Antifa-AG
der Uni Hannover:
Die Vorwahlen der italienischen
Mitte-Links-Union am 16.Oktober 2005, die wie erwartet zur Kür des
christdemokratischen ehemaligen Ministerpräsidenten und
EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi führten, sind
mit diesem Tag keineswegs erledigt. Mit 75% der Stimmen und einer Beteiligung von
4,3 Millionen Menschen bescherten sie ihm eine noch nachhaltigere politische
Blankovollmacht für die Fortsetzung der neoliberalen Politik als erwartet.
Damit besitzen sie eine erhebliche Bedeutung für die kommenden Jahre und sind
weiterhin Gegenstand der Diskussion. Zum Beispiel in dem folgenden Interview,
dass die von Rifondazione Comunista
(PRC) herausgegebene Tageszeitung „Liberazione“
für die Ausgabe vom 25.10.2005 mit der „großen alten Dame der
italienischen radikalen Linken“, Rossana Rossanda, führte.
Linke
Debatte:
Rossanda: „Bei den Vorwahlen hat die
Vollmacht für einen Mann gewonnen. Gute Parteien sind eine Seltenheit“
Der Gründerin von „il manifesto“ zufolge „würde Prodis
Regierung drei Monate dauern, wenn er das Programm allein verfasst“.
Claudio Jampaglia
Vor einer Woche erteilten Prodi gut vier Millionen Wähler ein enormes Mandat, um
Berlusconi zu schlagen. Zwischen Überraschungen, Debatten und Gier nach
Politik, die über die Ausdehnung der Vorwahlen auf alle künftigen Wahltermine
diskutiert, bleibt uns <die
Aufgabe> dieses „Phänomen“ etwas
besser zu verstehen. Wir baten Rossana Rossanda, zu versuchen, uns dabei zu helfen und zwar
ausgehend von jenem „Vorbehalt“, den sie vor einer Woche in „il manifesto“ geäußert hat und der noch aufzulösen bleibt.
Es gibt jene, die in der
Durchsetzung der Vorwahlen die Brandung der Krise der Politik sahen, jene, die
darin die lange Welle der Bewegungen und des Beteiligungsbedürfnisses
erblickten und jene, für die es eine Sache „normaler
politischer Kultur“ war. Bleibt die Tatsache, dass sie als eine der wenigen
Gelegenheiten wahrgenommen wurden, sich zu äußern. Sieg der Delegierung oder
des Bedürfnisses nach direkter Demokratie innerhalb der Mitte-Linken?
„Der Delegierung. Versuchen
wir dafür zu sorgen, dass die Worte ihren Sinn behalten: Direkte Demokratie ist
die Praxis einer homogenen Gruppe, die gemeinsam über ein Projekt und seine
Leitung entscheidet und keine Vollmachten erteilt. Es sei denn, sie sind
vorläufig und auf ein Mandat bezogen. Die Vorwahlen sind eine Kopie der
amerikanischen Form delegierter Demokratie, die wirklich keine der
wünschenswertesten ist. Darin testen einige zuvor von der Politikerschicht
ausgewählte Personen ihre Popularität.“
Jetzt ziehen Alle die
Decke der Vorwahlen heran, um sie in eine aktive Entscheidung der Wählerschaft
auch über die Programme zu verwandeln. Kann von hier aus das zwischen
Orientierung auf die Führungspersönlichkeiten (leaderismo)
und Abhängigkeit der Politik von den Medien verloren gegangene Beteiligungsgefühl
neu entstehen?
„Ich glaube, dass zumindest
in einer lokalen Dimension die Information, die Beteiligung und die – auch
permanenten – Formen des Zusammenschlusses leichter sein sollten und
Personalisierung sowie Mehrheitswahlrecht ihren Sinn verlieren sollten. Da gibt
es bereits gute Beispiele.“
<Der
linke Turiner Professor> Marco Revelli hat uns gesagt, dass er in Sachen
Regierungsprogramm der <Mitte-Links-> Union maximal auf eine „Schadensbegrenzung“ hofft, „die
die vom Omnipotenzwahn der politischen Souveränitäten hervorgerufenen
Schwierigkeiten meidet“. Gibst Du Dich damit zufrieden?
„Nein.“
Du hast die Distanz zu Scalfari <dem Gründer und langjährigen Chefredakteur der großen
linksliberalen Tageszeitung „la Repubblica“> und Anderen betont, wenn sie behaupten, dass „ein Programm der Mitte-Linken“ über den
Anti-Berlusconismus hinaus, nunmehr existiere.
Welcher Vermittlung bedarf es, damit eine Regierung Prodi
nicht nur drei Monate dauert?
„Ein Bündnis besteht aus
verschiedenen Köpfen und wird durch das Mehrheitswahlrecht dazu getrieben, die
Optionen auf zwei zu reduzieren. In diesem Fall werden die Bereiche der
Mitte-Linken durch die grundlegende Option vereint, das Land vom ‚Haus der
Freiheiten’ (Casa delle Libertà – CdL <= Berlusconis
Parteieinbündnis>) zu befreien. In
der Frage, was an seine Stelle treten soll, kann es heute nur unterschiedliche
Meinungen geben. Prodi hätte für die Europäische
Verfassung gestimmt, <Rifondazione Comunista-Sekretär> Bertinotti dagegen. Prodi würde wahrscheinlich für die Bolkestein-Richtlinie
stimmen, Bertinotti – glaube ich – nicht usw. Im
Gesellschaftsmodell des Ersteren dominieren Unternehmen und Markt, in dem des
Letzteren sicherlich nicht. Dort würde jede Maßnahme auf das Recht auf Arbeit
und die Vollbeschäftigung (ich glaube nicht an das Beihilfensystem)
ausgerichtet sein. Und genauso in Sachen Schule, Gesundheitswesen, Wohlfahrt
und Weltlichkeit des Staates. Und es geht mittlerweile nicht mehr nur darum,
den Dialog zwischen zwei unterschiedlichen Theorien hinzubekommen. Die vom Haus
der Freiheiten (CdL) ergriffenen Maßnahmen haben das Terrain verändert. Das
einfachste Beispiel dafür ist: Das Gesetz Nr. 30 / 2003 hat ein großes Netzwerk
prekärer Beschäftigung geschaffen und es wird nicht ausreichen, es
abzuschaffen, ohne es zu ersetzen, weil auszuschließen ist, dass die prekär
Beschäftigten unbefristet eingestellt werden und es, ohne eine neu zu
schaffende Alternative, leichter ist, sie in die Schwarzarbeit abzudrängen. Das
soziale Gewebe ist schwer beschädigt und ein klares Programm der Ziele und der
Zeiträume gibt es nicht. Ich würde Prodi keine
Vollmacht erteilen, das allein zu erledigen. Dann würde die Regierung genau
drei Monate dauern. Ich denke allerdings nicht, dass ein kohärentes linkes
Projekt von der Margerite <d.h. dem christdemokratisch-liberalen Kleinparteien- und
Personenbündnis, das den rechten Flügel der italienischen Mitte-Linken
bildet> und von den <aus der 1990 aufgelösten ital. KP hervorgegangenen> Linksdemokraten (DS) akzeptiert würde. Kurz gesagt: Das ist ein noch
komplett zu durchlaufender Prozess und die Beteiligung der nicht mit diesen
Arbeiten Betrauten muss erst noch entworfen werden.“
Wie sollte die Linke
jetzt in die Wahlen gehen?
„Sie muss ein Bündnis
eingehen und dabei als Ausgangspunkt ihre Identität aufrechterhalten, die aus
der Forderung nach Freiheiten und sozialen Rechten besteht. Ob es Einem nun
gefällt oder nicht, hat sie dies mit der Arbeiterbewegung verbunden und darauf
zu verzichten, würde bedeuten die Seele zu verlieren.“
Was meinst Du zu Bertinotti, zu seinem Ergebnis und zu der Möglichkeit,
Einfluss auf das Programm von Rifondazione zu nehmen
oder nicht?
„Dazu meine ich nichts. Ich
glaube nicht, dass die Vorwahlen von Bertinotti wie
von Prodi zu einer internen Abrechnung benutzt
wurden.“
Bewegungen und in
Verbänden aktive Linke scheinen sich, was die Debatte über die <Mitte-Links> Union anbelangt zwischen peinlichem Schweigen,
Forderungskatalogen mit unverzichtbaren Punkten, Forderungen nach gemeinsamen
Kandidatenlisten, Appellen und Entfremdungen aufzuspalten. Der springende Punkt
ihrer Daseinsfähigkeit ist weiterhin das Verhältnis zu den Parteien. Eine Strafe
des 20.Jahrhunderts. Bedarf es „eines
neuen Paradigmas der Repräsentanz“?
„Die direkte Amtseinsetzung
einer Persönlichkeit ist der Nullpunkt der Politik, um nicht zu sagen, eine
angenehmere Form von Populismus. Es gibt dabei Leute, die mit den besten
Absichten handeln, aber mir gefällt das nicht. Ich füge hinzu, dass die Wahlen
einen Sinn als Abbildung der Stimmungen der gesamten Bevölkerung oder
derjenigen einer Stadt bzw. einer Region haben, die derjenige, der regiert,
berücksichtigen muss und es ist ein – von den realen Sozialismen ausprobierter
– katastrophaler Fehler, sie abzuschaffen. Nichtsdestoweniger ist das
Verhältnis zwischen dem atomisierten Einzelnen und dem Kandidaten, den ihm
irgendjemand vorschlägt, sehr armselig und flüchtig. Die Parteien sind eine
reifere, permanente Form einer Analyse und eines gesellschaftlichen Projektes,
an der sich Leute beteiligen. Sie sind ein zwischen politischer Sphäre und
Zivilgesellschaft vermittelnder Körper, der den Konsens um Ideen statt um
Personen herum organisiert. Heute gelten sie als wenig korrekt und wird ein
starker Exorzismus gegen sie betrieben. Sicherlich bedeutet es eine große
Arbeit, eine gute Partei zu schaffen und dafür zu sorgen, dass sie demokratisch
funktioniert. Eine Arbeit, die die Aktivisten Mühen kostet. Mühen, die sie
nicht mehr aufbringen wollen und die Funktionäre zu einer Bescheidenheit und
einer Bereitschaft zur Ablösung verpflichtet, die immer seltener sind.“
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen
Klammern:
Antifa-AG der
Uni Hannover