Antifa-AG der Uni Hannover:

 

Die Verfassung von Mal zu Mal durch ein einfaches Mehrheitsvotum im Parlament den Bedürfnissen der eigenen Partei bzw. Regierungskoalition oder auch nur den Interessen des jeweils „starken Mannes“ anzupassen, ist in Italien seit langem übliche bürgerlich-demokratische Praxis. Der aktuelle Regierungschef Silvio Berlusconi fällt dabei nur insofern aus dem Rahmen, als er seine Vorgänger quantitativ und qualitativ übertrifft. So hat die von ihm geführte Parlamentsmehrheit aus Forza Italia, Alleanza Nazionale, Lega Nord, den rechten Christdemokraten der UDC und dem kleinen rechten Splitter des ehemaligen PSI vor wenigen Tagen nicht nur eine „Devolution“ (d.h. Föderalisierung) durch Abgeordnetenkammer und Senat gepeitscht, die den italienischen „Länderfinanzausgleich“ zugunsten des reichen Nordens aufkündigt und weiteren neoliberalen Gegenreformen auf regionaler Ebene den Weg bereitet, sondern auch den Ministerpräsidenten (also sich selbst!) mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet. Die beiden Vertreter des linken Flügels von Rifondazione Comunista (PRC), Claudio Grassi und Alberto Burgio versuchen im nachfolgenden Kommentar eine erste Einschätzung und Positionsbestimmung für den Widerstand gegen dieses Manöver. Claudio Grassi (49) ist Koordinator von „Essere Comunisti“ (Kommunisten sein), der mit Abstand größten Strömung des linken PRC-Flügels, die sich um die Zeitung „l’Ernesto“ gruppiert und auf dem letzten Parteitag 26,4% der Mitglieder vertrat. (Die Parteilinke insgesamt repräsentiert 40% der rund 95.000 PRC-Mitglieder). Alberto Burgio (50; ebenfalls „Essere Comunisti“) ist seit 1993 Professor für die Geschichte der Modernen Philosophie an der Universität von Bologna und leitendes Mitglied der Internationalen Gesellschaft für dialektische Philosophie – Societas Hegeliana. Beide sind Mitglied der 31köpfigen Nationalen Leitung von Rifondazione Comunista (PRC), des – nach dem 7köpfigen Sekretariat – zweithöchsten Führungsgremiums von Rifondazione. Ihr Kommentar erschien am 17.11.2005 auf der Homepage von „l’Ernesto“ (www.lernesto.it).

 

Mitteilung zur Verfassungsreform

 

Von Claudio Grassi und Alberto Burgio

 

Die gestern vom Senat gebilligte Verfassungsreform bildet den letzten und vielleicht gravierendsten Akt, der von dieser Regierung gegen den aus dem Widerstand entstandenen republikanischen Staat verübt wurde. Es handelt sich dabei nicht nur – wie in verkürzender Weise wiederholt wird – um die „Devolution“, auch wenn die Verlagerung exklusiver gesetzgeberischer Kompetenzen in wesentlichen Fragen, wie dem Gesundheits- und Schulwesen, hin zu den Regionen bereits für sich genommen eine schwerwiegende Bedrohung der Einheit des Landes und die Vorbedingung für ein größeres Gefälle zwischen dem reichen Norden und dem Mezzogiorno <= Süditalien und die Inseln> bildet, der bereits in schwerwiegender Weise diskriminiert wird.

 

Da ist noch mehr: Die Veränderung der Staatsform, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in eine Präsidialrepublik umgewandelt wird, in der der Ministerpräsident unangefochten Beherrscher des Parlaments sein wird. Zusammen mit der Reform der juristischen Ordnung (die die Grundlagen für die politische Kontrolle der Richter geschaffen hat) führt das zu einer Machtkonzentration in den Händen der Exekutive, die mit den entscheidenden Punkten moderner Verfassungen unvereinbar ist. Bei der Feststellung der Schwere dieses Angriffes kommen wir nicht umhin auch anzumerken, dass wir die x’te Demonstration der Tatsache erleben, wie unheilvoll, die von der Mitte-Linken im Laufe der 90er Jahre betriebenen institutionellen Reformen sind. Diese Reform ist nämlich nicht nur die Krönung einer unsinnigen Tendenz zu meinen, die Verfassung sei auf der Grundlage situationsbedingter politischer Einschätzungen reformierbar. Sie ist auch die Konsequenz einer unvorsichtigen und schlecht ausgearbeiteten Mehrheitsreform, die der Rechten die Gelegenheit bot, die für die Verfassungsänderung vorgesehenen Prozeduren zu forcieren und die Hälfte der Verfassung, mit Hilfe <einfacher> Mehrheitsvoten zu verdrehen.

 

Unsere ganze Entschlossenheit muss nun in die Vorbereitung der Referendumskampagne einfließen, mit dem Ziel, im ganzen Land das Bewusstsein der Notwendigkeit zu verbreiten, diese verwerfliche Reform <in einem Volksentscheid> abzulehnen. Das ist von heute an eines unserer Hauptziele.

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover