Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Jede
Aktion verdient eine kritische Würdigung, um Stärken und Schwächen
festzustellen, die eigene Politik zu verbessern und sie auf die aktuellen
gesellschaftlichen Bedingungen einzustellen. Das gilt auch für die landesweite
Demonstration gegen prekäre Beschäftigung und prekäre Einkommen am 6.November
2004 in Rom sowie die damit verbundenen „Enteignungsaktionen“ bzw. „sozialen
Einkäufe“, die für erheblichen medialen und politischen Wirbel sorgten und
Mitte Januar 2005 zu 58 Ermittlungsverfahren mit z.T. heftigen Beschuldigungen
führten. Längst nicht alles daran war optimal und sehr unerfreulich war die
Reaktion der Parteispitze von Rifondazione Comunista (PRC) unter Generalsekretär
Fausto Bertinotti. Ein umgehende Distanzierung, die dem unbedingten Streben
nach „Regierungsfähigkeit“ geschuldet ist und für einen eventuellen Wahlsieg
der Mitte-Links-Allianz GAD unter Führung des ehemaligen
EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi im Frühjahr 2006 wenig Gutes erwarten
lässt.
Mit
dieser Aktion und der Reaktion der PRC-Spitze beschäftigen sich zwei führende
Mitglieder der Jugendorganisation von Rifondazione, Giovani Comunisti (GC).
Beide gehören innerparteilich der Opposition gegen den Bertinotti-Kurs an,
genauer gesagt der Fraktion um die Zeitung „ERRE“ (ehemals „Bandiera Rossa“),
die mit der italienischen Sektion der offiziellen 4.Internationale identisch
ist. Obwohl ihr Beitrag – zu Beginn der Debatte vor dem 6. PRC-Parteitag im
März 2005 entstanden – bereits am in den „ERRE-News“ vom 30.11.2004
erschien, hat er nichts an Aktualität eingebüßt und zählt zu den differenziertesten,
die uns zu diesem Thema bekannt sind.
Enteignungen ? Über die Aktion am 6.November im
Panorama-Markt in Rom
Von Danilo Corradi und Barbara
Ferusso (Mitglieder der Nationalen Exekutive der Giovani Comunisti – GC)
Das war keine perfekte
Aktion, im Gegenteil ! Man kann viele
Punkte zur Diskussion stellen. Man kann sagen, dass die Beziehung zu den
Arbeiterinnen und Arbeitern nicht funktioniert hat. Man kann sagen, dass sie
ein bisschen „aus der Hand geglitten“ ist und dass eine selbstorganisierte
Preisreduzierungsaktion breit geteilt und von Allen vorangebracht werden muss,
wenn sie wirkungsvoll sein soll. In banalerer Hinsicht kann man beobachten,
dass auch die geringsten Mittel der sozialen Kommunikation, über die wir endlose
Diskussionen führen, unzureichend waren. Wir können uns mit denjenigen
auseinandersetzen, die auf den Seiten von „il Manifesto“ behaupten, dass
es besser wäre, wieder über Arbeit zu reden als Einkommen bzw. Sozialen Lohn zu
fordern (und vielleicht sogar entdecken, dass das im Grunde keine zwei so
widersprüchlichen Perspektiven sind und dass sie zusammengehalten werden müssen
anstatt sich darauf zu versteifen, sie zu trennen). Andere, ähnlich gelagerte
Aktionen, die in Rom und anderswo in Vorbereitung des May Day
durchgeführt wurden, hatten sich in stärkerem Maße dem Problem der Beteiligung
gestellt und z.B. versucht, Verhandlungen zu führen, die alle diejenigen
betrafen, die <sich
in jenem Moment> an den Kassen
befanden.
Eine auf nationaler Ebene durchgeführte
Aktion hat den Zweck, eine Idee, eine Anregung, eine Vorgehensweise zu
lancieren, die dann vor Ort so abgewandelt wird, dass sie das Höchstmaß an
Zustimmung und die größtmögliche Beteiligung erzielt und sich das Ziel setzt,
auch über die periodische Reproduzierbarkeit der Aktionen und die Schaffung von
Auseinandersetzungen, angefangen beim Thema hohe Lebenshaltungskosten (die
Rechnungen, die Wohnung, den Zugang zur Kultur und zu den Verkehrsmitteln, aber
auch zu den Gütern des unmittelbaren Bedarfs), die dem politischen Handeln beim
Thema Prekarität Substanz und Kontinuität verleihen, einen Weg zu ebnen. Wie
stark die Aktion diese Möglichkeit gefördert hat, ist eine Diskussion, die wir
innerhalb der Bewegung, zusammen mit den Bewegungen, führen sollten.
Das, was absolut
unbegreiflich und außerhalb jeder Form von Beziehung war, war die Distanzierung
des Sekretariates des Partito della Rifondazione Comunista (Partei der
Kommunistischen Neu/be/gründung – PRC). Und es handelte sich dabei nicht nur um
Stellungnahmen gegenüber den Medien, sondern auch um ein gemeinsames Votum mit
der Mitte-Linken im Stadtrat von Rom, das die Ereignisse vom Morgen des
6.November in einem Zuge mit der Enthaltung in punkto Verurteilung des
Protestes der Studenten gegen <den Auftritt von Alleanza Nazionale-Parteichef und Außenminister> Fini <in der römischen Hauptuni> verurteilt. Eine Position, die die von der Rechten
entworfene Kriminalisierungsstrategie begünstigt und einen Beitrag zu ihr
leistet. Es handelte sich – bei allen Einschränkungen – um einen Versuch, den
Begriff „Prekarität“ in die politische Agenda aufzunehmen und die Situation
tausender Jugendlicher und nicht mehr so Jugendlicher deutlich zu machen, die
in einer immer belastenderen Situation der Entbehrung leben. Anstatt die
Gelegenheit des der Kriminalisierung geschuldeten Medieninteresses zu nutzen
und über das Gesetz Nr. 30 / 2003 und das Treu-Paket <Anm.1>, über Euro und Europa zu reden, beeilte man sich,
sich davon zu distanzieren und machte sich daran, eine Predigt über
Aktionsformen zu halten, obwohl man die Appelle zur Gesetzestreue in aller Ruhe
hätte umkehren und eine Rechte attackieren können, die in allem illegal und in
Sachen Krieg kriminell ist.
<Rifondazione-Generalsekretär> Bertinotti hat jene Aktion wiederholt als
„avantgardistisch“ bezeichnet und sie dem Aufbau einer Massenbewegung gegen die
hohen Lebenshaltungskosten gegenübergestellt. Wir sind so sehr mit dem Aufbau
einer Massenbewegung gegen die Prekarität einverstanden, dass wir am 6.11.2004
auch eine street parade organisiert haben. Seit Jahren tragen wir zur
Schaffung des May Day und zu den Kämpfen um Häuser / Wohnungen bei.
Heute wäre eine große Aktion, die die zahlreichen Kampfprozesse in bezug auf
das zentrale Ziel, die Regierung Berlusconi (die Regierung des Krieges und der
Prekarität) nach Hause zu schicken, zusammenführt, notwendiger denn je. Wir
fragen uns, ob die von der <Großen Demokratischen Allianz> GAD zeitgleich mit der Aktion am 6.November (und eine Woche nach der
Anti-Kriegs-Demonstration vom 30.Oktober 2004) vorgesehene <und dann wieder abgesagte> Demonstration diesem Ziel gerecht geworden wäre.
Diesen Eindruck haben wir nicht und auch die Demo am 11.Dezember 2004 wird es
nicht. Anstatt unterstützenswerte Forderungen zu beschwören, wäre es besser,
wirklich dafür zu arbeiten.
Anmerkung
1:
Das
Gesetz 196 vom 24. Juni 1997, das nach dem damaligen linkschristdemokratischen
Arbeitsminister benannte "Treu-Paket", legt wichtige Maßnahmen
zur Förderung der Beschäftigung fest. Diese umfassen Zeitarbeit, neue
Verordnungen über gesellschaftlich nützliche Arbeit und die Beauftragung
öffentlicher Versorgungseinrichtungen in Süditalien unter Bereitstellung von
Zuschüssen, jugendlichen Arbeitslosen zu helfen, in der Arbeitswelt Fuß zu
fassen. Der Rechtsprofessor und heutige Senator des Mitte-Links-Bündnisses,
Tiziano Treu (65 Jahre und Venezianer), verfügt im übrigen über sehr enge
Beziehungen zur zweitgrößten italienischen Gewerkschaftszentrale CISL und ist –
seiner Arbeitsmarktpolitik zum Trotz – auch bei führenden DGB-Funktionären sehr
beliebt.
Das
Gesetz, das im Januar 1998 mit der Verabschiedung diesbezüglicher Ministererlasse
in Kraft trat, sieht auch umfassende Neuerungen auf dem Gebiet der
Berufsbildung vor. Staatliche Behörden können Ausbildungs- und Arbeitsverträge
abschließen. Außerdem sind Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen
berechtigt, ein Jahr lang einen niedrigeren Lohn zahlen, wenn nach der zweijährigen
Laufzeit des Vertrages eine feste Anstellung geboten wird. Das Mindest- bzw.
Höchstalter der „Lehrlinge“ wurde auf 16 bzw. 24 Jahre (in Gebieten mit hoher
Arbeitslosigkeit auf 26 Jahre) angehoben. Die Dauer dieser sog. „Lehrlingsausbildung“,
die oftmals nichts anderes als normale Beschäftigung mit prekärer Entlohnung
ist, beträgt 18 Monate bis vier Jahre.
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover