Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Es mag
hierzulande merkwürdig anmuten, aber zu den großen Erfolgen des dreiwöchigen
wilden Streiks der FIAT-Arbeiter in Melfi zählt auch, dass sie am Schluss eine
Urabstimmung über das erreichte Abkommen durchsetzten, die alle Gewerkschaften
im Voraus als bindend anerkannten und erst danach das Abkommen rechtsgültig
unterzeichneten. Nach drei Jahren organisatorisch zersetzender und inhaltlich
(der Kapitalseite gegenüber) unterwürfiger / gelber Separatabkommen seitens der
kleineren und rechteren Metallarbeitergewerkschaften FIM-CISL, UILM und FISMIC gegen
die FIOM-CGIL ist das ein bedeutender Präzedenzfall und fürs Erste ein
Wendepunkt in Sachen Gewerkschaftsdemokratie und Beteiligung der unmittelbar
Betroffenen. Über das Ergebnis dieser Urabstimmung bei FIAT Melfi und die
wichtigsten Details des Abkommens berichtet die unabhängige, linke italienische
Tageszeitung „il manifesto“ vom 18.5.2004. Wobei, trotz der
überwältigenden Mehrheit, nicht zu vernachlässigen ist, dass 23% der Arbeiter
die erzielten Ergebnisse nicht ausreichen. Das entspricht immerhin dem Prozentsatz,
den die FIOM als stärkste Gewerkschaft dort bei den letzten RSU-Wahlen an
Stimmen erhielt ! (Zusätzlich bekamen
damals auf der linken Seite des Gewerkschaftsspektrums die COBAS 7,4%.)
Die in den amarantfarbenen Overalls
sagen ja
Melfi: Die FIAT-Arbeiter beteiligen
sich massenhaft an der Urabstimmung und 77% billigen das Abkommen.
Antonio Sciotto
Die Arbeiter in Melfi haben
Ja gesagt: Das am 9.Mai zwischen FIAT und Gewerkschaften geschlossene Abkommen gefällt 8 von 10
Arbeitern. Die Urabstimmung wurde gestern Nachmittag um 15 Uhr beendet und
sofort begann die Auszählung der Stimmzettel. Das Ergebnis bei SATA <wie das 100%ige FIAT-Tochterunternehmen
dort heißt> betrug 77,4% Ja (3.283
Stimmen) und 22,6% Nein (965 Stimmen). Ein Plebiszit gab es auch für die outgesourcten Betriebe (78,9% Ja und 21,1%
Nein). Insgesamt haben 4.831 von 5.642 Stimmberechtigten abgestimmt. Die Beteiligung
lag bei 85,6%. Mehr aber als das Ergebnis ist die Tatsache von Bedeutung, dass
es zu einer Abstimmung gekommen ist. Nach 10 Jahren Angst und
Einschüchterungen, 21 Tagen Streikpostenstehen (und einigen Knüppeleinsätzen <der Polizei und Carabinieri>) waren es die Arbeiter, die entschieden haben. Einer
der entscheidenden Punkte des Forderungskataloges, der von der FIOM mit
gezogenem Schwert verteidigt wurde, war gerade die Demokratie: Verhandeln
müssen die RSU-Delegierten <d.h. die örtlichen „Betriebsräte“ / „gewerkschaftlichen Vertrauensleute“> und jede Übereinkunft muss vor der endgültigen
Unterzeichnung den Arbeitern zur Abstimmung vorgelegt werden. Ein Prinzip, das
auch FIM, UILM und FISMIC schlucken mussten, die gegen die Streikposten /
Belagerungsaktionen waren und vom ersten Augenblick an ohne die Zustimmung der
Demonstranten dastanden. Die <Arbeiter> in den amarantfarbenen Overalls
kommen jetzt am Ende jeder Schicht erhobenen Hauptes aus den Werkstoren und das
haben sie sich auch wirklich verdient. Zu denen mit den strahlendsten Gesichtern
gehört Giuseppe Cillis (FIOM-Ortssekretär von Potenza), der die Kämpfe
innerhalb des SATA-Werkes und der Zulieferbetriebe seit vielen Jahren leitet.
Bis vor einigen Monaten aber, bis der Kessel explodierte, hatte er nicht viel
Gefolgschaft. <Nur 6%
der Belegschaft waren bis dahin FIOM-Mitglieder, 11,6% hingegen in der
FIM-CISL, 9,2% in der UILM und 7,2% in der FISMIC.> Die Arbeiter hatten noch Angst. „Dann gab es den
19.April, das Datum des Beginns der Streikposten- / Belagerungsaktionen und da
hat eine andere Geschichte begonnen“, sagt er am Ende der Stimmenauszählung.
„Jetzt hat die Demokratie in der Fabrik Einzug gehalten und ich glaube, das man
dieses Ergebnis auch bei den kommenden landesweiten Arbeitskämpfen nicht wird
ignorieren können. Ich denke da z.B. an den Tarifvertrag der Metallarbeiter,
aber auch an die Rentenreform. Wie denken die Arbeiter über all diese Dinge
? Jede bedeutende Entscheidung, die ihr
Leben betrifft, sollte ihrem Votum unterworfen werden.“ Die guten Vorsätze gibt
es alle. Mit Sicherheit wird es aber nicht einfach sein das Modell Melfi auf
die nationale Ebene zu übertragen. Das könnte wirklich zur nächsten
Herausforderung für die Gewerkschaft werden.
Davon ist auch Gianni
Rinaldini, der Generalsekretär der FIOM überzeugt: „Der Arbeitskampf in Melfi“
– sagt er – „ist mit der vollen Ausübung der Demokratie zu Ende gegangen – ein
von Beginn an von den gewerkschaftlichen <RSU->
Delegierten entworfener Weg, die Mal für Mal und bei jeder Passage die
Versammlungen der Arbeiter konsultiert haben. Es ist klar, dass diese
Geschichte für uns eine sehr starke Bedeutung hat und auf nationaler Ebene
Geltung besitzt.“ An diesem Punkt – das hat man bereits bei der <landesweiten> Versammlung der CGIL-Delegierten vor einigen Tagen
in Chianciano gesehen – haben sich die Verhältnisse innerhalb der
Gewerkschaften und innerhalb der CGIL verändert. Und der Sieg in Melfi hat
sicherlich dazu beigetragen die Nadel an der Waagschale in die andere Richtung
ausschlagen zu lassen. Vielleicht kann man den Riss gegenüber FIM und UILM
flicken. („Es gibt nach Melfi keine Verhinderung des Dialoges“, sagte
Rinaldini.) Es existiert allerdings immer noch der separate nationale
Tarifvertrag <von
FIM, UILM und FISMIC> und die <Auseinandersetzungen um die
bisher von der FIOM für gut 10% der Metaller erkämpften, weit besseren> Vorverträge sind noch offen. Viele Antworten darauf
könnten vom nationalen FIOM-Kongress am 3.-5.Juni in Livorno kommen.
Um auf die „grünen Wiesen“
der Basilicata zurückzukehren: In den nächsten Tagen sind die 3.200 Arbeiter
der Zulieferbetriebe, auf denen (was die Beschäftigung anbelangt) eine
ungewisse Zukunft lastet, zur Abstimmung über die Vorabkommen aufgerufen. „An
den drei Verhandlungstagen, die der Übereinkunft vorangingen, hat uns das
Konsortium ACM mitgeteilt, dass nicht ein einziger Arbeitsplatz verloren gehen
wird“, sagt Cillis. „Wir werden die horizontale Mobilität anwenden, mit
interner Absorbierung der Überschüssigen. Wir erwarten, dass diese Verpflichtungen
in einem echten Abkommen konkretisiert werden.“
Und so sieht – in Kürze –
die erreichte Übereinkunft aus: Was die Löhne, die Spät- und die Nachtschichtzuschläge
anbelangt, werden diese stufenweise denjenigen der anderen Werke angeglichen. Der
Nachtschichtzuschlag wird bis Juli 2006 von 45% auf 60,5% <des Normallohnes> steigen, der Spätschichtzuschlag bis Juli 2005 von
25% auf 27,5%. In den beiden Jahren werden die Fehlzeiten aufgrund der
Behandlungen lädierter Arbeiter, aufgrund von Erziehungs- bzw.
Mutterschaftsurlaub, der bezahlten Betriebsrats- bzw. Gewerkschaftsarbeit in
den RSU’en sowie dem erlaubten Fehlen wegen Blutspendens und Dialyse aus der
Berechnung des Abwesenheitsindexes verschwinden. Jedes Jahr im Juli werden 240
Euro aus der monatlichen Rücklage von 20 Euro (dem variablen Teil der
Konkurrenzfähigkeitsprämie) ausbezahlt.
Ab diesem Juli wird der
„Doppeltakt“ beseitigt, d.h. die Wiederholung derselben Schicht in zwei
aufeinander folgenden Wochen. Das neue Arbeitszeitschema sieht eine Woche mit
sechs Arbeitstagen und eine mit vier vor (sowie zwei aufeinander folgende
Ruhetage). Ab Januar 2005 wird die tägliche Arbeitszeit von 7 Stunden und 15
Minuten auf 7 Stunden und 30 Minuten steigen – mit einer halben Stunde
Essenszeit am Ende der Schicht. Die 15 Minuten mehr werden zusammengefasst.
Praktisch wird es dadurch 7 arbeitsfreie Tage mehr geben. Die „Versöhnungs-
und Präventions“-Kommission wird die in den letzten 12 Monaten
ausgesprochenen und nicht umgesetzten Disziplinarmaßnahmen (Suspendierung von
der Arbeit und der Entlohnung) überprüfen. Auch die grüne Telefonnummer für die
Krankmeldung wird revidiert. Bis heute hat sie schlecht funktioniert, ist
häufig besetzt und registriert die Telefongespräche nicht, was die Ursache für
viele Disziplinarmaßnahmen war.
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover
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