Antifa-AG der Uni Hannover:

 

Gebetsmühlenartig fordert die israelische Regierung im Chor mit USA und EU die Hamas ultimativ zu einer umfassenden Unterwerfungserklärung bei gleichzeitiger Fortsetzung des israelischen Besatzungsterrors auf. Andernfalls sollen keine Gelder mehr an die palästinensische Autonomiebehörde fließen (selbst die ihr zustehenden Steuereinnahmen nicht!). Gleichzeitig kündigt der neue israelische Regierungschef Olmert weitere massive Annexionen und eine einseitige Grenzziehung bis 2010 an. Zu dieser Situation brachte die von Rifondazione Comunista herausgegebene Tageszeitung „Liberazione“ am 23.3.2006 das folgende Interview mit Mustafa Barghuti.

 

Zur Person: Der Arzt Mustafa Barghuti (ein Cousin des in Israel inhaftierten Fatah-Sekretärs für das Westjordanland und Vertreter des linken Fatah-Flügels, Marwan Barghuti), ist der bevorzugte Palästinenservertreter der Antiglobalisierungsbewegung, wie u.a. beim ESF in London im Oktober 2004 nicht zu übersehen war. Er kommt ursprünglich aus der palästinensischen KP, die sich jetzt Palästinensische Volkspartei (PPP) nennt, hat am Aufbau eines Basisgesundheitswesens mitgewirkt und vertritt heute linksliberale bzw. alternativ-zivilgesellschaftliche Positionen. Bewaffneten Widerstand gegen die Besatzung lehnt er ab, auch wenn er ihn als völkerrechtlich legitim anerkennt. Zusammen mit der von ihm gegründeten Partei Al Mubadara (Demokratische Initiative) orientiert er stattdessen auf gewaltfreien zivilen Ungehorsam. Er wendet sich gegen die Osloer Abkommen von 1993, gehört allerdings zugleich zu den Initiatoren der sog.“ Genfer Abkommen“ von Vertretern der israelischen und der palästinensischen „Zivilgesellschaften“, die weitere erhebliche Zugeständnisse der Palästinenser beinhalten, inklusive eines demilitarisierten Status (in Koexistenz mit einem weiterhin hochgerüsteten Israel!).

Bei der Wahl des neuen Präsidenten der palästinensischen Autonomiebhörde am 9.Januar 2005 kam Barghuti (unterstützt auch von der linksradikalen PFLP und bei Verzicht der Hamas auf eine eigene Kandidatur) überraschend auf den zweiten Platz. Nach dem Sieger Mahmud Abbas / „Abu Mazen“ von Al-Fatah (der dem amtlichen Endergebnis zufolge 501.448 Stimmen / 62,5% erhielt) erhielt Mustafa Barghuti 156.227 Stimmen  (19,5%). Dritter wurde mit großem Abstand Taysir Khaled von der linkssozialdemokratischen DFLP (26.848 Stimmen = 3,35%). Die Wahlbeteiligung betrug 62% bezogen auf die 1,12 Millionen registrierten Wähler. Geschätzt wird, dass 1,5 Millionen Palästinenser wahlberechtigt gewesen wären. Bei den Parlamentswahlen vom 25.1.2006 landete Al Mubadara (unter dem Namen „Unabhängiges Palästina“) hingegen mit 2,5% der Stimmen nur auf dem 5.Platz. Einer der beiden damit errungenen Abgeordnetensitze geht an Mustafa Barghuti.

 

Interview mit Mustafa Barghuti:

 

„Tel Aviv benutzt die neue Regierung als Entschuldigung, um nicht zu verhandeln“

 

Francesca Marretta

 

Mustafa Barghuti ist Mitglied des palästinensischen Gesetzgebenden Rates und Sekretär der fortschrittlichen Bewegung Al Mubadara. Die erste Frage an ihn betrifft die Hamas-Regierung.

 

„Wir haben mit der Hamas und auch mit anderen Gruppen verhandelt. Die Hamas akzeptierte keinen Kompromiss, auch nicht die Anerkennung der Unabhängigkeitserklärung. Wir haben vorgeschlagen, eine internationale Friedenskonferenz abzuhalten und wollten, dass ein Abkommen aller Gruppen über eine nationale Führungsrolle der PLO getroffen wird. Außerdem ist die soziale Agenda der Hamas nicht klar. Niemand kann ausschließen, dass sie zu einer Islamisierung der palästinensischen Gesellschaft drängt. In diesem Moment hätten wir eine Regierung der nationalen Einheit bilden müssen. Stattdessen ist die Hamas dabei denselben Fehler zu machen wie die Fatah: Eine Einparteienregierung ohne eine gemeinsame Basis. Der Punkt, an dem die Möglichkeiten eine Unterstützung der Regierung auszuhandeln, endgültig scheiterten, war die Ablehnung eines Kabinetts, dass alle Kräfte repräsentiert, die über einige Fragen von entscheidender Bedeutung zu aktivieren sind.“

 

Viele Palästinenser scheinen über eine Einparteienregierung der Hamas besorgt zu sein. Warum gab es keine  stärkere Unterstützung für die fortschrittlichen Kräfte, die eine Alternative zur Fatah darstellen?

 

„Wenn man sich die Umfragen bis zwei Tage vor der Wahl anschaut, dann lagen wir bei 10-12%. Am Ende gab es eine Stimmenverschiebung in Richtung Hamas, um die Fatah abzustrafen. Die Leute dachten nicht, dass die Hamas mit einem solchen Abstand gewinnen würde. Außerdem haben auch die Medien die Konkurrenz zwischen diesen beiden Kräften polarisiert. Und schließlich profitiert die Hamas, dank des sozialen Netzwerkes der Moscheen und starken finanziellen Unterstützung, von einer weit verzweigten Organisation. Der Westen hingegen hat immer die Fatah unterstützt, obwohl er wusste, dass sie korrupt war.“

 

Wie wird die Außenpolitik der Palästinenser mit einer von der Hamas geführten Regierung aussehen?

 

„Das Problem ist nicht die Hamas, sondern Israel. Sie werden die Hamas benutzen, um ihre einseitige Politik durchzusetzen, deren Endziele die folgenden sind: vollständige Isolierung Gazas, Annexion Ost-Jerusalems und des Jordan-Tals; Negation des Rechts auf Selbstbestimmung; und Zerstörung der Zwei-Staaten-Lösung.

 

Die neuen Projekte zur Erweiterung der Siedlungen in der Zone E1 (Jerusalem; Anm.d.Red.) und der Verlauf der Mauer haben unzusammenhängende Bantustans geschaffen. Die Hamas an der Regierung war das, worauf Israel gewartet hat: Eine Entschuldigung, um nicht zu verhandeln. In einem gewissen Sinne sind Israel und die Hamas komplementär.“

 

Ist das <aus den USA, der EU, Russland und der UNO bestehende> Quartett nach <dem israelischen Angriff am 14. März 2006 auf das Gefängnis von> Jericho noch ein Verhandlungspartner?

 

„Dieses Quartett gibt es nicht mehr. Genauso wie es die Road Map nicht mehr gibt. Israel hat sie niemals respektiert noch die Resolutionen der internationalen Gemeinschaft akzeptiert. Die Politik des Ausbaus der Siedlungen ist der sichtbare Beweis dafür. Die Road Map sah ihr Einfrieren vor.

 

Das Quartett scheint auch nicht mehr an der Möglichkeit einer Friedenskonferenz zu arbeiten und schließlich spricht die Tatsache, dass es das, was in Jericho geschehen ist, nicht eindeutig verurteilt hat, Bände.

 

Großbritannien sollte (ebenso wie die USA) die Absichten Israels kennen. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder haben die Engländer den Israelis signalisiert, dass sie dort <im Jerichoer Gefängnis als Oberaufseher> verschwinden oder Israel hat ihnen gesagt, das sie anrücken, um <den dort illegal gefangen gehaltenen PFLP-Generalsekretär> Ahmed Saadat zu entführen, sie also dort verschwinden sollten. Großbritannien hat ein Verbrechen unterstützt, das zum Tod zweier Palästinenser führte. Mit dieser Aktion haben Großbritannien und die USA ein internationales Abkommen verletzt.“

 

Interessiert die Palästinenser das Ergebnis der israelischen Wahlen?

 

„Wenn die Arbeitspartei <Avoda> irgendeine Chance hätte, dann vielleicht, weil sie bereit wären zu verhandeln. Aber Kadima und die anderen Parteien haben nicht die Absicht. Nicht einmal <der prowestliche Palästinenserpräsident> Abbas wurde als Verhandlungspartner akzeptiert. Das ist ein weiterer Grund für den Sieg der Hamas. Ein Jahr nach seiner Wahl hatten die Leute erwartet, dass sich etwas verbessern würde. Der einzige Ausweg aus der Sackgasse, in der wir uns befinden, ist den israelisch-palästinensischen Konflikt auf der Grundlage der internationalen Resolutionen wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. Die unter Verletzung der Abkommen vorgenommenen territorialen Veränderungen müssen rückgängig zu machen sein. Man muss zu einem Staat Palästina in den Grenzen von 1967 gelangen. Oslo war eine Illusion.“

 

Der designierte palästinensische Ministerpräsident Hanija (ein Vertreter der Hamas) hat in einem Interview erklärt, dass er seinem Sohn niemals seinen Segen geben würde, einen Anschlag zu begehen…

 

„Ich weiß nicht, wie genau das CBS-Zitat war. Aber ich glaube nicht, dass er irgendeinem Sohn (nicht nur seinem eigenen) seinen Segen hätte geben müssen, um einen Anschlag zu begehen. Ich bin immer stärker davon überzeugt, dass der beste Weg, um unser Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit zu verwirklichen, der gewaltfreie Massenkampf des Volkes ist.“

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover