Gewerkschaftsforum Hannover:
Eine der größten Schwächen der vielfältigen
Welt der linken, italienischen Basisgewerkschaften ist ihre Zersplitterung.
Acht verschiedene Zusammenschlüsse konkurrieren bislang links des großen
sozialdemokratischen Gewerkschaftsbundes CGIL miteinander. Von den Schulen, dem
Transportsektor und den Feuerwehrleuten abgesehen sind sie nur in einzelnen
Betrieben ein bedeutender Faktor. Dort kommen sie allerdings bei den RSU-Wahlen auch in Großbetrieben zum Teil auf eine
Unterstützung von 15-30% der jeweiligen Belegschaft, obwohl sie durch das
undemokratische, ganz auf die großen Sozialpartner CGIL-CISL-UIL zugeschnittene
Wahl- und Versammlungsrecht in den Betrieben massiv benachteiligt werden. Zur
Überwindung dieser strategischen Schwäche gab es in der Vergangenheit nicht nur
weitere Spaltungen, sondern auch mehrere Vereinigungsversuche, von denen
einzelne Bestand hatten (CUB-RdB, SULT, ORSA…),
zuweilen aber auch einen Rückfall in eine korporative und
sozialpartnerschaftliche Praxis sowie eine relative Bürokratisierung bedeuteten.
(Insbesondere bei der ORSA, wo der ursprüngliche Ansatz der Eisenbahnergewerkschaft
COMU fast völlig verschwand.)
Insofern wird es interessant sein die
Entwicklung des Mitte Januar 2007 durch den Zusammenschluss von Sin.Cobas und SULT entstandenen Sindacato
dei Lavoratori (Gewerkschaft
der Werktätigen – SdL) aufmerksam zu verfolgen.
Der SdL wird zwar nicht über die offiziell genannten „mehr
als 60.000 Mitglieder“ (u.a. „Liberazione“ vom 11.1.2007) verfügen, unseren
Informationen zufolge mit real ca. 25.000 Mitgliedern jedoch fürs Erste die
größte Basisgewerkschaft des Landes sein. (Entscheidenden Anteil an der
Überhöhung der Mitgliederzahl haben in diesem Fall der Sin.Cobas
und befreundete Redakteure bei „Liberazione“.
Denn während der SULT tatsächlich ca. 15.000 Mitglieder zählt, kommt der der
„offiziellen“ IV.Internationale und der „Sinistra Critica“-Strömung von Rifondazione Comunista nahe stehende Sin.Cobas
in Wirklichkeit nicht auf „35.000“, sondern nur auf 6-7.000 Mitglieder. Verglichen
mit der sonst üblichen Verzehn- oder gar Verzwanzigfachung der realen Demonstrations- und
Streikbeteiligung, d.h. der Verbreitung „italienischer
Zahlen“, hält sich Aufblasen der SdL-Mitgliederzahl
allerdings in bescheidenen Grenzen.) In jedem Fall bleibt der Abstand zur CGIL
mit ihren offiziell 5,5 Millionen Mitgliedern enorm, was nur zu einem Teil
dadurch ausgeglichen wird, dass es sich bei den Mitgliedern der
Basisgewerkschaften in der Regel um Aktive und nicht um „Karteileichen“
handelt.
Die unabhängige, linke Tageszeitung „il
manifesto“ beschäftigte sich am 11.1.2007
mit der Vereinigung von Sin.Cobas und SULT.
KAPITAL & ARBEIT:
Sin.Cobas
und SULT – Einheit in Gegentendenz
SdL gegründet. Sin.Cobas
und SULT tun sich zusammen. Eine Anomalie in der Galaxie der
Basisgewerkschaftsbewegung, die auf Spaltungen abboniert ist. SdL wird keine Konföderation, sondern eine
berufsgruppenübergreifende Organisation sein.
Manuela
Cartosio
Wie viele
Spaltungen hat die Basisgewerkschaftsbewegung in 20 Jahren erlebt? Auch die Freunde
dieser Materie haben den Überblick verloren. Unter denjenigen, die den Anspruch
haben eine Alternative zu den großen Gewerkschaftsbünden und ihren
Einzelgewerkschaften aufzubauen, vollziehen sich die Spaltungen mit der
Konstanz eines Naturgesetzes. Mitsamt dem unvermeidlichen Fundus an
Streitereien, Personalisierungen, zugeschlagenen Türen und endlosem Knatsch.
Dass in diesem Bereich zwei Organisationen beschließen, sich zusammen zu tun,
ist also bereits eine Nachricht. An diesem Wochenende halten Sin.Cobas und SULT in Rom ihren Vereinigungskongress ab.
Sie bilden den SdL, die Gewerkschaft der Werktätigen.
Das Adjektiv „berufsgruppenübergreifend“, das an die neue Abkürzung
angeheftet wurde, dient dazu kundzutun, dass der SdL
kein Gewerkschaftsbund sein wird, d.h. kein Hut, der über Dinge gestülpt wird,
die unterschiedlich bleiben. Die Einheit wird von den Fundamenten aus
praktiziert, d.h. auf territorialer Grundlage.
Eine Heirat
in Gegentendenz. Aber die Vertragspartner blasen sich – mit Gefühl für das Maß
– nicht allzu sehr auf. Keiner schwafelt, weder beim Sin.Cobas
noch beim SULT, von einem epochalen Ereignis oder sinniert darüber, dass aus
dem SdL der Nabel der Welt wird. Am Vorabend des
Gründungskongresses registrieren wir Stellungnahmen, die vom Vertrauen in das
Unternehmen geprägt sind. Begleitet jedoch von einer realistischen Einschätzung
der eigenen Kräfte und vom Bewusstsein der „Gelegenheiten“, die die
Basisgewerkschaftsbewegung in der Vergangenheit – als die Lage günstiger war –
nicht zu nutzen verstand.
Sin.Cobas
und SULT haben ihre Spaltungen und Vereinigungen hinter sich. Die Erstere
entstand 1996 bei Alfa Romeo in Arese <nahe Mailand> aus einer Spaltung des SLAI Cobas
und fusionierte fünf Jahre später mit dem SdB, einer Gewerkschaft des Öffentlichen Dienstes. Sie behauptet
35.000 Mitglieder zu haben, die Hälfte davon im Öffentlichen Dienst. Mit mehr
als Tausend Mitgliedern ist sie die zweitstärkste Gewerkschaft in der Stadtverwaltung
von Mailand und darüber hinaus in den FIAT-Werken Turin-Mirafiori
und Cassino präsent. Der SULT trat 2003 aus der CUB
aus, vereinigte sich mit zwei weiteren Basisorganisationen des Transportsektors
und behauptet 15.000 Mitglieder zu haben. 40% davon im Lufttransport. Allein
2.500 Mitglieder sind es bei Alitalia, wo der SULT unter den Flugbegleitern die
stärkste Gewerkschaft ist. Er ist auch bei der Eisenbahn und unter den
Beschäftigten des öffentlichen Nahverkehrs präsent. Seit kurzem hat er einen
Fuß in den Seetransport <d.h. den
Fährbetrieb> gesetzt
und Fabrizio Tomaselli, vom Nationalen
Sekretariat des SULT, legt Wert darauf den Erfolg des jüngsten 48stündigen
Streiks in Gioia Tauro <Provinz Reggio Calabria; drittgrößter Containerhafen Europas
!> zu
erwähnen.
Der
nationale Koordinator des Sin.Cobas, Paolo Sabattini, räumt ein, dass es die Selbstorganisation
der Werktätigen (das vorrangige Ziel der Basisgewerkschaften) „heute nicht
gibt“. Diese „Wurzel“ bleibt bestehen, hat aber Mühe sich
durchzuschlagen. „Die Unzahl von Organisationen ist keine Hilfe.“ Die
Leitungsgruppen zusammenzubringen, ist „komplizierter“ als die
Werktätigen zusammenzubringen. Sabattini hofft, dass
der SdL „ein erster Schritt“ auf dem Weg zu
einer größeren Vereinigung ist. Die Charakteristika, die er der neuen
Organisation attestiert, bestätigen allerdings die Differenzen zu den anderen
Inseln des Basis-Archipels, die bestehen bleiben. SdL
wird „eine antagonistische Gewerkschaft, aber eine Gewerkschaft“ sein
(nicht wie die COBAS Scuola, „die mehr Politik als
Gewerkschaftsarbeit macht“). SdL wird nicht „selbstbezogen“
sein, wird nicht das Ziel haben, „sein
kleines Banner zu schwenken oder Anspruch auf Erstgeburtsrechte erheben“.
Maximale Bereitschaft also Dinge mit der CGIL-Linken, mit dem Rete 28 Aprile <als ihrem radikalsten Teil> und mit der <CGIL-Metallarbeitergewerkschaft> FIOM zusammen zu machen. (Hier
bezieht man sich auf den Isolationismus der CUB-RdB.)
Es sei
jemand nötig, der mit „gutem Beispiel“ vorangeht, sagt Fabrizio Tomaselli. Sin.Cobas und SULT
versuchen das. „Das ist eine Herausforderung an uns selbst, weil es in der
Basisgewerkschaftsbewegung wirklich wenige echte Vereinigungen gegeben hat.“
Die Konföderationen werden „mit jeder Windböe“ gegründet und wieder
ausgelöst. Das „berufsgruppenübergreifende“ Modell wurde gerade deshalb
gewählt, um die Labilität der oftmals nur virtuellen Beziehungen zu vermeiden.
Was das Verhältnis zur Politik anbelangt, wird man ganz deutlich: „Wir sind nicht
das Personal irgendeiner Regierung und werden es nicht sein. Die von Prodi geleitete ist eine Regierung. Punktum und basta.“
Unter den
Mitgliedern des Sin.Cobas gibt es eine ganze Reihe
Frauen. Frauen stellen die Hälfte der Mitglieder des nationalen Sekretariats. Luigia Pasi ist
eine von ihnen. Wir haben uns mit ihr, die als junges Mädchen 1971 bei Alfa
Romeo in Arese anfing und Protagonistin der „Frauengruppe“
in einer Männerfabrik war, am Vorabend des Gründungskongresses unterhalten. Von
Tibonis <heute
der CUB angehörenden Metallarbeitergewerkschaft> FIM an hat sie fast alle
Umwälzungen der Basisgewerkschaftsbewegung miterlebt. Mit der Grobheit, die man
sich unter Gleichaltrigen erlauben kann, fragen wir sie: War es die Mühe wert? „Mit
Sicherheit Ja. Die Begründungen, die mich dazu gebracht haben zu glauben, dass
es eine konfliktbereite, demokratische Gewerkschaft geben kann, die Ausdruck
der Bedürfnisse der Arbeiterinnen und Arbeiter ist, bleiben alle bestehen.
Leider.“ Es ist uns nicht gelungen, das zu erreichen, wofür wir gekämpft
haben. Anders gesagt: Wir wurden alle besiegt (ein Wort, das Luigia nicht gebraucht). „Aber das ist kein guter Grund,
um zu akzeptieren, dass die Welt und die Arbeit zugrunde gehen.“ Und also
lautet die Liste der Prioritäten (ihre und die des SdL):
Lohn, Renten, Abfindungen (TFR), Kampf gegen die Prekarität
und die Privatisierungen, Gesundheit, Streikrecht und – of course (natürlich) – ein gutes Gesetz über die <gewerkschaftliche> Vertretung.
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Gewerkschaftsforum Hannover