Antifa-AG der Uni Hannover:

 

Die Entführung der linken italienischen Journalistin Giuliana Sgrena (57) am 4.Februar 2005 in Bagdad (von wo sie für „il manifesto und „Die Zeit“ berichtete) sorgte weltweit für Schlagzeilen und führte in Italien zu einer breiten Solidaritätswelle und zu einem Wiederaufflammen der Anti-Kriegs-Bewegung. (Am 19.2.2005 gingen aus diesem Anlass in Rom – real – 25 bis 30.000 Menschen auf die Straße.) Nicht weniger Aufsehen erregend und politisch brisant war das Verhalten der US-Truppen unmittelbar nach ihrer Freilassung: Das Autos mit dem sie am 4.März zum Bagdader Flughafen gebracht wurde, wurde an einem Checkpoint von amerikanischen Besatzungssoldaten beschossen. Dabei wurde der Geheimdienstoffizier Calipari (SISMI), der ihre Befreiung ausgehandelt hatte, durch einen Kopfschuss getötet und Giuliana Sgrena selbst an der Schulter verletzt. Vorsatz und eine Verwicklung des obersten US-Befehlstabes in Bagdad konnten nie ganz ausgeschlossen werden.

 

In einem Kommentar für die linke und bewegungsorientierte italienische Tageszeitung „il manifesto vom 14.9.2006 zieht Giuliana Sgrena eine vorläufige Bilanz der US-Politik im Irak, in der eine starke anti-iranische Tendenz durchscheint.

 

Der Kommentar:

 

Irak: Die alltägliche Tragödie im amerikanischen Scheitern

 

Giuliana Sgrena

 

Alle Augen sind auf den Libanon gerichtet. Der Irak macht keine Schlagzeilen mehr. Trotz des Abschlachtens von 100 Menschen am Tag (laut den Schätzungen der Vereinten Nationen). So war es auch gestern: 32 Todesopfer durch Autobomben und Mörsergranaten. Die grausigste Entdeckung war allerdings das Auffinden von 65 Leichen, die Spuren von Folterungen aufwiesen, die vor den tödlichen Schüssen stattfanden. Der schmutzige Krieg der Todesschwadronen ist nicht mehr auf bestimmte Gegenden beschränkt. Ungefähr 40 Leichen wurden in sunnitischen Stadtvierteln gefunden, circa 20 in schiitischen und weitere 5 schwammen auf der Höhe von Suwayrah, 40 Kilometer südlich von Bagdad, im Tigris. Der Bürgerkrieg, der das Land seit langem ausblutet, hat die ethnische Säuberung zur Folge. In der Hauptstadt besetzen die Sunniten die westliche Seite des Tigris und die Schiiten die östliche, wo sie bereits die Oberhand hatten. Die gemischten Gebiete verschwinden. Und das gerade während die Vereinigte Irakische Allianz (der konfessionelle schiitische Block) im Parlament (mit einem Gesetz, dessen Diskussion auf den 19.September verschoben wurde) Druck macht, um zur Bildung einer autonomen schiitischen Region im Süden des Landes zu gelangen, die ein Gegenstück zum irakischen Kurdistan bilden soll, das sich mittlerweile seit langer Zeit (wenn auch nicht formal, aber existiert im Irak vielleicht eine Legalität?) vom Irak losgelöst hat.

 

In das vom Krieg weniger stark betroffene und somit (wenn man es so ausdrücken will) von der Besatzung begünstigte Kurdistan fließen Auslandsinvestitionen und auch wenn der Status von Kirkuk noch nicht festgelegt wurde, beuten die Kurden bereits das Erdöl ihrer Ölquellen aus und verkaufen es auch ins Ausland. Im Übrigen rührten sogar während des Embargos – zu Saddams Zeiten – die größten Einnahmen Kurdistan von den Zöllen her, die auf den Schmuggel des schwarzen Goldes in die Türkei erhoben wurden. Kurdistan geht seinen eigenen Weg und der schiitische Süden iranisiert sich, trotz der Besatzung, immer mehr. Nicht zufällig hat der iranische „oberste Führer“ Ali Khamenei vom Besuch des irakischen Ministerpräsidenten Nuri Al-Maliki profitiert, um die iranische Unterstützung sicherzustellen, zugleich aber unterstrichen, dass die Besatzung beendet werden müsse.

 

Diese Ansicht vertreten auch die Iraker und eine Gruppe von Anwälten hat, um die der Besatzung gegenüber feindliche Einstellung der Massen zusammenzufassen, eine Petition für den Rückzug der ausländischen Truppen verfasst, die jedoch nur von 104 (der insgesamt 275) Abgeordneten unterstützt wurde – vor allem von sunnitischen. Um also eine Diskussion und eine Annahme <dieser Petition> im Parlament zu erreichen, muss noch viel getan werden. Auch deshalb, weil die Mehrheit der Abgeordneten der Vereinigten Irakischen Allianz, deren Leader in Teheran im Exil waren, sie nicht unterschrieben haben. Und das obwohl der Ministerpräsident Maliki in diesen Tagen in Teheran zusammen mit dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad Abkommen auf verschiedenen Feldern unterzeichnete.

 

Nuri Al-Maliki steckt zwischen den Amerikanern und den Iranern in der Klemme. Die USA erlauben ihm an der Macht zu bleiben und machen ihn gleichzeitig bei der schiitischen Bevölkerung unbeliebt, indem sie den Stadtteil Sadr City bombardieren, um Jagd auf die Milizionäre der Al-Mahdi-Miliz machen, der „Armee“ des Radikalen Muqtada Al-Sadr.

 

Die Iraner, die dabei sind ihre Hände auf den Irak zu legen, halten ihn sich warm, während sie gleichzeitig die extremsten Flügel des Schiitentums aufwiegeln. Einige Beobachter sind der Meinung, dass Muqtada Al-Sadrs Fraktion eine ähnliche Rolle zu spielen versuche, wie die Hisbollah im Libanon. Die Schwäche Al-Malikis und seiner Regierung ist offensichtlich. Zuletzt gab es Gerüchte über einen Putschversuch in Bagdad. Der erste Versuch sei gescheitert. Seine Urheber (der harte schiitische Flügel) hätten allerdings nicht die Absicht, ihr Vorhaben aufzugeben. Wahrscheinlich ist auch der schmutzige Krieg der Todesschwadronen an der Zuspitzung der Situation nicht ganz unschuldig. Das wird auch vom Bericht des US-amerikanischen Government Accountability Office (GAO) registriert, der zum fünften Jahrestag des 11.September veröffentlicht wurde und die Verschlechterung der Beziehungen (ein Euphemismus!) zwischen ethnischen und religiösen Gruppen und die Schwächung des Identitätsgefühls des irakischen Volkes hervorhebt. Dieser Bericht spricht allerdings nicht von einer Spaltung des Irak, die von den Vereinigten Staaten seit 1991 durch die Schaffung der Flugverbotszonen gefördert wurde.

 

Das GAO berichtet unter Berufung auf das Pentagon, dass die Angriffe auf die Koalitionstruppen und die irakischen Streitkräfte von 2004 auf 2005 um 23% zugenommen haben und dass die Angriffe von Januar bis Juli 2006 (verglichen mit demselben Vorjahreszeitraum) um 57% zunahmen, während eine Grafik des Berichtes noch deutlicher wird: Die Zahl der Angriffe auf die Besatzungstruppen, die irakischen Streitkräfte und Zivilisten stieg von 100 im Mai 2003 (zu Beginn der Besatzung; Anm.d.Red.) auf circa 4.500 im Juli 2006. Der Bericht nimmt den wichtigsten Punkt des Scheiterns der Vereinigten Staaten im Irak allerdings nicht zur Kenntnis: die Macht, die die Iraner dort erlangt haben.

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügung in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover