Antifa-AG der Uni
Hannover:
Das
Ergebnis der Wahl eines neuen Präsidenten der palästinensischen
Autonomiebehörde stand seit dem Rückzug des Fatah-Linken Marwan Barghuti in den
Grundzügen fest und spiegelte sich bis unmittelbar vor der Wahl in zahlreichen
Umfragen. So war es dem Korrespondenten der unabhängigen linken italienischen
Tageszeitung „il manifesto“, Michele Giorgio, möglich bereits für die
Ausgabe vom 9.1.2005 (dem Wahltag) den prominenten Wahlforscher und
Direktor des Palestine Center for Policy and Survey Research (PSR), Khalil Shikaki, in einem Interview zu den
Hintergründen dieses vorhersehbaren Wahlausgangs zu befragen. Shikaki ist auch
Professor für Politische Wissenschaften an der al-Najah Universität von Nablus
und lehrte von 1985 – 1997 an verschiedenen US-Universitäten. Da verwundert es
nicht, dass an seinen Einschätzungen auch andere Kreise interessiert sind. So
erschien in der November/Dezember 2004-Ausgabe der führenden außenpolitischen
Zeitschrift der USA, „Foreign Affairs“, ein Artikel von ihm zum Thema „The
Future of Palestine“ (siehe: http://www.foreignaffairs.org/20041101faessay83605/khalil-shikaki/the-future-of-palestine.html.
Die Website des PSR (u.a. mit einem Vergleich der letzten Meinungsumfrage und
dem amtlichen Endergebnis) findet sich unter: www.pcpsr.org
„Nicht Abu Mazen, sondern Al-Fatah
wird gewinnen“
Khalil Shikaki, einer der
bekanntesten palästinensischen Wahlforscher, spricht über die heutige Wahl.
MICHELE GIORGIO – JERUSALEM
Abu Mazens Vorsprung vor den
anderen Kandidaten bei den heutigen Präsidentschaftswahlen ist im Laufe der
Zeit soweit angewachsen, dass er keinen Zweifel am Ausgang der Abstimmung
lässt. Im Laufe weniger Wochen ist es dem PLO-Führer gelungen, eine sehr breite
Zustimmung zu gewinnen, die Viele überrascht hat. Zu den Gründen für diesen
Erfolg und die Zeit nach der Wahl haben wir Dr. Khalil Shikaki (Direktor des
Palästinensischen Forschungs- und Studienzentrums in Ramallah – PSR – und einer
der bekanntesten palästinensischen Wahlforscher) interviewt.
Vor einigen Monaten
genoss Abu Mazen <alias
Mahmud Abbas> nur eine spärliche
Zustimmung. Wie ist es ihm gelungen, in so kurzer Zeit das Vertrauen der
Wählerschaft zu erringen, obwohl er sich darauf beschränkte, das Ende der
Intifada zu fordern und seine Entschlossenheit zu Verhandlungen mit Israel zu
verkünden ?
„Ich glaube, dass der Grund
dafür in der Zustimmung zu suchen ist, die Al-Fatah, d.h. seine politische
Partei und die politische Mehrheitskraft in den besetzten Gebieten, ihm
garantiert. Das ist eine außergewöhnliche Maschinerie, die sich nach Arafats
Tod in seinen Dienst gestellt hat. Heute stimmen die Palästinenser nicht für
Abu Mazen, sondern für Al-Fatah, die das Streben der Leute repräsentiert und
die in der Lage ist, die Massen für eine Idee zu mobilisieren. Und nicht nur
das, diese politische Bewegung sorgt auch für die Kontinuität mit der Vision
des verstorbenen Präsidenten, der ein Mythos und für die Mehrheit der
Bevölkerung ein weiterhin intaktes Symbol bleibt.“
Im Ausland meinen Viele,
dass Abu Mazens Erfolg vor allem dem Vorschlag einer Aussöhnung mit Israel und
seiner Opposition gegen die Intifada geschuldet ist.
„Dieser Ansicht bin ich
nicht. Die bis heute durchgeführten Umfragen besagen, dass die Intifada von der
Mehrheit der Bevölkerung für notwendig gehalten wird, um der israelischen
Besatzung ein Ende zu setzen. Im übrigen hat Abu Mazen, gerade um diejenigen zu
überzeugen, die seiner moderaten Linie am skeptischsten gegenüberstehen, in den
letzten Tagen militantere und nationalistischere Töne angeschlagen.“
Wie erklären Sie dann das
von Mustafa Barghuti erreichte Ergebnis, der sich mit einer, Israel gegenüber,
rigideren Position präsentierte und mehrmals unterstrichen hat, dass seine
Unterstützung für die Entwicklung der Demokratie für alle Palästinenser eine
Notwendigkeit ist ? Die letzte Umfrage
gibt ihm ca. 20%.
„Mustafa Barghuti ist es
nicht gelungen, der Wählerschaft ein Programm anzubieten, dass wirklich eine
Alternative zu dem der Fatah darstellt. Im Unterschied zu Abu Mazen hat er
außerdem keine starke und organisierte Partei im Rücken, sondern muss auf eine
sehr kleine Bewegung setzen und kann nur auf die Mobilisierung der
Zivilgesellschaft zählen.“
Was wird der erste Schritt
sein, den Abu Mazen als Präsident, insbesondere im Verhältnis zu Israel und
einem möglichen Waffenstillstand unternimmt, der das Ende der Intifada
verhindern sollte ?
„Es ist schwierig
Vorhersagen zu treffen, aber ich bin der Meinung, dass Abu Mazens Hände
gebunden sein werden. Wenige haben die politischen Dynamiken in den letzten
Tagen aufmerksam analysiert, die Versprechungen und die Kompromisse, die Abu
Mazen machen musste, um sich diesen Wahlerfolg zu sichern. Ich beziehe mich
insbesondere auf die Beziehungen zu den verschiedenen Strömungen der Fatah,
ohne die Gleichgewichte zu vergessen, die er zu den anderen politischen
Organisationen aufrechterhalten muss. Meiner Ansicht nach wird er ein schwacher
Führer sein, ohne die Unterstützung der gesamten Gesellschaft. Er läuft
außerdem Gefahr, sich in derselben Situation wiederzufinden, wie 2002 als er
für wenige Monate Ministerpräsident war und Israel ihm absolut keine Form von
Unterstützung gewährte.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover