Antifa-AG der Uni Hannover:


Die Editoriale in der dem Partito della Rifondazione Comunista (PRC) gehörenden kleinen Tageszeitung “Liberazione” sind nicht bloß Kommentare der Redaktion zum Zeitgeschehen, sondern in der Regel auch der Weg auf dem sich die Führung von Rifondazione an die Parteikader und das Umfeld wendet und die aktuellen Orientierungen zu den drängenden politischen Fragen ausgibt. Dies wird schon dadurch deutlich, daß diese Editoriale häufig von Leitungsmitgliedern verfaßt werden, die der Redaktion gar nicht angehören. So auch in diesem Fall, in dem sich das Mitglied der 38köpfigen Nationalen Leitung des PRC, Gennaro Migliore, in “Liberazione” vom 30.8.2002 zur “alternativen Linken” in Europa und zu den anstehenden Herbstmobilisierungen in Italien äußert.



Der Kommentar:


Europa: Alternative Linke


Gennaro Migliore


Nach der Unterzeichnung der Maastrichter Abkommen und des bis jetzt wirklich verfassunggebenden Einigungsprozesses der Europäischen Union bzw. der monetären Vereinigung hat sich eine außerordentliche Diskrepanz zwischen der euo-optimistischen Rhetorik der Apologeten des Wirtschaftsliberalismus und der sozialen Realität entwickelt, die in den Ländern der Union konkret bestimmend geworden ist. Der Prozeß ist leider von den Kräften der Mitte-Linken eingeleitet worden, die den Stabilitätspakt als einen Fetisch der Ideologie des Marktes benutzt und daraus die Keule zur Durchsetzung der Privatisierungen und der Deregulierung des Arbeitsmarktes gemacht haben. Heute hat der Sieg der Rechten den Angriff auf die Welt der Arbeit verschärft und ist konkret dabei, den Import des von Korporativismus, Kürzungen der Sozialausgaben und Aggressivität gegenüber den schwächsten Subjekten durchsetzten nordamerikanischen Sozialmodells vorzuschlagen.


Wir wohnen somit einer fortschreitenden Zunahme der Bedeutung des europäischen Kontextes bei, während auf der politischen Ebene weder wirklich demokratische institutionelle Kontexte existieren (es genügt daran zu erinnern, daß die wichtigsten Entscheidungen von den Regierungen und vor allem von der Europäischen Zentralbank gefällt werden) noch die politischen (insbesondere die linken) Vertretungen vorhanden sind, die fähig sind, dem Niveau der Auseinandersetzung zu begegnen.


Die Dringlichkeit einer Antwort auf die effektiven Vereinigungsprozesse der Europäischen Union und das Entstehen einer neuen Subjektivität, wie jener der Antiglobalisierungsbewegung haben jedoch das Thema eines gemeinsamen Handelns der Kräfte der alternativen Linken <auf die Tagesordnung> gesetzt. Nach <den Anti-G8-Protesten im Juli 2001 in> Genua und nach dem Wachstum der Friedensbewegung ist das Verhältnis zur Bewegung für den größten Teil der Kräfte der alternativen Linken zu einer unausweichlichen, zentralen Angelegenheit geworden. Der Neuaufschwung eines sozialen Konfliktes unter gewerkschaftlicher Führung, sei es in den aufsehenerregenderen Formen (wie den Generalstreiks in Italien und Spanien) oder in denen, die mehr die Form einer Tarifauseinandersetzung haben (wie im Falle Englands und des Metallarbeiterstreikes in Deutschland), ist in starkem Maße der Antiglobalisierungsbewegung zu verdanken. Sie hat die Grundlagen eines so radikalen Protestes gelegt. Bis dahin, daß sie eine andere mögliche Welt reklamiert und einen politischen und sozialen Kampf vorgeschlagen hat, der mit dem herrschenden System nicht kompatibel gemacht werden kann. Kurz, auch ohne daß es direkt benannt wird, steht objektiv das Thema der Erschöpfung der reformistischen Spielräume in dieser Phase der Auseinandersetzung mit dem Kapital auf der Tagesordnung.


Die Linke der <gesellschaftlichen> Alternative in Europa benötigt somit eine zu den Sozialdemokratien alternative Strategie. Sie wird aber auch eine praktische Kritik der zeitgenössischen Gesellschaft betreiben müssen. Heute kann nur eine echte linke Alternative der Politik wieder Sinn geben und wieder eine - im Europa des Marktes negierte - wirkliche soziale Gerechtigkeit anbieten. Es gibt sowohl die Subjekte wie die Gelegenheiten, um dieses Unternehmen, von dessen Ausgang für die Zukunft der Linken insgesamt viel abhängt, in die Tat umzusetzen. Vor allem die Opposition gegen die Intervention im Irak, die nicht allein der - wenn auch fundamentalen - Stimme der deutschen Regierung anvertraut werden kann. Deshalb müssen sich die Massendemonstrationen (wie jene von unserer Partei und von den englischen Pazifisten in Rom und in London für den 28.September angesetzten) vervielfachen. Außerdem müssen die unterschiedlichen Oppositionen, die im Herbst Protagonisten auf der politisch-gesellschaftlichen Bühne sein werden, durchquert werden: jene gegen die volksfeindliche Politik und jene zur Behauptung der demokratischen Rechte. Und dann werden der kommende Generalstreik sowie das Europäische Sozialforum konkret die Termine sein, an denen man wirklich ausprobieren kann, was ein reales Kampf- und Einheitsinstrument der Subjekte des Konfliktes in dieser, ebenso dramatischen wie von Veränderungsversprechen vollen, politischen Phase ist.


30. August 2002



Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover