Antifa-AG
der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Es
dürfte von Interesse sein, wie der Generalsekretär der mit Abstand größten
italienischen Metallarbeitergewerkschaft FIOM (350.000 Mitglieder), Gianni
Rinaldini, den Ausgang der italienischen Parlamentswahlen vom 9./10.April
2006 bewertet. Zumal die FIOM im etablierten Gewerkschaftsspektrum Italiens die
kämpferischste und politisch am weitesten links angesiedelte Organisation ist
und weil Rinaldini (etwas unfreiwillig, aufgrund der zunehmenden Integration
des von Gian Paolo Patta geführten Hauptteils der linken CGIL-Strömung „Lavoro
e Società“ / Arbeit & Gesellschaft) zum Kopf der Linken im
Gewerkschaftsbund CGIL avancierte. Die von Rinaldini vorgelegten beiden
Alternativthesen zum Leitantrag der CGIL-Führung (die die Themen
Gewerkschaftsdemokratie und Tarifpolitik behandelten) erhielten in der ersten
Phase des Anfang März 2006 beendeten CGIL-Kongress bei der Urabstimmung der
Mitglieder 15,5% bzw. 14,5% der Stimmen. Die (mehr zur Gesichtswahrung) von Patta
präsentierte These kam auf 10%. Dabei konzentriert sich Rinaldinis
Unterstützung bisher allerdings vor allem auf die FIOM, während sich Pattas
Gefolgschaft über alle anderen Branchen verteilt. Politisch ist Rinaldini
zwischen dem linken Flügel der Linksdemokraten (DS) und Rifondazione Comunista
(PRC) angesiedelt. (Patta hingegen ist Mitglied der PRC-Rechtsabspaltung
PdCI.)
Das
Wahlinterview mit Gianni Rinaldini erschien in der von Rifondazione
herausgegebenen Tageszeitung „Liberazione“ vom 16.4.2006.
Programm
der <Mitte-Links-> Union / 1: Interview mit dem
Generalsekretär der FIOM: „Für die neue Regierung wird es wichtig sein die vor
den Wahlen unterzeichneten Abkommen einzuhalten.“
Rinaldini: „Die
Sozialpartnerschaft ist absolut unmöglich.“
„Es ist der Union nicht gelungen
eine alternative Idee, ein alternatives Projekt für das Wachstum des Landes
deutlich zu machen. Die Themen des Wahlkampfes hat Berlusconi ihnen diktiert
und dann ist alles zu einer Verfolgungsjagd geworden.“
von Andrea Milluzzi
„Es sind zwei Vorstellungen
von Italien und seiner Zukunft zutage getreten. Auch die ökonomische und
soziale Verteilung der Wählerstimmen, mit dem klaren Übergewicht des <Berlusconi-Bündnisses „Haus der
Freiheiten“> Casa delle Libertà
in den industriellen Zonen des Nordens und in den produktivsten Regionen
Mittel- und Süditaliens schafft ein Problem von großer Relevanz“, schrieb
Silvio Berlusconi gestern in seinem Brief an den „Corriere della Sera“.
„Ich glaube nicht, dass das Votum durch eine Unterscheidung zwischen dem
produktivem und dem schwachen Teil des Landes simplifiziert werden kann“,
antwortet ihm der Generalsekretär der FIOM, Gianni Rinaldini, in diesem
Interview für „Liberazione“.
Stimmt es, dass es einen
rechten, produktiven Norden und einen linken, armen Süden gibt?
„Nein, man kann, was das
Soziale anbelangt, keine derartige
Interpretation vornehmen. Zumindest nicht bevor man die Daten nicht
detaillierter studiert hat. Und dann gibt es, auch vom Gesichtspunkt der
Produktivität her keine homogenen Zonen, weder im Norden noch im Süden. Das
heißt: Kalabrien ist nicht dasselbe wie Kampanien.“
Es ist allerdings
unbestreitbar, dass das, was der Motor des Landes war (der Nordosten)
geschlossen auf der Seite Berlusconis geblieben ist…
„Das stimmt und darf nicht
unterschätzt werden. Ich will auch sagen, dass dies das erste Mal ist, dass
sich die Linke mit einer Koalition präsentiert, die breite Zustimmung erhalten
hat. Da reicht es aus, an den ‚Corriere della Sera’ zu denken. Deshalb
kann die Tatsache, dass Berlusconi 50% erreicht hat, nicht das Analyseelement
sein.“
Hast Du Dir dazu schon
Gedanken gemacht?
„Über eines bin ich mir
ziemlich sicher: Die Linke hat unterschätzt, wie wichtig es ist, die sozialen
Prozesse der letzten Jahre zu begreifen und nicht nur die der letzten 5 Jahre.
Es hat in diesem Land eine kulturelle, politische und soziale Verwüstung
gegeben, die viele, aber auch sehr tiefe, Wurzeln hat. Das hat die
Verhaltensweisen verändert, das Verhältnis zwischen den Leuten und der Politik
und auch die Sichtweise der kollektiven Interessen. In dieser Hinsicht ist der
Interessenkonflikt eine strukturelle Tatsache, die zugenommen, die Verknüpfung
zwischen der Politik und dem Geschäft verstärkt und damit auch die Bourgeoisie
getroffen hat.“
Die Bourgeoisie?
„Ja, weil sich die
Vorstellung breit gemacht hat, anstelle der alten Familien eine neue
Bourgeoisie ohne einen Hauch von Industriepolitik zu schaffen (die Arbeitsmarktpolitik
inbegriffen). Alles ist Finanzierung und Rendite geworden. Alles ist in jeder
Form und Modalität möglich geworden, wenn das Ziel darin besteht so schnell wie
möglich Geld zu machen. Von daher die verheerenden Effekte in der
Unternehmerschaft, wie es im Nordosten Italien der Fall war.“
Hatten die Unternehmer
Deiner Meinung nach Angst vor der Mitte-Linken, die zum Beispiel von
Besteuerung der Renditen gesprochen hat?
„Nun ja, allgemeiner gesagt
ist es der Union nicht gelungen eine alternative Idee, ein alternatives Projekt
für das Wachstum des Landes deutlich zu machen, das es im Programm durchaus
gibt. Die Themen des Wahlkampfes hat ihnen Berlusconi diktiert und dann ist
alles zu einer Vorfolgungsjagd geworden. Die soziale Frage, die Tatsache, dass
sich die Vergütungen verringert haben, die Prekarität etc. sind verschwunden.
Der Prozess geht allerdings viel tiefer und beginnt bei der Vorstellung, dass
das Fernsehen der Ort sei, an dem die Beziehung zwischen Politik und Volk
aufrechterhalten wird. Viele Kandidaten haben mir erzählt, dass wenn sie vor
die Fabriken zogen, um Flugblätter zu verteilen, die Arbeiter ihnen gesagt
haben: ‚Ihr lasst Euch hier jetzt nur blicken, weil Wahlen anstehen.’ Und sie
haben Recht, misstrauisch zu sein, weil sich die Parteien auf Wahlkampfkomitees
reduziert haben. Wenn man von Amerikanisierung redet, dann redet man auch
davon.“
Viele dachten, dass die
Wirtschaftskrise die Union begünstigen würde…
„Ja, aber die Geschichte,
dass derjenige, dem es schlecht geht, automatisch links wählt, hat niemals
gestimmt. Die soziale Unzufriedenheit ist tief greifend, drückt sich aber nicht
automatisch in linker Richtung aus.“
Nach Schließung der
Wahllokale, aber in einer konfliktträchtigen Situation, die nicht so aussieht
als wäre sie zu Ende, beginnt das Spiel der Tarifparteien. Wie wird sich Deiner
Meinung nach die <Industriellenvereinigung> Confindustria positionieren?
„Für mich scheint klar, dass
die Confindustria bereits begonnen hat, ihre Position deutlich zu machen –
zumindest dort, wo sie sich von der Regierung unterscheidet (siehe <das die Prekarisierung vorantreibende> Gesetz Nr. 30 / 2003). Deshalb denke ich, dass es
für die neue Exekutive wichtig sein wird, an dem festzuhalten, was in ihrem
Programm geschrieben steht. Der Druck wird sehr stark sein. Die Confindustria
wird sehr schnell eine Neuauflage jener Operationen starten, die sich vom
sozialen Gesichtspunkt aus in Kontinuität zu dem bewegen, was bisher geschehen
ist. Sie wird versuchen, ihre Position geltend zu machen und das umso mehr
angesichts eines Wahlergebnisses, das eine nicht so breite Mehrheit hervorgebracht
hat, wie man es erwartet hatte. Ich erwarte, dass sie sofort zwei Dinge
fordert: die Neuauflage des <zentralen Lohnzurückhaltungs-> Abkommens von `93 in seinen schlechtesten Teilen und die Beibehaltung
der Arbeitsmarktgesetzgebung.“
Das heißt, so weit von
den Forderungen der Gewerkschaft entfernt wie möglich…
„Ja, es genügt den Artikel
von Bombassei <einem
führenden Metallindustriellen> zu
lesen, der vor einigen Tagen im ‚Corriere’ erschienen ist. Die
Gewerkschaft hat ihre Positionen und die CGIL hat auf dem Kongress für einen
Leitantrag gestimmt, der die Abschaffung des Gesetzes Nr.30 fordert. Ich
glaube, dass dies das erste Zeichen für Diskontinuität vonseiten der Regierung
sein muss. Und dann wünsche ich mir, dass man zu einer Politik der Umverteilung
des Einkommens schreitet.“
Genau wie die Confindustria
kann sich auch die Gewerkschaft eine Regierung mit „schwacher“ Mehrheit zunutze
machen, richtig?
„Ja, die Gewerkschaft wird
ihre Positionen geltend machen müssen. Aber es ist ja nicht so, dass die <Mitte-Links-> Union das machen muss, was die Gewerkschaft sagt
oder das, was die Confindustria sagt. Das Wichtige ist, zu begreifen in welche
Richtung es geht. Mit Hilfe bestimmter
Entscheidungen vom sozialen Standpunkt aus und dem Infragestellen der
Entscheidungen der Vergangenheit kann die Union ihre Unterstützung und
Glaubwürdigkeit auch unter den abhängig Beschäftigten erhöhen. Das ist etwas
anderes als die Frage ‚ICI – Ja oder Nein’ <siehe Anm.1>.“
Wenn aus der
gegenwärtigen Situation eine Art Großer Koalition hervorginge, die sich auch
auf Gewerkschaften und Confindustria erstreckt, wie lautete dann Dein Urteil?
„Vor allem das, was
Berlusconi vorschlägt, d.h. bei den nächsten 4 oder 5 Zielen zusammenzuarbeiten
und dann erneut zu wählen, ist fernab von Gut und Böse. Was den Rest anbelangt,
glaube ich nicht, dass wir uns in einer Situation wie den 90er Jahren befinden.
Auch damals kam man aus einer Wirtschaftskrise, aber die damaligen Abkommen,
wie das über die Sozialpartnerschaft / Konzertierte Aktion, sind absolut nicht
mehr wiederholbar. Das Einkommen und die Prekarität sind nicht die Ursachen für
die Probleme der Industrie. Allenfalls sind sie deren Konsequenzen.“
Anmerkung
1:
ICI ist die Steuer, die jährlich auf
das erste Eigenheim von Immobilienbesitzern erhoben wird und die Berlusconi im
zweiten Fernsehduell mit Prodi überraschend abzuschaffen versprach. Pro Jahr
fließen (laut „Financial Times Deutschland“ vom 4.4.2006) durch die ICI
rund 2,3 Milliarden Euro in die italienische Staatskasse.
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover