Antifa-AG der Uni
Hannover:
Bei den
Europawahlen in Italien hat sich der Schmusekurs des Sekretärs von Rifondazione
Comunista (PRC), Fausto Bertinotti, mit der Mitte-Linken (inklusive der
Verkündung diesmal mit Ministern in eine mitte-„linke“ Regierung eintreten zu
wollen) angesichts der weit verbreiteten politischen Depression ebenso
ausgezahlt wie der nur mit äußerst knapper Mehrheit (53%) parteiintern
durchgesetzte Beitritt zur „Partei der europäischen Linken“ mitsamt dem damit
verbundenen inhaltlichen und organisatorischen Rechtsruck. Rifondazione konnte
seinen Stimmenanteil in allen Teilen Italiens deutlich steigern und kam
landesweit auf 6,1% (+ 1,8%) bzw. 5 Sitze (1999 waren es 4). Die Große
Wahlliste (Listone) „Vereint im Olivenbaum-Bündnis“ litt offenbar unter
Identitäsproblemen und verlor, trotz der großen Enttäuschung und Wut über
Berlusconis Politik, 1,4% (jetzt 31,1%). Etwas verbessern konnten sich hingegen
die kleinen links vom Olivenbaum-Bündnis angesiedelten, aber eng mit ihm
verbündeten Parteien, wie die Grünen (+ 0,7%, jetzt 2,5%) und die
Rechtsabspaltung von Rifondazione aus dem Jahr 1998 PdCI (Partei der
Italienischen Kommunisten; +0,4% - jetzt 2,4%). Die gemeinsame Liste des
bekannten Anti-Korruptions-Staatsanwaltes Di Pietro (der z.T. stark autoritäre
und repressive Neigungen aufweist) und dem letzten PCI- und ersten
Linksdemokraten(DS)-Parteichef Occhetto verlor gegenüber dem
Parlamentswahlergebnis von Di Pietro 1,8% (jetzt 2,1%). Wie Bertinotti in dem
nachfolgenden Interview auf seine sagenhaften 13% kommt, die die „radikale
Linke“ in Italien bei diesen Europawahlen erreicht habe, bleibt sein Geheimnis.
Zumal er die Wähler der – ohnehin alles andere als „radikal links“
einzustufenden – PdCI zwar für seine „linke Alternative“ vereinnahmt, ihre
Partei aber nicht dabei haben will.
Insgesamt
betrachtet ist das Ergebnis der italienischen Linken und Mitte-„Linken“
keineswegs so rosig, wie es zunächst dargestellt wurde. Die Darstellung der
größten italienischen Tageszeitung „Corriere della Sera“, Mitte-Linke wie
Mitte-Rechte lägen mit jeweils 46,1% Kopf an Kopf ist nichts als ein billiger
Taschenspielertrick, da beim „linken“ Lager noch die zusammen 0,6% der Südtiroler
Volkspartei (SVP) und der Union Valdotienne (UV) eingerechnet und beim rechten
Lager sowohl die neofaschistischen Listen Alternativa Sociale Mussolini (aus
dem Stand 1,2%), MS-Fiamma Tricolore (- 0,9%; jetzt noch 0,7%) sowie die von
ihr abgespaltene Liste um Pino Rauti (ca. 0,2%) als auch die neoliberalen
„Stahlhelm-Humanisten“ der Liste Emma Bonino (die ehemalige Radikale Partei, -
6,2% - jetzt noch 2,3%) als auch de rechtschristdemokratische Patto
Segni-Scongamiglio (bei Erstkandidatur 0,5%) „vergessen“ wurden. Diese 4,9% zur
klassischen Rechten dazugerechnet, wird deutlich wie unfähig das „progressive
Lager“ tatsächlich war, die Enttäuschung der Leute aufzugreifen. Im
Regierungslager verlor im Übrigen nur Berlusconis Forza Italia (- 4,2%; jetzt 21,0%).
Die ehemaligen Neofaschisten der Alleanza Nazionale (AN) gewannen (+ 1,2%;
jetzt 11,5%) ebenso hinzu wie die rechtspopulistische und aggressiv
rassistische Lega Nord (+0,5%; jetzt 5,0%) und die rechtschristdemokratische
UDC (+1,1%; jetzt 5,9%) sowie Kleinparteien dieses Lagers.
Wenn der
Mitte-„Linken“, neben den Erfolgen bei den parallel abgehaltenen Kommunalwahlen
(wo, neben Bari und Padua, u.a. Bologna – durch den ehemaligen
CGIL-Generalsekretär Cofferati – zurückgewonnen wurde), etwas Hoffnung auf die
Regierungsübernahme machen kann, dann nicht ihre eigene politische Stärke auf
nationaler Ebene, sondern die Tatsache dass der neue Unternehmerverbandschef
und FIAT-Präsident Montezemolo mit der Arbeit der Berlusconi-Regierung massiv
unzufrieden ist und auf eine (noch weiter verschlechterte) Neuauflage der
Sozialpartnerschaft setzt.
Soweit
unsere Sicht der Dinge. Diejenige des Sekretärs von Rifondazione Comunista,
Fausto Bertinotti, der – erklärtermaßen – in einer mitte-linken Regierung den
Posten des Außenministers anstrebt, geht aus dem Interview hervor, dass er dem „Corriere
della Sera“ vom 15.6.2004 gab:
Das
Interview:
„Unsicher und zweideutig – die Große
Wahlliste ist gescheitert“
Bertinotti: Ich will die beiden
Linken vereinen und werde meine Verhandlungsmacht nicht gegen Prodi nutzen.
ROM – Sekretär, haben Sie
gehört, was <der
römische Linksdemokraten (DS)-Bürgermeister> Veltroni gesagt hat ?
„Nein, hätte ich sollen ?“
Am Sonntag haben Sie sich
im Wahllokal getroffen und umarmt…
„Rifondazione ist die
viertstärkste Partei und die radikale Linke liegt bei 13%, aber ich werde die
sich daraus ergebende Verhandlungsmacht nicht nutzen, um die Führung
auszuwechseln. Prodis Kandidatur scheint mir eine in einem breiten Lager
gefestigte Kandidatur zu sein. Wir haben an dieser Besetzung allerdings nicht
teilgenommen und würden eine andere Methode bevorzugen: die Führung muss sich
aus den Programmen ergeben.“
Wenn Ihnen Veltroni <als Spitzenkandidat der Mitte-Linken> so am Herzen liegt, warum fordern Sie ihn dann
nicht auf, aus der Deckung zu kommen ?
„Ich habe nicht die Absicht
Namen zu nennen und auch nicht unsere Stärke auf diesem Gebiet zu erproben. Ich
möchte die Anstrengungen auf das ohnehin schon schwierige Unternehmen eines
gemeinsamen Programms konzentrieren.“
Der Entwurf von Giuliano
Amato <ehemals PSI und von April 2000 bis April 2001
letzter mitte-„linker“ Ministerpräsident Italiens> ist eine gute Grundlage oder nicht?
„Wer kennt das ? Und dann, welches Verhältnis gibt es zwischen
diesem Text und dem Rückzug der Truppen, Alitalia, Melfi und <dem Widerstand gegen die
Atommülleinlagerung im süditalienischen> Scanzano ? Programme, die in
totaler Trennung von konkreten Bewegungserfahrungen entstanden sind, können gut
oder schlecht sein, aber sie sind einflusslos.“
Ihr Programm ?
„Der Artikel 11 der
Verfassung <Verbot
der Beteiligung an einem Angriffkrieg>,
das Recht auf Schule, die Anpassung von Löhnen und Renten, der <Kündigungsschutz-> Artikel 18, ein neuer Plan für die öffentliche
Intervention in die Ökonomie…“
Sind die 31,1% für das
Dreirad <Triciclo = die große
mitte-„linke“ Wahlliste> viel oder
wenig ?
„Es steht außer Zweifel,
dass die Große Wahlliste (Listone) den Erfolg verfehlt hat. Sie wurde
durch den vagen, unsicheren, zweideutigen und unbestimmten Charakter ihres
politischen und programmatischen Profils gebremst.“
Ist das die Schuld der
Steuermänner ?
„Es ist nicht meine Aufgabe
Fassino <DS> und Rutelli <linksliberal-christdemokratische Koalition Margerite> zu beurteilen. Mich interessiert, was sie tun, aber
nicht wer dirigiert. Wir legen keinen Wert darauf in die Probleme der Großen
Wahlliste involviert zu werden. Ich habe bereits das Problem, eine Kraft der
Alternative aufzubauen.“
Modell Dreirad ?
„Es wäre Selbstmord, im
Fortschritt der radikalen Linken den ersten Teil einer kleinen radikalen und
pazifistischen Wahlliste zu sehen. Das Ziel ist ehrgeiziger: Die Mauer zwischen
der Großen Wahlliste und der alternativen Linken zum Einsturz zu bringen. Ich
denke an eine Koalition der demokratischen Kräfte auf der Grundlage des Modells
der Partei der Europäischen Linken. Schaffen wir die Fundamente dafür: die
Zirkel, Clubs und Vereinigungen, die in der Gesellschaft zur konstituierenden
Versammlung eines Subjektes der radikalen Linken werden, deren wichtigstes
Kennzeichen ihr Pluralismus sein wird.“
Wird das eine Partei, ein
Bündnis, eine Föderation ?
„Es wird das
Konstruktionslabor eines neuen politischen Subjektes. Wichtig ist, dass es alte
und neue Protagonisten sind, die es formen. Die Epoche der Mitte-Linken mit dem
Bindestrich, der von <dem
ziemlich rechten und korrupten
Christdemokraten> Mastella bis zu den
Grünen reichte – mit uns außen vor – ist zu Ende. Wir müssen eine
Programmentwicklung (una costituente programmatica) für die Alternative
einleiten, in der alle Oppositionskräfte zu den Bewegungen in Beziehung treten.
Es bedarf einer schönen ‚Verfassungsgebenden’ Versammlung, einer Sache im
Großen, eines Paktes zwischen den Oppositionskräften und dem Volk. Der Rest
sind Abstrusitäten.“
Der PRC als
Führungspartei und Bertinotti als Führer ?
„Ich will den Prozess, mit
dem man die Große Wahlliste aus der Taufe gehoben hat, nicht imitieren. Die
Montage aller Kräfte, so wie sie sind, ist eine Hypothese, die bereits am Start
als die banalste und eine grob politikasterhafte zu verwerfen ist. Die radikale
Alternative baut man auf, indem man die Politik reformiert und nicht indem man
sie an die überholtesten Formeln anpasst.“
Wie gedenken Sie
Diliberto <den
Sekretär des PdCI> und Pecora
Scanio <Führungsfigur
der Grünen> zu überzeugen ?
„Es gibt Differenzen
zwischen den Personen, die sie genannt haben und in jedem Fall ist es auch
nicht notwendig, dass alle davon überzeugt sind. Wenn wir für die Europäische
Linke, die wir als Metapher nehmen können, versucht hätten, ein Subjekt all
derjenigen zu schaffen, die sich innerhalb der Grenze befanden, wäre die Partei
nicht entstanden. Und ich sage noch mehr: Wenn sich im schlimmsten Fall
irgendeiner selbst ausschließt, dann ist nicht gesagt, dass das schlecht ist...
Es gibt jemanden, der zur großen Wahlliste gehört und an diesem Projekt
interessiert sein könnte und es gibt jemanden, der sich diesseits davon
befindet und bei dem es gut wäre, wenn er nicht interessiert wäre.“
Wer sollte dazugehören ?
„Ökologistische und
feministische Kulturen, die Arbeiterbewegung sowie Kulturen, die Kraft aus
ethisch-religiösen Phänomenen beziehen, die gegen den Krieg und die neoliberale
Politik gerichtet sind. An diesem Unternehmen können hingegen diejenigen nicht
interessiert sein, die Mühe haben sich vom stalinistischen Erbe zu
distanzieren.“
Der PdCI ?
„Ich stelle mir ein sehr
breites Lager vor, aber es ist nicht gesagt, dass die wichtigsten Subjekte die
Parteien sein müssen.“
Di Pietro und Occhetto ?
„Ich enthalte mich eines
Urteils über Personen. In der girotondi-Bewegung <= liberale „Ringelreihen“-Demos
für die Unabhängigkeit der bürgerlichen Justiz und der bürgerlichen Medien> gibt es interessante Phänomene, aber ein Teil jener
Kultur sieht nicht die zentrale Rolle der sozialen Situation.“
Werden Sie Berlusconis
Rücktritt fordern ?
„Ich glaube, dass es
vernünftiger ist das vorgezogene Ende der Regierung auf die Tagesordnung zu
setzen. Berlusconis Projekt ist gescheitert. Die Finsternis, die den
Ministerpräsidenten umgibt, ist die Finsternis des gesamten politischen
Systems. Was den Fall von Forza Italia bremst, ist eine amphibische Komponente
wie die <kleine
rechtschristdemokratische> UDC, die
die Möglichkeit berücksichtigt das System um ein neues Zentrum herum zu
organisieren – ein Vorhaben, das zum Scheitern verurteilt ist.“
Straßburg erwartet Sie.
Werden Sie Montecitorio <d.h. die
italienische Abgeordnetenkammer> verlassen ?
„Ja, ich trete <als Abgeordneter des
italienischen Parlaments> zurück.“
Monica Guerzoni
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover