Antifa-AG
der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Die
Vorwahlen der italienischen Mitte-Linken am 16.Oktober 2005 zur Kür des
Spitzenkandidaten, der sie in die Parlamentswahlen Anfang April 2005 führt und
– nach dem erwarteten Sieg – Berlusconi im Amt des Ministerpräsidenten ablöst,
waren das zentrale politische Ereignisse aufseiten der Opposition in diesem
Jahr. Der Sieg des ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi stand
dabei vorn vornherein fest und damit das Ausstellen der von ihm gewünschten
programmatischen Blankovollmacht per Plebiszit. Angesichts dieser weitreichenden
Konsequenzen nahm auch der Sprecher der linken italienischen Basisgewerkschaft Cobas
Scuola (Basiskomitees Schule), Piero Bernocchi,zu diesem „Event“ und der
Kandidatur von Rifondazione Comunista-Sekretär Fausto Bertinotti sowie der
Disobbediente Simona Panzino Stellung. Die Cobas Scuola (5.000 Mitglieder), die
über eine breite Verankerung, insbesondere in den Elementarschulen verfügen,
stellen den Hauptteil der Confederazione Cobas, die ansonsten vor allem
im Gesundheitswesen, im Öffentlichen Dienst, in den Universitäten und im
Transportsektor aktiv ist (www.cobas.it).
Sie versteht sich seit jeher als „gewerkschaftliches und politisches Subjekt“,
da beide Ebenen ihres Erachtens weniger denn je voneinander zu trennen sind.
Piero
Bernocchi
(1947 in Foligno / Umbrien geboren) hat eine lange Vergangenheit in der
radikalen Linken, war in der Autonomia-Bewegung von 77/78 sehr aktiv, von 1979
– 85 Direktor des linken Radiosenders „Radio Città Futura“ (Radio Stadt der
Zukunft) und ist Autor mehrerer Bücher über politische und gewerkschaftliche
Themen und insbesondere die Entwicklung der radikalen Linken. Er gehört
außerdem zu den wichtigsten Vertretern der italienischen
Antiglobalisierungsbewegung.
Seine
Stellungnahme erschien u.a. am 8.9.2005 auf der Website des linken
Flügels von Rifondazione Comunista Padua und Venetien www.pane-rose.it
Weit entfernt von den Vorwahlen
Keine Abkürzung: Der einzige Weg für
die Bewegungen, Einfluss auf die Politik zu nehmen, ist der für mehr Bewegung
zu sorgen.
Ich halte den Versuch eines
bedeutenden Teils der „Disobbedienti“ (Ungehorsamen), eine Kandidatur
„aus der Bewegung“ bei den Vorwahlen zu präsentieren, für einen großen Fehler
und hoffe, dass sie dieses Vorhaben so schnell wie möglich aufgeben.
Allgemeiner glaube ich, dass die No global-Bewegung sich von dieser
ganzen Angelegenheit so weit entfernt halten muss, wie möglich. Und das nicht
nur aus den bereits genannten methodischen Gründen (der plebiszitäre,
ultra-leader-fixierte und super-personalisierende Mechanismus), sondern vor
allem, weil sie die einhellige Besiegelung und endgültige Bestätigung der
totalen Hegemonie der wirtschaftsliberalen Komponenten in Bezug auf eine
wahrscheinliche Mitte-Links-Regierung darstellt, die als Garant der sozialen
Befriedung und der Sozialpartnerschaft darauf abzielt, jede wirkliche
konfliktbereite Forderung zunichte zu machen.
Diese wirtschaftsliberalen
Bestandteile haben von Prodi bis <Linksdemokraten (DS)-Generalsekretär> Fassino und von Rutelli <dem Spitzenvertreter des
christdemokratisch-liberalen Unterbündnisses Margerite> bis <DS-Parteipräsident und Ex-Ministerpräsident> D’Alema – in den letzten Monaten ohne irgendeine
Scham eine Musterkollektion durchgeblättert, die rigoros wirtschaftsliberal (in
Sachen Löhne, Tarifpolitik, Prekarität, Privatisierungen, Unterstützung für das
Finanzkapital und die <mächtige
Industriellenvereinigung>
Confindustria, Renten etc.), kriegstreiberisch (Krieg ist in Ordnung, wenn die
UNO dabei ist, völlige Passivität, was den Rückzug der Truppen aus dem Irak
anbelangt, Unterstützung der italienischen Beteiligung an Militärmissionen) und
US-freundlich („Dämpfer“ im Fall des <2004 in Bagdad von US-Soldaten erschossenen
italienischen Geheimdienstoffiziers>
Calipari, Unterstützung für Bush-Blair beim „Kreuzzug gegen den Terrorismus“,
enges Bündnis mit den USA) ist.
Die Zwistigkeiten und
Polemiken zwischen <den
aus der 1990 aufgelösten KP hervorgegangenen Linksdemokraten> DS und der Margerite betreffen das künftige
spezifische Gewicht in der Regierung und die Konkurrenz zwischen verschiedenen
kapitalistischen Lobbies und ganz sicher keine Meinungsverschiedenheiten über
die Gestaltung der Gesellschaft. Ich glaube nicht, dass es möglich ist, solchen
Kräften ein auch nur teilweise anti-wirtschaftsliberales Programm aufzuzwingen
und es bleibt mir unbegreiflich, warum Rifondazione Comunista <PRC> - mit einer vor ca. zwei Jahren eingeleiteten
Kehrtwende um 180 Grad, die keinen geringen Beitrag zur Verstärkung der
Schwierigkeiten der Antiglobalisierungs-Bewegung geleistet hat, wenn man sich
das große Engagement des PRC in ihr seit Genua <Juli 2001> anschaut – unter Verzicht auf das Stellen irgendeiner Vorbedingung
bezüglich des gemeinsamen Programms – a priori und weit im Vorfeld ihre
Beteiligung an dieser Mitte-Linken und ihrer künftigen Regierung beschlossen
hat.
Wenn allerdings bis gestern
bei den (von Bertinotti mehr als von allen Anderen emphatisch gefeierten)
Vorwahlen die Möglichkeit einer Meinungsänderung offen blieb, habe ich nun den
Eindruck, dass der PRC dabei endet, dass er Prodi eine präsidenzialistische und
endgültige Inthronisierung verschafft. Demselben Prodi, der im Sommer keine
Gelegenheit ausgelassen hat, um daran zu erinnern, dass er derselbe (moderate
?) Wirtschaftsliberale ist, der er war als der PRC <im Oktober 1998> den Sturz seiner ersten Regierung herbeiführte.
Ich glaube zu verstehen,
dass Bertinotti darauf zählt, aus den Vorwahlen nicht nur mit dem „Titel“ des
Führers der Linken hervorzugehen, sondern auch mit einem um einiges größeren
Sümmchen an Stimmen als sie der PRC normalerweise erhält. Eine solche „Mitgift“
wäre aber nur dann brauchbar, wenn Bertinotti in die Vorwahlen gehen und sagen
würde: Dies sind die programmatischen Punkte, die der PRC als unverzichtbar
betrachtet, um sich an einer Mitte-Links-Regierung zu beteiligen und dafür
suche ich die Unterstützung von – sagen wir – mindestens 30% der potentiellen
Wählerschaft. Also besäße die politische „Erpressung“ auch dann, wenn er von
Prodi überflügelt würde, eine reale Stärke. Ich habe allerdings den Eindruck,
dass Bertinotti genau daran nicht denkt und sein „Sümmchen“ bei den Vorwahlen
für Prodi keinerlei Verpflichtung schafft. Zumindest wird für Bertinotti aber
eine bedeutende „Werbe“-Wirkung dabei herausspringen – für sich selbst und für
diejenigen, die so denken wir er. Was aber hoffen die ungehorsamen („disobbedienti“)
Genoss(inn)en bei diesen Vorwahlen zu gewinnen ?
Die größtmögliche
Aufmerksamkeit für die programmatischen Punkte der Bewegung, wie Casarini sagt
?
Aber, mal beiseite gelassen,
dass die von Luca aufgelisteten – durchaus sakrosanten – Punkte
unglaublicherweise andere entscheidende Punkte vernachlässigen, wie den Lohn / das
Einkommen (die Dutzende Millionen Arbeiter und Arbeitslose betreffen, die
verelendet sind, wie nie seit dem 2.Weltkrieg), den Kampf gegen die
Prekarisierung (Streichung des Gesetzes Nr.30/2003 und des Treu-Paketes), die
Verteidigung der öffentlichen Schule (Beseitigung des Moratti-Gesetzes und der
Gleichstellung <von
öffentlichen und Privatschulen>), des
Gesundheitswesens und der kulturellen Einrichtungen, der Renten und der
Abfindungszahlungen (TFR). Ist Luca wirklich der Meinung, dass es, um diese in vier
Jahren Bewegung vorgebrachten und in der Mitte-Linken weithin bekannten Punkte
zu bekräftigen, eines Kandidaten bei den Vorwahlen bedarf, der Prodis Hegemonie
unvermeidlich eine weitere Bürgschaft ausstellt ? Man wird doch nicht etwa
meinen, dass sich die Bewegung darauf reduzieren soll (wie es die römischen „Disobbedienti“
in ihrem Vorschlag für eine Kommunalwahlliste geschrieben haben) das
„Gegengewicht“ zu Rutellis „Vertretern der Mitte“ zu sein ? Und wenn selbst die
Teile der Bewegung, die die Mitte-Linke wählen werden, um Berlusconi zu
verjagen, die Vorwahlen mit großem Misstrauen betrachten, wie kann man dann
darauf hoffen, die Bewegung auf einem derart glitschigen Terrain zu
mobilisieren ? Warum einem Kandidaten der „Bewegung“ dem „Gespött des 1%-Ergebnisses“
aussetzen und ihn bzw. uns damit zu einer so marginalen und subalternen Rolle
verurteilen ?
Liebe Genoss(inn)en, fast 40
Jahre Beteiligung an den Kämpfen der Bewegung haben mich davon überzeugt, dass
die Versuche, die Schwierigkeiten bei der sozialen Mobilisierung durch eine
Projizierung auf die „Führerschaft“ („leadership“) der Bewegung in den
Wahlkämpfen zu beheben, immer scheitern. Ich glaube nicht, dass es Abkürzungen
gibt: der einzige Weg für die Bewegungen, Einfluss auf die institutionelle
Politik zu nehmen, liegt gerade darin, „für Bewegung zu sorgen“. Auf dieser
Hauptstraße müssen wir in den kommenden Monaten agieren, die Spaltungen und
Sackgassen überwinden, Vorwahlen und verschiedene Kandidaturen sein lassen und
gemeinsam in allen Bereichen Mobilisierungen und Kämpfe intensivieren und der <bei den Parlamentswahlen Anfang
April 2006> vielleicht siegreichen
Mitte-Linken ab jetzt sagen, dass sie mit einer starken und fest verankerten
anti-wirtschaftsliberalen Bewegung rechnen muss (und das in gravierender Weise
und ohne die „Preisnachlässe“, die sie bei den vorangegangenen
Regierungserfahrungen <zuletzt
1996 bis 2001> erhalten hat). Einer
Bewegung, die die Absicht hat, jeder Regierung mittels Fakten ihr Programm
aufzuzwingen.
3.September 2005
Piero Bernocchi
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover