Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Samstag,
der 19.März 2005, ist der von der Antiglobalisierungsbewegung ausgerufene
weltweite Aktionstag gegen Neoliberalismus und Krieg. In diesem Rahmen und aus
Anlass des dortigen EU-Gipfels findet in Europa eine zentrale Demonstration in
Brüssel statt, an der sich auch der EGB beteiligt. Über die Stärken und
Schwächen dieser Mobilisierung und die Herausforderung, vor der die Bewegung
gegenwärtig steht, berichtet die links-unabhängige und bewegungsorientierte
italienische Tageszeitung „il manifesto“ in
der Ausgabe vom 13.3.2005:
Ein einziger Demonstrationszug, aber
mit zwei Seelen
In der belgischen Hauptstadt
Verabredung der europäischen Gewerkschaften und der Bewegungen. Mit
unterschiedlichen Akzenten, aber zum ersten Mal in ein und derselben
Demonstration vereint.
ALBERTO D’ARGENZIO – BRÜSSEL
Mehr als 50.000 Menschen von
Süd nach Nord, um das Zentrum von Brüssel und die wirtschaftsliberale Politik der
Europäischen Union in zwei Teile zu schneiden. Aber auch – das zeigt der
Kalender – um, nach der Entführung und Befreiung von Giuliana
Sgrena, an den Krieg und seine Rückwirkungen bei uns
zu erinnern. So starten die drei Mobilisierungen (Jugendliche, Gewerkschaften
und Bewegungen) am kommenden Samstag, die in einem einzigen Demonstrationszug
mit Vertretern der 25 EU-Staaten, aber auch der Schweiz und Rumäniens
zusammengefasst sind. Ein einziger Demonstrationszug, der ein bedeutendes
Treffen im Herzen der EU symbolisiert – das zwischen den Gewerkschaften und den
europäischen Bewegungen, die allerdings noch keine Hochzeit feiern. Das Paar
ist über den Krieg gespalten – einer alles andere als geringfügigen
Sache. Der Jahrestag des Einmarsches in den Irak taucht nämlich im offiziellen
Appell der Gewerkschaften nicht auf, während es in demjenigen der Bewegungen im
Mittelpunkt steht. Eine vom Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) gewollte
Spaltung. Der EGB konzentriert sich auf das Nein zur Bolkestein-Richtlinie
zur Liberalisierung der Dienstleistungen, schreckt aber vor dem „Nein zum
Krieg“ zurück.
„Es gibt
Kommunikationsprobleme“, sagen sie beim
Belgischen Sozialforum. So fehlt eine gemeinsame Plattform und diskutiert wird
in diesen Tagen weiter darüber, wie man sich am Ende der Demonstration auf der
Rednertribüne bewegt und was dort gesagt wird. Das sind die Schwachpunkte –
Momente von Unverständnis bei der ersten gemeinsamen Verabredung, aber auch ein
Punkt, von dem es auszugehen gilt, um eine Übereinkunft zu erreichen. Damit das
gelingt, setzt man auf jene Gewerkschaften, wie die belgischen, griechischen,
französischen und die <größte
italienische Gewerkschaftszentrale>
CGIL (und damit auf die <zur
CGIL gehörende Metallarbeitergewerkschaft> FIOM), die ein nützliches doppeltes Spiel spielen. Sie sind ebenso im
EGB wie im Europäischen Sozialforum (ESF) Mitglied – eine Stellung, die es
ihnen erlaubt, eine Scharnierfunktion auszuüben.
„Es sind drei große
Mobilisierungen, die in einer einzigen europäischen Demonstration
zusammenfließen“, betont David Dessers vom Brüsseler
Sozialforum. „Das ist eine nicht rituelle Art, den 2.Jahrestag des Irak-Krieges
zu begehen“, erklärt Raffaella Bonini von der ARCI <dem linken italienischen
Kulturdachverband, der im Jahr 2003 rund 1,1 Millionen Mitglieder zählte>, „weil es einen Schritt nach vorn darstellt. Sie
tastet den Brüsseler Palast an und verbindet die Auswirkungen der antisozialen
Politik mit dem Krieg. Das ist eine Parallelität, die wir für den Süden der
Welt immer wiederholen, bei uns aber vergessen, zu bekräftigen.“
50.000 Menschen sind keine
Rekordzahl. Für ein an Straßenmobilisierungen wenig gewöhntes Land und für ein
Thema (den Aufbau Europas), das noch nicht das kollektive Vorstellungsvermögen
anstachelt, auch wenn es mittlerweile den Alltag von 420 Millionen europäischer
Bürger direkt betrifft, handelt es sich allerdings um einen Erfolg. In jedem
Fall gibt es zwei erklärte und von der gesamten Demonstration geteilte Ziele:
die Reform der Lissabon-Strategie, die die Arbeit vergisst, und die Bolkestein-Richtlinie zur Liberalisierung der
Dienstleistungen, die sog. Frankenstein-Richtlinie.
Die zwischen allen Kräften
der Demonstration erzielte Übereinkunft führt zu reduzierten politischen
Forderungen, erlaubt es allerdings die Grundlagen für einen umfassenderen
Diskurs zu legen, d.h. die Fäden des Dissenses zu spinnen und sie ins Herz der
Europäischen Union zu tragen. Nicht nur eine Lobby-Arbeit, sondern auch einen
wirklichen und wahrhaftigen sozialen Druck <zu entwickeln>.
Seit der Zeit der wandernden Gipfeltreffen (zuerst zwei und dann eines in jedem
Land, das gerade die Präsidentschaft der EU innehat) hat sich der Druck auf die
Versammlungen der 25 ebenso reduziert wie die kollektive Sichtbarkeit der
Kräfte abgenommen hat, die sich gegen ihre Vorstellung von Europa zur Wehr
setzen. In Brüssel aufzutreten, erlaubt es, den Protest im Herzen des Problems
zu fixieren.
„Es ist das erste Mal“ –
hebt Cristophe Callewert von der lokalen Indymedia hervor – „dass die Gewerkschaften und die
Bewegungen gemeinsam demonstrieren, um der Vorstellung vom Europa des Kapitals
direkt in der Kapitale der Gemeinschaft entgegenzutreten. Das ist extrem
positiv. Während des Gipfeltreffens in Gent (unter der belgischen
EU-Präsidentschaft im Oktober 2001; Anm.d.Red.)
gab es gleich zwei Demonstrationen am selben Nachmittag. Beim Gipfel von Laeken (im Dezember 2001; Anm.d.Red.)
haben die Gewerkschaften am Donnerstag demonstriert und die Bewegungen am
Samstag. Jetzt fängt man an, sich in Europa zusammen zu bewegen, auch wenn es
nicht leicht ist, viele Leute zu mobilisieren und zu erklären, dass die EU
mittlerweile hinter fast allen Entscheidungen, die uns betreffen, eine
entscheidende Rolle spielt.“ Das alles drei Tage vor dem Frühjahrsgipfel, auf
dem die Staats- und Regierungschefs der Union vor der Aufgabe stehen, eine
Lissabon-Strategie neu zu lancieren, die angesichts ihres Scheiterns den toten
Punkt zu überwinden versucht, dabei die Arbeit vergisst und nur auf das
Wachstum abzielt. Auf dem Tisch und auf der Agenda der 25 liegt bzw. steht auch
die Reform des Stabilitätspaktes.
„Das soziale Europa im Herzen
der Lissabon-Strategie platzieren, die Arbeit und die grundlegenden Rechte
verteidigen und der Bolkestein-Richtlinie
entgegentreten“, rezitiert der Aufruf des EGB. „Wir müssen uns mehr denn je für
die Ablehnung eines egoistischen Europas einsetzen“, unterstreicht der Text des
Belgischen Sozialforums. „Die Europäische Union geht Hand in Hand mit der
neoliberalen Globalisierung, die Kriege, ökologische Katastrophen und sozialen
Rückschritt im Weltmaßstab hervorruft.“ „Truppen raus aus dem Irak und Bolkestein raus aus Europa!“, wird das italienische
Leittransparent der Bewegungen lauten.
Es werden gerade die von den
Sektionen der belgischen Gewerkschaften (der katholischen CSC und dem
sozialistischen FGTB) mobilisierten Jugendlichen sein, die die Spitze der
Demonstration bilden werden, unter ihnen auch einige Studenten. „In den letzten
Wochen“, erklären die Organisatoren, „hat es bereits drei Vorabdemonstrationen
in den Universitäten von Neu-Leuwen, Antwerpen und
Gent gegeben“ – Universitätsstädten, die nur einen Katzensprung von Brüssel
entfernt sind.
Mittendrin die
Gewerkschaften. Der EGB erwartet mindestens 40.000 Menschen. Die Hälfte davon
Einheimische, der Rest vor allem aus den Nachbarländern Frankreich, Deutschland
und Holland. Einige auch aus Italien, mit einer von <den drei großen
sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftsbünden> CGIL, CISL und UIL organisierten Chartermaschine. Es werden auch
Vertreter der neuen Länder aus dem Osten anwesend sein, dem neuen Gesicht
Europas.
Abgeschlossen wird die
Demonstration von den Bewegungen. Es war das Europäische Sozialforum, das diese
Mobilisierung auf dem Treffen im vergangenen Oktober in London gegen die
neoliberale EU-Politik und den Krieg lancierte. Die Belgier sehen es als einen
Erfolg an, 4.000 Menschen auf die Straße gebracht zu haben, um gegen den
jüngsten Bush-Besuch in Brüssel zu protestieren. Jetzt erwarten sie
Unterstützung aus Frankreich (mindestens 2.000 Leute, viele davon von Attac), aus Deutschland (Attac
und Sozialforum) und aus Holland (Sozialforum). Außerdem wird es mit Blick auf
das nächste Sozialforum, das im April 2006 in Athen stattfindet, eine starke
griechische Delegation geben und auch aus Österreich, der Schweiz, Dänemark und
Schweden sind bereits zahlreiche Beteiligungszusagen eingetroffen. Aus Italien
werden einige Reisebusse kommen, die in Rom und in Mailand abfahren. Viele
haben sich jedoch dazu entschlossen, die Billigfluglinien zu nutzen. Die
italienische Beteiligung wird allerdings unter der wegen der Befreiung von Giuliana <Sgrena und für den vollständigen
Truppenabzug aus dem Irak>
gestarteten Mobilisierung sowie der zentralen Rolle leiden, die die zeitgleich
in Rom stattfindende Demonstration eingenommen hat. Die letzten Ereignisse
verstärken allerdings zugleich die – auch symbolische – Bedeutung der Präsenz
in Brüssel.
„Wahrheit und
Gerechtigkeit werden unsere Tageslosungen sein“, erklären sie bei der ARCI.
„Wahrheit und Gerechtigkeit für Giuliana und für <den nach ihrer Freilassung auf
dem Weg zum Bagdader Flughafen von US-Truppen erschossenen italienischen
Geheimdienstagenten> Nicola Calipari. Es sind allerdings auch Worte, die wir seit drei
Jahren (seit Genua) zu wiederholen gewöhnt sind.“ Forderungen, die in der
Hauptstadt der Europäischen Gemeinschaft ankommen und das Nein zum Krieg mit
dem Sozialen Europa verbinden werden. Hinzu kommt die Herausforderung, die
Fähigkeit <der
Bewegung> zu entwickeln als
Antriebsfeder gegen die neoliberale Politik der Gemeinschaft zu wirken, um die
europäische Dimension der Bewegung zu konsolidieren. Die Europäische Union ist
ein undurchsichtiges Machtzentrum, ohne Sex-Appeal, aber sehr bestimmend. „Es
ist das erste Mal, dass wir den Brüsseler Palast als das italienische Parlament
nehmen“, sagt Bonini. Und da dieses Europa
mittlerweile 25 Mitgliedsstaaten zählt, wirft die Brüsseler Demonstration die
Frage der Öffnung nach Osten auf und weist auf eine harte Unterstützungsarbeit
für die schwachen Bewegungen der ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten hin.
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover