Antifa-AG der Uni Hannover:
Die politische Aktivität des
Generalsekretärs von Rifondazione Comunista (PRC), Fausto Bertinotti, (und der
engeren Parteiführung) war in den letzten Jahren auf zwei Ziele ausgerichtet:
1. Die Berlusconi-Regierung zu entmachten und 2. sie durch eine
Mitte-Links-Regierung zu ersetzen, in der man selbst – koste es, was es wolle –
unter Führung des ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten und Christdemokraten
Romano Prodi mitregiert und möglichst hohe Posten innehat. Zu diesem Zweck
wurde allerlei ideologischer „Ballast“ abgeworfen, die Partei auf absolute
Gewaltfreiheit eingeschworen, militanter antiimperialistischer Widerstand z.B.
im Irak und Palästina verurteilt, zuweilen gar Sympathien für Sharon entdeckt, „ein
bisschen Ausnahmezustand“ in Italien im „Kampf gegen den Terror“
gutgeheißen und zuletzt gar der Vorrang des Individuums vor der sozialen Klasse
„entdeckt“. Und doch wäre beinahe alles umsonst gewesen. Wer Bertinotti in der
Wahlnacht in der Politikerrunde auf RAI 1 gesehen hat, erlebte ihn nervös und
zappelig wie nie. Sahen die Hochrechnungen doch erst verdammt schlecht für das
große Ziel aus. Am Ende reichte es dann gerade soeben, dank des Votums der im
Ausland lebenden Italiener, innerrechter Konkurrenz und des etwas zu
trickreichen neuen Wahlgesetzes, mit dem Berlusconi sich selbst ein Bein
stellte. Für Fausto Bertinotti hingegen winkt das dritthöchste Staatsamt
Italiens: der Vorsitz der Abgeordnetenkammer. Von dort aus wird er die nächsten
5 Jahre die (bürgerliche) „Politik neu begründen“. Man darf gespannt
sein, wie er die neoliberale „Schweiß & Tränen“-Politik schön reden
wird, die ansteht. Im folgenden Interview für die unabhängige linke
italienische Tageszeitung „il manifesto“ vom 12.4.2006
vollführt er (neben ritueller Beschwörung des Wahlsieges) schon mal den ersten
ideologischen Purzelbaum, indem er von der bisher angestrebten
(gesellschaftlichen) „Alternative“ (von Sozialismus oder gar Kommunismus
wird nur noch höchst selten geredet!) abrückt und sich stattdessen für eine „Alternanz
hin zur Alternative“ ausspricht. Das heißt im Klartext: man müsse nun
erstmal einen periodischen Wechsel ohne substanzielle inhaltliche Unterschiede
verwirklichen, um dann irgendwann zur „Alternative“ zu gelangen…
Einen gern gemachten Fehler sollte man
allerdings nicht begehen, nämlich zu glauben, es handele sich hier um den „Verrat
eines Einzelnen oder einer kleinen Clique“. Bertinottis Kurs fand zwar auf
dem letzten Parteitag nur die Unterstützung von 59% der Mitglieder, die Masse
der PRC-Anhänger stimmt der faktischen Unterordnung unter die „progressive“
Neue Mitte aber offenkundig zu. Der PRC hat sich in der Abgeordnetenkammer von
1.868.659 Stimmen (5,0%) 2001 auf nun 2.229.604 Stimmen (5,8%) verbessert und
die Zahl seiner Abgeordneten von 11 auf 41 gesteigert. Noch besser lief es bei
den Wahlen zum Senat: Während 2001 mit einer größeren Distanz zur Mitte-Linken
dort 1.708.707 Stimmen (5,1%) und bei den Europawahlen 1.966.373 Stimmen (6,1%)
eingefahren wurden, sind es nun mit dem Kuschelkurs 2.518.624 Stimmen (7,4%).
Die Zahl der PRC-Senatoren konnte von 4 auf 27 erhöht werden. Insgesamt wurden
also 53 neue und gut dotierte Parlamentssessel hinzugewonnen.
Gesellschaftlicher Hintergrund ist die Resignation und die nach den vielen
verlorenen Kämpfen eingetretene Passivität der Massen, die nun hoffen, dass
zumindest ihre reduzierten Bedürfnisse und Hoffnungen auf parlamentarischem
Wege Wirklichkeit werden.
Innerparteilich festigen diese Posten,
verbunden mit dem entsprechenden „Renomee“, Bertinottis Position, da er
geschickterweise auch die meisten Führer der Parteilinken daran teilhaben ließ.
(Abgeordnete und Senatoren erhalten in Italien übrigens monatlich 9.422 Euro „Gehalt“, sofern
sie bei mindestens 30% der Abstimmungen anwesend sind. Hinzukommen umfangreiche
Spesen sowie 4.678 Euro monatlich für die Mitarbeiter.)
„Wir haben das Votum, um
zu regieren!“
„Wir haben das Fell nach Hause
gebracht“,
kommentiert Fausto Bertinotti zufrieden, aufgrund des Abschneidens seiner
Partei und der Linken insgesamt. Und nun: „Mit einer Stimme Mehrheit kann
man regieren“, erklärt der Führer des PRC und weist damit jede Möglichkeit
einer breiten Übereinkunft zurück, erkennt aber die Notwendigkeit an, die Basis
der Zustimmung <zu
einer Mitte-Links-Regierung> im Lande auszuweiten.
COSIMO ROSSI
„Wir haben das Fell nach
Hause gebracht“, fasst Fausto
Bertinotti nach einer Nacht zusammen, die er in der Erwartung verbrachte, dass
die Auszählung der letzten Stimmbezirke den Milimeter-Vorsprung der
Mitte-Links-Union in der Abgeordnetenkammer bestätigt. So gering er auch sei,
sei es doch immer der algebraische Unterschied, aufgrund dessen „Berlusconi
in erster Linie verliert“ und dank dessen „man mit einer Stimme Mehrheit
im Parlament regiert“. Allein mit der <Mitte-Links-> Union.
„Es genügt, den Mut dazu zu haben.“ Womit er also jedwede Möglichkeit „breiter
Übereinkünfte“ zurückweist, um die sich – dem PRC-Führer zufolge – jedoch
(angefangen bei der Offensive des „besiegten Ministerpräsidenten“)
derzeit „der wahre politische Konflikt“ dreht.
Mit Sicherheit hätte man
am Vorabend <der
Wahlen> nicht vorausgesagt, dass
es für die Union so hart werden würde, das Fell nach Hause zu bringen…
„Aber wir haben es nach
Hause gebracht. Schießen wir keinen Bock ! Wir haben gewonnen, nicht
Berlusconi. Wir (die Linke) ein bisschen mehr als Andere. Ein gutes Ergebnis,
das dazu beiträgt, auch die Haut der Anderen zu retten. Selten schien es mir so
angemessen anzuerkennen, dass Rifondazione ein schmeichelhaftes Ergebnis
erzielt hat. Und das insgesamt innerhalb einer Entwicklung der alternativen
Linken, die mir – relativ gesehen – besser erscheint als die der
reformistischen Kräfte.“
In der Tat kann man
sagen, dass die Linke ihren Part besser erledigt hat als die Gemäßigten…
„Auch wenn der Prozess der
Annäherung an die Demokratische Partei <die Linksdemokraten (DS) und die
christdemokratisch-liberale Margerite bilden wollen>, von dem ich noch nicht weiß, ob er praktikabel ist,
meines Erachtens gleichfalls eine sowohl objektive wie subjektive
Beschleunigung erfährt. Das Olivenbaum-Bündnis zeigt eine Anziehungskraft, die
die einzelnen Parteien allein nicht besitzen. Bei den Wahlen zum Senat haben
sie meines Erachtens, offen gestanden, schlecht abgeschnitten.“
Insbesondere die DS, die
jedoch – wie es den Anschein hat – von der Großzügigkeit, die sie den Verbündeten
und Prodi gegenüber gezeigt haben, profitieren können.
„Offen gestanden habe auch
ich der Vorstellung angehangen, dass die DS im Aufwind seien. Ich sah eine
territoriale Präsenz und Verankerung. Was mich dazu veranlasst das
festzustellen, was für uns alle ein Problem ist und die Zweiteilung Italiens
betrifft. Es handelt sich dabei nicht einfach um die Spaltung in Rechte und
Linke, sondern um die Tatsache, dass sich diese erste Spaltung mit einer
Spaltung der Gesellschaft in oben und unten überschneidet. Das wird für die
reformistischen Kräfte sehr deutlich, ist allerdings nicht nur ihr Problem. Es
betrifft die Fähigkeit, tief in die Gesellschaft einzudringen, speziell in Bereiche,
in denen Plünderungsprozesse der Politik stattgefunden haben und die zum
Schweigen gebracht wurden. Hier zeigt der reformistische Diskurs seine Grenzen.
Er hält in den Bereichen mit organisierter Meinung, zeigt sich aber nicht in
der Lage, mit den Bereichen ins Gespräch zu kommen, die voller Unzufriedenheit
und sozialer Sprachstörung (afasia) sind. Das macht eine Krise der
Politik deutlich, in der die reformistischen Bereiche sehr viel größere Sorgen
haben als die radikalen, die – wenn auch in unvollkommener Weise – versucht
haben, sich stärker auf die Widersprüche einzulassen und das in erster Linie
über die Bewegungen.“
Zumindest in gleichem
Maße hat sich jedoch auch Berlusconi zum wiederholten Male in der Lage gezeigt,
bestimmte tief sitzende und kontroverse Stimmungen aufzugreifen…
„Damit wir uns recht
verstehen: Berlusconi verliert in erster Linie, erst dann kommt auch sein
außerordentlicher Widerstandsversuch. Aber lassen wir uns nicht blenden: In
erster Linie verliert er. Das rechte Regierungssystem, das in Italien die Form
einer ehrgeizigen Kreuzung aus Wirtschaftsliberalismus und Populismus
angenommen hat, die von Berlusconi erfunden und geführt wurde, hat zu guter
Letzt verloren. Das sage ich als einer derjenigen, die sich niemals Illusionen
gemacht haben, die Berlusconi niemals nur für ein mediales Phänomen gehalten
haben, sondern für die Narration <d.h. die erzählende Darstellung> eines tiefen Italiens. Und sei es auch noch so
knapp, aber das Wahlergebnis besagt, dass die Ära der Regierung Berlusconi zu
Ende ist. Das gesteht er in dem Augenblick selbst ein, in dem er breite
Übereinkünfte beschwört. Es stimmt so sehr, dass er verliert, dass er vor der
Wahlniederlage den einsamen und verzweifelten Ausweg des Führers wählt, der den
Regierungsrahmen verlässt. Er spielt die extreme Karte aus, sich seines
Regierungszweireihers zu entledigen, um die Gewänder der Anti-System-Kraft, der
populistischen Antipolitik überzustreifen und z.B. die Keule der Steuerrevolte
zu schwingen so als ob die Anderen bereits an der Regierung wären. Aber er verliert.
Knapp, aber er verliert. Und meiner Ansicht nach verliert er, weil sich Italien
trotz allem von 2001 bis heute verändert hat. Es gab das Italien der
Bewegungen, der Friedensbewegung, der Metallarbeiter, der Bewegungen von
Scansano <gegen die
Einlagerung von Atommüll> und Val di
Susa <gegen den
Hochgeschwindigkeitszug TAV Turin-Lyon>.
Und auch das Italien der tausend Unternehmen, vom Verlagswesen über die
Gemeinde bis hin zu den Winzern. Sicherlich ist ein duales Italien zutage
getreten. Aber Berlusconi verliert und dieses andere Italien gibt es. Es
existiert. Es lebt.“
Aber Berlusconi und das
Italien des Berlusconismus hat sich nicht weniger offenbart…
„Sicher, Berlusconi war auch
sehr stark. Er ist sehr stark, weil er sich nicht in das Politikerschema
sperren lässt. Während andere, angefangen bei seinen Verbündeten, Mäßigung von
ihm verlangten, tat er das Gegenteil. Er hat es gemacht wie Bush. Er hat die
Auseinandersetzung ins Extreme gezogen, hat sie überfrachtet und ihr ein
populistisches Gepräge gegeben und auch eine Ad hoc-Sprache konstruiert. Der
Skandal, die Wähler der Mitte-Linken als ‚Arschlöcher’ (coglioni)
zu bezeichnen, verdeckte die Tatsache, dass er Benzin in seinen Motor gegossen
hat. Das heißt er hatte auch auf der lexikalen Ebene den politischen Bruch
glaubwürdig gemacht, so dass er seinen populistischen Charakter unterstrich. ‚Arschlöcher’
kehrt den Jargon einer Offensive von oben nach unten um. Und wie üblich liegt
Berlusconis Stärke darin, den harten Kern eines Aggregats zu zementieren. So
wie es bei den letzten Wahlen die padanische <d.h. in der Poebene beheimatete> Achse mit der Lega Nord war, war es bei diesen
Wahlen das populistische Solo gegen den Rest der Welt: Ich in Eurem Namen gegen
den Rest der Welt. Dank dessen hat er das Ergebnis ungewiss werden lassen.“
Und alle dazu gebracht,
zur Wahl zu gehen…
„Er hat Millionen Menschen
dazu gebracht für ihn zu stimmen, aber
auch gegen ihn. Er mobilisiert ebenso sehr wie er erschreckt. Und tatsächlich
verliert er. Ich insistiere darauf: Das sollten wir nicht vergessen.“
Gehen wir mal ans
Eingemachte! Meint Ihr wirklich, dass Ihr mit dem Milimeter-Vorsprung, den die
Union hat, regieren könnt?
„Es genügt, den Mut dazu zu
haben. Sicher kann man. Mit einer Stimme Mehrheit im Parlament regiert man.
Entgegen vielen Thesen und Lastern, die seit den 70er Jahren hinter uns liegen.
Das Problem ist, dass man mit 51% regiert, aber im Land keine Reformpolitik
macht. Im Lande bedarf es einer sozialen Allianz, die in der Lage ist, einen
sozialen Block zu bilden, um einen altertümlichen Begriff zu benutzen. In der
Tat denke ich, dass sich die Regierung der <Mitte-Links->
Union sofort dem Problem stellen sollte, sich auch zur ‚Konstituente des
Volkes’ <d.h. zur
„Verfassungsgebenden Volksversammlung“>
zu machen, zur Erschafferin einer großen sozialen Reform. Aber man muss sich in
keiner Weise vermengen / in Verwirrung geraten.“
Mag sein, aber
tatsächlich stimmt Berlusconi bereits den Sirenengesang einer Großen Koalition
an und findet dabei in zahlreichen Stimmen aus der Mitte-Linken ein Echo.
„Das würde noch fehlen. In
der Politik muss ein Reformprojekt das Ziel haben, die Grenzen zu durchbrechen,
um darüber hinaus zu gehen. Um dieses Letztere zu tun, bedarf es meines
Erachtens aber gerade der Selbstgenügsamkeit der Union auf der institutionellen
Ebene. Und ich sage noch mehr: Ich denke, dass das der wahre politische
Konflikt ist, der gerade stattfindet.“
Breite Übereinkünfte oder
nicht? Il governissimo (die ganz breite Regierung), wie man in der
vergangenen Republik gesagt hätte?
„Il governissimo ist
eine zu überladene und zu anspruchsvolle Formel für den heutigen Tag. Das
Gefährlichere, weil eher in Reichweite, sind gerade die breiten Übereinkünfte.
Das heißt eine Regierung, die nur die der Union sein kann, die aber auf der
Ebene der Beziehungen sowohl zur Parlamentsmehrheit wie zu den sog. starken
Mächten <Großkonzernen,
Zentralbank, Teilen des Staatsapparates, den wichtigsten Medien…> erlaubt an eine faktische große Koalition zu denken
und diese zu praktizieren. Das ist nicht nur eine Gefahr. Es ist eine sehr
starke Option, der – denke ich – ebenfalls mit Nachdruck entgegengetreten
werden muss. Deshalb müssen wir, wir, die wir immer für das Konzept der Alternative
versus jenes der Alternanz gewesen sind, heute eine Alternanz ‚hin
zur Alternative’ verwirklichen.“
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen
Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover