palästina und der Krise der
Fatah. Wir entnahmen es der sehr empfehlenswerten englischsprachigen Website des
IMEMC (www.imemc2.thinkhost.net/).
Interview mit dem exilierten Führer
der Al Aqsa-Brigaden, Jihad Ja’ara
Im April drang die
israelische Armee in Bethlehem ein, umzingelte 40 Tage lang die Geburtskirche
und kreiste damit Dutzende Widerstandskämpfer ein, die sich in der Kirche
befanden. Nach ausgedehnten Verhandlungen und der Intervention verschiedener
internationaler und lokaler Parteien willigte Israel ein, die Belagerung der
Geburtskirche unter bestimmten Bedingungen aufzuheben. Ein wichtiger Aspekt
dieser Bedingungen war die Ausweisung der Widerstandskämpfer nach Gaza und nach
Europa.
Jihad Ja’ara, ein
Widerstandskämpfer der Al Aqsa-Märtyrer-Brigaden, wurde zusammen mit 12 anderen
Kämpfern im Mai 2002 nach Europa deportiert. Zusätzlich zur Deportation von 13
Kämpfern in verschiedene europäische Länder wurde ein Teil der Kämpfer in den
Gaza-Streifen ausgewiesen. Von den nach Europa Deportierten wurden 3 nach
Italien, 3 nach Spanien, 2 nach Griechenland, einer nach Belgien, einer nach
Portugal, einer nach Mauretanien <sic.!> und
zwei nach Irland gebracht. Jihad Ja’ara und Rami Al Kamel wurden nach Irland
deportiert. Der am Bein verletzte Jihad erhielt erst in Europa medizinische
Versorgung. Sein rechtes Bein ist als Ergebnis dieser Verletzung nun 2 cm
kürzer als das linke.
Jüngst berichteten die
irischen Medien, dass lokale Sicherheitsbehörden im Dezember 2004 zwei
Mossad-Agenten ertappten, die <nach Irland> kamen, um
Ja’ara zu ermorden. Die israelischen Sicherheitsdienste bestritten jede
Verbindung zu den Meldungen.
Dieses Interview wurde am
Samstag <den
5.3.2005> kurz nach Mitternacht
geführt.
Vor kurzem gab es
Berichte, die enthüllten, dass der Mossad versucht hat, Dich in Irland zu
ermorden und es gab hier und in Irland mehrere Berichte darüber. Kannst Du uns
erzählen, was passiert ist?
„Die irischen Medien
brachten Berichte, dass der irische Sicherheitsdienst zwei Mitglieder des
israelischen Mossad festgenommen hat, die hierher kamen, um mich umzubringen.
Die Berichte wurden zuerst vom Justizministerium herausgegeben.“
Hast Du die Mossad-Agenten
gesehen? Gelang es ihnen, irgendwo in Deine Nähe zu kommen?
„Nein, ich habe sie nicht
gesehen, aber der irische Sicherheitsdienst hat sie ertappt.“
Sie wurden also
verhaftet, bevor sie den Ort erreichten, an dem Du Dich befindest?
„Ja, es gelang ihnen, sie
festzunehmen, bevor sie ihr geplantes Verbrechen ausführen konnten.“
Hat die irische Regierung
bekannt gegeben, ob diese Agenten jetzt verhört werden? Haben sie irgendwelche
weiteren Informationen über sie herausgegeben?
„Alles, was sie sagten, war,
dass sich die Mossad-Agenten derzeit nicht in Dublin befinden.“
Wie ist die Behandlung,
die Ihr erfahrt? Sind da irgendwelche Wächter um Euch herum?
„Wir haben gute Beziehungen
zu allen hier und können uns frei bewegen. Nachdem diese Meldungen bekannt
wurden, sind allerdings viele Sicherheitsleute hierher geschickt worden. Vor
ungefähr einer Stunde verkündete ein führender Sicherheitsbeamter, dass sie
beschlossen haben, mir permanent Leibwächter zur Seite zu stellen – zu meinem
eigenen Schutz.“
Schränken diese
Leibwächter Deine Bewegungsfreiheit ein? Stört Dich ihre Anwesenheit?
„Nein, nicht wirklich. Sie
beschützen mich.“
In welchem Rahmen und
welcher Art von Übereinkunft erwartest Du nach Palästina zurückzukehren?
„Ich kümmere mich nicht um
Übereinkünfte. Ich werde nicht unter israelischen Bedingungen nach Palästina
zurückkehren. Ich werde frei zurückkehren.“
Bedeutet das, dass Du
solange nicht nach Palästina zurückkehren wirst, bis es ein freies Land ist?
„Ich bin bereit in jeden
Teil Palästinas zurückzukehren, aber ohne irgendwelche Vorbedingungen. Ich
werde nicht akzeptieren, durch ihre Bedingungen gebunden zu sein. Ich werde
keinerlei Papier unterschreiben.“
Hat die Palästinensische Autonomiebehörde
(Palestinian Authority) Kontakt mit Euch aufgenommen? Verfolgen sie Euren
Fall? Informieren sie Euch über die Entwicklungen?
„<Der palästinensische
Chefunterhändler> Dr. Saeb Erekat
kontaktiert uns immer. Ich rede ständig mit ihm.“
Informiert er Euch über
alles?
„Ja, ich persönlich
betrachte ihn als den besten Unterhändler. Er ist sauber.“
Gelingt es Euch, mit den
anderen Deportierten zu sprechen?
„Ja, wir stehen alle
untereinander in ständigem Kontakt.“
Um zur politischen Agenda
zu kommen: Was meinst Du zu Sharons Entsetzungsplan?
„Dieser Plan und jeder
Rückzug findet als Ergebnis des Widerstandes statt. Das ist kein guter Wille
von Sharon. Das ist das Ergebnis kontinuierlichen Widerstandes.“
Letzte Woche gab es einen
Selbstmordanschlag (a suicide bombing) <des
Islamischen Jihad> in Tel Aviv.
Wie lautet Dein Kommentar zu diesem Bombenanschlag?
„Das ist eine natürliche
Reaktion. Die israelischen Verletzungen der Waffenruhe hören nicht auf. Die
israelische Armee hält sich an keine Waffenruhe. Militärische Operationen
werden fortgesetzt. Es gibt Einmärsche und Verhaftungen.“
Glaubst Du, dass Israel
Dich verhaften wird, wenn Du zurückkehrst, auch wenn es etwas anderes
verspricht?
„Wir trauen der Besatzung nicht.
Ich glaube, sie werden keine Versprechen einhalten.“
Israel hat angekündigt,
dass es bereit ist, palästinensische Gefangene zu entlassen – als Geste des
guten Willens, wie sie es nennen. Wie kommentierst Du das?
„Die Gefangenen frei zu
lassen, ist eine der Forderungen des Widerstandes. Wenn Israel wirklich Frieden
will, sollten sie tun, was der Widerstand will. Und der Widerstand will die
sofortige, bedingungslose Freilassung der Gefangenen.“
Glaubst Du, dass Israel
sich zurückziehen und die palästinensischen Gebiete der Autonomiebehörde
übergeben wird?
„Ich traue der Besatzung und
den israelischen Ankündigungen solange nicht, wie sie weiter reden, ohne die
Dinge umzusetzen.“
Was meinst Du zu den
internen Gesprächen zwischen den palästinensischen Fraktionen in Kairo?
„Ich lehne jeden Druck von
außen auf unsere Widerstandsgruppen ab. Die Parteien sollten sich hier in
Palästina ohne jeden äußeren Druck zusammensetzen.“
Äußeren Druck? Beziehst
Du Dich auf die USA oder auf arabischen Druck?
„Auf beides.“
Wenn Ihr aufgefordert
würdet, Mitglied der Sicherheitsdienste der Palästinensischen Autonomiebehörde
zu werden, wärt Ihr dann dazu bereit?
„Nein, das wären wir nicht.
Wir sind Söhne der Autonomiebehörde (Palestinian Authority) und die
meisten der Widerstandskämpfer sind Teil der Autonomiebehörde <in dem Sinne, dass sie die
Osloer Abkommen teilen>, aber wir
werden nicht akzeptieren, Teil eines Komplottes gegen unser Volk zu sein.“
Wer betreibt dieses
Komplott, von dem Du sprichst?
„Da gibt es einige Leute,
die von den USA gekauft wurden, die in ihrem Namen sprechen und ein
amerikanisch-israelisches Komplott gegen unser Volk begehen wollen.“
Wie lauten Deine
Forderungen?
„Das sind die Forderungen
der Palästinenser, die Besatzung zu beenden und den freien und unabhängigen
Staat zu errichten.“
Glaubst Du, dass die
Parlamentswahlen das Korruptionsproblem lösen werden?
„Wir hoffen, dass unser Volk
das Beste / den Besten wählen wird. Aber ich glaube nicht, dass dies geschieht.
Mächtige, von den Vereinigten Staaten unterstützte Personen werden sich bei den
Wahlen durchsetzen und versuchen, die Leute zu benutzen oder ihre Stimmen zu
kaufen.“
Was meinst Du zu den in
einigen palästinensischen Gebieten unlängst abgehaltenen Gemeinderatswahlen?
Und zu den Ergebnissen?
„Korrupte Personen innerhalb
der Fatah sollten für die dürftigen Ergebnisse der Fatah verantwortlich gemacht
werden. Diese Personen werden die Fatah noch zerstören, nur um persönliche
Vorteile zu erlangen.“
Was tut die Jugend der
Fatah dagegen? Warum entfernen sie die korrupten Personen nicht, von denen Du
sprichst?
„Sie versuchen es, aber leider
sind sie mit der Drohung eines Ausschlusses aus der Bewegung konfrontiert. Sie
bedrohen sogar <den
in Israel inhaftierten Fatah-Sekretär für das Westjordanland> Marwan Barghuti, aber wir werden bleiben. Wir werden
solange kämpfen bis unsere verlorene Fatah wiederhergestellt ist.“
Wer sollte für die
mangelnde Einheit zwischen den palästinensischen Bewegungen verantwortlich
gemacht werden?
„Die Führungen dieser
Bewegungen. Nicht die Mitglieder. Die Führer handeln in ihrem eigenen
Interesse. Sie kümmern sich um nichts anderes.“
Wie lautet Deine
Botschaft an die Palästinenser?
„Wir wurden frei geboren und
wir werden frei bleiben!“
Was willst Du den
Israelis sagen?
„Ihre Kinder können solange
keine Sicherheit genießen wie die palästinensischen Kinder es nicht können.“
Was meinst Du zu den
internationalen Aktivisten, die sich mit Euch zusammen in die Geburtskirche
begaben?
„Das sind Kämpfer gegen
Unterdrückung.“
Glaubst Du, dass die
Verhandlungen, die Euch aus der Belagerung in der Kirche befreiten, fair waren?
„Ja, wir waren Opfer von
Leuten, die nichts anderes wollten als das Problem loszuwerden.“
Euch loszuwerden?
„Sie wollten die Krise
loswerden und die Krise loswerden bedeutet, uns loszuwerden.“
Macht die Fatah eine
innere Krise durch? Denkst Du, dass sie sich spalten wird?
„Al Fatah leidet an Krebs,
nicht an einer Krise.“
Dann ist das Problem
größer. Kann es den Kollaps der Bewegung verursachen?
„Ja und das ist der Grund,
warum ich Dir gesagt habe: Wir werden darum kämpfen, unsere ‚gestohlene Fatah’
wiederherzustellen.“
Ihr werdet kämpfen (struggle),
aber Ihr werdet keine bewaffnete Auseinandersetzung führen (not fight) ?
„Wir werden niemandem
erlauben, seine Waffe gegen ‚das palästinensische Herz’ einzusetzen. Wir sind
gegen jede interne bewaffnete Auseinandersetzung.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover