Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Die kleine, zum linken Flügel von Rifondazione Comunista zählende,
Monatszeitschrift “Falce Martello” (Hammer und Sichel - verkaufte
Auflage: 1500 Exemplare) führte das folgende Interview mit dem lombardischen
Regionalsekretär der CGIL-Metallarbeitergewerkschaft FIOM und prominenten
Vertreter des linken CGIL-Flügels Maurizio Zipponi. Ausgehend
vom Kampf um die Verteidigung des Kündigungsschutzes (Artikel 18 Arbeiterstatut)
wird in diesem umfangreichen Interview einer großer Bogen geschlagen,
der alle derzeit akuten Fragen der italienischen Arbeiterbewegung (Metalltarifrunde,
Einbeziehung der prekär Beschäftigten, zunehmendes Engagement einer
neuen Arbeitergeneration, die politische Vertretung, Einfluß des Lega
Nord-Rechtspopulismus in der Arbeiterklasse...) behandelt. Nebenstehend bringen
wir die Übersetzung der kritischen Anmerkungen, die die “FalceMartello”-Redaktion
zu Zipponis Positionen veröffentlichte. Beides erschien in der Nummer
156 vom 24.4.2002.
Interview mit Maurizio Zipponi
(lombardischer Regionalsekretär der FIOM):
Auf dem Weg zu einem neuen
Generalstreik
Der Streik am 16.4.2002 ist eine große Kraftprobe der Arbeiterklasse
dieses Landes gewesen. Es beginnt die Diskussion über das, was danach
kommt. Es ist wahrscheinlich, daß ein einziger Generalstreik nicht
ausreichend sein wird, um die Regierung zum Zurückweichen zu veranlassen.
Wie <soll man> den Kampf weiterführen ?
“Zuallererst muß der absolut gewerkschaftliche Charakter des Streikes
geklärt werden.
Die Linke kann das, was die Arbeiterbewegung zum Ausdruck bringt, nutzen,
um zu versuchen, dem eine politische Interpretation und Vertretung zu geben.
Aber das, was da im Gange ist, ist eine rein gewerkschaftliche Auseinandersetzung.
Auf dem Spiel steht der Anspruch der Unternehmen, ohne einen richtigen Grund
Entlassungen vorzunehmen und ins Feld geführt ist die totale Opposition
der Werktätigen, um diese Operation zu verhindern. Dann gibt es selbstverständlich
den Kampf gegen alle <Regierungs->Vollmachten. Aber die Kraft der Arbeiterbewegung,
die - was die Metallarbeiter anbelangt - seit dem 6.Juli vergangenen Jahres
wirkt, ist in der Lage die Karten der gegenwärtigen - für uns ungünstigen
- Kräfteverhältnisse auszugleichen, weil sie eine strikt gewerkschaftliche
Plattform zur Grundlage hat. Das heißt sie behandelt direkt die Situation
der Werktätigen.
Dies sind die Gründe, die den Streik am 16.April groß gemacht
haben und wenn die Regierung und die Confindustria es nicht akzeptieren die
auf den Artikel 18 und das Schiedsverfahren bezogenen Vollmachten zurückzuziehen
und den ganzen Ansatz in Sachen Arbeit, Gesundheitswesen, Schule und Vorsorge
radikal zu verändern, dann werden weitere Kampfaktionen notwendig. Insbesondere
zwei. Die erste: Ein weiterer Generalstreik - ob nun ein gemeinsamer <mit
CISL und UIL zusammen> oder nicht. Die zweite: Im Fall, daß der
Konflikt die Differenzen ausweitet und vertieft, die Erklärung nicht
<mehr> mit den Unternehmen zusammenzuarbeiten. Das heißt, daß
sich alle abhängig Beschäftigten an die von den Tarifverträgen
festgelegten Aufgaben und an die Berufsprofile halten, ohne weiterhin das
<an Leistung> anzubieten, was heute der Motor des Funktionierens der
Unternehmen ist: den informellen Einsatz, um die Probleme zu lösen,
die durch die schnelle Veränderung der Prozesse entstehen. Es sind auch
neue Kampfformen notwendig, um den Konflikt bis zum Rückzug der Vollmachten
und bis zur Ausdehnung der Rechte fortzusetzen.”
Bist Du nicht der Meinung, daß es angesichts einer so harten und
ausgedehnten Mobilisierung von gewerkschaftlicher Seite eine Bereitschaft
geben sollte, Branchenabkommen (öffentlicher Dienst, Bauarbeiter, Chemiearbeiter),
die sich eine ganz und gar der konzertierten Aktion entsprechende Logik einfügen,
nicht zu unterschreiben ? Liegt darin nicht ein offensichtlicher Widerspruch
?
“Mehr als von einem Widerspruch würde ich von einer gewerkschaftlichen
Maschinerie sprechen, die sich auf zwei Ebenen bewegt. Die erste (über
die wir zuerst diskutierten) ist der objektiv offene soziale Konflikt sowie
die FIOM und die CGIL, die die Ebene verstanden und die oben genannten Kampfaktionen
durchgeführt haben. Die zweite ist die bürokratische Maschinerie
der Gewerkschaftsorganisation, die sich abmüht alte Sicherheiten, wie
die Sozialpartnerschaft, aufzugeben.
Die Vorstellung, daß es darum geht die Nacht ohne weitere Belästigung
durch die Versammlungen, die Streiks und die Bewegung zu verbringen, ist
eine Vorstellung, die glücklicherweise nur eine bürokratische Minderheit
der Leitungsgruppe betrifft, die - hoffnungsvoll auf eine Rückkehr in
die Vergangenheit wartend - fortfährt Abkommen zu unterschreiben und
dabei so zu tun als ob das noch die Sozialpartnerschaft sei. In Wahrheit
sind die Abkommen, die die Unternehmer heute der Gewerkschaftsorganisation
unterbreiten, Abkommen, in denen nur der Wille des Unternehmers unterschrieben
wird und gewiß keine Vermittlung zwischen unterschiedlichen Interessen.”
Was geschieht in Sachen Tarifvertrag der Metallarbeiter ? Wäre
hier nicht der Fall gegeben diesen Aspekt in den allgemeineren Rahmen der
Mobilisierung einzufügen ?
“Die Partie des Tarifvertrages der Metaller ist nicht abgeschlossen. Es hat
zwei Generalstreiks gegeben und glücklicherweise sind wir aus einer
Situation der Isolation und der Einsamkeit herausgekommen, <die herrschte>
als auch ein Teil der Gewerkschaftsbewegung dachte, daß die FIOM den
Tarifvertrag wegen der 18 000 Lire <gut 9 Euro> Lohnerhöhung <Differenz
zur FIOM-Forderung> nicht unterschreiben würde, weil wir ein bißchen
originell wären. In Wahrheit haben wir bereits am 6.Juli 2001, als der
erste Generalstreik <im Metallsektor> durchgeführt wurde, mit
Nachdruck gesagt, daß das, was damals uns passierte, dann allen passiert
wäre.
Die italienische Unternehmerschaft hat beschlossen, den nationalen Tarifvertrag
zu beseitigen und sie hat zu diesem Zweck beschlossen, die stärkste
Gewerkschaft zu schlagen. Das war ein Signal für alle, aber die Sache
wurde damals nicht begriffen. Wir erhielten Solidaritätsbekundungen,
aber nicht mehr. Bei der großen Demonstration <zur Verteidigung
des Artikel 18> am 23. März in Rom hat Cofferati bestätigt,
daß das, was den Metallarbeitern widerfahren war, in Wahrheit eine
Generalllinie der Unternehmerschaft und der italienischen Rechten ist. Somit
haben wir ein erstes und bedeutendes Ergebnis erreicht. Das heißt,
daß die Gesamtheit der italienischen Gewerkschaftsbewegung und insbesondere
die CGIL begriffen haben, daß die Auseinandersetzung der Metallarbeiter
ein allgemeiner Konflikt ist.
An diesem Punkt haben wir (deshalb sagte ich, daß die Partie des Tarifvertrages
nicht abgeschlossen ist) die politische und gewerkschaftliche Pflicht der
Sache verbunden zu bleiben. Wir haben <im Metallbereich> einen separaten
nationalen Tarifvertrag, der von der FIOM nicht unterschrieben worden ist.
Aus diesem Grund werden wir bis Ende Mai die nationale Versammlung der RSU-Delegierten
einberufen, um über den Tarifvertrag zu diskutieren. Das von FIM und
UILM unterschriebene Separatabkommen ist nicht die Erneuerung des nationalen
Tarifvertrages, sondern nur die Erneuerung der 2jährigen Geltungsdauer
der Löhne, während all das, was die Rechte und die Normen betrifft,
Ende diesen Jahres abläuft. Beim neuen nationalen Tarifvertrag werden
wir uns vornehmen das zurückzuerobern, was im Separatabkommen verletzt
worden ist, d.h. die Respektierung der Normen und der Regeln.
Wir werden auf der nationalen Versammlung (er-)klären, daß die
Prämisse von allem die gewerkschaftliche Demokratie ist. Die FIOM kann
andere Meinungen als die anderen Gewerkschaftsorganisationen haben und umgekehrt,
aber es muß klar sein, daß es am Ende die betroffenen Arbeiter
sind, die entscheiden. Das Votum der Arbeiter ist somit das, was jeder Diskussion
über die Sache vorausgeht. Wir werden über Demokratie und über
die Inhalte des neuen nationalen Arbeitsvertrages diskutieren, die meiner
Ansicht nach mit der, in Jahren der Sozialpartnerschaft praktizierten, Politik
der kompatiblen Lohnerhöhungen brechen müssen.”
Bei den jüngsten Demonstrationen fällt die Beteiligung vieler
junger Leute auf, die man bei den Gewerkschaftsdemonstrationen lange Zeit
nicht sah. Es gibt eine Forderung nach der Verschärfung des Kampfes
und einer größeren Radikalität der Gewerkschaft, die aus
diesen Sektoren kommt. Man spricht von einer neuen Arbeiterbewegung. Wenn
Du die wichtigsten Unterschiede gegenüber der vergangenen Generation
angeben solltest, welche würdest Du insbesondere nennen ?
“Ich könnte <nur> über die Unterschiede sprechen, die ich,
entsprechend meiner Erfahrung, kenne. Ich habe die Arbeiterklasse der 50er
und 60er Jahre (jene des Wiederaufbaus) nicht gekannt. Jene, die ich in den
80er Jahren gekannt habe, hat große Siege erreicht, aber auch schwerwiegende
Niederlagen erlitten. Es war eine Arbeiterklasse, die über eine starke
historische Erinnerung verfügte. Es gab von Generation zu Generation
eine kontinuierliche Weitergabe der Fähigkeit sich daran zu erinnern,
wann Du gewonnen und wann Du verloren hast, wie die Kämpfe, wie die
Streiks zu führen sind, das Verhalten des Unternehmens, wie gegen die
<Arbeits-> Geschwindigkeiten vorzugehen ist etc. Bei den neuen Generationen
hat es diese Weitergabe der Erinnerung nicht gegeben. Daher mußte das,
was wir die neue Arbeiterbewegung nennen, einen Eintritt in die Arbeitswelt
ohne Verteidigungsmöglichkeit bewerkstelligen. Wenn Du nicht Bescheid
weißt, kannst Du Dich nicht verteidigen.
Ein Iveco-Arbeiter aus Brescia hat mir gesagt: ‚Als FIAT nach den Jahren
der Umstrukturierung wieder angefangen hat <Leute> einzustellen und
die Jungen in die Fabrik gekommen sind, ist es <uns> nicht gelungen
mit ihnen zu reden, weil sie wie Bestien gearbeitet haben, sich reinschmissen,
die Gelder nicht in die Familie fließen ließen und alles für
Konsumgüter ausgaben (für das Auto etc.). Ich habe mit diesen Jugendlichen
keine Anknüpfungspunkte. Die Neuen sind zu jeder Arbeitsbedingung bereit.‘
Das ist die erste Reaktion gewesen: Kontaktunfähigkeit. Nach und nach
haben dieselben Jugendlichen entdeckt, daß sie nicht 3 oder 6 Monate
oder 1 Jahr im Betrieb bleiben, sondern 2,3,4 Jahre und an dem Punkt haben
sie sich mit der Unternehmensorganisation, der Hierarchie, dem Kommando und
mit der Unterordnung unter die Anweisungen auseinandergesetzt. Und so hat
diese neue Generation begonnen zu protestieren, hat sich Ende der 90er Jahre
den Kämpfen mit Forderungen von starker Radikalität zugewandt.
Von dem Augenblick an, in dem sie begriffen haben, daß ihre Arbeitssituation
nicht provisorisch war, sondern daß ‚sie da bleiben mußten‘ hat
eine starke Beteiligung an den Streiks begonnen.”
Ein weiteres neues Element der jüngsten Mobilisierungen ist die aktive
Beteiligung des eingewanderten Proletariates. Besonders sichtbar in einer
Stadt wie Brescia. Wir haben nicht den Eindruck, daß die Gewerkschaft
in der Lage ist, sich in korrekter Weise auf diese Arbeiter, auf ihre spezifischen
Probleme, auf ihre Forderung nach Vertretung usw. zu beziehen.
“In einem Punkt bin ich mit Euch einer Meinung: Die Ankunft von Millionen
eingewanderter Arbeiter in Italien schafft sicherlich unvorhergesehene Probleme.
Die Aufenthaltserlaubnis, die Aufenthaltsbedingungen als Arbeiter in einer
Realität dort wo er arbeitet (also die Unterkünfte etc.) sind die
ersten Dinge, auf die man achten muß. Heute befinden wir uns da jedoch
in einer paradoxen Situation: Einerseits <gibt es neuerdings> ein italienisches
Gesetz (das Bossi/Fini-Gesetz), welches das Aufenthaltsrecht an den Arbeitsvertrag
bindet (dies bedeutet, daß es einen substantiellen Stop für die
Anwesenheit der eingewanderten Arbeiter gibt), andererseits behauptet die
Industriellenvereinigung von Brescia (zum Beispiel), daß viele Unternehmen
ohne die Ankunft von Tausenden von Immigranten gezwungen wären zu schließen.
Die Unternehmer sind daran interessiert die eingewanderten Arbeiter auszubeuten,
die morgens in die Fabrik kommen und sie nachts verlassen, ohne sich Sorgen
darüber zu machen, was diese Arbeiter tun, wenn sie nicht arbeiten.
Der starke Punkt der Immigranten ist, daß sie bereits heute einen Pfeiler
des italienischen Produktionssystems bilden, insbesondere in der Industrie
Norditaliens. Aber die traditionellen Gewerkschaftsorganisationen, wie die
unsere, strengen sich an die eigene gewerkschaftliche Praxis und die eigenen
Strukturen dem anzupassen.
Die eingewanderten Arbeiter sind eine Ressource für die Bewegung. Entweder
sind wir in der Lage uns von der neuen Arbeiterklasse und von den eingewanderten
Arbeitern überschwemmen zu lassen oder wir werden eine Gelegenheit verpassen.
Sie sind Träger radikaler Bedürfnisse, stellen einen Status Quo,
eine Konservierung vorhandener Kräfteverhältnisse zur Diskussion.
Es gibt wenige gewählte RSU-Delegierte unter den Immigranten. Fast niemand
ist Funktionär, fast niemand Generalsekretär. Solange es keine
Gewerkschaft gibt, in der der eingewanderte Arbeiter sich nicht darauf beschränkt,
sich mit dem Immigrantenzentrum zu beschäftigen, sondern die Gesamtheit
der Arbeiter einer Zone oder einer Fabrik repräsentiert, solange werden
die CGIL und die FIOM fortfahren Gelegenheiten zu verpassen. Es wird daher
notwendig sein in unserem Innern Konflikte zu eröffnen und den weißen
Arbeitern Noirditaliens, die vielleicht <die rechtspopulistische und rassistische>
Lega <Nord> wählen, zu sagen, daß es eine ghanaische Arbeiterin
sein wird, die ihre Fabrik <d.h. die dortige Gewerkschaftsgruppe> führt
und daß sie es sein wird, die ihre Interessen in den Verhandlungen
vertritt.”
Hat man in der Vergangenheit nicht (auch von gewerkschaftlicher Seite)
bezüglich der hohen Zahl von <Gewerkschafts-> Aktivisten,
die Lega wählen, übertrieben ?
“Die Gewerkschaftsaktivisten der FIOM und der CGIL wählen zu 99% links.
Das Wahlverhalten der Gesamtheit der Werktätigen spaltet und differenziert
sich entsprechend der Entwicklung des Wahlverhaltens im Lande. Die Gewerkschaft
hat nicht die Aufgabe eine Wahlempfehlung zu geben. Die Gewerkschaft hat
die Aufgabe eine soziale <Interessen-> Vertretung und eine <Forderungs->
Plattform zu definieren, den Konflikt zu führen und zu versuchen die
Bedingungen der Werktätigen zu verbessern.
Es existiert kein Automatismus zwischen sozialer und politischer Vertretung.
Es stimmt, daß in den Ursprüngen des Phänomens die Wahl der
Lega hier im Norden von vielen als ein Votum gegen das System gesehen wurde,
da die alte politische Vertretung der Arbeitswelt in der Krise war. Jenes
Votum zugunsten der Lega in Norditalien ist dabei sich graduell, aber konstant
zu reduzieren, weil heute der Minister, der die Entlassungen vorschlägt,
Maroni heißt <und führendes Mitglied der Lega Nord ist>,
während derjenige, der die Unabhängigkeit der Richterschaft attackiert,
Castelli heißt. Gewiß gibt es ein Problem. Mit der Verringerung
der politischen Vertretung <in Form> der Lega in den Gebieten Norditaliens
und in den Tälern korrespondiert heute keine neue politische Vertretung
des sozialen Konfliktes. Es gibt Parteien, die mehr als andere mit der Arbeiterbewegung
im Dialog stehen (angefangen bei Rifondazione und einigen Teilen der Linksdemokraten
- DS), aber noch gibt es nicht jenen Ruck, der die Arbeiter sagen läßt:
‚Meine Stimme wird mit Sicherheit dorthin gehen.‘ Ohne Zweifel erhöht
der soziale Konflikt das Erfordernis einer neuen politischen Vertretung.
Die Gewerkschaft gibt keine Wahlempfehlung, aber sie schafft die Gelegenheiten.
Es geht darum zu sehen, ob die Linke in der Lage ist, sich zu reorganisieren
und das Thema der politischen Vertretung einer Arbeitswelt in Angriff zu
nehmen, die sich verändert.”
Du hast viele Male gesagt, daß Du Kommunist seist. Du bist aber
nicht Rifondazione beigetreten und hast in der Vergangenheit die Bildung
einer “Partei der Arbeit” vorgeschlagen, die für die Kommunisten offen
ist. Viele denken, daß <der scheidende CGIL-Generalsekretär>
Sergio Cofferati dabei sei ein Projekt dieser Art umzusetzen. Wie denkst
Du darüber ?
“Auf diesem Gebiet kann ich weniger sichere Dinge sagen als auf dem gewerkschaftlichen
Gebiet, auf dem ich mich besser auskenne. Ich würde den Begriff ‚Partei
der Arbeit‘, den ich in der Vergangenheit nur benutzt habe als der PCI aufgelöst
wurde, nicht mehr verwenden. In dem dunklen Zeitraum, den wir hinter uns
haben und der mit der Niederlage bei FIAT 1980 begann, ist die politische
Vertretung der Linken in die Krise geraten. Zur Mitte der 90er Jahre hin
sprach ich von einer Partei der Arbeit und ließ dabei Eichen <=
das Symbol der Linksdemokraten>, Blumen <Margarite heißt der
rechte Flügel des Mitte-“Links”-Bündnisses Olivenbaum>, Bäume
und was noch alles beiseite. Heute denke ich, daß ein alternatives
Projekt zu dem der Rechten geschaffen werden muß. Es ist nötig,
daß ein Arbeiter spürt, daß, wenn er Dich wählt und
Dich unterstützt, das seine Situation verbessern kann.
Ich weiß nicht, was Cofferati machen will. Offen gesagt solltet Ihr
ihn das fragen. Aber es ist klar, daß, wenn es gelingt ein anderes
Projekt zu definieren (nicht <nur> bei den Wahlen, sondern indem eine
Alternative zum zerlumpten italienischen Kapitalismus vorgebracht wird),
sich dann das Problem der politischen Vertretung, d.h. der Formen, stellt.
Die einzige Form, die ich kenne, ist die Partei, auch wenn man heute realistischerweise
vorrangig daran arbeiten sollte, eine plurale Linksfront auf den Weg zu bringen.
Es gelingt mir nicht, mir etwas anderes als ein plurales Experiment vorzustellen,
in dem man sich auf der Grundlage von einigen klaren Dingen verbündet
und das das Regierungsprogramm wird. Wobei jedem die Freiheit gelassen wird,
das eigene Verhältnis zu den sozialen Konflikten zu konsolidieren. Mir
scheint, daß Rifondazione auf ihrem Kongreß geklärt hat,
daß sie weder beabsichtigt sich aufzulösen noch andere Dinge zu
tun, wie die von <der unabhängigen linken italienischen Tageszeitung>
‚il manifesto‘ vorgeschlagenen. Das Problem ist, zu begreifen, ob es dieser
Partei ausreicht, Recht zu haben oder ob sie sich dem Problem stellt, einer
Arbeitswelt eine politische Vertretung zu geben und, wenn es möglich
ist, in diesem Rahmen Bündnisse einzugehen. Wenn es ein politisches
Projekt gibt, ist es auch einfacher Bündnisse zu schaffen. Die Zukunft
für die linken Parteien in den kommenden Jahren ist es, eigenständig
zu agieren und sich dabei über das Projekt zu einigen. Das, was für
mich klar ist, ist daß ein einfaches gegen Berlusconi getroffenes Abkommen
zur Niederlage verurteilt ist. Das bedeutet, daß es auf dem Feld <der
politischen Auseinandersetzung> ein einheitliches Denken gibt: das von
Berlusconi und Du bist dagegen.”
Ein Abkommen mit der Mitte-Linken hat Rifondazione 1996 mit dem <wechselseitigen>
“Abstand nehmen” <von konkurrierenden Kandidaturen in den Direktwahlkreisen>
(desistenza) getroffen. Die schlechten Resultate dessen liegen allen vor
Augen. Diese Zeitschrift hat sich jenem Vorschlag und den nachfolgenden Bündnissen
mit dem Olivenbaum widersetzt. Aber jenseits der Dinge, die wir teilen können
oder nicht, haben wir den Eindruck, daß Dein Diskurs sich ganz und
gar auf dem Gebiet der Bündnisse bewegt. Wir folgern daraus, daß
Du nicht die Möglichkeit siehst, daß eine neue politische Formation
entsteht.
“Die sehe ich nicht, aber das will nicht heißen, daß ich sie
mir nicht wünsche. Mein Pessimismus gegenüber dem Projekt der Partei
der Arbeit entsteht aus einem absoluten Mangel an Leitungsklasse. Es ist
wahrscheinlich, daß in diesem Moment der soziale Konflikt, die Antiglobalisierungs-Bewegungen
und der Protest gegen den Krieg und den Freihandel / den Wirtschaftsliberalismus
dafür sorgen, daß neue Jahrgänge von Militanten, von Aktivisten
in die Politik kommen. Wenn dies geschieht, werden die Karten neu verteilt
und das Panorama verändert sich. Das gegenwärtige Leitungspersonal
der italienischen Linken hat keine Lust sich zur Diskussion zu stellen. Das
muß <aber> unumgänglich sein. Wahrscheinlich wird es unumgänglich,
wenn die Subjekte des sozialen Konfliktes die Bühne betreten. Nur so
können ehrgeizigere Projekte auf der Linken diskutiert werden und das
bedeutet Vorhaben, die über das Wahlbündnis hinausgehen. Ich bin
mir bewußt, daß meine Antwort eine unvorhergesehene Antwort ist.”
Die Bewegung, die ihren Anfang in Seattle gehabt hat, charakterisiert
sich durch die Parole: “Eine andere Welt ist möglich.” Wie würdest
Du die mögliche andere Welt definieren ? Ist es der Sozialismus
? Ist es was anderes ? Wie sieht das Forschungs- und Analyseterrain
der Gesellschaft aus, die dem Kapitalismus entgegengesetzt werden müßten
?
“Da Du mir präzise Worte vorschlägst, werde <auch> ich mit
den Worten präzise sein müssen. Jenes kapitalistische System, das
1989 mit dem Fall der Berliner Mauer formell gewonnen hat, hat mit dem Abstand
von 15 Jahren, verglichen mit seinen Versprechen, aufsehenerregende Mißerfolge
aneinander gereiht: Die Konflikte haben zugenommen und die Enteignung der
Rechte der Werktätigen hat zugenommen. Nicht eines der sogenannten Versprechen
des Kapitalismus ist verwirklicht und immer begrenztere Eliten konzentrieren
Macht und Reichtum.
An diesem Punkt kann man dem Kapitalismus nichts anderes als eine Vorstellung
von der Entwicklung der Welt entgegen setzen, die in die Produktionsverhältnisse
der Güter und Dienstleistungen eingreift, um damit diese Produktionen
zum kollektiven Wohl zu bestimmen. Man muß nicht banalisieren...
Wir diskutieren nicht über die Verstaatlichung. Wir diskutieren über
die Tatsache, daß das Handeln des Mannes und der Frau, die arbeiten,
auf ein kollektives Wohl ausgerichtet sein muß, um sich der Frage zu
stellen, was man produziert, wie man es tut, welche ökologische Auswirkung
es auf das Leben der Anderen hat und wie die Zeit reguliert wird, die der
grundlegende Faktor des Produktionssystems ist. Das kapitalistische System
ist reiner Diebstahl von Zeit. Es ist klar, daß ‚anderes System‘ (also
eine andere Vorstellung von der Produktion und den Kräfteverhältnissen)
zu sagen bedeutet, von einer Wiederaneignung der Zeit ausgehend neu zu beginnen.
Und aus diesem Grund habe ich das gesagt und fahre fort es zu sagen, daß
meine Vorstellung eine kommunistische Vorstellung von gesellschaftlicher
Entwicklung, von den Verhältnissen zwischen den Klassen und von der
notwendigen radikalen Veränderung der Produktionsweise ist.”
Vorbemerkung, Übersetzung und Anmerkungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover