Gewerkschaftsforum Hannover:
Die Großdemonstration am 4.November 2006
in Rom (mit real 15 – 20.000 Teilnehmern) war die erste große soziale
Mobilisierung der italienischen Linken unter der im April gewählten
Mitte-Links-Regierung Prodi. Eine Manifestation, die
trotz der massiven Kritik und Demobilisierung der meisten
Gewerkschaftsführungen ein Erfolg wurde. Wenngleich die Differenzen und die
Risse zwischen den Organisatoren ebenso wie die inhaltliche Ambivalenz
unübersehbar bleiben. Das führte zu der skurrilen Situation, dass eine ganze
Reihe von Staatsekretären (aus den Reihen der „linksradikalen“
Regierungsparteien) gegen sich selbst demonstrierte bzw. sich selbst „ermahnte“
die Gegenreformen der Berlusconi-Ära (allen voran das die Prekarisierung
der Arbeitsverhältnisse massiv voran treibende Gesetz Nr. 30 / 2003, das
Einwanderungsgesetz und die Bildungsreform) tatsächlich abzuschaffen. Zur
Einschätzung der Demonstration im Folgenden zwei Kommentare aus sehr
unterschiedlicher Feder. Zunächst einmal den der Gegenseite, verfasst von
Stefano Folli für die Tageszeitung des
einflussreichen Industriellenverbandes Confindustria,
„Il Sole – 24 Ore“ (www.ilsole24ore.com), vom 5.11.2006:
DER PUNKT:
Zielscheibe war weniger die Regierung als vielmehr die Reformer der
Mitte-Linken
Aber
auch die in der Regierung vertretene extreme Linke riskiert etwas. Und Prodi macht einen Fehler, wenn er sich freut.
Von Stefano Folli
Zuerst <DS-Außenminister> Massimo D’Alema,
dann der Sekretär von Rifondazione, Giordano und
schließlich gestern Abend Romano Prodi gaben die
Tageslosung aus: Die Demonstration der Prekären (100 – 200.000 Menschen waren
in Rom auf der Straße) “ist nicht gegen
die Regierung gerichtet”. Das sind die Erfordernisse der Politik. Wenn es
von Nutzen ist, verteidigt man sich und dreht sich die Realität so, dass sie
für einen selbst von Vorteil ist. Ruhe und Geduld war bei dem DS’ler und Arbeitsminister Damiano
gefragt, der von den Cobas den zweiten Tag in Folge
als “Unternehmerfreund” beschimpft wurde. Ruhe und Geduld auch wegen der
gegen das Haushaltsgesetz gerichteten Parolen, Transparente und Schilder.
Es ist
schwer zu glauben, dass das gestern eine der Regierung gegenüber beherrschte
und neutrale Demonstration war. Und die Anwesenheit einer gewissen Anzahl an
amtierenden Staatssekretären und Parteivorsitzenden (der radikalen Linken)
macht die Doppeldeutigkeit nur noch deutlicher. Wie der Kommentator nicht einer
rechten Zeitung, sondern der Direktor der <den
Linksdemokraten (DS) verbundenen Tageszeitung> “l’Unità”, Padellaro, schrieb: “Ein Staatssekretär kann, wie jeder
Bürger, an allen Demonstrationen teilnehmen, an denen er will. Wenn er allerdings
beschließt, gleichzeitig hinter den Fenstern und unter den Fenstern seines
Ministeriums zu stehen, wie glaubt er dann diesen nicht geringen politischen
Widerspruch lösen zu können?”
Das Problem
existiert und es ist ziemlich dramatisch. Und doch hat der Ministerpräsident
nicht ganz Unrecht, wenn er sagt: “Die war nicht gegen die Regierung
gerichtet.” Es wäre deutlicher gewesen, hätte Prodi
gesagt: “Sie war nicht gegen mich gerichtet.” Es gab nämlich keine
direkten Angriffe auf den Premier. Die Ziele waren andere.
In dem
Sinne, dass die wahren Zielscheiben der Manifestation die Spitze der
Linksdemokraten (DS) und der <christdemokratisch-liberalen
Allianz innerhalb der MItte-LInks-Union> Margherite
bildeten. Ziel waren im allgemeinen die gemäßigten und
reformerischen Positionen, die es innerhalb der Koalition gibt. Zu oft in einer
unsicheren und zögerlichen Form, aber sie waren nichtsdestoweniger vorhanden. Die
Tausenden Demonstranten von Rom brachten ihre Feindseligkeit gegenüber dieser
Linie zum Ausdruck und ihren Wunsch deren Handlungsspielraum und Einfluß in der Regierung zu reduzieren.
Also stimmt
es: die Parolen waren nicht gegen Prodi gerichtet. Der
Ministerpräsident täte allerdings schlecht daran, sich darüber zu freuen. Weil
sie den realistischsten und “europäischsten” Teil seiner Koalition
trafen. Sie waren eine Botschaft gegen die Reformen (angefangen beim Gesetz Nr.
30) und gegen jede Wirtschaftspolitik, die sich den Mythen der Linken entziehen
will.
Genau
genommen wollten die Demonstranten nicht nur DS und Margerite treffen. Sie
hatten die Absicht auch die Parteien der so genannten radikalen Linken zu
konditionieren. Das Signal lautete: Ihr seid zu institutionell. Ihr solltet
mehr auf uns hören, auf Eure Wähler. Dies erklärt sowohl die Präsenz der
Staatssekretäre auf der Straße als auch die verständnisvollen Worte von Fausto Bertinotti. Dennoch ist es kein Zufall, dass gestern Abend
die Vertreter der <linken> Minderheit von Rifondazione
am zufriedensten waren. Oder sogar ein ausgetretener Extremist wie Ferrando <Kopf
der in Gründung befindlichen Kommunistischen Arbeiterpartei PCL>.
Wenn es für
den Reformerflügel der Regierung ein Problem gibt, danngibt
es mittlerweile vielleicht auch eines für die Leitungsgruppen der an der
Regierung beteiligten extremen Linken. Die Zahlen von Rom zeigen, dass im Lande
eine soziale Unzufriedenheit existiert, die auf die Regierung einwirkt. Sie
unterminiert die moderate Komponente, bringt aber auch den maximalistischen
Teil in Verlegenheit. In dem Sinne, dass sie ihn dazu drängt seine Positionen
zu verschärfen, um den Kontakt zur Basis nicht zu verlieren. Und das kann
unvorsehbare Folgen haben.
Es ist
nicht mehr nur der Gegensatz zwischen den beiden Seelen der Koalition. Es ist
etwas mehr. Es ist die Notwendigkeit dieses Phänomen einzudämmen und politisch
damit umzugehen bevor die Risse größer werden.
Loris Campetti sieht die Sache im Leitartikel
für die unabhängige, linke Tageszeitung „il manifesto“
vom 5.11.2006 so:
Editorial:
Etwas Linkes
Loris
Campetti
Eine schöne
Manifestation hat die Politik auf die Straßen von Rom zurückgebracht. Eine
Demonstration gegen die Prekarität der Arbeit, die
ihrerseits soziale Prekarität hervorruft, hat ein
Land signalisiert, das noch lebt und ein Land ist dann noch am Leben, wenn es
mit der Politik redet, Antworten auf die Perspektivkrise fordert und vorgibt,
die ganze Generationen von Jugendlichen und nicht mehr ganz so Jungen
ausgrenzt. Auf die Straße zu gehen, wenn die mitte-linken Kräfte an der
Regierung sind und das aus denselben Gründen, aus denen man mit der gesamten
Mitte-Linken auf die Straße gegangen ist als die Rechten regierten, sendet zwei
starke Botschaften aus: Die erste – kritische – besagt, dass sich Rechte und
Linke anhand der Politik unterscheiden, die sie machen und nicht nach der
geographischen Sitzordnung, die sie im parlamentarischen Halbrund einnehmen. Die
zweite – Vorschläge unterbreitende – weist einen Weg, eine Alternative zur
Demütigung, die die Philosophie der Einzigartigkeit des Marktes den Arbeitenden
zufügt. Die Arbeit zu entwerten, macht nicht konkurrenzfähiger, sondern
prekärer.
Es hat
wenig Sinn, sich in diejenigen zu spalten, die die gestrige Großdemonstration
als einen Angriff auf die Regierung interpretieren und in diejenigen, die sie
in eine Demonstration zu ihrer Unterstützung verdrehen möchten. Die Demo
repräsentierte die Idee einer “anderen” Gesellschaft. Es liegt an dem
Lager, das uns regiert, kundzutun, auf welcher Seite es steht. Es ist
beunruhigend, dass ein intelligenter Minister, wie Cesare Damiano
<von den Linksdemokraten (DS)> erklärt, er sei wegen einer
Demonstration verbittert, die Kritik an einem Haushaltsgesetz übt, das in
punkto Prekarität keine Kursänderung vornimmt. Und es
ist noch beunruhigender, dass eine große Gewerkschaft, wie die CGIL, die in der
Ära Berlusconi in der Lage war, 5 Millionen Unterschriften zur Verteidigung der
Würde der Arbeitenden zu sammeln und mit den anderen Gewerkschaften <CISL + UIL> zu brechen, also aus denselben Gründen, aus denen gestern
demonstriert wurde, und allein zum Generalstreik aufzurufen, nicht zu den
Organisatoren des Demonstrationszuges gehörte. Genau wie im Juli 2001 in Genua.
Die größte italienische Gewerkschaft war nur mit einigen ihrer robusten <linken> “Minderheiten” vertreten: den Metallarbeitern der
FIOM, der Komponente Lavoro e Società (Arbeit und Gesellschaft), bedeutenden Kammern
der Arbeit <d.h. den CGIL-Ortskartellen
Brescia, Pescara, Cosenza, Imperia und Reggio Emilia> und sehr vielen Aktivisten der <Branchengewerkschaft für den Öffentlichen Dienst> Funzione Pubblica (FP) sowie der Gewerkschaft der im Bildungsbereich
Beschäftigten (FLC). Nach dem 21.Juli vor fünf Jahren schloss sich die CGIL der
Bewegung an. Wir wünschen uns, dass heute dasselbe passiert.
Die
Vorstellung, die die Demokratie als eine schlichte und reine Delegation an die “Politik”
versteht, ist eine gefährliche Vorstellung. Eine Stimmabgabe alle fünf Jahre.
Wenn “die Unsrigen gewinnen”,
wird nach fünf Jahren mal wieder darüber gesprochen und wenn der Gegner gewinnt
gibt es Kundgebungen auf der Straße. Die von der gestrigen Demonstration
heraufbeschworene Demokratie ist etwas komplexer. Sie bietet Ideen und
Partizipation und sieht im demokratischen sozialen Konflikt einen Motor der
Veränderung. Wer diesen sozialen Protest als ein Problem betrachtet, anstatt
als Ressource, der täuscht sich.
In Rom
waren noch vor den Veranstaltern Leute auf der Straße, die unter den Folgen der
wirtschaftsliberalen Politik leiden: die prekär Beschäftigten aus den Call Centern, den Krankenhäusern und den Universitäten, von
den industriellen oder journalistischen Fließbändern; die zukünftigen Prekären,
d.h. die Schüler und Studenten; diejenigen, die eine unbefristete Beschäftigung
haben, deshalb aber (bei FIAT, der Telecom oder der Eisenbahn) nicht weniger prekarisiert und erpresst werden; die Immigranten, die in
sich alle Aspekte der Prekarität vereinen; und
schließlich die soziale Prekarität, die Wohnungen,
Dienstleistungen, Kultur und ein bisschen Einkommen fordert. Ein erheblicher
Teil eines möglichen sozialen Blockes. Eine Chance für die Linke.
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Gewerkschaftsforum Hannover