Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:


Der linke Flügel des größten Gewerkschaftsbundes Italiens (CGIL) ist eine der stärksten Formationen der Gewerkschaftslinken in der EU. Ende 2000 leitete die bis dahin zersplitterte CGIL-Linke ihren organisatorischen Zusammenschluss unter dem Namen "Lavoro e Società" (Arbeit und Gesellschaft) ein und erreichte bei den Delegiertenwahlen zum CGIL-Kongress im Februar 2002 eine Zustimmung von 25%. Im Nationalen Sekretariat (dem "geschäftsführenden Bundesvorstand") sitzen seitdem zwei ihrer führenden Vertreter. Der auf einige wenige allgemeinpolitische Fragen (Kündigungsschutz, Irak-Krieg und Rentenreform) beschränkte und in den letzten Monaten immer fragiler gewordene Linksschwenk der CGIL-Mehrheit seit Anfang 2002 hat die CGIL-Linke allerdings in erhebliche Schwierigkeiten gebracht. Weder war sie im Gefolge dessen in der Lage in diesen Fragen auf mehr als nur radikale Statements und gelegentliche, vor allem demonstrative Aktionen zu dringen noch unternahm sie ernsthafte Anstrengungen, um den sozialpartnerschaftlichen Kurs in der Tarifpolitik zu beenden, den die CGIL (mit Ausnahme der CGIL-Metallarbeitergewerkschaft FIOM) ungerührt weiterverfolgt und der zuletzt in der Chemiebranche, bei der Post und im öffentlichen Nahverkehr zu skandalösen Dumpingverträgen geführt hat. (Wogegen die Straßenbahn- und Busfahrer nun selbstständig, nur mit Unterstützung der unabhängigen linken Basisgewerkschaften, in ganz Italien eine beeindruckende Mobilisierung entwickeln.)


Ein Teil der CGIL-Linken dringt daher seit längerem auf eine radikale Selbstkritik und Rückbesinnung auf die Ziele für die man angetreten ist (Entbürokratisierung, Schluss mit der Sozialpartnerschaft, Kampf der Prekarisierung etc.). Die wichtigste Kraft in dieser Hinsicht ist der Coordinamento Nazionale RSU (die selbstorganisierte Nationale Koordination der RSU-Delegierten; d.h. der italienischen Mischung aus Betriebsrat und Vertrauensmann), dessen Website (http://www.ecn.org/coord.rsu) de facto das "Labournet Italy" ist. Daher hier die aktuelle Einschätzung des Coordinamento Nazionale RSU zur Situation der CGIL, zur Krise der CGIL-Linken und den Konsequenzen daraus:



Über die Notwendigkeit einer Reflektion und einer Überprüfung der Linie und des Agierens der CGIL-Gewerkschaftslinken, für eine Neulancierung der Ziele, für die wir mit unserem Kongressdokument eingetreten sind.


Wohin geht die CGIL ?


Wie mittlerweile deutlich geworden ist, stehen wir vor einer Wende der CGIL bezüglich der Positionen und Verhaltensweisen, die sie, ausgehend von der Opposition gegen die Regierung Berlusconi in der Frage der Rechte bis hin zu den jüngsten Positionen zum <Prekarisierungs->Gesetz Nr.30 und zu den Renten bezogen bzw. praktiziert hatte.


Wenn man die letzten Ereignisse beobachtet, ist das Abbremsen der CGIL bei den in der jüngeren Vergangenheit auf nationaler Ebene geäußerten Positionen offensichtlich. In der Mehrheit der CGIL scheint sich eine Position zu konsolidieren, die mehr darauf achtet und sich mehr darum sorgt, dass die Beziehungen zu <den kleineren und rechteren Gewerkschaftsbünden> CISL und UIL einerseits und zu den Unternehmerverbänden andererseits wieder hergestellt werden, ohne die Opposition gegen die Regierung zu reduzieren (siehe diesbezüglich die Stellungnahme des Coordinamento RSU vom Juli 2003).


Dies ist eine Situation, die, da sich die Charakteristika der von Unternehmern und Regierung geführten wirtschaftsliberalen Offensive nicht geändert haben, eine zunehmende Konfusion in der CGIL-Linie mit sich bringt, die in der Sache immer unzusammenhängender und von Einschätzungen taktischen Charakters geleitet wird. Die – durchaus interessanten – Diskussionen, die dennoch in der CGIL stattfinden (es genügt da, sich das auf der Sitzung der nationalen Leitung am 16.Dezember 2003 beschlossene Dokument anzuschauen), sind zu nichts nütze, wenn es dann in der Praxis an der Einheit von Wort und Tat fehlt.


Es ist so, dass der kritischen Einstellung gegenüber der sozialpartnerschaftlichen Politik, die zum Ende des Kongresses von Rimini <im Februar 2002> aufgetaucht war (und auf die <der vereinigte linke Flügel> "Lavoro e Società" der CGIL so sehr gesetzt hatte) durch die Tarifabschlüsse der letzten Monate, die auch die CGIL unterzeichnet hat, immer stärker widersprochen wird (angefangen bei den Ereignissen rund um die FIOM). Es würde hier genügen die Tarifverträge der Tourismusbranche, der Post und der Beschäftigten im Nahverkehr zu zitieren, um den strategischen Kollaps der CGIL vom Kongress bis heute zu begreifen.


Mehr als alles andere von der Entscheidung geleitet, die Beziehungen zu CISL und UIL wiederherzustellen, ist die CGIL-Linie heute voll und ganz auf die Suche nach einer Vermittlung zwischen der wiedergefundenen Fixierung auf die Sozialpartnerschaft und der zunehmenden neokorporativen Neigung ausgerichtet, die das aktuelle gewerkschaftliche Abdriften nicht nur von CISL und UIL, sondern auch der moderaten Teile der CGIL kennzeichnet. Eine Vermittlung, die nichts anderes als Schlamassel und noch schlechtere Ergebnisse auf der politischen und der Tarifebene hervorrufen kann.


Diese Neigung zum Vermitteln, die mittlerweile bei allen Tarifrunden vorhanden ist, ist de facto dabei das Tarifmodell selbst nach rechts zu verändern und öffnet sich (sowohl auf der begrifflichen wie auf der normativen Ebene) der Aufnahme jener Veränderungen im Arbeitsverhältnis, die die Regierung Berlusconi per Gesetz (das Gesetz Nr.66 über die Arbeitszeit und vor allem das Gesetz Nr.30) auferlegt hat. <Und für deren tarifvertragliche Außerkraftsetzung unter den etablierten Gewerkschaften einzig die CGIL-Metallergewerkschaft FIOM kämpft !>


Dies ist eine Linie und eine Praxis, der es entgegenzutreten gilt. Sei es, weil sie die normative und Lohnreduzierung akzeptiert, die Regierung und Confindustria derzeit verfolgen; sei es weil sie das Tarifmodell in der Substanz angreift, indem sie den nationalen Tarifvertrag schwächt oder sei es, weil sie – durch die Isolierung der FIOM – das Terrain für eine politische Niederlage der fordernden Gewerkschaftsbewegung zugunsten eines neokorporativen Gewerkschaftsmodell-Ei's vorbereitet.


Und die Gewerkschaftslinke in der CGIL ?


Das Szenario ist somit ausreichend klar, um erneut mit Nachdruck auf die Notwendigkeit der Existenz und der Initiative einer starken Gewerkschaftslinken in der CGIL als Instrument und als Kampfweg für eine wirkliche Kursänderung hinzuweisen und das Abdriften ins Moderate zu verhindern, das in der Tarifpolitik bereits dabei ist konkrete Gestalt anzunehmen.


An dieser Front müssen wir leider nicht wenig Konfusion feststellen. Die Gewerkschaftslinke war bei den letzten Tarifrunden praktisch abwesend. Beim Post- und beim Nahverkehrs-Tarifvertrag und der jüngsten Erneuerung des Lohntarifvertrages mit zweijähriger Laufzeit in der Chemiebranche fehlte eine kritische Kapazität, eine organisatorische und Koordinationsfähigkeit aller kritischen Kräfte, die sich auch bei diesen Tarifrunden manifestiert hat. Zu oft haben die Exponenten (auch die nationalen der gewerkschaftlichen Linken) schlechte Tarifverträge (siehe die Post) unterstützt, gerechtfertigt und verteidigt und ebenso oft haben sie sich auf schwache kritische Überlegungen beschränkt, die in der Substanz nur methodische über die Verhandlungen und die Abkommen waren (siehe die jüngsten Stellungnahmen zu den Chemiearbeitern und bei den Straßenbahn- und Busfahrern).


Die gewerkschaftliche Linke in der CGIL, die heute besonders in ihren Apparaten damit beschäftigt ist, verschiedene Einflussmöglichkeiten auf die Mehrheit auszuhandeln und in den politischen Aufbauprozessen der neuen Anti-Berlusconi-Wahlfront Einfluss zu nehmen, hat ihre hauptsächliche Aufgabe in gefährlicher Weise vernachlässigt: die Organisierung der Delegierten auf der Grundlage einer Kampfplattform in der CGIL. Das Hauptaugenmerk auf die organisatorischen und taktischen Fragen innerhalb der CGIL und auf die Dynamiken der Mitte-Linken zu richten, kann das Fehlen eines echten Kampfes gegen den konkreten sozialpartnerschaftlichen Charakter der CGIL-Strategie und gegen das neokorporative Abdriften, das sich immer stärker zeigt, nicht rechtfertigen.


Es ist unsere Überzeugung, dass eine nationale Versammlung des programmatischen Bereiches <der CGIL-Linken> mit dem Ziel, die Initiative neu zu lancieren und zwar ausgehend von einer Neupräzisierung unserer Kongressziele und ausgehend von der Zerstreuung jedweden Zweifels und jedweder Unsicherheit über die Tatsache, dass der Kampf für eine andere Linie in der CGIL ein offenes und gänzlich ungelöstes Problem bleibt, nicht länger aufschiebbar ist.


Die Verpflichtung, eine nationale Versammlung des programmatischen Bereiches zu organisieren, wurde bei verschiedenen Gelegenheiten übernommen. Nicht zuletzt auf dem Treffen der nationalen Koordination des Bereiches, das vergangenen Oktober in Rom stattfand (siehe die Stellungnahme des Coordinamento RSU zu jenem Treffen und den Text des einleitenden Referates).


Wie es scheint, liegt die zunächst für Ende des Jahres <2003> und dann für Januar <2004> vorgesehene Versammlung nicht mehr im Interesse und steht nicht mehr auf der Tagesordnung der nächsten Aktivitäten des Bereiches. Auch wenn die Gründe für eine derartige Verzögerung und eine derart große Unsicherheit offiziell nicht bekannt sind (man erzähle uns nicht, dass dafür die Zeit fehle !), bleibt es gravierend, dass man in einer so heiklen und konfusen Situation nicht die Dringlichkeit und die Notwendigkeit eines Diskussions- und allgemeinen, offenen und konstruktiven Reflektionsmomentes spürt, das alle Delegierten des Bereiches einbezieht. Und in dieser Situation ist es inakzeptabel, dass die Apparate des Bereiches sich das Recht anmaßen, den Bereich weiterhin im Rahmen ihrer geschlossenen Sitzungen und eingeschränkten Koordinationen zu führen. Dies gilt um so mehr als es den Anschein hat, dass auch ihre Treffen immer nichtssagender werden, wenn man sich die verbreitete Konfusion in ihrer Art des Umgangs mit den Tarifrunden anschaut. Einer Konfusion, die in Wahrheit auf eine starke Spaltung des Bereiches hindeutet, wo wir – je nach den Situationen und Branchen – das Sich-Verfestigen von immer stärkeren Meinungsverschiedenheiten in der Sache feststellen, wie z.B. bezüglich der Art wie dem Gesetz Nr.30 begegnet werden sollte oder die Diskussion über das neue Tarifmodell. Das sind Meinungsverschiedenheiten, die – wenn sie nicht beseitigt werden – unvermeidlich zu einer Schwächung des Bereiches und zu seiner weiteren Aufsplitterung in regionale und Brancheninteressen führen werden.


Mit dieser kurzen Anmerkung wollen wir noch einmal auf die Notwendigkeit hinweisen, dass der programmatische Bereich den RSU-Delegierten, die sein Gerippe bilden, die Möglichkeit und Gelegenheit gibt, zur Diskussion und zur Festlegung der unmittelbaren Aufgaben und der Strategie aufgerufen zu werden, die der Bereich einschlagen soll, um für die aktuelle Phase der gewerkschaftlichen Auseinandersetzung und die Lage in der CGIL gerüstet zu sein.


Jede weitere Verzögerung wäre inakzeptabel und würde auf einen absoluten Mangel an Sensibilität seitens der nationalen Koordination des programmatischen Bereiches und seiner Unfähigkeit hindeuten, treibender Faktor und führender Bezugspunkt für die Initiative des Bereiches zu sein. Es würde insbesondere auf die Reduzierung des Bewusstseins hindeuten, ein "programmatischer Bereich" zu sein, der auf Grundlage eines Kongressmandates und dank des Einsatzes Hunderter von Aktivisten entstanden ist.


Als RSU-Delegierte, die sich in der Bewegung "für eine nationale Koordination der RSU'en" wiedererkennen, fordern wir daher, dass so schnell wie möglich der Termin der nationalen Versammlung des Bereiches <der CGIL-Linken> festgelegt wird und zwar mit entsprechenden regionalen und branchenbezogenen Vorläufen, in denen allen die Möglichkeit gegeben wird, ihren Beitrag zu leisten. (Schluss mit den abgeschotteten "Laufsteg"-Versammlungen, die für die letzten Jahre typisch waren !)


Da ferner die Notwendigkeit einer Diskussion und Überprüfung besteht (eine objektive und drängende Notwendigkeit !), machen wir ab jetzt den Vorschlag, dass – falls die nationale Koordination des Bereiches keinen entsprechenden Beschluss fasst – die RSU-Delegierten des Bereiches selbst die nationale Versammlung des Bereiches einberufen.


10.Januar 2004


Die Delegierten, die sich in der Bewegung "für eine nationale Koordination der RSU'en" wiedererkennen


Nachbemerkung der Übersetzer:

Mittlerweile hat das Coordinamento Nazionale RSU die Vorbereitung dieser nationalen Versammlung aller linken RSU-Delegierten selbst in die Hand genommen. Ein erstes Vorbereitungstreffen wird am 30.Januar 2004 in Mailand stattfinden.


Vor- und Nachbemerkung, Übersetzung sowie Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover