Antifa-AG
der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Den landesweiten
Streik der Kommunikationsarbeitergewerkschaften der drei großen italienischen
Gewerkschaftsbünde CGIL, CISL und UIL am 4.November 2005, der sich u.a. gegen
die fortschreitende Prekarisierung richtete, nutzte die linke Tageszeitung „il
manifesto“, um sich beim wirtschaftspolitischen Verantwortlichen der aus
dem PCI hervorgegangenen Linksdemokraten (DS) und ehemaligen CGIL-Funktionär, Cesare
Damiano, nach der Position der DS in dieser entscheidenden Frage zu
erkundigen. Das Ergebnis war in der Ausgabe vom 5.11.2005 nachzulesen.
Streik der Telefone. Für den
Tarifvertrag auf der Piazza
Die Gewerkschaften: Stopp der
prekären Beschäftigung im Telekommunikationssektor. Damiano (DS): „Wir werden
das Gesetz Nr. 30 ändern, ohne es abzuschaffen.“
SARA FAROLFI
„Besser als erwartet“, sagen
alle. Der 8stündige Streik der Telekommunikationsarbeiter gestern ist „sehr gut
gelungen“. Laut den Gewerkschaften gab es Streikbeteiligungen von 80% und
Demonstrationen mit vielen Teilnehmern in Mailand, wo 10.000 <also real: Tausend !> Arbeiter durch die Stadt zogen sowie in Rom und
Neapel – in jeder Stadt mit Kundgebungsreden eines der drei Sekretäre der
Branchengewerkschaften von CGIL, CISL und UIL. Sie gingen für die Erneuerung
des vor mittlerweile fast einem Jahr abgelaufenen Tarifvertrages auf die Piazza
und fordern eine Lohnerhöhung von 115 Euro (für die Lohngruppe 5), während die
Gegenseite bislang nur 58 Euro angeboten hat. Vor allem fordern sie aber einen
normativen Rahmen für einen Sektor, der mit Rekordraten wächst, während die
wildeste Form prekärer Beschäftigung um sich greift. Angefangen bei den
Großunternehmen (u.a. Telekom, Wind und Vodafone), die ohne irgendeine Bindung
das Outsourcing, den Verkauf von Unternehmensteilen und die
Auftragsvergabe an Fremdfirmen nutzen. Bis hin zu jenen Fabriken der
Prekarität, die die Call Center darstellen, wie z.B. bei der COS, wo 3.000
Leute unbefristet und 7.000 mit projektbezogenen Arbeitsverträgen beschäftigt sind.
Es sei notwendig, erklärt Emilio
Micelli (Generalsekretär der SLC-CGIL), dass es eine Kontrolle des Zyklus in Sachen
Auftragsvergabe an andere Unternehmer und Subunternehmer gibt und dass im Falle
von Outsourcing oder des Verkaufs von Firmenteilen der Tarifvertrag der
des Telekommunikationssektors bleibt. Und dass die Rolle der RSU’en <d.h. der Einheitlichen
Gewerkschaftlichen Vertretungen = der spezifisch italienischen Mischung aus
Betriebsrat und organisationsübergreifendem Vertrauensleutekörper> im Betrieb aufgewertet wird und eine angemessene <Lohngruppen-> Einstufung erfolgt.
„Sicherlich wichtige, aber
keine erschöpfenden Forderungen“, wie Giuseppe Ledda (RSU-Delegierter
bei TIM in Bologna) sagt. Weil über allem das Gesetz Nr. 30/2003 steht (und
davor noch das Treu-Paket). Also sprechen wir mit demjenigen darüber, der
gestern „Solidarität“ bekundete, morgen aber vielleicht aufgerufen sein wird,
etwas mehr zu tun, nämlich mit Cesare Damiano, dem
wirtschaftspolitischen Verantwortlichen der Linksdemokraten (DS).
Es gibt jene, die (wie
Rifondazione Comunista) fordern, dass es abgeschafft wird und es gibt jene, die
nur von einer Modifizierung sprechen. Was wird, im Falle einer
Mitte-Links-Regierung, aus dem Gesetz Nr. 30 ?
„Wir sind mit der
Abschaffung nicht einverstanden, denken jedoch, dass das Gesetz Nr. 30 radikal
revidiert werden muss, weil es sich, von den Fakten auf die Probe gestellt,
nicht effizient war. Es dient weder den Unternehmen noch den Arbeitern.“
Welche Modifizierungen
also ?
„Es ist notwendig, den
Steuerkredit wieder einzuführen, der eine Steuererleichterung für die
Unternehmen darstellt, die Arbeitskräfte unbefristet einstellen. Eine Maßnahme,
die es bereits gab und die diese Regierung abgeschafft hat. Die dauerhafte
Arbeit muss die Regel und nicht die Ausnahme sein. Die Prekarität der Arbeit
muss abgeschafft, einige Formen guter Flexibilität zugleich aber beibehalten
werden, wie die bereits zu Zeiten von Treu <Anm.1>
eingeführten: der Lehrlingsvertrag, die Zeitarbeit und die befristete
Beschäftigung.“
Okay, keine Arbeit auf
Abruf oder staff leasing (Arbeitnehmerüberlassung) mehr. Aber die
heutige Prekarität wird zumeist durch den Missbrauch der Kollaborations-, d.h.
jetzt der projektbezogenen Arbeitsverträge <= Formen von Scheinselbständigkeit> verursacht. Ist das die „gute Flexibilität“?
„Die projektbezogene
Beschäftigung muss auf ihre Bedeutung als halb-untergeordnete Beschäftigung
zurückgeführt und untersagt werden, wenn sie dazu benutzt wird, abhängige
Beschäftigung zu verschleiern. Wir haben bereits Vorschläge in dieser Richtung
gemacht. Zum Beispiel, indem die Sozialabgaben auf projektbezogene
Beschäftigung angehoben und Obergrenzen für die Nutzung flexibler Arbeit in den
Unternehmen festgelegt werden.“
Mit dem Gesetz Nr.30 ist
der Verkauf von Firmenteilen für die Unternehmen fast zu einem Spiel geworden…
„Auch hier bedarf es einer
radikalen Revision. Der Firmenteil, der verkauft wird, muss vor dem Augenblick
des Verkaufes autonom sein und nicht erst hinterher, wie es hingegen das Gesetz
festgelegt hat.“
Und was sagst Du zur
Auftragsvergabe <an
Fremdfirmen>, die auch in den
öffentlichen Verwaltungen sehr in Mode ist?
„Es stimmt, das ist ein
Problem, das existiert. Man muss dafür sorgen, dass die Auftragsausschreibungen
nicht nur quantitative, mit den Kosten verbundene Daten erreichen, sondern auch
qualitative. Das bedeutet Sozialklauseln in Hinblick auf die Qualität der
Arbeit, ob sie dauerhaft ist oder prekär und auch im Hinblick auf die Kosten,
dass sie nicht unter den tariflichen Mindestlöhnen der entsprechenden
Tarifverträge liegen.“
Anmerkung
1:
Tiziano
Treu (geboren 1939
im norditalienischen Vicenza) ist – nach Lehraufträgen in Padua und Auslandsprofessuren
in Chicago, Tokio, Mogadischu, Leuwen (Belgien) und Paris – nun Jura-Professor an
der Katholischen Universität von Mailand mit Spezialgebiet Arbeitsrecht. Er ist
seit jeher eng mit dem christdemokratischen Gewerkschaftsbund CISL (dem, knapp
hinter der sozialdemokratischen CGIL, zweitgrößten des Landes) verbunden und
auch bei der DGB-Führung sehr beliebt. 1995 war er Arbeits- und Sozialminister
in der parteilosen „Techniker-Regierung“ von Lamberto Dini (Berlusconis
ehemaligen Finanzminister) und behielt dieses Amt bis Ende 1998 in der
Mitte-Links-Regierung unter Romano Prodi. Unter dessen Nachfolger Massimo
D’Alema (Linksdemokraten – DS) fungierte er bis Mai 2001 als Verkehrsminister. Im April 2001
wurde er auf der Liste der Margerite (dem rechten Flügel des
Mitte-Links-Bündnisses) in den italienischen Senat gewählt und ist (als
Verantwortlicher für Arbeitsmarktpolitik) einer der führenden Vertreter dieses
christdemokratisch-liberalen Personen- und Parteienbündnisses.
Beim sog. „Treu-Paket“
handelt es sich um das von ihm ausgearbeitete
Gesetz Nr.196 vom 24. Juni 1997. Es legt wichtige Maßnahmen zur Förderung der
Beschäftigung fest. Diese umfassen Zeitarbeit, neue Verordnungen über
gesellschaftlich nützliche Arbeit und die Beauftragung öffentlicher
Versorgungseinrichtungen in Süditalien unter Bereitstellung von Zuschüssen,
jugendlichen Arbeitslosen zu helfen, in der Arbeitswelt Fuß zu fassen.
Das
Gesetz, das im Januar 1998 mit der Verabschiedung diesbezüglicher
Ministererlasse in Kraft trat, sieht auch umfassende Neuerungen auf dem Gebiet
der Berufsbildung vor. Staatliche Behörden können Ausbildungs- und
Arbeitsverträge abschließen. Außerdem sind Arbeitgeber unter bestimmten
Voraussetzungen berechtigt, ein Jahr lang einen niedrigeren Lohn zahlen, wenn
nach der zweijährigen Laufzeit des Vertrages eine feste Anstellung geboten
wird. Das Mindest- bzw. Höchstalter der „Lehrlinge“ wurde auf 16 bzw. 24 Jahre
(in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit auf 26 Jahre) angehoben. Die Dauer
dieser sog. „Lehrlingsausbildung“, die oftmals nichts anderes als normale
Beschäftigung mit prekärer Entlohnung ist, beträgt zwischen 18 Monaten und vier
Jahren.
Vorbemerkung,
Übersetzung, Anmerkung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover