Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:


Wie an dieser Stelle bereits angekündigt, wollen wir hier in loser Folge Übersetzungen der wichtigsten Artikel aus der Nullnummer der Zeitung “COBAS” (Giornale della Confederazione Cobas) veröffentlichen, die der größte Zusammenschluß der unabhängigen, linken, gewerkschaftlichen Basiskomitees (Comitati di base = Cobas) in Italien Anfang November 2002 aus Anlaß des Europäischen Sozialforums in Florenz herausbrachte. Nachfolgend daher der Leitartikel besagter Zeitung, der sich mit der Frage beschäftigt, welche Art von außerparlamentarischer Bewegung Italien nach Ansicht der Confederazione Cobas nötig hat.


(Dabei haben wir auch diesmal darauf verzichtet, den Artikel sprachlich “glatt zu bügeln”, um auch über den Sprachgebrauch einen Einblick in die Denkweise der COBAS-Kollegen und –Genossen zu erlauben. Erläuternde Einfügungen in eckigen Klammern waren allerdings an diversen Stellen zum besseren Verständnis notwendig.)




Für eine antikapitalistische und Antikriegsbewegung


Pino Giampietro


Der Generalstreik am 18. Oktober liegt hinter uns. Millionen Arbeiter/innen, prekär Beschäftigte und Arbeitslose, Schüler, Studenten und Rentner sowie Immigranten haben den Aufruf zum Kampf gegen den “Pakt für Italien” und zur Verteidigung des <Kündigungsschutz-> Artikels 18, gegen Berlusconis Haushalt 2003, gegen die Vollmachtgesetze bezüglich Arbeitsmarkt, Schule, Vorsorge und Fiskus, in Solidarität mit den von Entlassung bedrohten FIAT-Arbeitern sowie gegen das Bossi/Fini-Sklavenhaltergesetz befolgt.


Und (eine echte Neuheit !) zu Millionen haben sie gestreikt und demonstriert, um die Militäraggression gegen das irakische Volk (die x’te Etappe des unendlichen Krieges von Bush, Blair und Berlusconi) zu verhindern. Die Herausforderung war nicht einfach. Auf dem Generalstreik lastete lange Zeit das Schweigen der Massenmedien und er wurde durch die drohenden Bannflüche der Regierung und der <kleineren sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftsbünde> CISL und UIL belastet sowie durch die gedämpfteren Bannflüche eines Gutteiles der mitte-linken “Opposition”. Aber der erneuerte konfliktorientierte Protagonismus derjenigen, die ohne Macht und Eigentum sind, hat jede Einschüchterung zurückgewiesen. Die Herausforderung wurde bestanden.


An jenem Tag der allgemeinen Herausforderung zwischen Kapital und Arbeit hat sich eine bedeutende Auseinandersetzung abgespielt. Einerseits die Demonstrationen der CGIL, andererseits jene der COBAS und der Basisgewerkschaftsbewegung.


Im September hatte die Confederazione COBAS über einen in <den linken italienischen Tageszeitungen> “il manifesto”, “Liberazione” und “l’Unità” veröffentlichten Offenen Brief einen Appell an die CGIL gerichtet, damit diese über die Möglichkeit gemeinsamer Demonstrationen bezüglich einiger beiderseits geteilter Ziele (in Sachen Krieg, Artikel 18, Privatisierung von Schul- und Gesundheitswesen, das Bossi/Fini-Einwanderungsgesetz, Löhne, Renten, Prekarisierung der Arbeit und gewerkschaftliche Freiheiten) nachdenkt, auf die sich Berlusconis Angriff konzentriert. Ein Angriff, der durch die, von den vorangegangenen Olivenbaum-Regierungen und die sozialpartnerschaftlichen Abkommen mit CGIL-CISL-UIL beschlossenen, Maßnahmen erleichtert wurde.


Die Antwort war Schweigen. Zur Entschädigung hat <der neue CGIL-Generalsekretär> Epifani im Einklang mit seinem Vorgänger <Cofferati> aus vollen Rohren gegen die Referenden zur Ausdehnung des Artikels 18, zur Streichung des Gesetzes zur Gleichstellung von öffentlichen und Privatschulen und zur Verteidigung der Gesundheit und der Umwelt geschossen und erklärt, daß sich die CGIL bei der Volksabstimmung über die Referenden im kommenden Frühjahr enthalten oder dagegen stimmen wird.


Wir hatten jenen Brief geschrieben, weil wir von vielen Arbeiterinnen und Arbeitern und von verschiedenen Teilen der anti-wirtschaftsliberalen Bewegung, denen das Problem der Einheit am Herzen lag, dazu aufgerufen worden waren.


Wir haben ihn geschrieben, damit die Fragen, um die es geht, klar sind, damit man nicht gegen den Regen des schrecklichen “sozialen Dialoges” von Regierung und CISL/UIL kämpft, um in die Traufe der Konzertierten Aktion zu kommen, die weiterhin der strategische Horizont der CGIL bleibt und die heute in vielen branchenweiten oder betrieblichen Verlustabkommen weiter praktiziert wird.


Daher die Entscheidung für alternative Demonstrationen.


Es ging nicht darum, auf der Ebene der Zahlen mit den Demonstrationszügen der CGIL zu konkurrieren und auch nicht um die Selbstdarstellung des eigenen Vorgartens, sondern darum innerhalb der allgemeineren Kampfbewegung gegen die volksfeindliche und kriegstreiberische Politik der Regierung Berlusconi eine politisch-gewerkschaftlich-soziale Opposition ins Leben zu rufen, die heute noch eine Minderheit, aber nicht minoritär ist und sich <darüberhinaus> durch Antagonismus und Antikapitalismus auszeichnet.


Wir haben an jenem Aktionstag in 22 Städten alternative Demonstrationen organisiert, an denen 300 000 Arbeiterinnen und Arbeiter teilnahmen. Es ist uns gelungen bedeutende Elemente der sozialen Forderungsplattform, wie die Ausdehnung des Artikels 18 auf Alle, die europäischen Löhne, die Wiederherstellung eines automatischen scala mobile-Mechanismus <d.h. der gleitenden Anpassung der Löhne an die Inflation, um in Tarifrunden nur noch für Zugewinne streiten zu müssen>, die Einkommensgarantie für prekär Beschäftigte und Arbeitslose, die Ablehnung jeder Privatisierung, die Generalisierung der gewerkschaftlichen und Streikfreiheiten sowie die Gleichheit von Immigranten und Italienern, auf Massenebene zu übertragen.


Wir haben unseren dritten Generalstreik des Jahres 2002 (nach jenen vom 15.Februar und dem vom 16.April) in einen Mobilisierungsprozeß gegen den Haushalt 2003 eingefügt, der uns im November und Dezember zu weiteren Streikterminen und Kämpfen gegen die Privatisierungen in der Schule und im Gesundheitswesen führen muß, um die Sätze der veranschlagten Inflation bei der Erneuerung der Tarifverträge des öffentlichen Dienstes zu übertreffen und um die Entlassungen bei FIAT und in der Zulieferindustrie zu verhindern.


Wir haben erneut volle Solidarität mit der Sache des gepeinigten palästinensischen Volkes bekundet, ohne uns in einer unmöglichen gleichen Distanz ihnen wie dem israelischen Staat und der israelischen Regierung gegenüber zu üben.


Wir haben unser riesengroßes NEIN zum unendlichen Krieg von Bush-Blair-Berlusconi gegen das irakische Volk mit oder ohne die Zustimmung der UNO, mit oder ohne die äußere Schicht des Olivenbaum-Bündnisses bekräftigt. Und wir haben begonnen die ersten Schritte hin zu einem EUROPÄISCHEN GENERALSTREIK GEGEN DEN KRIEG zu machen.


Wir haben die Gründe für den Streik am 18.Oktober mit den Gründen des allgemeineren Kampfes gegen die kapitalistische Globalisierung verbunden. Die alternativen Demonstrationen und Kundgebungen des Generalstreikes haben eine ideelle und konkrete Brücke zu den Tagen des Europäischen Sozialforums in Florenz vom 6.-10.November geschlagen.


Wir haben die Verknüpfung der Fäden zur Schaffung eines selbstorganisierten, antagonistischen und antikapitalistischen politisch-gewerkschaftlich-sozialen Netzwerkes fortgesetzt, das die unversöhnliche Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit, die Behauptung der sozialen und individuellen Rechte, das Recht auf Einkommen, auf Bildung, auf Gesundheit, auf den Schutz der Umwelt, die Gleichheit von Einheimischen und Migranten, die Selbstbestimmung der Völker und die totale Ablehnung des Krieges in den Mittelpunkt des eigenen konfliktorientierten Projektes gestellt.


Das ist nicht wenig, aber es genügt nicht.


Es genügt nicht, weil wir uns der Grenzen unserer Verankerung in verschiedenen Teilen der Arbeitswelt und vor allem im ausgedehnten und zerklüfteten Bereich der sozialen Prekarität bewußt sind. Grenzen, die zu überschreiten wir uns bemühen, die wir aber nicht allein überwinden können.


Deshalb wenden wir uns insbesondere an all jene konfliktorientierten Subjekte, die die Situation eines “atypischen” Arbeiters am eigenen Leib erleben, damit eine wirkliche Debatte über die Kampfvorschläge und –praktiken, über die grundlegenden angestrebten Ziele (bei Lohn / Einkommen, Arbeitszeit, gewerkschaftlichen Freiheiten...) und das zu verfolgende Organisationsmodell beginnt, um eine differenzierte und plurale Kampfbewegung der Prekären zu schaffen, die jenseits der Episodenhaftigkeit Aufsehen erregender und propagandistischer Aktionen versteht, sich Kontinuität zu verleihen und die eigenen Wege des täglichen Kampfes selbst zu bestimmen und die es versteht, die Verantwortung für eine grundlegende politische Entscheidung innerhalb der allgemeinen Perspektive des Selbstorganisationsprozesses der Arbeitswelt zu übernehmen.


Mit diesem Gepäck zu verallgemeinernder Kampferfahrungen, politischer Vorschlägen und Mobilisierungen nehmen wir am Europäischen Sozialforum vom 6.-10.November in Florenz teil, bei dem wir die Absicht haben, uns mit denjenigen auseinander zu setzen, die jeden Tag gegen die Ausbeutung kämpfen; mit denen, die sich gegen die Logik des Profites und der Vermarktung wehren; mit denen, die gegen die Verwüstung der Territorien und die Zerstörung der Umwelt kämpfen und mit denen, die gegen den Krieg, den Rassismus und die imperialistische Unterdrückung rebellieren.


Die Tage von Florenz sind sehr wichtig für eine wirkliche Auseinandersetzung innerhalb der anti-wirtschaftsliberalen Bewegung; um die Kampfkampagnen gegen die vielfältigen Aspekte der kapitalistischen Globalisierung neu zu lancieren und auszuweiten; um eine europäische soziale <Forderungs-> Plattform zu entwerfen und anzufangen eine kontinentale <Tarif-> Auseinandersetzung um Lohn / Einkommen und Arbeitszeit sowie gegen die Privatisierung des Bildungswesens, des Gesundheitswesens und der Dienstleistungen zu entwerfen und um den Kampf gegen den Krieg zu intensivieren. Florenz ist eine erste entscheidende Kreuzung damit es zum europäischen Generalstreik gegen den Krieg kommt.


Nach mehr als 11 Jahren völkermörderischen Embargos rückt Bush’s präventiver Krieg gegen den Irak immer näher. Die Einbeziehung der UNO ist nur ein taktischer Taschenspielertrick, um die widerspenstigen Verbündeten zum Schweigen zu bringen. Die Verlegung von Truppen und Flugzeugträgern an die irakischen Grenzen, die Militärmanöver in Jordanien und die Arroganz, mit der man Druck auf den Sicherheitsrat ausübt, um die Zustimmung zur Resolution der USA zu erreichen, die faktisch dem Krieg grünes Licht gibt – das alles läßt erahnen, daß der US-Imperialismus dabei ist, das x’te terroristische Staatsmassaker an einer fast wehrlosen Bevölkerung auf den Weg zu bringen.


Es wäre deshalb idiotisch für eine nicht-militärische Lösung der Krise auf die UNO und die internationale Diplomatie zu vertrauen. Nur eine gigantische internationale Volksmobilisierung gegen den Krieg kann ihn vielleicht verhindern.


In Florenz müssen wir diese enorme Verantwortung kollektiv auf uns nehmen. Es sind zahlreiche Initiativen durchzuführen. Unter diesen ist der europäische Generalstreik gegen den Krieg das – materialistisch betrachtet – wirkungsvollste Instrument, um zu versuchen den Kriegskurs aufzuhalten.


Die Confederazione COBAS hat zusammen mit dem Movimento Antagonista Toscano (Toskanische Antagonistische Bewegung), mit Globalize Resistance, dem griechischen Sozialforum und anderen italienischen und europäischen antagonistischen Bereichen am Eröffnungstag des Forums die Demonstration an der, zwischen Pisa und Livorno gelegenen, Base Camp Darby organisiert. Das ist nicht irgendeine Militärbasis, sondern vielmehr eine im Kriegsfall voll operative US-Militärbasis. Entgegen dem, was Bush gemäß dem (in “Die Strategie der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika” enthaltenen) neuen imperialistischen Yankee-Evangelium mit grotesker Zudringlichkeit behaupten läßt, nämlich daß “die Anwesenheit der amerikanischen Streitkräfte im Ausland eines der grundlegendsten Symbole der Hingabe der Vereinigten Staaten gegenüber den Freunden und den Verbündeten ist”, ist sie für uns hingegen ein entsetzliches Symbol des Krieges.


Deshalb ist es wichtig am 6.November in Camp Darby zu demonstrieren.


Es wird eine friedliche Demonstration. So friedlich wie die anderen Tage des Europäischen Forums.


Aber die Regierung Berlusconi hat sich den Helm fester aufgesetzt und bereits mit der Strategie der Provokation begonnen. Der Innenminister Pisanu entwirft – unterstützt von einem Gutteil der Medien – apokalyptische Szenarien: Florenz wie Genua in den Tagen des G8-Gipfels, Florenz durch die Schwarzen Blöcke mit Feuer und Schwert vernichtet. Die COBAS und der Movimento Antagonista im Visier der Polizeikräfte.


Die Absicht ist, das Forum scheitern zu lassen und damit seine Verschiebung / Verlegung durchzusetzen.


Es ist ein alter Film, den man bereits im vergangenen Jahr in Genua gesehen hat. Dieses mal gibt es jedoch keinen G8-Gipfel gegen den zu protestieren oder der – vom entgegengesetzten Standpunkt aus – zu verteidigen ist. Die reaktionäre, scharfmacherische Arroganz der Regierung hat nicht einmal einen Vorwand, an den sie sich klammern kann.


Deshalb weisen wir die Provokation an den Absender zurück. Das Europäische Sozialforum wird in den dafür vorgesehenen Tagen in Florenz stattfinden.


Die COBAS werden zusammen mit der antagonistischen Bewegung die Demonstration in Camp Darby durchführen.


Die COBAS werden – darüberhinaus, daß sie an allen Diskussionsveranstaltungen des Sozialforums teilnehmen werden – autonom 6 Seminare zur Vertiefung <bestimmter Thematiken> organisieren. Sie werden aktiv an den täglich vom Movimento Antagoista Toscano organisierten thematischen Kundgebungen teilnehmen, die den Protagonisten der Kampfprozesse gegen die kapitalistische und imperialistische Unterdrückung von den brasilianischen <Landlosen> Sem Terra bis zu den argentinischen Piqueteros <militanten organisierten Arbeitslosen / Streikposten>, von den Militanten der Via Campesina bis zu den palästinensischen, baskischen, kolumbianischen, kurdischen, guatemaltekischen ... Militanten in erster Person Stimme verleihen werden.


Die COBAS und die antagonistische Bewegung werden am 9.November einen der Demonstrationszüge ins Leben rufen, die in einer der größten europäischen Demonstrationen gegen den Krieg durch Florenz ziehen werden.


Wir sind nicht bereit irgendwelche Verbote, Verschiebungen und Erpressungen hinzunehmen.


In Florenz haben wir keinem G8-Gipfel entgegenzutreten und auch keine Laufstege, auf denen wir uns in Szene setzen müssen. Florenz ist eine weitere notwendige Passage, um den Krieg aufzuhalten, um die Grundlagen für die Schaffung eines nationalen und internationalen antikapitalistischen sozialen Netzwerkes zu schaffen und um die gewaltige Idee neu zu lancieren, daß eine andere Welt möglich und unbedingt notwendig ist.



Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover