Antifa-AG
der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Die
Philippinen waren weitgehend aus den Schlagzeilen verschwunden bis es am 8.Juli
2005 zum Rücktritt eines Drittels der Regierung Arroyo (8 Minister, darunter den
für Haushalt und Finanzen zuständigen) kam und sich auch andere Teile der
Bourgeoisie bzw. Oligarchie (z.B. die Liberale Partei und der
Industriellenverband) von Präsidentin Gloria Macapagal
Arroyo distanzierten und sie ebenfalls zum Rücktritt aufforderten. Ihr werden
die hohe Staatsverschuldung, Steuererhöhungen und „die schlechte
Sicherheitslage“ vorgeworfen, die u.a. von der Kommunistischen Partei der
Philippinen (CPP) und ihrer Guerillaorganisation Neue Volksarmee (NPA) „verursacht“
wird. Einige Gründe mehr, um zu hören, was ein prominenter Vertreter der philippinischen
Linken zur Lage im Land meint. Die von Rifondazione Comunista herausgegebene
italienische Tageszeitung „Liberazione“ veröffentlichte am 11.6.2005
das folgende Interview mit Teddy Casino, dem Parlamentsabgeordneten der Bayan
Muna Party (BMP).
Philippinen: Krieg gegen die
Bürgerrechte. Mit der Entschuldigung des Krieges gegen den Terrorismus und der
Zustimmung der USA
Interview mit dem progressiven
Abgeordneten Teddy Casino, der in der Kampagne gegen die von der Regierung in
Manila betriebenen schleichenden Repression in vorderster Front steht.
Claudio Jampaglia
Teddy Casino ist ein junger
Abgeordneter der Philippinen. Er kommt aus der Zivilgesellschaft und wurde für
die Bayan Muna Party (BMP) gewählt, eine 1999 gegründete progressive Partei,
die zusammen mit der Frauenpartei und der Arbeiter- und Bauernpartei den
kleinen progressiven Block im philippinischen Kongress bildet (6 Abgeordnete).
In Italien ist er, um eine
Kampagne gegen die Repression der Bürgerrechte in demGeorge W. Bushs „Krieg
gegen den Terrorismus“ stärker ausgesetzten Land zu präsentieren. Wir haben ihn
am Sitz der <linken
italienischen Basisgewerkschaft> CUB
interviewt, die über die Betreuung philippinischer Immigranten in Italien
Beziehungen zu dem asiatischen Land unterhält.
In Deinem Land wird seit
langem über ein, dem amerikanischen Patriot Act ähnliches, Anti-Terror-Gesetz
diskutiert. Wie weit ist dieses Vorhaben gediehen?
„Es ist uns in der letzten
Legislaturperiode gelungen, die Debatte darüber immer wieder zu vertagen. Nun
liegt es wieder auf dem Tisch. Das Gesetz kann man, in der Erläuterung, die
einer der Unterzeichner gab, so definieren: ‚Auch Niessen ist, wenn es eine
Panik auslösen kann, Terrorismus!’ So kann der landesweite
Transportarbeiterstreik z.B. als Terrorismus betrachtet werden, weil er das
Gemeinwesen in Gefahr bringt. Festnahmen und Inhaftierung ohne Haftbefehl sind
für einen Zeitraum von 15 Tagen vorgesehen, der auf 30 Tage ausdehnbar ist und
die Kommunikation kann ohne Erlaubnis überwacht werden. Sie wollten auch
‚Interviews mit Terroristen verhindern’, aber nach den Protesten der Presse
haben sie das aufgegeben. Die Kirche, die Journalisten, die Linke und viele
NGO’s sind gegen dieses Gesetz. Die Konservative Partei hat allerdings eine
Mehrheit und wird es verabschieden. Der Grund dafür ist auch ein finanzieller:
Die USA bieten 385 Millionen Dollar für die Modernisierung des Militärs und die
Anti-Terror-Kampagne. Sie haben auch 30 Millionen $ für die Entwicklung
Mindanaos gegeben, wo sie sich bei den Friedensgesprächen als störender Dritter
einen Platz am Verhandlungstisch sicherten.“
Gibt es in Eurem Land,
das beim Korea- und beim Vietnam-Krieg die logistische Basis bildete, noch
US-Militärbasen?
„Offiziell gibt es keine
amerikanischen Militärbasen auf den Philippinen, dank eines Referendums, das
sie geschlossen hat. 1999 hat die Regierung allerdings einen Vertrag
unterzeichnet, der ‚Visiting Forces Agreement’ genannt wird und
gemeinsame Militärmanöver auf dem Territorium der Philippinen erlaubt. Der
Südosten Asiens ist sehr dynamisch, was das Wirtschaftswachstum anbelangt. Und
um die Anwesenheit der Truppen zu rechtfertigen, haben die USA die Philippinen
2002 zum am zweitstärksten unter der Terrorismusgefahr leidenden Land erklärt. Meine
Meinung ist, dass die Amerikaner weniger Angst vor dem islamischen Terrorismus
haben, sondern versuchen die Aggressivität Chinas in der Region unter Kontrolle
zu bringen. Nicht zufällig steigen die für die Sicherheit und die militärische
Ausbildung bereitgestellten Haushaltsmittel in der gesamten Region immer weiter
an und verbinden sich mit bilateralen Verträgen mit anderen Ländern über eine
militärische Zusammenarbeit.“
Was passiert mit
denjenigen, die sich dieser Militarisierung der Gesellschaft widersetzen?
„Die Regierung behandelt uns
als Staatsfeinde und unterstellt uns, dass wir weiterhin mit der, einen
bewaffneten Kampf führenden, Kommunistischen Partei (CPP) in einer
Kontinuitätslinie stehen. Die Tatsache, dass wir versuchen Friedensgespräche zu
initiieren, die jetzt durch die Aufnahme der Partei der Guerilla in die Liste
der internationalen terroristischen Organisationen blockiert sind, setzt uns
dem noch stärker aus. Die Militärs gehen gegen uns vor, obwohl wir unbewaffnet
und gewaltfrei sind. Seit 2001 wurden 51 unserer Mitglieder bei militärischen
Operationen oder Aktionen paramilitärischer Gruppen ermordet. Bei den anderen
fortschrittlichen Parteien gab es im gleichen Zeitraum 19 Tote. Auf den
Philippinen stirbt man, weil man auf friedliche und gewaltfreie Weise Politik
macht.“
Betrifft das nur die
linken Aktivisten?
„Nein, auch die
Menschenrechtsaktivisten sind Opfer dieser Repression. 14 von ihnen wurden seit
2001 getötet plus einige Anwälte und Pfarrer, die den Kampf für Freiheit und
Gerechtigkeit unterstützten. Die Repression ist auch auf die Journalisten
ausgedehnt worden. Im Januar wurden vier den nationalen und den lokalen
Regierungen gegenüber sehr kritisch eingestellte Journalisten getötet. Dann
gibt es willkürliche Festnahmen und illegale Inhaftierungen. Wir warten noch
auf Nachrichten von 10 Personen, die im Nichts verschwunden sind. Um Euch das
verständlich zu machen, schildere ich Euch einen Vorfall, der sich vor ganz
kurzer Zeit ereignete: Vier Aktivisten flüchteten in eine Polizeistation, weil
die Militärs sie unter der Anschuldigung verhaften wollten, dass sie die
amerikanischen Truppen ausspionieren würden. In Wirklichkeit protestierten sie
gegen ihre Anwesenheit. Die Polizei weigerte sich, im Namen der besonderen
Rechtssprechung, die die Sicherheitsoperationen im Inland genießen, sie zu
schützen. Dann gibt es den Fall Luisita…“
Das heißt?
„Am 16.November 2004 hatten
die Arbeiter einer Zuckerrohrplantage (der Luisita, die sich im Besitz der
Familie der ehemaligen Präsidentin Corazon Aquino befindet) einen Streik
organisiert, der vom Arbeitsministerium für illegal erklärt wurde, das <dann auch> die Militärs entsandte, um die Streikposten
aufzulösen. 14 Landarbeiter wurden umgebracht. In der Woche darauf wurden auch
der Pfarrer und der lokale Politiker, die beide den Streik unterstützt hatten,
tot aufgefunden. Die Polizei erklärte selbstverständlich, es seien die
Kommunisten in der Gewerkschaft gewesen, die sie umgebracht hätten. Wir
verfügen allerdings über die Videoaufnahmen und die Zeugenaussagen (im Internet
einsehbar; Anm.d Red.).“
Wie ist diese
schleichende Repression zu definieren?
„Es gibt eine nicht erklärte
Situation des Staatsterrorismus. Niemand wurde für diese Toten vor Gericht
gestellt oder verurteilt. Generäle und hohe Offiziere der Armee reden weiter
davon, dass diese Morde kleine Opfer seien, die für die Erhaltung der
Demokratie gebracht werden müssten. Die Präsidentin Gloria Arroyo ist
Oberbefehlshaberin der Armee und müsste diese Tötungen scharf verurteilen und
sie stoppen, aber sie hat beschlossen, zu diesem Thema zu schweigen.“
Woher rührt diese
Gleichgültigkeit gegenüber den Menschenrechten?
„Nachdem <1986 der Diktator> Marcos verjagt wurde, gab es keine Gerechtigkeit für
die Opfer der Diktatur. Die Gemäßigten haben sich mit der formalen Demokratie
zufrieden gegeben und keine Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission ist jemals
ins Leben gerufen worden. So hat sich das Land der Form nach geändert. Darin
bleiben allerdings die Wunden und die Spaltungen die gleichen. Wir haben eine
Untersuchungskommission über die Diktatur und das Einfrieren des Vermögens von
Marcos und seinen Familienangehörigen im Ausland gefordert, das den Opfern
zugute kommen sollte. Die Regierungsmitglieder sind aber zum Großteil dieselben
wie vorher oder ihre Kinder, Cousins, Neffen und Enkel und fast alle mit den
135 Familien in Verbindung zu bringen, die das Land kontrollieren. Auch die
Militärs sind intakt geblieben. Und nun beschert ihnen die Anti-Terror-Hysterie
eine große Chance.“
Können die sozialen
Kämpfe diese Situation beeinflussen?
„Wir sind die Sprachrohre
der sozialen Bewegungen im Parlament eines Landes, in dem nur 11% der Arbeitenden
gewerkschaftlich organisiert sind. Wir haben z.B., insbesondere der <linken Gewerkschaft> KMO (Kilusang Mayo Uno – Bewegung des 1.Mai), einen
gewerkschaftlichen Vorschlag gemacht, um die Löhne zu erhöhen, weil die
Regierung sich weigert, darüber zu diskutieren. Wir fordern eine allgemeine
Erhöhung des Tageslohnes um 125 Pesos (= 2 Euro; Anm.d.Red), bezogen auf
die 300 Pesos, die die Arbeiter in den
meisten Fällen bekommen. Die offizielle Schätzung besagt, dass in meinem Land
700 Pesos <am
Tag> nötig sind, um ein anständiges
Leben führen zu können. Wir fordern also nur Würde für Alle.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover