Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
In die
sich in der Linken entwickelnde Diskussion über die Entsendung italienischer
Truppen in den Libanon intervenierte auch Piero Bernocchi.
Der 1947 in Foligno / Umbrien geborene Bernocchi lebt in Rom, ist Lehrer und Sprecher der linken
Basisgewerkschaft Confederazione Cobas,
die über die Cobas Scuola
und die Cobas Sanità vor
allem in den Schulen und im Gesundheitswesen stark verankert ist. Piero Bernocchi hat eine lange Vergangenheit in der radikalen
Linken, zu deren prominentesten Vertretern er gehört. Er spielte, zunächst der
4.Internationale nahe stehend, in der 68er Bewegung und dann in der Autonomia-Bewegung von 1977 eine wichtige Rolle. Von 1979 –
85 war er Direktor des linken Radiosenders „Radio Città
Futura“ (Radio Stadt der Zukunft) und ist Autor mehrerer Bücher über politische
und gewerkschaftliche Themen und insbesondere über die Entwicklung der
radikalen Linken. Seit ihren Anfängen 1999 zählt er darüberhinaus
zu den wichtigsten Aktivisten der italienischen Antiglobalisierungsbewegung und
des Europäischen Sozialforums (ESF).
Im
Gegensatz zu vielen anderen (auch „radikalen“) Linken, die in dem geplanten
imperialistischen „Schutztruppen“-Einsatz
den Export von Frieden und Zivilgesellschaft sehen und begeistert mit der
italienischen, der EU- und der UNO-Flagge wedeln, hält Piero Bernocchi in seinem Kommentar für die von Rifondazione Comunista
herausgegebene Tageszeitung „Liberazione“ vom 22.8.2006 wenig von diesem neuen neokolonialen
Abenteuer.
Libanon: Noch eine Kriegsmission
Piero Bernocchi
Die Leichtigkeit, mit der
die gesamte Mitte-Linke und ein Großteil des pazifistischen (oder des so
genannt pazifistischen) Lagers die Entsendung italienischer Militärs in den
Krieg im Libanon gebilligt haben, ist nicht nur unakzeptabel, sondern
verblüffend. Und das sogar noch mehr als bei der Afghanistan-Mission. Beim
Thema Afghanistan gab es zumindest ein paar Gegenstimmen im Parlament und eine
gewisse Verlegenheit in den verschiedenen Teilen der Friedensbewegung, die dann
dem „Syndrom der befreundeten Regierung“ ausgesetzt waren. Dieses Mal
wird die Akzeptanz einer zweiten Kriegsmission, die wie üblich als
Friedensmission verkleidet wurde, quasi von der Zufriedenheit derjenigen
begleitet, die sich als Beförderer tugendhafter Handlungen fühlen. Es ist schon
erstaunlich, dass diejenigen, die uns so mit der Mystik der vollständigen
Gewaltfreiheit, des „Niemals auch nur eine Ohrfeige!“ und mit der
Verachtung des bewaffneten Widerstandes gequält haben – die in aller
Deutlichkeit das Haupthindernis für die imperialistischen Ziele der USA sind – es
heute gleich zweimal hintereinander ganz natürlich finden, dass bewaffnete
Truppen und keine Zivilisten oder Diplomaten sich anmaßen, den Frieden
durchzusetzen.
Erschwerend kommt dann
allerdings die Entsendung von Militärs in ein Kriegspanorama hinzu, dass sogar
noch explosiver ist als das afghanische. Kein Mitglied der Regierung Prodi kann die Tragweite des libanesischen Konfliktes
ignorieren, der genau im Herzen des permanenten Krieges der USA angesiedelt
ist. Und ebenso wenig die Tatsache, dass Israel nicht beschlossen hat die
libanesische Bevölkerung zu massakrieren und sich die Hisbollah zur Brust zu
nehmen, um zwei Soldaten zu befreien, sondern dies als bewaffneter (und
törichter) Arm entsprechend dem Willen der USA tat, die Region vollständig zu
destabilisieren, zu einer direkten Auseinandersetzung mit Syrien zu gelangen
und den Iran an die Wand zu drücken – das Ganze in der Perspektive des „Großen
Mittleren Ostens“, der vom Mittelmeer bis zu den Häfen Chinas und Indiens
reicht und von den USA beherrscht wird, mit den Schlüsseln zu den
Energiequellen des Planeten in der Tasche, während sich eine tödliche
Auseinandersetzung um die globale Hegemonie mit den neuen (und alten) aufstrebenden
Mächten abzeichnet.
Ebenfalls undenkbar ist,
dass die Regierung und die an diesem Syndrom erkrankten Pazifisten die große
Neuheit dieses Konfliktes nicht wahrgenommen haben. Die besteht eben darin,
dass sich die israelische Armee – im Gegensatz zu dem, was bisher immer der
Fall war – gegenüber der aus ungefähr 10.000 Kämpfern bestehenden, gut
organisierten und anständig bewaffneten Guerilla, die bereit war zu sterben (wenn
auch nicht in Form von Selbstmord) und gezeigt hat, dass sie Israel auf sehr
viel brisantere Weise treffen kann als durch Selbstmordanschläge, als machtlos
erwies. Es ist diese Niederlage und die offensichtliche Isoliertheit der
barbarischen israelischen Aggression, die Olmert –
sehr viel mehr als die, wenn auch bedeutende, weltweite Mobilisierung – dazu
gezwungen haben, den „Waffenstillstand“ zu akzeptieren.
Angesichts dieser Niederlage
gibt es allerdings für die Zukunft zwei Hypothesen: Die erste – hochgradig
unwahrscheinliche – würde einen Bewusstseinssprung in der israelischen Führung vorsehen,
was die Risiken betrifft, die ihr Land in dem neuen Szenario eingeht, wenn es
fortfährt den „Panzer“ <im Original deutsch!> der
USA zu spielen und das Eingeständnis, dass Verhandlungen unvermeidlich sind, um
den Palästinensern ein wirkliches Heimatland zu geben und die <besetzten> Gebiete an Syrien und den Libanon zurückzugeben. Die
Zweite – sehr viel wahrscheinlichere – Möglichkeit besteht darin, dass Israel
das US-Projekt der Destabilisierung der Region bis zum Letzten fortsetzt.
In beiden Fällen erscheint
die Anwesenheit von italienischen und UNO-Truppen entweder als sinnlos oder als
hochgradig schädlich und provokatorisch. Im ersten Fall wäre das, was die
Regierung tun sollte, Israel davon zu überzeugen, ernsthafte Verhandlungen über
einen stabilen Frieden mit seinen Nachbarn zu führen. Während im zweiten Fall
(der Reihenfolge nach) die Truppen bei dem unmöglichen Versuch enden würden,
die „Dreckarbeit“ zu erledigen, die Israel nicht gelungen ist, um zur
Demonstration „der Nicht-Vertrauenswürdigkeit“ der Hisbollah benutzt zu
werden, den Preis dafür zu bezahlen und dann den USA und Israel zu erlauben mit
einem Krieg auf der ganzen Breite des Feldes und „an den Quellen“ zu
intervenieren.
Warum also eine derartige „Leichtigkeit“
aufseiten der Mitte-Linken? Die Antwort ist dieselbe wie bei der
Afghanistan-Mission. Die Regierung bürdet sich die subimperialistischen
Forderungen des italienischen Kapitalismus auf, der – ohne strategische
Reichtümer und eine eigenständige ökonomische Stärke dastehend – meint, er
könne nur mit Hilfe einer politischen „Vermittlerrolle“, die jedoch ein starkes
militärisches Engagement erfordert, am weltweiten Freihandelsbankett teilnehmen.
Was den „gewaltfreien“ Teil der Regierung und in erster Linie den PRC <Partito
della Rifondazione Comunista>
anbelangt, haben wir den Eindruck, dass dort die unglückselige Theorie von der „Schadensbegrenzung“
vorherrscht, die sich mit den Erklärungen bezüglich der Nicht-Entwaffnung der
Hisbollah genauso zufrieden gab wie sie sich bei Afghanistan der seltsamen
These des Kabul-nicht-Verlassens anvertraute. Generell scheint die Linie darin
zu bestehen um jeden Preis in der Regierung zu bleiben.
Was schließlich den großen
Pazifismus ohne Wenn und Aber anbelangt, haben wir das Syndrom bereits
angesprochen. Darüber hinaus gibt es allerdings (siehe den Tavola
della Pace / Friedenstisch)
noch die Neulancierung der tödlichen Theorie des „Holen wir uns die UNO
zurück!“ und sogar eine gewisse Begeisterung in der Illusion eines „guten“
Einsatzes eines Instruments, das ohne Ende zwischen Ohnmacht und vollständiger Unterordnung
unter die US-Herrschaft hin und herschwankt. Für alle diejenigen, die (wie wir)
mit dem Widerstand der Völker <solidarisch> sind und mit
Befriedigung dessen wachsende Stärke sehen und zu ihrem Erfolg durch die
italienische und europäische Anti-Kriegs-Mobilisierung beitragen wollen, zeichnet
sich die, vom Europäischen Sozialforums in Athen beschlossene Aktionswoche vom
23. bis 30.September (mit nationalen Demonstrationen am 30.9.2006) ab und das
auch mit dem selbstverständlichen Vorschlag die inhaltliche Plattform um die
neuen Ereignisse im Libanon zu erweitern.
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover