Antifa-AG der Uni Hannover:
Der in Nadschaf, aber auch in Bagdad und anderswo stattfindende
Kampf zwischen den Milizionären der Bewegung von Moqtada
al-Sadr auf der einen und US-Eliteeinheiten und ihrer
irakischen Hilfstruppe auf der anderen ist gegenwärtig eines der Hauptthemen
der Nachrichtensendungen. Der folgende Beitrag von Michael Pröbsting
von der österreichischen, trotzkistischen Gruppe ArbeiterInnenstandpunkt
versucht jenseits der üblichen Stigmatisierungen und Dämonisierungen eine
nüchterne marxistische Analyse der al-Sadr-Bewegung.
Wir dokumentieren sie weil wir finden, dass sie einen interessanten Beitrag zur
Klärung dieses Phänomens darstellt, auch wenn wir nicht alle Aspekte seiner
Einschätzung teilen.
Wir
entnahmen sie dem Labournet Austria (www.labournetaustria.at). Zuerst
erschien sie im „Red Newsletter“ Nr.120 vom 17.8.2004.
Näheres zur Gruppe ArbeiterInnenstandpunkt findet
sich unter: www.arbeiterInnenstandpunkt.net
Die al-Sadr-Bewegung –
eine marxistische
Charakterisierung
Im Folgenden veröffentlichen
wir einen Auszug unserer im Mai veröffentlichten Broschüre "Der
Volksaufstand im Irak. Hintergrund, Ursachen und Perspektiven". (Mehr zur
Broschüre siehe unten!) Die hier wiedergegebenen Kapitel behandeln vor allem
die al-Sadr-Bewegung und versuchen, sie von einem
marxistischen Klassenstandpunkt her zu charakterisieren.
Es liegt auf der Hand, daß zwischen einer solchen Analyse und dem geistigen
Delirium eines antinationalen Hetzers wie Thomas von der
Osten-Sacken Welten klaffen. ("Sadr-Miliz: Der Feind im Land"; Jungle World, Nummer 34 vom 11. August 2004;
www.jungle-world.com) Aber wir unterscheiden uns auch von den Analysen der GenossInnen der Antiimperialistischen Koordination (AIK),
die in al-Sadr einen, wenn auch vielleicht
inkonsequenten, Kämpfer gegen den Imperialismus sehen.
Der Schlüssel zur
marxistischen Herangehensweise an religiöse, kleinbürgerliche Bewegungen, die
gegen die Unterdrückung durch eine imperialistische Macht Widerstand leisten,
liegt darin, hinter der religiösen Rhetorik ihre objektive Klassenbasis und
deren präzise Konfliktlinien mit dem Imperialismus auszumachen. Dabei zeigen
sich dann auch die Grenzen ihres Widerstandspotentials (siehe z.B. die
Entwicklung von Khomeinis Iran von der Konfrontation zur friedlichen Koexistenz
mit
dem Imperialismus). Dies
zeigte sich im übrigen gerade auch in den letzten
Monaten. Al-Sadr selbst mußte
laut der arabischen Zeitung Al-Zaman zugeben, daß er sich in den letzten 2 Monaten weitgehend zurückzog,
da seine Bewegung wegen großer internen Differenzen
gespalten war. Teile drängten auf stärkere Zurückhaltung gegen die
Besatzungsmacht - so brach der geistige Mentor al-Sadrs,
der im Iran lebenden Ayatollah Kadhim al-Haeri, mit ihm. Andere Teile wiederum drängen auf einen
konsequenteren Widerstand.
Letztlich aber ist das
Kleinbürgertum - und der radikale Islamismus einer al-Sadr-Bewegung
ist vor allem ein politischer Ausdruck des radikalisierten Kleinbürgertums, das
in Konflikt mit einer imperialistischen Großmacht gerät - zu einem konsequenten
Kampf nicht fähig. Früher oder später wird sich es sich mit dem Imperialismus
arrangieren.
Weiter zeigt eine solche
Analyse auch, wo überall die Interessen der Arbeiter, Bauern, der Frauen und
der Jugend mit den Islamisten in Widerspruch geraten
(von Angriffen auf linke Parteien und Gewerkschaften angefangen bis hin zu
Kampagnen gegen den Verkauf von Alkohol oder für den Verschleierungszwang).
Aus all dem ergibt sich die
Notwendigkeit der unabhängigen Organisierung der ArbeiterInnenklasse
und des politischen Kampfes gegen die Islamisten –
bei vollständiger militärischer und praktischer Unterstützung ihres Kampfes
gegen den Imperialismus. Nur wenn das Proletariat die Führung des nationalen
Befreiungskampfes übernimmt, kann dieser Kampf konsequent zu Ende geführt
werden. Und er kann nur dann konsequent enden, wenn er mit der sozialen
Revolution gegen das kapitalistische Ausbeutersystem zusammenfällt.
Noch eine abschließende
Bemerkung: Worauf wir in unserer Analyse besonderen Wert legen, ist – im
Unterschied zu den zumeist dumpfen Analysen in den bürgerlichen Medien – die in
der Rhetorik eines al-Sadr unter dem Schleier
religiöser Sermone zum Ausdruck kommende Ablehnung und Kampfbereitschaft der
verarmten Massen gegen die imperialistische Besatzung.
Dies wird gerade in den
jüngsten Aussagen al-Sadrs deutlich: so sprach er
vergangene Woche vom Erfolg der USA bei ihrem Projekt der "Globalisierung
der Welt". Dagegen gelte es Widerstand zu organisieren, nicht "nur im
Irak, sondern überall, wo Völker unter Unterdrückung leiden." Den Angriff
auf Najaf verurteilt er als Attacke "nicht nur
auf die al-Sadr-Bewegung, sondern alle ehrenhaften
Menschen im Irak und jeden, der Besatzung und Kolonialismus ablehnt."
Diesen religiös motivierten
"Antiimperialismus" gilt es weder stumpfsinnig zu verleumden, noch
unkritisch wiederzugeben. Vielmehr erfordert eine marxistische
Herangehensweise, den darin zum Ausdruck kommenden Wunsch der Massen nach einem
friedlichen Zusammenleben der Völker, der nationalen Befreiung und
Unabhängigkeit und dem Ende der Besatzung zu sehen. Dieses sehr irdische
Verlangen – und nicht die Ausmalungen des Himmelreiches – steht für uns im
Vordergrund und ihm gilt unsere uneingeschränkte Solidarität als
internationalistische
RevolutionärInnen.
***
Das politische Spektrum der Schiiten
In den bürgerlichen Medien
wird der Aufstand zumeist als ein Werk des Schiitenführers Moktada
al Sadr sowie sunnitischer Fundamentalisten bzw. Anhänger des alten
Saddam-Regimes dargestellt. In der Tat spielt die Bewegung von al Sadr sowie
seine Mahdi-Armee eine zentrale Rolle, auch wenn der Aufstand im wesentlichen ein spontanes Ereignis ist. Beginnen wir mit
einer knappen Charakterisierung des schiitischen politischen Spektrums.
Der anerkannteste
religiöse Führer ist Ayatollah Ali al-Sistani, der jedoch
über keine organisierte politische Kraft verfügt. Allerdings haben die jüngsten
Auseinandersetzungen um die Frage des Wahltermins gezeigt, daß
al-Sistani über eine große Mobilisierungsfähigkeit
verfügt. Desweiteren darf man auch nicht vergessen, daß die islamisch-religiöse Bewegung alleine schon durch
das System der Imame einen Apparat besitzen. Diese
Imame halten die Freitagsgebete in den Moscheen, deren zentrale Botschaften die
ihnen übergeordneten Ayatollahs bestimmen. Dies ermöglicht ihnen eine
erhebliche Mobilisierungskraft. Dieser Apparat kontrolliert auch die nicht
unbeträchtlichen Geldsummen, die durch
Spenden u.ä.
eingenommen werden.
An dieser Stelle muß man jedoch anmerken, daß der
Islam allgemein – also sowohl Sunniten als auch Schiiten – weit weniger
zentralistisch organisiert ist als z.B. das Christentum.
Weiters gibt es noch den
"Obersten Rat der islamischen Revolution" (SCIRI), der stark mit dem
iranischen Regime verbunden ist und vor allem in den östlichen Städten
verankert ist. SCIRI arbeitet jedoch mit den USA zusammen und ist im Übergangsrat
vertreten. Ebenso die fundamentalistische Al-Da'wah
Partei, die vor allem in den Städten Al-Nasiriyah und
Basra eine Basis besitzt.
Die Bewegung von Moktada
al Sadr
Kommen wir nun zur Bewegung
des Moktada al-Sadr.
(Fußnote 1) Al-Sadr ist für einen
islamischen Führer sehr jung (Gerüchten zufolge ist er zwischen 25-33 Jahre
alt). In der patriachalen religiösen Hierarchie des
Islam kann er aufgrund seines jungen Alters keine eigenständige religiöse Autorität
besitzen. Jedoch hat sich seine Familie aufgrund ihres unbeugsames
Widerstandes gegen die Diktatur von Saddam Hussein einen großen Namen unter den
irakischen Schiiten erworben. Während andere schiitischen Würdenträger wie al-Sistani, Baqir al-Hakim oder 'Abd-al-Majid al-Khoei entweder ins Exil gingen oder zu politischen Fragen
schwiegen, wich die Familie al-Sadr der Konfrontation
mit dem baathistischen Regime nicht aus. Für ihren
Mut bezahlte die Familie einen hohen Preis. Zuerst wurde Moktada's
Onkel, Muhammed Baqir al-Sadr, 1980 von der Regierung ermordet und 1999 fielen
sein Vater Sayyid
Muhammed Sadiq al-Sadr
sowie zwei seiner Brüder dem Geheimdienst zum Opfer. Ihnen zu Ehre wurde nach
dem Ende des Krieges im April 2003 "Saddam City" in Bagdad in
"Sadr City" umbenannt.
Um den politischen Charakter
der al-Sadr Bewegung genauer zu erfassen, muß man sich die traditionelle Haltung der Schia (der schiitischen Glaubensgemeinschaft) zur Politik in
Erinnerung rufen. Die Schia – die im Verhältnis zur
den Sunniten kleinere moslemische Glaubensgemeinschaft – zeichnete sich
historisch gesehen durch eine gegenüber Staat und Politik zurückgezogenen
Haltung aus. (Fußnote
2) Dies geht vor allem darauf zurück, daß die Schiiten von den Sunniten unterdrückt wurden. Diese
Haltung wurde in den 1970er Jahren erstmals durch den iranischen Ayatollah
Ruholla Khomeini und seinem Konzept des velyat
al-faqih – der Herrschaft der Rechtsgelehrten –
durchbrochen. Diese Lehre des velyat al-faqih sieht die politische Herrschaft der islamischen
geistlichen Würdenträger vor statt einem Rückzug auf ausschließlich religiöse
Fragen.
Diese Lehre ist zutiefst
reaktionär. Die Herrschaft der Rechtsgelehrten unterliegt keinerlei
demokratischer Kontrolle. Sie wird nicht vom Volk gewählt und steht – wie man
im Iran sieht – sogar über dem gewählten Parlament.
Auch wenn sich dieses
reaktionäre Konzept im Iran durchsetzte, so lehnen es die meisten schiitischen
Gelehrten ab. Moktada al-Sadr
hingegen – wie auch schon sein Vater – akzeptiert die Theorie des velyat al-faqih.
Natürlich nützt diese
Theorie den Machtinteressen al-Sadr's, besitzt er doch
keine religiöse Autorität und kann Einfluß daher nur
auf politischem Wege finden und nicht auf der Sprossenleiter der klerikalen Hierarchie.
Radikale kleinbürgerliche Bewegung
Aber er wäre sehr verkürzt,
die Ursachen für den politischen Islamismus der al-Sadr'-Bewegung
auf seine persönliche Situation und Interessen zu reduzieren. Vielmehr liegen
die Unterschiede der al-Sadr-Bewegung zu den anderen
Kräften der Schiia in ihrem unterschiedlichen
Klassencharakter. Al-Sistani, die Moslembruderschaft,
SCIRI oder die Al-Da'wah Partei sind bürgerlichen islamistische Parteien des etablierten Klerus. Auf die eine
oder andere Weise konnten sie sich mit den imperialistischen Besatzern arrangieren.
Die al-Sadr-Bewegung
hingegen ist eine Bewegung, die nicht in den von den Besatzungstruppen
eingesetzten "Regierungsrat" eingebunden und deren klerikaler Apparat
ebenso von den Spitzen der religiösen Hierarchie ausgeschlossen ist. Der Kern
dieser Bewegung ist die Organisation "Jama'at al-Sadr al-Thani". (Fußnote 3) Al-Sadr's wakil's (die lokalen Vertreter eines religiösen Führers)
stammen zumeist aus eher einfachen Verhältnissen und nicht aus einflußreichen Familien wie die der
etablierten
schiitischen Geistlichkeit. Ihre
soziale Basis sind vor allem die verarmten, besitzlosen Massen in den Slums der
Städte. (Fußnote 4) Die al-Sadr-Bewegung kann
als eine kleinbürgerlich-islamistische Kraft bezeichnet
werden, deren Führungscorps der kleinbürgerliche Klerus und deren Basis die
verarmten, oftmals arbeitslosen, städtischen Massen sind.
Auch politisch kann man
Unterschiede festmachen: al-Sadr tritt radikaler für
den sofortigen Abzug der fremden Besatzer ein. In seiner Rhetorik spiegeln sich
– im Gewande der religiösen Propaganda – die Verzweiflung und Radikalität der
verarmten Massen wieder. Mitte April sagte al-Sadr z.B.:
"Amerika hat es nicht bloß mit einem Volkswiderstand zu tun, sondern mit
einer tiefgreifenden Revolution." Eine der
Losungen seiner Anhänger bei einer Demonstration in Bagdad am 1. April – also
unmittelbar vor Beginn des
Aufstandes – lautete: "Moktada al-Sadr, gib uns ein Zeichen, wir führen die Revolution von
1920 weiter".
Damit spielen die
Demonstranten auf den irakischen Volksaufstand 1920 gegen die britische
Kolonialherrschaft an, den die britischen Truppen erst nach mehreren Monaten
niederschlagen konnten. Dabei töteten sie 10.000 Iraker und mehrere zehntausend
wurde verwundet (bei einer damaligen Gesamtbevölkerung von nur drei
Millionen!). Der Widerstand des Volkes war aber so heftig, daß
auch 2.000 britische Soldaten – inklusive ihres Oberkommandierenden – den Tod
fanden.
Im Herbst 2003 gründete al-Sadr die "Al-Mahdi's
Armee" (Fußnote 5), die aus 50.000 Freiwilligen beiderlei Geschlechts
bestehen soll.
Die Radikalität der al-Sadr-Bewegung
und ihre Verankerung im Volkswiderstand zeigt sich auch darin, daß Frauen auch in den Aktivistenreihen zu finden sind,
auch wenn sie keinen Dienst mit der Waffe versehen dürfen.
Al-Sadr's Ideologie ist auch politischer als die seiner
klerikalen Konkurrenten. Al-Sadr's politische Linie
ist von einem starken irakischen bzw. arabischen Nationalismus geprägt. Dieser
Nationalismus richtet sich natürlich in erster Linie gegen die "fremden
Besatzer". Allerdings handelt es sich hier nicht um einen primitiven Nationalismus,
der sich gegen alle "Ausländer" richtet. Al-Sadr
verurteilte z.B. die Entführung der drei japanischen Friedensaktivisten und
richtete einen
Appell an das amerikanische
Volk, sich nicht von Bush in diesen Krieg hineinziehen zu lassen.
Al-Sadr's Nationalismus zeichnet sich auch dadurch aus, daß er während des Aufstandes die Einheit der Schiiten mit
den Sunniten im Kampf gegen die Besatzer propagierte.
In den letzten Monaten
betonte Al-Sadr stärker die Solidarität vor allem mit
dem palästinensischen Befreiungskampf. Er organisierte Proteste gegen die
Ermordung des (sunnitischen) Geistlichen und HAMAS-Führers
Scheich Achmed Jassin durch den israelischen Staat.
In einer Freitagspredigt kurz vor Beginn des Aufstandes bezeichnete er seine
Bewegung als "schlagender Arm der HAMAS, denn die Sache des Iraks und
Palästinas sind die gleiche".
Al-Sadr's Nationalismus hat auch eine stark anti-iranische
Note. Er lehnt iranische Einmischungsversuche ab und polemisiert wiederholt gegen
jene schiitische Kräfte, die aus dem Iran kommen bzw.
von diesem gesponsert werden. Dies paßt natürlich in
das Machtkalkül al-Sadr's, da al-Sistani
selber persischer Abstammung ist und SCIRI seit langem von Teheran gesponsert
wird.
Schließlich sollte noch der
verhältnismäßig lose Charakter der al-Sadr-Bewegung
betont werden. Die fanatische Verehrung seiner Anhänger mischt sich mit einer
relativen Eigenständigkeit der lokalen Untergruppierungen in
politisch-organisatorischen Fragen. So z.B. handelte Mitte April der lokale
Führer der Bewegung eines Stadtteils von al-Sadr-City
einen Waffenstillstand mit den Besatzungstruppen aus, während gleichzeitig al-Sadr zum kompromißlosen
Aufstand aufrief.
Al-Sadr – ein konsequenter Antiimperialist?
Es wäre jedoch falsch zu
glauben, al-Sadr wäre eine Art konsequenter Antiimperialist
im religiösen Gewand. Wie schon oben erwähnt, geht der Aufstand nicht auf seine
Entscheidung zurück, sondern hat im wesentlichen
spontanen Charakter. In Wirklichkeit ist al-Sadr ein Getriebener
und nicht Antreiber dieses national-revolutionären Aufstandes.
Seine mangelnde Verankerung
im schiitischen Klerus, sein Ausschluß aus dem
Regierungsrat, das offensive Vorgehen der US-Besatzung gegen die Al-Sadr-Bewegung und die wachsende Radikalität seiner Basis
haben al-Sadr keine andere Wahl gelassen als mit
Massendemonstrationen gegen die Besatzung zu protestieren.
Aber al-Sadr
rief wiederholt seine Anhänger auf, von Waffengewalt abzusehen und die Proteste
einzustellen. In Verhandlungen mit den Ayatollahs stimmte er sogar der
Auflösung seiner Al-Mahdi-Armee zu und bekundete Bereitschaft, vorübergehend in
den Iran ins Exil zu gehen. Doch der Haß seiner
Anhänger auf die amerikanische Besatzung ist so tief, daß
sie solche Aufrufe schlichtweg ignorierten. Hinzu kommt, daß
die Ankündigung des US-Generals Sanchez, al-Sadr um
jeden Preis zu
verhaften oder zu töten, ihm
keine andere Wahl ließen, als den Widerstand fortzusetzen.
Der kleinbürgerliche
Charakter der al-Sadr-Bewegung impliziert auf jeden Fall,
daß ihr vorrangiges Ziel darin besteht, einen Platz
an der Spitze des bürgerlichen Staates und innerhalb der schiitischen
Hierarchie zu finden. Die Massen auf der Straße sind für al-Sadr
ein geeignetes Druckmittel, um seine Ziele zu erreichen. Wie jede
nicht-revolutionäre Bewegung beschränkt die al-Sadr-Bewegung
die Rolle ihrer Massenbasis auf die von Befehlsempfängern. Direkte Demokratie,
Organisierung der Massen in Organen der Selbstorganisationen - also Räten, wie
dies in unzähligen
Revolutionen der Fall war -
ist der al-Sadr-Bewegung fremd.
Das Ziel al-Sadr's
ist in Wirklichkeit eine reaktionäre theokratische Diktatur wie im Iran seit
1979. In einem solchen System würde eine religiöser Klerus herrschen, die
Rechte der Frauen unterdrücken, Gewerkschaften verbieten und kapitalistische
Eigentumsverhältnisse verteidigen.
Fußnoten:
(1) Die Informationen dieses Kapitels
beziehen sich vor allem auf folgende Quellen: Juan Cole: The
United States and Shi'ite Religious Factions in Post-Ba'thist Iraq, in: Middle East Journal, Volume 57,
No. 4, Autumn 2003; Juan Cole: Shiite
Religious Parties Fill Vacuum in Southern Iraq, April 22, 2003, www.juancole.com; David Rieff: The Shiite
Surge, in New
York Times Magazine, February 1, 2004; Sammy Salama, Kathleen Thompson, and Jennifer Chalmers: In
Post-War Iraq, Placating the Shi'a is Paramount, in: Center for Nonproliferation
Studies (CNS) January 30, 2004; Joshua Hammer: Murder at the Mosque, in:
Newsweek 19. Mai 2003; Nicolas Pelham: Profile: Moqtada
al-Sadr, The Financial Times, April 6 2004; Soraya Sarhaddi Nelson: Family
Follows Shiite Cleric into Holy Battle for Iraq, in: Knight-Ridder
www.realcities.com April 21, 2004; "Die Armee
des verborgenen Imam", Interview mit dem irakischen
Schriftsteller Hamid Jassim al-Khaqani, http://www.freitag.de/2004/17/04170601.php;
Ewen MacAskill: Army of the
dispossessed rallies to Mahdi, The Guardian April 8,
2004.
(2) Diese Haltung wird auch als Quietismus bezeichnet.
(3) Das heißt übersetzt
"Assoziation des zweiten al-Sadr". Als der "zweite
al-Sadr" wird Moktada's
1999 ermorderte Vater bezeichnet.
(4) Ein interessanter Bericht über die
Unterstützer al-Sadr's in der religiösen Stadt Najaf zeigt diesen Klassenunterschied zwischen al-Sistani zugewandten Mittelschichten und den
Unterklassen, die ihre Hoffnung in al-Sadr setzen. Siehe Soraya
Sarhaddi Nelson: Family Follows Shiite Cleric into
Holy Battle for Iraq, in: Knight-Ridder www.realcities.com April 21, 2004.
(5) "Al-Mahdi-Armee" heißt
übersetzt das "Heer des verborgenen Imam" - eine Anspielung auf den sogenannten 12. Imam, der in der Religionslehre der
Zwölfer-Schiiten von Allah (ca. um 873 n. Chr.) in die "Verborgenheit"
geführt wurde, um ihn vor dem Schicksal seiner ermordeten Vorgänger zu
bewahren. Seither lebe er im Verborgenen, bis er zu einem
späteren,
unbekannten Zeitpunkt als Imam-Mahdi als Zeichen der Erlösung wieder auftauchen
soll. Messianische, radikale muslimische Bewegungen wie die Mahdi-Bewegung im
Sudan, die Ende des 19. Jahrhunderts gegen die britischen Kolonialherrschaft
revoltierten, nehmen für sich in Anspruch, die Ankunft des Mahdi zu verkörpern.