Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Der
vierstündige Generalstreik der drei großen italienischen Gewerkschaftsbünde
CGIL, CISL und UIL am Dienstag, den 30.November 2004 gegen die Wirtschafts- und
Steuerpolitik der Regierung Berlusconi war, was die Mobilisierung anbelangt,
ein Erfolg, auch wenn die von den Gewerkschaftsführungen verbreiteten Zahlen
über die Streikbeteiligung (angeblich 80%) deutlich überhöht sind. Parallel zum
Streik fanden in 80 Städten von CGIL-CISL-UIL organisierte Demonstrationen
statt. Die größten in Mailand mit real 8-10.000 Teilnehmern (offiziell „mehr
als 100.000“), in Turin (real rund 5.000), Rom (bei Dauerregen real nur ca.
4.000) und in Venedig (real ebenfalls rund 4.000). Die Regierung Berlusconi hat
dieser 5. gegen ihre Politik gerichtete Generalstreik in den letzten 2 ½ Jahren
nicht sonderlich beeindruckt und auch in der ausländischen Presse war er nur
eine Randnotiz. Für uns ein Grund mehr im Folgenden die Übersetzung des
Interviews zu präsentieren, in dem der Generalsekretär des größten (und relativ
gesehenen linkesten) Gewerkschaftsbundes CGIL, Guglielmo Epifani, die
inhaltliche Begründung des Streiks darlegt. Es erschien in der linksliberalen
Tageszeitung „la Repubblica“ vom 28.11.2004.
Das
Interview:
Der
CGIL-Führer: Berlusconi ein umgekehrter Robin Hood, aber er ist dabei
unterzugehen.
„Ein schönes Geschenk für die
Reichen, bezahlt von den Rentnern.“
ROBERTO MANIA
ROM – „Berlusconi ? Ein umgekehrter Robin Hood, der den Ärmsten
nimmt, um den Reichsten zu geben.“ Das ist die Metapher, die Guglielmo Epifani
(Generalsekretär der CGIL) auch deshalb verwendet, um die Gründe für den
übermorgigen Generalstreik zu erläutern. Dem 5.Streik gegen die zweite
Regierung Berlusconi. Einem Streik, der nicht gegen die Steuerkürzungen
gerichtet ist, sondern gegen eine kurzsichtige Wirtschaftspolitik, die dabei
ist, die Entwicklung des Landes zu beeinträchtigen. Gegen Beschlüsse, die heute
vor allem die schwächsten Teile der Bevölkerung bezahlen, die morgen aber alle
belasten werden, ohne Unterschied. „Beschlüsse einer Regierung, die sich an das
letzte Schlauchboot klammert (die Steuern), um zu versuchen, nicht
unterzugehen“, sagt der Gewerkschaftsführer, der „die Verschärfung der
Mobilisierung im öffentlichen Dienst“ ankündigt.
Aber Epifani, wie erklärt
man einen Streik gegen die Kürzung der Steuern ?
„Unser Streik ist ein Streik
gegen das gesamte Manöver der Regierung. Unsere Kritik ist eine grundsätzliche
Kritik an der Wirtschaftspolitik, die sich durch das Haushaltsgesetz konkretisiert.
Dieses Manöver spielt gegen die Entwicklung des Landes. Es tut exakt das
Gegenteil dessen, was getan werden müsste, um ein ökonomisches System neu
anzukurbeln, dem es in den letzten 4 Jahren nicht gelungen ist, stärker als um
1% zu wachsen. Es genügt daran zu erinnern, dass das Jahr 2000 mit einem
Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 3% zu Ende gegangen ist.“
In der Tat, gerade um –
über den Konsum – das Wachstum wieder anzukurbeln, hat die Regierung die
Steuerreform verabschiedet.
„Nein, so wird es nicht
sein. Das Manöver der Regierung hat nicht das wirtschaftliche Wachstum zum
Ziel.“
Tatsächlich sagen
Berlusconi und der <zuständige> Minister Siniscalco das Gegenteil.
„Die Regierung hat die Quote
der öffentlichen Investitionen – vor allem im Mezzogiorno <= Süditalien, Sizilien und
Sardinien> reduziert. Die Kürzungen
im Schulwesen, im Gesundheitswesen, bei der Sicherheit und bei den Überweisungen
an die Lokalbehörden werden dazu führen, dass das Wachstum weiter
beeinträchtigt wird. Diese Regierung denkt, dass die öffentlichen Ausgaben das
Synonym für Verschwendung und nicht für Entwicklung sind. Und dann gibt es den
Rückgang der privaten Investitionen.“
Was hat die Regierung
damit zu tun ? Das sind Entscheidungen, die die Unternehmen betreffen.
„Die Stimulation privater
Investitionen, die groß versprochen worden war, hat sich quasi in Nichts
aufgelöst. Die Kürzung der <Wertschöpfungssteuer> IRAP
für die Forscher ist eine ganz geringe Sache und wird nicht mehr als 20
Unternehmen betreffen.“
Es gibt auch Anreize für
Neueinstellungen, vor allem im Mezzogiorno.
„Es gibt eine derart
niedrige Deckungsobergrenze, dass sie nur eine äußerst geringe Anzahl von
Unternehmen begünstigen wird. Das ist so eindeutig, dass die Confindustria <d.h. der wichtigste italienische
Kapitalistenverband> sich kritisch
und besorgt über das Manöver geäußert hat. Ein Urteil, das heute (für die
Leser: gestern; Anm.d.Red.) von deren Präsidenten <und
FIAT-Aufsichtsratsvorsitzenden>
Montezemolo bestätigt wurde.“
Ihr, die Ihr die Welt der
Arbeit repräsentiert, steht dem kritisch gegenüber und die Unternehmen auch.
Und doch wird es irgendjemanden geben, für den die Kürzung der Steuern von
Vorteil ist. Oder nicht ?
„Schließlich ist es noch
wichtig daran zu erinnern, dass ein Drittel der Reform durch andere, indirekte
Steuern finanziert wird, insbesondere ab 2006. Paradoxerweise wird es
diejenigen geben, die durch die Reform nichts gewinnen, sondern dazu beitragen
werden, sie zu finanzieren.“
Wer zum Beispiel ?
„Die Rentner. Die übergroße
Mehrheit von ihnen wird von den Entlastungen nicht einmal mehr gestreift. Das
Wort ‚Rentner’ ist aus dem Haushalt verschwunden.“
Für die geringsten
Einkommen wurde allerdings das erste Modul der Reform gemacht – das von 2002.
„Nur zum Teil. Aber heute
erhalten diese Einkommensgruppen nichts. Wirklich begünstigt durch die
Entlastungen werden nicht mehr als 2% der Bevölkerung.“
Ab Januar wird in den
Lohntüten der Beschäftigten mit mittlerem Einkommen mehr zu finden sein.
„Diese geringfügige
Einkommenssteigerung wird durch die Erhöhung der Kosten für die öffentlichen
Dienstleistungen, die derselbe Haushalt unvermeidlich macht, vor allem
diejenigen der Kommunen im Bereich Gesundheit, mehr als kompensiert werden. Man
muss sich wirklich fragen, warum dieses Manöver durchgeführt wird, während der fiscal
drag <d.h. die
durch die Inflation verursachte Erhöhung der Besteuerung> wiederum nicht erstattet wird.“
Versuchen Sie eine
Antwort darauf zu geben !
„Weil das die einzige Karte
war, die der Regierung zur Verfügung stand, um ihre Glaubwürdigkeit nach den
gemachten Versprechungen nicht vollständig einzubüßen. Diese Regierung hat aber
alle ihre Ziele nicht realisiert. Denken Sie nur an die großen Bauprojekte. Die
sind alle nicht über die Schautafel hinausgekommen.“
Wird es am Ende nicht
stattdessen so sein, dass Berlusconi die Gewerkschaft in eine Ecke gedrängt hat
?
„Ich sehe die Regierung in
der Ecke, abgekapselt in einem Elfenbeinturm sitzend. Der Mangel an Dialog mit
allen sozialen Subjekten (mit uns, aber auch mit der Confindustria) ist
allerdings ein Zeichen von Schwäche. Und der Mangel an Beziehungen zu den
lokalen Institutionen (Kommunen, Regionen und Provinzen) ist noch
schwerwiegender. Dies ist eine Regierung in Sorge, in Schwierigkeiten. Die
darauf abzielt, die sozialen Vertretungen zu übergehen und eine direkte
Beziehung zu den Bürgern herzustellen.“
Etwas völlig Legitimes…
„Ja, aber das bedeutet eine
ärmere Vorstellung von Demokratie zu haben, eine Vorstellung mit
populistischen, demagogischen oder korporativen Konturen. Eine Vorstellung, die
uns nicht gefällt.“
Anmerkung:
Während die
Steuerreform für die normalen Lohn- und Gehaltsempfänger eine jährliche
Entlastung zwischen 50 und 350 Euro bedeutet, spart Silvio Berlusconi als
Ministerpräsident, Abgeordneter und Hauptaktionär des Fininvest-Konzerns bei
seinem deklarierten Jahreseinkommen von 12,731 Millionen Euro stattliche
254.942 Euro im Jahr. Der FIAT-Aufsichtsratsvorsitzende und Präsident der
Industriellenvereinigung Confindustria, Luca Cordero di Montezemolo, kommt
angesichts seines angegebenen Jahreseinkommens von 12,83 Millionen Euro sogar
auf eine Steuerersparnis von 256.925 Euro jährlich, wie einer Tabelle zu
entnehmen ist, mit der „la Repubblica“ das obige Interview illustriert
hatte.
Vorbemerkung,
Übersetzung, Anmerkung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover