Antifa-AG der Uni Hannover:


Anläßlich der Abstimmung über die Fortsetzung des Afghanistan-Einsatzes italienischer Gebirgsjäger und der Positionierung gegenüber den von der CGIL gegen den Willen der beiden kleineren Gewerkschaftsbünde CISL und UIL für den 18. Oktober 2002 ausgerufenen Generalstreik zur Verteidigung des Kündigungsschutzes und gegen den neuen Haushaltsentwurf geriet das italienische Mitte-Links-Bündnis Olivenbaum in eine schwere Krise. Der im Unterbündnis “Margerite” organisierte rechte Flügel mit dem Spitzenkandidaten Francesco Rutelli tritt offen für die Verlängerung der Militärintervention und gegen den Generalstreik ein, während der linke Flügel der Linksdemokraten (DS) sowie die Grünen und die PDCI (kleine Rechtsabspaltung von Rifondazione Comunista aus dem Oktober 1998) für das Gegenteil votieren und der größere Teil der DS konfus hin- und herlaviert. Überwunden wurden diese tiefen Differenzen in zentralen Fragen bis heute nicht – eher eingefroren. Auch im Hinblick auf die Entwicklungen in anderen wichtigen westeuropäischen Ländern (beispielsweise Frankreich) halten wir die Einschätzung für interessant, die der Sekretär der nicht am Olivenbaum-Bündnis beteiligten Rifondazione Comunista (PRC), Fausto Bertinotti, dazu in einem Interview für die linke italienische Tageszeitung “il manifesto” vom 5.10.2002 äußerte:



Bertinottis drei Formeln


Der Sekretär des PRC: “Das Verhältniswahlrecht würde zum Entstehen von drei Oppositionen verhelfen: Der alternativen Linken, der reformistischen und der gemäßigten Mitte.”


Andrea Colombo


Bertinotti, am Ende scheint auch <DS-Parteipräsident und ex-Ministerpräsident> Massimo D’Alema die Krise zur Kenntnis genommen zu haben, in der sich das Olivenbaum-Bündnis befindet. Wie schätzt Du seine Position ein ?


“Er ist soweit entfernt – sogar von der Wahrnehmung des Charakters der Krise – daß es entmutigend ist. Und ebenso <DS-Generalsekretär> Fassino. Sie geben zu, daß die Krise existiert, dann allerdings bieten sie eine rein konservative Antwort. Sie sagen, daß die Krise existiert, fügen allerdings hinzu: ‚Wir wissen nicht, was wir anders machen wollen als das, was wir bereits tun.‘ Sie schlagen die Einheit der Parlamentarier des Olivenbaum-Bündnisses vor. Aber entschuldige, wer ist denn vorgestern <bei der Abstimmung über den weiteren Einsatz der italienischen Gebirgsjäger in Afghanistan> gespalten gewesen, wenn nicht gerade die Parlamentarier ?”


Was ist es, das die Mitte-Linke, von Deinem Standpunkt aus, von dieser Krise nicht begreift ?


“Die Tatsache, daß die Krise politische Gründe hat, während sie versuchen Antworten unabhängig von der Politik zu geben, wie Totò sagen würde. Sie gehen so vor, weil sie – wenn sie die Krise wirklich in politischen Begriffen angehen würden – entdecken müßten, daß die Antworten, die in der Mitte-Linken zumindest im Kern existieren, untereinander unvereinbar sind.”


Ich würde sagen, die Schlußfolgerung ist, daß die Mitte-Linke keine Möglichkeit hat, diese Krise zu überwinden...


“Nein. Die Krise ist nicht konjunkturell, sondern irreparabel. Und das ist sie, weil die strategische Hypothese gescheitert ist, auf der die Mitte-Linke aufgebaut war: Die neoliberale und Kriegspolitik bestimmen und mäßigen, um sie regieren zu können. Dementsprechend hat die Mitte-Linke weder die Begründungen noch die strategischen Perspektiven besessen, um vereint zu bleiben.”


Innerhalb der Krise der Mitte-Linken existiert auch eine spezifische Krise der Linksdemokraten (DS)...


“Die Krise der Mitte-Linken ist vor allem die Krise der DS. <Der Chef der “Margerite”> Rutelli, der sich zum ersten Mal als wahrer Führer eines Lagers darstellt, hat in einem entscheidenden Punkt eine mit der Regierung übereinstimmende Rede gehalten. Und er hat dies getan, indem er präzise die Stränge berührte, an denen die Mitte-Links-Regierungen gearbeitet haben, wobei er die Kontinuität mit jener Erfahrung reklamierte – eine Art von gemäßigter politischer Identität reklamierte, die es in Italien immer gegeben hat. Indem er dies tut, beleuchtet er die Tatsache, daß innerhalb der DS alle unterschiedlichen und gegensätzlichen Optionen vorhanden sind, um aus der Krise herauszukommen. Es gibt diejenigen, die exakt so denken wie Rutelli und es gibt diejenigen, die meinen, daß die anzuwendende Linie eine ganz andere ist.”


Ja, aber wenn die Mitte-Linke wirklich an der Endstation angekommen ist, eröffnet sich dann nicht vielleicht ein sehr viel bedeutenderer Raum für die Schaffung einer Linken der <gesellschaftlichen> Alternative ?


“Ich erkenne die Möglichkeit, daß drei Positionen zum Vorschein kommen. Die erste ist die Linke der Alternative, innerhalb derer sich natürlich Rifondazione befindet, aber nicht nur. Ich glaube, daß die Bildung einer Kräftekonstellation möglich ist, die in bezug auf zwei große Fragen übereinstimmen: der Ablehnung nicht nur des Krieges, sondern der Politik der Kriege und der Beziehung zwischen einem Sozialmodell und der Kriegspolitik und dann dem klaren Ausstieg aus der neoliberalen Politik. Ich würde sagen, daß die Kräfte, die an der Unterschriftensammlung für das Referendum <zur Ausdehnung des Kündigungsschutzartikels 18> teilgenommen haben, wieder zu dieser Konstellation gehören könnten.”


Und die anderen beiden Positionen ?


“Eine wirklich reformistische Linke (auch wenn sie keine der Alternative ist) wie es sie seit Jahren nicht gibt und die, sozialdemokratisch zu nennen, ich gerade deshalb vermeide. Eine Linke, die es versteht wieder ein glaubwürdiges reformistisches Profil anzunehmen. Und schließlich jene moderate Mitte, die Rutelli gerade dabei ist, aufzubauen.”


Beginnen wir mit der Linken der Alternative. Wie kann man die schaffen ?


“Nicht am grünen Tisch, aber z.B. indem man sich auf die Schaffung einer Bewegung gegen den Krieg stürzt. Ich glaube, daß es einer starken Beschleunigung bei der Bildung dieser Konstellation bedürfte, weil – wenn sie nicht wächst – die Krise der Mitte-Linken Gefahr läuft Energien zu binden anstatt sie wieder freizusetzen.”


Von der Formierung jener wirklich reformistischen Linken, von der Du sprichst, fehlt jedoch jede Spur...


“Es fehlt jede Spur davon, weil niemand in diese Richtung arbeitet. Ich war sehr betroffen als <der mittlerweile aus Altersgründen als CGIL-Generalsekretär abgelöste> Cofferati im August die organischste Vorstellung des Olivenbaum-Bündnisses lancierte, die möglich war. Es kann sein, daß sich die Dinge nach den Ereignissen der letzten Tage geändert haben.”


Die Mitte hingegen existiert...


“Ja, die moderate Mitte existiert und man sieht sie. Der reformistischen Linken käme die Last und die Ehre zu sich neu zu definieren und sich dabei auch mit dem neuen internationalen Rahmen zu messen. Sicher, dies alles wäre sehr viel einfacher, wenn man ein politisches System verändern würde, das gerade dazu neigt politische Energien zu binden und das Entstehen einer Alternative zu verhindern. Und dieses politische System ist das Mehrheitswahlrecht.”


Denkst Du, daß nach der Explosion des Olivenbaum-Bündnisses eine Rückkehr zum Verhältniswahlrecht vorstellbar wäre ?


“Ich denke, daß – wenn sich die Kräfte der Mitte-Linken (insbesondere jene der reformistischen Linken) nicht auf diese Passage vorbereiten – sie sich auf ihren Selbstmord vorbereiten. Entweder werden sie von der Mitte angezogen oder sie gehen zur Linken der Alternative über. Was eine gute Sache ist, allerdings in jedem Fall – vom Standpunkt der Schaffung eines wirklichen Reformismus aus – einem Selbstmord gleichkommt. Ich verstehe nicht wieso die DS nicht sehen, daß sie nur so der obligatorischen Allianz mit der Mitte entgehen können. Wobei ich durchaus nicht sage (damit das klar ist !), daß sie mit der dann nicht verhandeln sollen. Oder daß sie <mit ihr> nicht verhandeln dürfen.”



Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover