Antifa-AG der Uni Hannover:

 

Innerhalb der Islamischen Widerstandsbewegung (Hamas) findet seit einigen Monaten ein Strategiewechsel statt, mit einem tendenziellen Abkehr vom bewaffneten Kampf und der Totalablehnung der Palästinensischen Autonomiebehörde als Produkt der Osloer Abkommen sowie einer pragmatischen Haltung und Kompromissbereitschaft gegenüber Israel. Auf der personellen Ebene ist dies verbunden mit einem Bedeutungszuwachs jüngerer Kader. Die Hoffnungen über Wahlerfolge und den parlamentarischen Instanzenweg (z.B. nach den Parlamentswahlen im Juli 2005) die eigenen (reduzierten) Ziele zu erreichen, indem man die Fatah in der Wählergunst überflügelt, ähneln nicht wenig der fortschreitenden Sozialdemokratisierung beispielsweise der italienischen KP (PCI), wobei Hamas natürlich nie kommunistisch oder sozialistisch, wohl aber eine im antikolonialen Sinne kleinbürgerlich-revolutionäre Bewegung war. Sollte diese Integration der Hamas Realität werden, würde das natürlich auch neue Räume für die palästinensische Linke eröffnen. In jedem Fall ist es spannend, was die linke italienische Tageszeitung „il manifesto“ vom 25.3.2005 über die interne Entwicklung der Hamas zu berichten weiß.

 

Die Hamas der Jungen lässt Al-Fatah zittern

 

Die neue islamistische Generation fordert Abu Mazens Partei heraus. Die Guerilla wird zweitrangig. Es ist die Stunde der Eroberung der Macht.

 

MICHELE GIORGIO – KORRESPONDENT IN GAZA

 

Ghazi Hamad verfolgt aufmerksam den Umbruch der von seinen Redakteuren verfassten Artikel. Er hat es eilig die letzte Nummer seiner Wochenzeitung „A-Risala“ abzuschließen und sie nach Cisjordanien zu übermitteln. „Wir sind spät dran, aber ein paar Berichte über die Situation in Gaza haben uns mehr Zeit gekostet als vorgesehen.“ Als Journalist und politischer Analytiker repräsentiert Hamad, zusammen mit Mushir Masri und Sami Abu Zughri, die neue Generation der islamischen Bewegung Hamas, die in den letzten Monaten hervorgetreten ist. Die Ermordung des spirituellen Führers Scheich Ahmed Yassin am 22.März 2004 durch Israel, an die Hamas <in diesen Tagen> mit Demonstrationen in den Besetzten Gebieten erinnerte) und zwei Monate später die seines Nachfolgers Abdel Aziz Rantisi haben die bekannteren Führungsmitglieder aus Furcht vor neuen „gezielten Tötungen“ gezwungen, im Schatten zu bleiben. So sind die jüngeren Aktivisten der Bewegung ans Licht gekommen und im Laufe der Zeit zum Gesicht der politischen Wende von Hamas geworden, die, indem sie auf den bewaffneten Kampf verzichtet, die Absicht verfolgt, auf dem politischen Terrain alle ihre Karten auszuspielen.

 

Die islamistische Wende

 

„Das Ziel ist nicht, an die Stelle der Autonomiebehörde zu treten“ – erklärt Hamad – „sondern eine stabile Kraft zu werden, ein Bezugspunkt für alle Palästinenser, die an die islamischen Prinzipien, an die Rechtschaffenheit / Sittsamkeit glauben und an die Verteidigung unseres Bodens.“ Seine vorsichtigen Worte reichen nicht aus, um die realen Intentionen von Hamas zu verdecken: die größte Zahl der Sitze im palästinensischen Legislativen Rat <d.h. dem Parlament> zu besetzen und die historische Vorherrschaft von Al-Fatah aus der Nähe zu bedrohen, d.h. der Bewegung, die vom verstorbenen Rais Yasser Arafat gegründet und nun von Faruk Qaddumi und dem Präsidenten Abu Mazen <alias Mahmud Abbas> geführt wird. Die Größenordnung des faktischen Wahlerfolges wird die Grundlage bilden, auf der sich der Beitritt der Hamas (und der anderen islamischen Bewegung, dem Jihad) in die neue PLO vollzieht, die – wie bei den jüngsten Gesprächen in Kairo beschlossen wurde – Ende des Jahres gegründet wird.

 

Hamas ist in diesen Tagen damit beschäftigt, die Vorwahlen zu organisieren (die geheim stattfinden werden, wie Mohammed Ghazal, ein weiterer von den neuen islamischen Führungsmitgliedern, von Nablus aus klargestellt hat). Und die Basisaktivisten, aber auch normale Leute, die nicht der Bewegung angehören, werden von den 50 Mitgliedern des Shura-Rates auf der Grundlage ihrer „moralischen und religiösen Integrität“ ausgewählt. Die Kandidatenlisten werden <dann> von der lokalen Führung (der „Troika“ Mahmud Zahar, Ismail Haniyeh und Said Siam) überprüft und schließlich – zur endgültigen Billigung – an die Führer im Exil übermittelt: Khaled Mashaal und seinen Stellvertreter Musa Abu Marzuq. Hamas räumt ein, dass ihre politische Wende nicht nur das Ergebnis der veränderten Bedingungen im Lande, sondern auch des an der Spitze der Autonomiebehörde vonstatten gegangenen Wechsels ist. „Abu Mazen repräsentiert die Ordnung und die Einhaltung der Gesetze. Yasser Arafat hingegen war der Mann der tausend Kompromisse, der alle begünstigte, ohne irgendeinen zufrieden zu stellen.“ Eigentlich gefällt Abu Mazen den Islamisten besser, weil er weniger mächtig, konzilianter und bereit ist, auf der politischen Bühne jene Zugeständnisse zu machen, die Arafat stets abgelehnt hatte.

 

„Wenn wir eine gute Anzahl an Parlamentssitzen erringen, wird es uns gelingen, Einfluss auf die Verhandlungen mit Israel zu nehmen. Insbesondere wollen wir das Unsere zu zentralen Fragen, wie den Flüchtlingen, der Jerusalem-Frage und der Gründung des unabhängigen Staates sagen“, fährt der Direktor von „A-Risala“ fort. Hamas wird Israel – aus ideologischen und religiösen Gründen – niemals anerkennen, bevorzugt jetzt aber eine pragmatische Linie und könnte eine unbefristete Waffenruhe proklamieren. „Die Auseinandersetzung mit Israel, mit den Besatzungskräften, tritt auch deshalb an die zweite Stelle, weil sich Hamas das – nicht erklärte – Ziel gesetzt hat, die Macht zu erobern, indem sie Al-Fatah entzogen wird“, behauptet Ali Jirbawi, Dozent für Geschichte an der Bir Zeit-Universität. Die Umfragen lassen einen massenhaften Einzug von islamischen Abgeordneten in den Legislative Council erwarten und Viele fragen sich, ob Hamas Al-Fatah bereits bei den kommenden Wahlen überholen wird.

 

Wenn sich das Parlament grün färbt

 

Die letzte Meinungsumfrage signalisierte eine starke Zunahme der Wahlabsichten für Hamas, die von 18% im Januar auf 25% <Mitte März 2005> steigen. Im selben Zeitraum fiel der Stimmenanteil von Al-Fatah von 40% auf 36%. Mit einiger Wahrscheinlichkeit ist der Unterschied sogar geringer. Die potentiellen Hamas-Wähler tun sich schwerer ihre Wahlabsichten offen zu erklären als diejenige von Al-Fatah. Das Hinabsteigen der Islamisten in die politische Arena wird von allen Palästinensern als eine positive Entwicklung betrachtet. Auf der anderen Seite glauben allerdings Wenige, dass die Autonomiebehörde mit Hamas eine Kohabitation betreiben <wörtlich: „zusammenleben“> kann. „Al-Fatah, Abu Mazen und die Regierung des Ministerpräsidenten Abu Ala <alias Ali Kurei> hat nur wenige Monate, um die gegenwärtige Tendenz umzukehren und zu demonstrieren, dass sich die versprochenen Reformen und der Kampf gegen die Korruption wirklich auf dem Weg befinden“, fügt Jirbawi hinzu. Die Frage liegt allen Palästinensern ein bisschen auf der Zunge: Ist Al-Fatah zu der von Hamas lancierten Herausforderung bereit?  „Nicht in dieser Phase, in der der Kampf zwischen alter Garde und neuer Generation noch nicht den von Allen herbei gewünschten Gangwechsel hervorgebracht hat“, antwortet Qaddura Fares, einer der jüngeren Funktionäre von Al-Fatah, die unter der Abwesenheit von Marwan Barghuti leidet, ihrem in Cisjordanien populären Führer, der seit drei Jahren in Israel im Gefängnis sitzt (wo er eine lebenslange Haftstrafe verbüßt). „Wir sind gespalten und das könnte uns im Juli sehr teuer zu stehen kommen“, fügt er hinzu. In den vergangenen Wochen haben Dutzende von Al-Fatah-Aktivisten ihre Mitgliedsausweise zurückgegeben. „Unsere Austritte stellen eine Botschaft an die Führung dar, damit sie die Prozeduren für den 6.Parteikongress von Al-Fatah beschleunigt. Sonst wird Hamas zur politischen Mehrheitskraft“, erklärte Ahmed Al-Dik, einer der Ausgetretenen.

 

An Spannungssignalen fehlt es zwischen den mit Al-Fatah verbundenen bewaffneten Gruppierungen allerdings auch im Lande nicht. Am 10.März drangen ungefähr 50 Militante der Al Aqsa-Märtyrer-Brigaden in Ramallah in eine Versammlung von Vertretern der Partei ein, die über Reformen diskutierten. „Wir werden es niemandem erlauben, uns zu ignorieren, nachdem wir unser Blut vergossen haben“, riefen sie den Anwesenden zu. Eine interne Auseinandersetzung, die – so fürchtet manch einer – in Zukunft in bewaffneten Zusammenstößen mit der Hamas enden könnte. Vor allem dann, wenn die islamische Bewegung nach den Wahlen im Juli knapp vor Al-Fatah liegen sollte. Vor 10 Tagen hat eine Schlägerei zwischen islamischen Studenten und solchen von der Partei Abu Mazens <im Vorfeld der Studentenratswahlen> den Campus der Universität von Hebron verwüstet und dazu geführt, dass ein Dutzend Jugendliche verletzt wurden.

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover