Antifa-AG
der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Die
Repressionswelle, mit der Polizei und Justiz in Italien, unter geschickter
Nutzung des Nachlassens der sozialen Mobilisierungen, die außerparlamentarische
Linke gegenwärtig überziehen, lässt nicht nach. Im Gegenteil sie nimmt immer
groteskere Züge an, wobei versucht wird, bekannte Aktivisten mit Hilfe von
abstrusen Vorwürfen der „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ (zum Zwecke der
Hausbesetzung in Rom!) oder gar der „umstürzlerischen Verschwörung gegen den
Staat“ (wegen einer Massenaktion, bei in einem Multiplex-Kino in Bologna
vollkommen friedlich eine Gratisvorstellung für Geringverdiener und Erwerbslose
durchgesetzt wurde!) zu hohen Haftstrafen zu verurteilen und die Reste der
Bewegung dadurch einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Über die neueste
Stilblüte in dieser Hinsicht berichtet die unabhängige linke italienische
Tageszeitung „il manifesto“ vom 16.7.2005.
„Terroristische Aktionen“ –
Ermittlungen gegen Casarini
Die Wohnungen von vier Militanten
der centri sociali (Sozialen Zentren) Nordostitaliens zwischen Padua und
Venedig durchsucht. Die Polizei findet nichts, beschlagnahmt aber die Computer.
Ermittlungen gegen Antiglobalisierer wegen zweier Brandanschläge, die vor einem
Jahr auf eine US-Gesellschaft und den Verband der Lagunisti verübt wurden.
Antwort: „Das ist alles ein Konstrukt.“
ANGELO MASTRANDREA
Das Verbrechen, das ihnen
vorgeworfen wird, ist schwerwiegend. Artikel 280 des Strafgesetzbuches, will
heißen „Anschlag mit terroristischer oder umstürzlerischer Zielsetzung“, durch
das Zusammenwirken <der
beiden Anschläge> in einem besonders
schweren Fall. Das hat viele Aktivisten der Galaxie der ehemaligen Disobbedienti
(Ungehorsamen) noch mehr zusammenzucken lassen als die in den letzten 10 Tagen
zustande gekommenen gravierenden Verurteilungen gegen die Berufung eingelegt
wurde, die aber dennoch diverse Personen ins Gefängnis bringen könnten.
Zunächst aufgrund der Auseinandersetzungen auf der Biotechnologie-Messe TEBIO
in Genua im Jahr 2000 und dann aufgrund einer Protestdemonstration 1998 gegen
das Sammellager (CPT) von Porto Vecchio (Alter Hafen) in Triest, das von der
Ministerin Jervolino <einer
linken Christdemokratin> keine 15
Tage später geschlossen wurde. Dieses Mal wurden keine kleinen Straftaten, wie
Widerstand gegen die Staatsgewalt oder Sachbeschädigung, für die eine Kampagne
zur Straffreiheit im Gange ist, vorgeworfen, sondern es handelt sich geradewegs
um die Anklage „Terrorismus“ und hier gibt es keine Amnestieforderung, die hält
– vor allem wenige Tage nach dem Anschlag in London und den Notstandsmaßnahmen
nicht, die vor der Tür stehen, auch wenn im Augenblick kein Indiz zu finden
ist, das die Anschuldigungen und eine eventuelle Inhaftierung rechtfertigen
kann. Die Folgen tragen müssen der führende Kopf (Leader) der centri sociali
Nordostitaliens, Luca Casarini, zwei Venezianer (Michele Valentini und Michele
Donatini) sowie der bekannteste der Aktivisten des centro sociale Pedro
in Padua, Max Gallob.
Gestern um 7 Uhr morgens
klopften die DIGOS <Abteilung
für Allgemeine Ermittlungen und Spezialoperationen = rechtsradikale durchsetzte
landesweite Politische Polizeibehörde>
und die Post-Polizei an ihre Wohnungstüren, teilten ihnen die gegen sie
erhobenen Vorwürfe mit und durchsuchten die Wohnungen eingehend. Dann brachten
sie alle ins Polizeipräsidium, wo sie – angesichts des negativen Ergebnisses
der Durchsuchungen – nach 5 Stunden entlassen wurden. Unterdessen wurden
allerdings die Festplatten der Computer beschlagnahmt und für kommenden
Mittwoch die Vernehmung zur Sache anberaumt.
Die Anschuldigungen
betreffen zwei Ereignisse, die in der Nacht des 6.Juli 2004 stattfanden. Ein
Sprengsatz explodierte nur teilweise vor der venezianischen Niederlassung des
amerikanischen Multis Computer Sciences Corporation in Padua und ein
Molotov-Cocktail wurde gegen die Tür des ALTA (Verbandes der
Lagunenbewohner in Chioggia) geworfen. In beiden Fällen waren die Schäden
gering. Nur die Eingänge und eine Glasscheibe wurden rußgeschwärzt. Am Tag
danach bekannte sich ein Mann in einem Telefonanruf beim Büro der Nachrichtenagentur
ANSA in Triest um 13:35 Uhr, der mit einer verfälschten, metallenen
Stimme sprach, zu den Ereignissen: „Hören Sie mir gut zu ! Heute Nacht haben
wir Anschläge für den Frieden verübt. Gegenüber vom Städtischen Meeresmuseum
liegt auf der anderen Straßenseite im Abfalleimer ein gefalteter Umschlag.
Haben Sie alles verstanden. Ja?“ In dem Umschlag befand sich ein zweiseitiges
Flugblatt, das mit zwei Zeilen aus einem Lied von Bob Dylan begann: „Du
brauchst keinen Meteorologen, um zu wissen, woher der Wind weht.“ Das Stück
heißt Weathermen Underground und von diesem war eine Gruppe
revolutionärer Studenten im Amerika der 70er Jahre und der Kämpfe gegen den
Vietnam-Krieg inspiriert. Genau in jenen Tagen lief in Italien ein Film über
ihre Erfahrung und die unbekannten Urheber der Aktionen unterschrieben auf
dieselbe Weise: „Wir sind nur Weathermen, ‚Männer und Frauen der Zeit’,
und heute ist es an der Zeit, gegen den Krieg und für die Menschlichkeit zu
rebellieren“, heißt es in dem Bekennerschreiben. Und dann: „Sie werden uns
Terroristen nennen, aber wer sind die Terroristen, wenn nicht diejenigen, die
mit Bombardements gegen Zivilisten Tote und Zerstörung produzieren ? Die
italienischen Truppen raus aus dem Irak !“
Diejenigen, die die
Anschläge begingen, zeigten sich über die Ziele ziemlich gut informiert: „Die
CSC hat im März 2003 die Dynacorp Technical Service gekauft – einen
kriminellen Klüngel, der im Geschäft mit dem Krieg Milliarden von Dollar
verdient. Die in Italien durch die Ereignisse rund um die vier Söldner (die im
Irak entführten Quattrocchi, Agliana, Stefio und Cupertino; Anm.d.Red.),
die direkt oder per Auftragsvergabe in ihren Diensten standen, in Italien
bekannt gewordene DTS erledigt heute als Zweig der CSC die schmutzigen Arbeiten
für das amerikanische Verteidigungsministerium.“ Die ALTA hingegen wird
als „eine mit den Italienischen Streitkräften verbundene und besonders bei der
ideologischen und materiellen Unterstützung des Irak-Krieges aktive Bande
fanatischer Militärs“ bezeichnet.
Die vom venezianischen
Staatsanwalt Luca Marini geleiteten Ermittler sind überzeugt, dass die
Informationen über die US-Gesellschaft und den Verband dem Internet entnommen
sind, vielleicht sogar per cut and paste (Ausschneiden und Einfügen).
Und die Post-Polizei ist auf der Suche nach dem Computer, von dem aus die
Verbindungen hergestellt wurden. Zunächst richteten sich die Ermittlungen gegen
die Anarchisten und vor einem Monat wurden einige Wohnungen durchsucht. Ohne
allerdings auch nur den Hauch eines Indizes zu finden. Jetzt hat sich die
Aufmerksamkeit hingegen auf die „ungehorsamen“ centri sociali verlagert.
Auch einen kleinen Krimi
gibt es: Casarini wird die Verletzung des Artikels 280 b) vorgeworfen, der 2003
auf der Welle des Anti-Terror-Notstands und der <u.a. an den damaligen EU-Kommissions-Präsidenten
Prodi adressierten> Paketbomben
eingeführt wurde, um „terroristische Anschläge mit umstürzlerischer Zielsetzung
mittels der Verwendung von Sprengkörpern und Sprengstoffen“ zu verfolgen und
nicht der „traditionellere“ und vom Strafgesetzbuch mit schwereren Strafen
bewehrtere Artikel 280. Der Staatsanwalt bestätigt allerdings, dass es sich bei
dem zur Last gelegten Delikt um das letztere handelt, also ein Fehler des Polizeipräsidiums
vorliegen muss.
„Mir erscheint das alles als
ein großes Konstrukt – gerade jetzt, wo man über Anti-Terror-Gesetze spricht“,
kommentiert Casarini, während die „Bewegungsstrukturen Nordostitaliens“, die
diverse Solidaritätsadressen erhalten (darunter die des Anti-CPT-Netzwerkes von
Bari), von einem „Qualitätssprung“ und von einem Szenario nach Art des Minority
Reports sprechen: „Beweise existieren nicht und müssen konstruiert werden,
indem man sich der Botschaften, Kommunikationsflüsse und des Internetzugangs
bedient.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover