Antifa-AG
der Uni Hannover:
Auch wenn die Hisbollah alles andere als
eine Zweigstelle des Iran ist, sondern eine eigenständige nationale
Befreiungsbewegung mit starken linkspopulistischen Zügen, die in der
libanesischen Bevölkerung über eine Massenbasis (vor allem aber nicht nur unter
den dortigen Schiiten) verfügt, spielt der Iran im Libanon und im gesamten
Mittleren Osten als Unterstützer von Widerstandsbewegungen, einer der
wichtigsten Erdölproduzenten und mögliche kommende Atommacht (wenn auch in sehr
viel geringerem Ausmaß als z.B. Israel) eine wesentliche Rolle.
Unter den politischen Repräsentanten,
Analytikern und Strategen der herrschenden Klasse in den USA gibt es darauf im
wesentlichen zwei Antworten: Zum einen die von George Bush junior, Cheney, Rumsfeld und anderen Neokonservativen forcierte Idee eines
neuen, unilateralen oder von einer “Koalition der Willigen” geführten
Kreuzzuges mitsamt einer irrationalen Propaganda nach Art der “Achse des
Bösen”, den “Islamfaschisten” oder dem “permanenten Krieg gegen
den Terror” und andererseits die rationaleren und realistischeren Köpfe, zu
denen neben dem ehemaligen Nationalen Sicherheitsberater Brzezinski,
Ex-Außenminister Powell und zunehmend wohl auch der gegenwärtigen Chefin des
State Departement, Condoleezza Rice,
diverse Think tanks
(“Denkpanzer” / Denkfabriken) gehören – allen voran der Council
on Foreign Relations (CFR – www.cfr.org), dem auch Henry Kissinger angehört.
Diese Fraktion tritt für ein partnerschaftlicheres Verhältnis zur EU und für
ernsthafte Verhandlungen mit Syrien und dem Iran ein.
Die von der frisch gebackenen
italienischen Regierungspartei Rifondazione Comunista herausgegebene Tageszeitung “Liberazione” brachte am 5.8.2006
zum Thema Iran das folgende Interview mit dem regionalen Experten des CFR, Vali R. Nasr. Der in Kalifornien
lebende Mittvierziger Nasr ist hauptberuflich
Professor im Department für “National Security
Affairs” an der von der US-Marine
betriebenen Naval Postgraduate
School in Monterey, an der hauptsächlich
US-amerikanische und ausländische Offiziere studieren. Im August 2006 zog
George Bush ihn in Bezug auf die zunehmenden schiitisch-sunnitischen Auseinandersetzungen im Irak als
Sachverständigen zu Rate.
Interview mit dem Experten des “Council on Foreign Relations”
für Fragen des Mittleren Ostens über die neue regionale Rolle des Iran
“Kein Frieden ohne die Iraner”
Von Emanuele
Piano
Vali R. Nasr ist ein Experte
für Fragen des Mittleren Ostens, der dem Council
on Foreign Relations (einem bedeutenden,
unabhängigen amerikanischen “think tank”)
angehört. Er ist Autor diverser Bücher über den Iran und zuletzt von “The Shia revival”,
Das Schiitische Revival.
Sie sprechen in Ihrem
Buch von einem schiitischen Revival, behaupten aber,
dass keine gemeinsame politische Agenda existiere.
“Jedes Land hat seine
Besonderheiten und in jedem von ihnen entwickeln die schiitischen Bewegungen
ein eigenes Programm. Der kleinste gemeinsame Nenner ist die Forderung nach
einem stärkeren Zugang zur Machtausübung. Die Probleme unterscheiden sich von
einem Ort zum anderen, aber die schiitische Bevölkerungsteile sind immer die
ärmsten und am stärksten ausgegrenzten. Die Schiiten in Bahrein,
in Saudi-Arabien oder im Libanon haben unterschiedliche Führungen. Es existiert
kein Papst, der für alle die Führung übernimmt. Khomeini hat das versucht. Sein
Versuch ist allerdings gescheitert. Deshalb ist die Vorstellung einer per
Fernbedienung aus Teheran gesteuerten schiitischen Welt abwegig. In
Saudi-Arabien wollen die Schiiten, die dort eine Minderheit darstellen, eine
stärkere Vertretung. In Bahrein, wo sie die Mehrheit
bilden, fordern sie das Land führen zu können. Alle fordern mehr das Modell Sistani als das Modell Ahmadinedschad
anwenden zu dürfen: Ein Kopf – eine Stimme. Die demographischen Daten sind im
Übrigen auf ihrer Seite. Vor diesem Hintergrund gibt es auch ein
Identitätsproblem, dessen Ursache das Verhalten der sunnitischen Führungen ist.
Ein bisschen so wie die Juden in Europa, haben die Schiiten überall unter den
Vorurteilen der Sunniten gelitten und versuchen heute die Befreiung.”
Der Iran spielt
jedenfalls eine aktive Rolle und sei es auch nur als Geldgeber…
“Das stimmt. Der Iran
finanziert die Hisbollah. Dabei geht es heute aber vor allem um Politik.
Teheran will dem Westen klar machen, dass es im Mittleren Osten ohne seine
Beteiligung keinen Frieden geben kann. Die Konflikte in Afghanistan, im Irak
und heute im Libanon haben die westlich orientierten Regime in Ägypten,
Saudi-Arabien und Jordanien geschwächt. Die fühlen sich durch die Volksmassen
bedroht, die sie nicht mehr zu repräsentieren imstande sind und deren
Frustration angesichts der Aggressivität Israels und der Vereinigten Staaten in
der Region sich am Rande der Explosion befindet. Der Iran will auch klar
machen, dass die Lösung nicht durch Anwendung von Waffengewalt herbeigeführt
werden kann. Das Scheitern der UNO-Versuche die Programme zur Urananreicherung
zu stoppen sind ein Symptom für dieses Problem. Teheran weiß sehr gut, dass,
angesichts der Präzedenzfälle, niemand daran denken kann einen Angriff auf
seine Anlagen zu unternehmen und das Problem so zu lösen. Das sehen wir bei dem
was im Libanon passiert, wo der Widerstand, den die Hisbollah gegen Israel
leistet, Hassan Nasrallah in einen Helden verwandelt hat, dessen Bild in der
arabischen Welt verkauft wird. Das ist der Punkt, den Teheran in den letzten
Monaten deutlich zu machen versucht und die Ereignisse sind dabei ihm
unvermeidlich Recht zu geben. Das ist ein mittlerweile unbestrittener
politischer Sieg. Ohne die Anerkennung der Regionalmacht Iran wird es vom Irak
bis zum Libanon keinen Frieden geben. Das dient Teheran allerdings nicht nur
dazu die Beziehungen zu den USA, sondern vor allem die zu den sunnitischen Regimen in der Region zu normalisieren, die – wie ich sagte
– immer schwächer werden.”
Eine Karte, die die
sunnitischen Regime jedoch gegen den Iran auszuspielen versuchen, ist die des
Sektierertums gegen die Schiiten.
“Das ist eine Strategie, die
bereits in den 80er Jahren vor allem von den Baath-Regimen
<in Syrien und im
Irak> eingeleitet wurde. Wenn wir uns
heute die Reden anhören, dann sprechen die Schiiten niemals von einer Spaltung
innerhalb der moslemischen Welt, sondern nur die Sunniten tun das. Khomeini
sprach vom Islam. Die Hisbollah spricht vom Islam. Es sind die Wahabiten <des saudischen Feudalregimes>, die die Fatwa
zur Tötung der Schiiten lancieren, die sie als ‚Nicht-Muslime’ titulieren.
Um diese Isolation zu durchbrechen und die Spaltungen auf den Straßen der
arabischen Welt zu überwinden, spielt der Iran die Karte der Palästina-Frage.
Teheran und die Hisbollah sind dabei die Auseinandersetzungen zwischen den
Glaubensgemeinschaften zu überwinden, indem sie sich eines vereinigenden
Problems, wie dem Kampf gegen Israel, bedienen und indem sie dies tun, erhöhen
sie ihre Zustimmung unter den Massen. Dennoch gibt es heute Elemente des wahabitischen und salafitischen
Radikalismus (nicht nur in Saudi-Arabien), die versuchen könnten für eine
Eskalation des sektiererischen Hasses zu sorgen, um die Rolle des Irans zu
reduzieren.”
Wie hat sich die iranische Politik in der Region verglichen mit der Revolution der 80er Jahre verändert?
“Die Dinge sind anders. Es
gibt nur Wenige in Teheran, die noch an eine direkte Kontrolle über
ausländische Staaten denken. Heute geht es eher um die Ausdehnung der eigenen Einflußsphäre und die Möglichkeit mit Allen gute Geschäfte
zu machen. Mir hat sich eine Begegnung mit einem türkischen General eingeprägt,
der sich Sorgen um die kurdischen Unabhängigkeitsbestrebungen machte. Er
erzählte mir, was ihm die Iraner gesagt hatten: ‚Ihr macht Euch zuviel
Sorgen um die Kurden. Sorgt Euch lieber um die Geschäfte.‘
Die wirtschaftliche Integration mit den Nachbarn ist einer der Schlüssel, um
die Politik Teherans zu begreifen. Das nationalistische Dogma der 80er Jahre
ist vorbei. Heute betrachtet man die Region in strategischer Weise. Weil es für
den Libanon gut sein kann, eine schiitische Führung zu haben, in Bahrein aber eher nicht. Der iranische Nationalismus drängt
dazu eine Regionalmacht zu werden. Dies trifft allerdings auf den starken
Widerstand der sunnitischen arabischen Regime sowie Israels und der Vereinigten
Staaten. Washington macht einen Fehler, wenn es nicht mit dem Iran redet. Die
Libanon-Frage und die übertriebene Rhetorik des Präsidenten Ahmadinedschad
sind nur Vorwände, um die arabisch-palästinensische Frage nicht anzugehen und
ein aufstrebendes Land nicht zur Kenntnis zu nehmen. Eine Nation, die –
jenseits der Idiotien ihres Präsidenten, der im Augenblick für ein politische
Absicht funktional ist – ihre Hegemonie in der Region auf der Grundlage einer
eigenen nationalen Identität, eigener ökonomischer Interessen und innerhalb
einer islamischen Ideologie behaupten will.”
Vorbemerkung, Übersetzung aus dem Italienischen und Einfügungen in eckigen Klammern:
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