Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:

Die UIL ist mit (im Jahre 2000) 1,8 Millionen Mitgliedern (darunter 450 000 Rentner) kleinste und im Ausland unbekannteste der drei großen sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftsbünde Italiens. Sie stand früher der (nach ihrer tiefen Verstrickung in den Schmiergeldskandal “Tangentopoli” 1994 aufgelösten) Italienischen Sozialistischen Partei (PSI) nahe und ist am stärksten in den Lokalbehörden, im Gesundheitswesen und in der Lebensmittelindustrie vertreten. Ähnlich wie die christdemokratische CISL neigt auch die UIL im Falle der Aufweichung des Artikels 18 (Kündigungsschutz) genau wie zuvor schon bei einschneidender Flexibilisierung und Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse bzw. Lohnsenkungsabkommen auf Betriebsebene zunehmend zum Verzicht auf Kampfmaßnahmen und zum Abschluß von Separatabkommen unter Ausschluß der CGIL. Wobei sie vielleicht mehr noch als die CISL ein Identitäts- und ein parteipolitisches Bezugsproblem hat, da sich in ihren Reihen fast gleich viele Forza Italia- wie Linksdemokraten-Anhänger finden. Über dieses Dilemma kann auch die Selbstdefinition als “Bürgergewerkschaft” nicht hinwegtäuschen. Die Problematik dieser Organisation wird in dem Interview deutlich, das der UIL-Generalsekretär Luigi Angeletti der linksliberalen Tageszeitung “la Repubblica” zu dem von der CGIL angesetzten Generalstreik gab (den die UIL angesichts der harten Haltung Berlusconis und den Erfolgen der CGIL-Mobilisierung nun doch mitunterstützt) sowie in einem Korrespondentenbericht der linken Tageszeitung “il manifesto” vom kürzlich abgehaltenen UIL-Kongreß.
 

la Repubblica 11.2.2002:

Das Interview:

Angeletti (UIL): Wenn wir jetzt streiken, würden wir den Kampf verlieren.

“Die CGIL benutzt derzeit zu wenig den Kopf, aber wir werden den Bruch überwinden”

von Riccardo De Gennaro

ROM - “Der Generalstreik ? Das ist nicht der Moment <dafür>. Das Problem ist, daß die CGIL zu instinktiv reagiert und zu wenig den Kopf benutzt. In den letzten 15 Jahren haben sie jedes Mal, wenn sie den Kampf geführt haben, verloren.” Der Generalsekretär der UIL, Luigi Angeletti, hat auf die Worte von <CGIL-Generalsekretär> Cofferati, der CISL und UIL gefragt hat, ob sie in puncto Artikel 18 nicht zufällig ihre Meinung geändert haben, nicht - wie der Kollege Pezzotta <von der CISL> grob reagiert, aber nun spart er sich einen Seitenhieb auf den Kollegen von der CGIL nicht.

Sekretär Angeletti, der Führer der CGIL hat Euch eine sehr einfache Frage gestellt. Bedeutet die Tatsache, daß Ihr die Notwendigkeit eines Generalstreiks nicht teilt, daß Ihr Eure Meinung geändert habt ?  Der Sekretär der CISL hat gesagt, daß Cofferati so arrogant und beleidigend ist. Sie hingegen haben die Stimme nicht erhoben. Warum ?

“Ich habe in den Worten Cofferatis nicht die Beschuldigung lesen wollen die Meinung geändert zu haben. In dem Fall wäre es eine Beleidigung gewesen. Die Frage der CGIL ist sehr einfach: Sie reagiert zu instinktiv und stattdessen müssen wir ruhig bleiben und nachdenken / argumentieren. Wir müssen die Intelligenz nutzen, um zu gewinnen. In den letzten 15 Jahren haben wir immer verloren, wenn wir so gehandelt haben, wie es die CGIL wollte.”

Aber kann man bei dieser Regierung, die den Dialog als reine Mitteilung bereits gefällter Beschlüsse betrachtet, in bezug auf den Artikel 18 ohne Generalstreik gewinnen ?

“Ich denke, daß die Möglichkeiten zu gewinnen bestehen. Ich glaube nicht, daß die Regierung in diesem Punkt über Zustimmung <in der Mehrheit der Bevölkerung> verfügt. Und an jedem Tag, der vergeht, verliert sie weiter an Zustimmung. Aber wir müssen es so machen, wie wir es sagen, nicht wie die CGIL es vorschlägt.”

Was ist Ihre Strategie ?

“Die ist sehr einfach und ich werde sie meinen Kollegen von CGIL und CISL schnell erklären. Man muß mit dem politischen Druck fortfahren, die Initiativen vervielfachen und dies in einer Weise tun, daß das ganze Land über die Entlassung ohne richtigen Grund diskutiert. Wenn die Regierung dann stop sagt und die Zeit abgelaufen ist, schließe ich den Generalstreik nicht aus. Heute ist er verfrüht.”

Ja, aber Pezzotta hat gesagt, daß er morgen die CISL-Leitung einberufen und alternative Initiativen zum Generalstreik vorbereiten wird. So als ob er diesen Streik weder jetzt noch jemals machen wollte...

“Ich glaube, daß weder die CGIL noch die CISL beschließen werden Selbstmord zu begehen, indem sie allein vorgehen.”

Warum ist der Generalstreik Ihrer Meinung nach, heute verfrüht ?

“Weil er in den Augen der öffentlichen Meinung wie der Versuch erscheinen würde der Regierung einen Stoß zu geben. Er wäre eine Form der Radikalisierung der Auseinandersetzung, die sie gegen uns wenden würde. Aber die Regierung weiß, daß wir uns in bezug auf den Artikel 18 niemals fügen werden. Wenn die neuen Normen durchkommen, werden wir ein Referendum zu ihrer Abschaffung vorschlagen. Die Regierung hat wenig Chancen. Es genügt, daß wir keine Fehler machen.”

Sich über den Streik zu spalten, ist das nicht bereits ein Fehler ?

“Das ist ein tragischer Fehler.”

Wieviel Einfluß hat der Wunsch Cofferatis, aus seinem letzten Kongreß als CGIL-Generalsekretär mit einem einstimmigen Votum hervorzugehen, auf seine Schlußfolgerungen und auf seine Entscheidung gehabt, CISL und UIL anzugreifen ?

“Viel.”

Angeletti, können die Beziehungen zwischen den drei Gewerkschaftsbünden wiederhergestellt werden ?

“Ich denke ja. Den Bruch, der zwischen uns hervorgerufen worden ist, betrachte ich nicht als eine Katastrophe. Vielleicht wird es beim nächsten Treffen 15 Minuten Eiseskälte geben, aber dann wird man das überwinden. Die Beziehungen waren im vergangenen Sommer sehr viel schwieriger.”
 
 

il manifesto 6.3.2002:

Das schwierige Leben des UIL-Gewerkschafters

Eingeengt zwischen Berlusconi und Linksdemokraten (DS), erschrocken vom Protagonismus der CGIL, sich an die Identität klammernd.

Ezio Vallarolo - Turin

Aber ist der Delegierte, ist das aktive Mitglied der UIL nun mitte-rechts oder mitte-links ?  Erkennen sie sich im Augenblick der Wahl in Berlusconi wieder oder vergehen sie bei den Stellungnahmen von Fassino und Rutelli1 vor Wonne ?  Fragen, auf die eine eindeutige Antwort zu geben schwierig ist, auch wenn man sich unter die Menge der Teilnehmer des 13.Kongresses der UIL mischt, der derzeit in Turin-Lingotto stattfindet.

Der Eindruck, den man bekommt, wenn man in die Gesichter schaut (das Durchschnittsalter ist nicht gerade niedrig und der Stil hat viel von den 80er Jahren, mit einem deutlichen Übergewicht von Jacke und Krawatte nach Art der Kleidung im “öffentlichen Dienst”) und wenn man die Kommentare zu den verschiedenen Reden sowie den Ton der informellen Gespräche auf den Korridoren des Kongreßzentrums Lingotto hört ist, daß das politische Argument - verstanden als parteipolitische Positionierung - die Delegierten der UIL nicht begeistert.

Es überwiegen bei weitem die gewerkschaftlichen Themen, die Auseinandersetzung mit der Regierung, insbesondere über den Artikel 18 und die untergründige, aber ebenfalls spürbare Auseinandersetzung mit der CGIL. Aber es ist gerade diese Dichotomie, diese doppelte Kritik, die es vielleicht möglich macht, eine Interpretation der - mehr oder weniger parteipolitischen - Zugehörigkeit des aktiven UIL-Mitgliedes zu wagen. Die goldenen Zeiten der Wahl der “Craxi”-Sozialisten ist zuende. Der Sturm der <Anti-Schmiergeld-Ermittlungskampagne> “Mani Pulite” (Saubere Hände) ist vorbei. Die “Gewerkschaft der Bürger” steht am Anfang des neuen Jahrhunderts vor der Situation in den Spiegel zu schauen und zu entdecken, daß sie sich in den Fängen einer doppelten Identität befindet. Angeletti und die Spitzenvertreter der UIL auf nationaler Ebene wissen dies sehr gut und haben nicht darauf verzichtet dies zu unterstreichen, indem sie bei der Eröffnung des Kongresses das “Liebe Delegierte” anstelle von “Liebe Genossen” einführten, das in polemischem Ton nur den Kollegen von der CGIL vorbehalten ist.

Ja, weil innerhalb der UIL - wie es scheint in fast gleicher Anzahl - vom neuen Kurs des Abdriftens der Linksdemokraten (DS) hin zu den Ufern des gemäßigten Reformismus faszinierte oder schlußendlich überzeugte Gewerkschafter und Anhänger des Wortes von Silvio Berlusconi zusammenzuleben scheinen, die bereits (wie in einem durch die alte “antikommunistische” Aktivität bestimmten Reflex) in die Reihen der Mitte-Rechten übergewechselt sind. Das Ganze scheint jedoch nicht in einem gefährlichen und die Organisation zerreißenden Konflikt zu explodieren. Auch unter den Radikalsten, wie z.B. einigen Teilen der Metallarbeiter und der Beschäftigten des Handels vor allem in Norditalien, überwiegt ganz klar der Geist der gewerkschaftlichen Zugehörigkeit und die Feindseligkeit gegenüber jedwedem “Riß”, der eine Identitäts- und Existenzkrise des Mutterhauses hervorrufen kann. Das erklärt die fast einhelligen Pfiffe, die vorgestern <dem der rechtspopulistischen Lega Nord angehörenden Arbeitsminister> Roberto Maroni vorbehalten waren, die Kühle (gemischt mit Beifall und Pfiffen), die gegenüber <CGIL-Generalsekretär> Sergio Cofferati zur Schau gestellt wurde und die schlecht verhehlte Abneigung was einige Aspekte des Agierens der CISL von Savino Pezzotta anbelangt. Weil man innerhalb des UIL-Apparates sehr gut weiß, was auf dem Spiel steht: das Überleben einer Gewerkschaft “der Mitte” in der Weise, daß sie sich mit den Gegenparteien ins Verhältnis setzen kann. “Wir können nicht darauf verzichten, uns mit der Regierung an den Tisch zu setzen”, läßt sich ein aus dem Mezzogiorno kommender Delegierter entlocken, “weil wir nicht - wie die CGIL - in der Lage sind, allein einen Generalstreik anzusetzen. Unsere soziale Grundlage liegt in der Verhandlung, darin in der Verhandlung das maximale Ergebnis zu erreichen.” Auf der anderen Seite der Bilanz steht jedoch die konkrete Angst nach einer Zeit, in der man sich im wesentlichen gehalten hat, vor allem im Norden im Kielwasser des Generalstreikes Mitglieder an die CGIL zu verlieren. Auch in diesem Fall werden die Politik und die Parteien in dynamischer Weise erlebt. Gerade in Turin haben sich die aufsehenerregendsten und auch umstrittensten Fälle von “Entrismus” von UIL-Mitgliedern in die DS ereignet. Entrismus zu dem Zweck die Diskussion im Vorfeld ihres Parteitages zu beeinflussen. Polemiken zieht darüberhinaus auch der Eintritt von 130 Mitgliedern der UIL in die “legendäre” Industrieunion der Turiner Linksdemokraten nach sich. Eine Entscheidung, die eigens getroffen wurde, um dort das Gewicht der DS’ler auszugleichen, die mit der CGIL verbunden sind. Eine gelungene Operation, wenn man sieht, daß bei jener Gelegenheit am Ende der Leitantrag <des rechten und später zum Parteisekretär gewählten Kandidaten> Fassino das Licht der Welt erblickte.

Wie hat Luigi Angeletti in seinem einleitenden Bericht gesagt ?  “Die UIL ist nichts aus der Politik, aber sie ist in der Politik.” In der der Anderen !
 

Vorspann, Übersetzung, Fußnote und Anmerkungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover