Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:

 

Seit ungefähr einem Jahr ist das Streben der Führungen aller drei großen italienischen Gewerkschaftszentralen (CGIL-CISL-UIL) nach Wiederherstellung der Sozialpartnerschaft zunächst mit den Unternehmerverbänden und – nach dem ersehnten Sieg der Mitte-Linken über das kriselnde Berlusconi-Lager spätestens im April 2006 – auch mit der Regierung unübersehbar. Doch dieses Unterfangen erweist sich als schwieriger als es die Gewerkschaftsführer nach den freundlichen Worten des neugewählten Confindustria- (und FIAT-) Präsidenten Luca Cordero di Montezemolo erwartet hatten. Die Confindustria bleibt nämlich in der Sache hart und fordert als Erstes die weitere Zersetzung der nationalen Tarifverträge zugunsten vor allem betrieblicher Regelungen. Eine Forderung, die für die Spitze der größten und relativ gesehen am ehesten links stehenden Gewerkschaftszentrale CGIL bisher so noch unverdaulich ist. Weshalb CGIL-Chef Guglielmo Epifani Mitte Juli das Treffen mit der Confindustria-Führung frustriert verließ und das Projekt „Renaissance der Sozialpartnerschaft“ ins Stocken geraten ist.

Wie Epifani die Dinge sieht und wie sehr er die Wiederherstellung des sozialen Friedens und der Konzertierten Aktion nach wie herbeiwünscht, geht aus einem langen Interview hervor, das der Chefredakteuer der linken Tageszeitung „il manifesto“, Gabriele Polo, kurz nach dem Scheitern der Gespräche mit ihm führte. Es erschien am 16.7.2004.

(In einem Interview mit der den Linksdemokraten nahe stehenden Tageszeitung „l’Unità“ versuchte Epifani nun am 26.August 2004 den „Dialog“ mit Montezemolo & Co. wieder in Gang zu bringen. Ob die mittlerweile „kompromissbereiter“ sind, ist fraglich.)

 

Interview:

 

Guglielmo Epifani: Ein unverschämter Vorschlag der Confindustria

 

Der CGIL-Führer erklärt den Bruch mit der Confindustria in Sachen Tarifverträge und Löhne: „Das Alte kehrt zurück und widerspricht der erklärten Öffnung.“ Und bezüglich des politischen Rahmens warnt er diejenigen, die meinen, sie könnten die Gewerkschaft „im Namen der übergeordneten Interessen des Landes „in einen Käfig aus inakzeptablen Verpflichtungen sperren.

 

Gabriele Polo

 

Es ist schwer, sich Guglielmo Epifani vorzustellen, wie er „die Tür zuschlägt“. Der Generalsekretär der CGIL ist kein Mann für dramatische Auftritte. Und doch, Mittwochabend, beim Treffen zwischen Gewerkschaften und Confindustria über die „neue Sozialpartnerschaft“ hat sich Epifani wirklich aufgeregt. Und auch ohne Türen zuzuschlagen, ist er quasi sofort gegangen, ohne die flehentlichen Bitten eines erstaunten Montezemolo zur Kenntnis zu nehmen, der offenkundig über die zur Diskussion stehenden Themen kaum informiert war, d.h. über den von seiner Confindustria (besser gesagt von Alberto Bombassei, dem ehemaligen Federmeccanica-Chef und nun in der via dell’Astronomia für die industriellen Beziehungen verantwortlich) vorgeschlagenen Druck auf die Tarifverträge, mit dem Ziel, Löhne und Rechte an die Produktivität und die Ertragslage der Unternehmen zu koppeln. Ein Druck, der in die Forderung überging, vom September an die tarifpolitischen Regeln neu festzulegen – mit dem Ergebnis, den Tarifvertrag von 5 Millionen öffentlich und privat Beschäftigten (öffentlicher Dienst und Metallarbeiter in erster Linie) im wesentlichen platzen zu lassen.

 

Epifani, was ist geschehen ?

 

„Dass wir einem Dokument gegenüberstehen, das – neben einigen Punkten, denen man zustimmen kann, um die industrielle Struktur des Landes neu zu beleben – unannehmbare Vorschläge in Sachen Privatisierungen, Löhne und Tarifverträge enthält. Sodann fällt auf, dass in jenem Dokument niemals die Worte ‚Arbeiter / Beschäftigte’ (lavoratori) und ‚Rechte’ auftauchen, während es eine Inflation anderer Begriffe gibt: ‚Konkurrenzfähigkeit’, ‚Unternehmen’ und ‚Bürger’.“

 

Eine Sprache nach Art von <ex-Confindustria-Präsident und Hardliner> D’Amato…

 

„Ich schätze die Anerkennung der Krise der italienischen Industrie durch Montezemolo und seine Äußerungen über die Bedeutung der Rolle der Gewerkschaften (die CGIL inbegriffen). D’Amato tat genau das Gegenteil und sah die Wiederbelebung der italienischen Industrie in der Reduzierung der Rechte der Arbeiter, die als Hemmnisse für die Entwicklung betrachtet werden. Das gestrige Dokument über Löhne und Tarifpolitik, das vor einem Jahr verfasst worden zu sein scheint, steht im Widerspruch zu dem, was Montezemolo vertritt. Vielleicht ist es das Alte, das zurückkehrt. Vielleicht ist die altmodische Logik des Präsidenten D’Amato in der Confindustria stärker als die vom Präsidenten der FIAT vorgeschlagene Innovation.“

 

Montezemolo selbst hat dann klargestellt, dass das Confindustria-Dokument das Maximale sei, was die Unternehmen zugestehen können. Ein weiterer Widerspruch ?

 

„Mir scheint das ein Zeichen von Schwäche zu sein.“

 

Was sind die Spielräume für die Wiederherstellung des Verhältnisses zur Confindustria ?  Was seid Ihr bereit zu geben ?

 

„Was mich betrifft, bin ich nicht bereit auch nur ein Komma am Ansatz der CGIL zu ändern. Wir sind weder Verbohrte noch Extremisten. Wir sind absolut konstruktiv und verantwortungsbewusst, bereit mit den Unternehmen zusammenzuarbeiten, die einen industriepolitischen Ansatz teilen, der sich auf die Innovation gründet. Und wir sind bereit über die permanente Fortbildung und über die zusätzliche Altersvorsorge zu diskutieren. Was allerdings Löhne und Tarifverträge anbelangt, kann das Problem nicht auf diese Weise und in diesen Zeiträumen angegangen werden.“

 

<CISL-Generalsekretär> Pezzotta beschuldigt Euch, Vetos einzulegen. Er scheint zu den Zeiten des <im Sommer 2002 von CISL und UIL separat mit Kapitalseite und Regierung zur Aushöhlung des Kündigungsschutzes abgeschlossenen> Paktes für Italien zurückzukehren…

 

„Wir legen kein Veto ein, aber wir wollen die mit den tarifpolitischen Systemen zusammenhängenden Probleme mit CISL und UIL diskutieren und dann, ausgehend von einer gemeinsamen Position der Gewerkschaft, ein Gespräch mit der Gegenseite beginnen. Einen ultimativen Termin festzusetzen und die Verhandlungen mit der Confindustria gleichzeitig mit der Diskussion zwischen den Gewerkschaftsbünden zu beginnen, bedeutet, keine gemeinsame Position zu suchen und möglichen Separatabkommen den Weg zu ebnen. Wodurch man riskiert, die Tarifverträge, die im Herbst auslaufen <bzw. den gemeinsamen Kampf um neue und bessere> platzen zu lassen. Andererseits wurde das <zentrale Lohnverzichts und Sozialpartnerschafts-> Abkommen vom 23.Juli `93 über die tarifpolitischen Regeln in einer Urabstimmung von Millionen Werktätigen angenommen. Wenn wir es verändern wollen, müssen wir es transparente Weise tun, mit einer Plattform, die <von allen drei Gewerkschaftsbünden> geteilt, die mit unserer Basis diskutiert und über die abgestimmt wird.“

 

Aber, kehrt man jetzt mit CISL und UIL zum „Kalten Krieg“ zurück ?

 

„Wir haben nicht die Absicht gegenüber den anderen Gewerkschaftsbünden einen polemischeren Tonfall anzuschlagen. Wir werden daran arbeiten das Gespräch über das Tarifmodell innerhalb der Gewerkschaft wieder aufzunehmen.“

 

Habt Ihr keine Angst, isoliert zu werden ?

 

„Nein. Die Sozialpartnerschaft kann nützlich sein, aber sie ist nicht alles. Ich denke, dass wir Träger eines Erneuerungsprojektes sind und beim Gespräch an keiner Stelle dicht machen. Wir sind keine Konservativen. Wir meinen, dass das <der weiteren Prekarisierung dienende> Gesetz Nr.30 /2003 nicht in Ordnung ist und geändert werden muss. Wir meinen, dass die gegenwärtige Produktionsstruktur nicht funktioniert und wollen sie erneuern. Und ich glaube, dass die Menschen das spüren. Wir kommen von drei Jahren intensiven sozialen Konfliktes her. Wir müssen dafür sorgen, dass sie Früchte tragen, ohne zu meinen, dass die Phase der Auseinandersetzung unendlich lange andauern kann und zwar mit der Beteiligung der Werktätigen, die sich nicht in den Streiks erschöpft. Eine Beteiligung, die sich auch in unserer Fähigkeit misst, denjenigen, die wir vertreten, die Möglichkeit zu geben über die Entscheidungen, die wir treffen, zu befinden. Ich denke sogar, dass der demokratische Weg der Königsweg ist, um einem Reformvorhaben Konsistenz zu verleihen.“

 

Wieviel Einfluss hat die politische Situation auf das Gespräch am Mittwochabend gehabt ?

 

„Es ist schwer, das präzise zu sagen. Aber unter der Voraussetzung, dass die politische Krise einen langfristigen Abschluss findet, könnte sich wieder ein gemeinsames Interesse von Confindustria und Regierung bilden, die Positionen der CGIL in Schwierigkeiten zu bringen. In einer wirtschaftlichen und sozialen Situation des Landes, die immer schwieriger wird – speziell für diejenigen, die von einem festen Einkommen leben – könnte es einen Druck auf uns geben, um uns zu zwingen im Namen eines ‚übergeordneten Interesses’ Dinge zu akzeptieren, die wir für falsch halten. Und unserer Seite dabei alle Kosten aufzubürden und ohne wirtschaftspolitische Entscheidungen restriktiven Charakters, wie die in dem 30 Milliarden Euro umfassenden Haushaltsmanöver angekündigten, wesentlich zu verändern. Das ist ein falsches Rezept, nicht nur für die Werktätigen, sondern für das gesamte Land. Es würde den stattfindenden Niedergang nicht umkehren.“

 

Ein neuer 31.Juli ?

 

„Schlimmer, weil damals die Karte der <Währungs-> Abwertung, wie auch immer, einen Aufschwung für die Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen ermöglichte, auch wenn sie dabei die Werktätigen einen hohen Preis zahlen ließ. Heute ist diese Hypothese nicht durchführbar. Und dann, was uns anbelangt haben wir bereits gesagt, dass der Weg der ist, in bezug auf die großen Renditen zu intervenieren. Das heißt, dass die Mittel dadurch zurückgewonnen werden müssen, dass auf jenen Teil des Landes zurückgegriffen wird, der sich in den letzten Jahren bereichert hat und nicht zu Lasten derjenigen, die ärmer geworden sind.“

 

Mittel, um was zu tun ?

 

„Es bedarf einer öffentlichen Intervention, um die Unternehmen auf die innovativsten Sektoren auszurichten und dies durch ein neues System sozialer Abfederungen zu begleiten: von der cassa integrazione <siehe Anmerkung 1> für alle bis zur Fort- bzw. Ausbildung.“

 

Wie beurteilst Du die aktuelle politische Phase bzw. das Sinken von Berlusconis Stern ?

 

„Es gibt sicherlich eine fortschreitende Reduzierung der Antriebskraft der Regierung. Die zentrifugalen Kräfte in der Parlamentsmehrheit treten deutlicher hervor und das alles führt dazu, dass die Regierung versucht, aus eigener Kraft zu überleben. Ich sehe keinen Berlusconi, der das Handtuch wirft. Er wird versuchen bis zuletzt Widerstand zu leisten und die Karte der Steuerreform auszuspielen. Vielleicht / Wahrscheinlich werden sie versuchen durch eine größere Kollegialität die extremsten Töne des Berlusconismus abzumildern und die sozialen Kräfte auffordern, sehr viel stärkere Verpflichtungen einzugehen. Auch die Geschehnisse der letzten Stunden, soweit sie uns betreffen, fügen sich in diesen Kontext ein. Ein gefährliches Spiel, das die Gewerkschaft in nicht akzeptable Bindungen zwingen würde.“

 

In einem Land, in dem die Löhne bereits notleidend sind und wo der Arbeitsmarkt verzerrt ist…

 

„Sicher. Die Flexibilität wird in einer Situation wirtschaftlicher Stagnation tout court zu Prekarität.“

 

Was gedenkt Ihr zu tun, um da Abhilfe zu schaffen ?

 

„Wir haben das tarifpolitische Instrument, das wir auch deshalb verteidigen, um bei den Defekten des Gesetzes Nr.30 Abhilfe zu schaffen. Dann bedürfte es einer gesetzlichen Intervention und wir hoffen, dass eine Regierung mit anderen Vorzeichen die durchführt.“

 

Also, was fordert die CGIL von einer Mitte-Links-Regierung ?

 

„Die soziale Phase, die wir durchleben, genau zu analysieren, sich nicht mehr <darüber hinweg> zu täuschen, an einer Umschulung des Produktionssystems zu arbeiten und den sozialen Zusammenhalt anzustreben. Dabei die Politik der zwei Geschwindigkeiten (zuerst die Entwicklung und dann die Sozialpolitik) aufzugeben und die beiden Sachen stattdessen zusammenzuhalten. Kurz: Die Arbeit und ihre Rechte wieder in den Mittelpunkt der eigenen Aufmerksamkeit zu stellen.“

 

Und wie ist Dein Eindruck, wie steht die Opposition dazu ?

 

„Sie ist ein bisschen spät dran. Es gibt ein paar ausgearbeitete Positionen zu Teilfragen, aber es fehlt eine Gesamtidee. Alle scheinen mir in der Dynamik der politischen Krise gefangen zu sein. Die Mitte-Linke muss zu einem starken Vorschlag finden, um die soziale Krise anzugehen. Das ist es, was ihre Wähler von ihr fordern.“

 

Hast Du nach Mittwochabend Deine Meinung über die Möglichkeit einer neuen Sozialpartnerschaft geändert ?

 

„Ich denke, es ist richtig, von der Confindustria zu fordern, sich den von ihrem neuen Präsidenten geäußerten Vorhaben gegenüber konsequent zu verhalten. Heute ist die italienische Industrie fragiler als in der Vergangenheit und die Unternehmer wissen sehr gut, dass sie auch die Argumente der CGIL nicht ignorieren können.“

 

 

Anmerkung 1: Cassa integrazione bedeutet Kurzarbeit Null für maximal 3 Jahre, verdeckte Form der Arbeitslosigkeit, bei der als einziger in Italien eine finanzielle Unterstützung der „Kurzarbeiter / Erwerbslosen erfolgt.

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung, Anmerkung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover