Antifa-AG der Uni Hannover:

 

Silvio Berlusconi und seine Rechts-Regierung befinden sich im Niedergang, auch wenn es ihm gelungen ist die akute Krise fürs Erste beizulegen, die nach den Wahlniederlagen vor allem seiner Partei Forza Italia bei den Europa-, Kommunal- und Regionalwahlen (Sardinien) Mitte / Ende Juni 2004 ausgebrochen war. Angesichts der zunehmenden Distanzierung so bedeutender Kräfte wie dem Industriellenverband Confindustria und der Führung der italienischen Zentralbank Banca d’Italia, den negativen Umfragewerten und dem Aufwind der an der Regierung beteiligten christdemokratischen UDC ist die nächste Krise absehbar. Das ist einer der Gründe über die Entwicklung des Phänomens Berlusconi und Forza Italia nachzudenken. Der andere ist die gerade auch in der Linken (in Italien wie im übrigen Europa) weit verbreitete Oberflächlichkeit, die den Mini- und Medien-Napoleon Berlusconi für das Wesentliche hält und die politische Substanz, die sich dahinter verbirgt, sträflich vernachlässigt. Wenn sich das nicht ändert, ist absehbar, dass dieselbe neoliberale Substanz, softer, korrekter und „pluralistischer“, präsentiert von Prodi, Rutelli, D’Alema, Fassino & Co., auf keinen großen Widerstand treffen, ja wahrscheinlich sogar weitgehend unkritisch bejubelt werden wird.

Dieser Gefahr versucht Alberto Burgio in dem folgenden Beitrag für die von Rifondazione Comunista herausgegebene Tageszeitung „Liberazione“ vom 1.6.2004 vorzubeugen. Burgio (1955 in Palermo geboren) ist seit 1993 Professor für die Geschichte der Modernen Philosophie an der Universität von Bologna und leitendes Mitglied der Internationalen Gesellschaft für dialektische Philosophie – Societas Hegeliana. Darüberhinaus ist er Mitglied der Nationalen Leitung von Rifondazione Comunista (PRC) und einer der führenden Köpfe der eher traditionalistischen Strömung um die Zeitung „l’Ernesto“, die seit der Wende von Parteichef Bertinotti in Richtung absolute Regierungsfähigkeit parteiintern zur linken Opposition zählt.

 

Berlusconi ist das Symptom einer Krankheit, die Neoliberalismus genannt wird

 

Die Berichte über den 2. angeblichen Parteitag von Forza Italia in Assago haben die Betonung einhellig auf die Krisenelemente gelegt, die Berlusconis Image trüben (der immer mehr zum Opfer der Paranoia wird, eine „belagerte Festung“ zu sein) und einen Misserfolg der relativen Mehrheitspartei erahnen lassen. Selbst ein Forza Italia-Minister ist in Pessimismus verfallen, hat eingeräumt, dass sich „der Wind im Lande gedreht hat“ und die Industriellen des Verrats bezichtigt, die – nachdem sie Gelder und Vorteile (Abschaffung des <Kündigungsschutz-> Artikels 18, <Prekarisierungs-> Gesetz Nr. 30 / 2003 etc.) eingestrichen haben – wieder auf das <mitte-linke> Olivenbaum-Bündnis setzen. Es kann gut sein, dass die Dinge so stehen, auch wenn es gut wäre, Triumphalismus zu vermeiden. In jedem Fall bleibt die Aufgabe zu klären, in welchem Land wir leben werden, wenn wir endlich von dieser Regierung und dem Verbrecher befreit sein werden, der ihr vorsteht.

 

Berlusconi entsteht nicht aus dem Nichts. Sicher, er ist persönlich für enorme Schäden verantwortlich, angefangen bei der Legitimierung antisozialer Denk- und Verhaltensweisen, die dem ohnehin schon geringen Sinn der Italiener für das Öffentliche sehr harte Schläge versetzt haben. 10 Jahre Berlusconismus mit Unterbrechung haben unkalkulierbare moralische und materielle Schäden verursacht, um unserer Kompradorenbourgeoisie (erinnert Ihr Euch an das „Bereichert Euch!“ aus Craxis Denkschrift ?) die Zügel schleifen zu lassen, um die politische und soziale Einheit des Landes kaputt zu machen, um seinen Produktionsapparat vor die Hunde gehen zu lassen, um das Privatisierbare zu privatisieren und den Pluralismus des Informationswesens zu ersticken. Und um überall (von den Fernsehsendern bis zu den Institutionen eine Orgie des Vulgären zu entfesseln, die der wahre Maßstab der hegemonialen Fähigkeit des gegenwärtigen Ministerpräsidenten ist. Berlusconi ist allerdings seinerseits ein Symptom und die Krankheit, deren Ausdruck er ist, wird nicht aus dem einfachen Grund verschwinden, dass er – hoffentlich so schnell wie möglich – nach Hause geschickt wird.

 

Diese Krankheit hat viele Namen (Neoliberalismus, Modernisierung, Globalisierung) und die Vielfalt der Definitionen begünstigt nicht die Klarheit der Diagnose. Sicher ist, dass sie in den Jahren von Reagan ausbricht und mit dem Ende des Bipolarismus um sich greift, d.h. nach <den Ereignissen von> 1989 – 91. Seit damals waren die Wirtschaftspolitiken – da sich beinahe jeder Widerstandspunkt gegen die kapitalistische Offensive reduziert hat – auf den Abbau der sozialen Rechte und die Prekarisierung der Arbeit ausgerichtet. Die die Institutionen betreffenden Politiken ließen die Machtbefugnisse der Exekutive anwachsen und reduzierten das Spektrum der vertretenen Interessen. Die ideologischen Kampagnen stellten selbst die Existenz der Gesellschaften in Frage (außer dass sie rassistische Kommunitarismen schürten). Und punktuell kehrte der Krieg zurück, der mittlerweile zu einem ganz gewöhnlichen Instrument der Regulierung der internationalen Beziehungen geworden ist. Am Anfang wurde er <noch> durch humanitäre Erwägungen bemäntelt und durch den Anschein internationaler Legalität geschützt. Jetzt wird er ohne Zurückhaltung proklamiert und als einziges Bollwerk unserer „höheren Zivilisation“ bezeichnet. Und wie immer bringt er die Verwüstung des Rechtsstaates, die Entfesselung der Brutalität der Staatsgewalten gegen die Oppositionellen und die ihnen stärker ausgesetzten Subjekte (Häftlinge, Ausländer, Arme und an den Rand Gedrängte) sowie die Verbreitung von Beklemmungen und Rufen nach hartem Durchgreifen seitens der Mittelschichten und der Volksmassen mit sich.

 

Nun, was ist der Punkt ?  Der Punkt ist, dass die Geschichte dieser letzten 15 Jahre in Italien wie im gesamten Westen leider nicht nur von den Rechten gemacht wurde. Ein mehr oder weniger gemäßigter Reaganismus ist mittlerweile Bestandteil des ideologischen Gutes breiter Teile der „normalen“ Linken, die nicht in der Lage ist zwischen Modernisierung und neuen Triumphen des Privatkapitals zu unterscheiden. Die neoliberalen Kulturen haben sogar unter den unnachgiebigsten Kritikern des Kapitalismus Anhänger gewonnen, die für die Apologien des „Sozialen“ und die heftigen Ausfälle gegen die „Staatsorientiertheit“ (statalismo) empfänglich sind. Und die Ideologie des „humanitären Krieges“ hat viele von denen angesteckt, die wissen müssten, dass die Wege des Imperialismus zahlreich, wenn nicht sogar zahllos sind.

 

Das ist – wenn man uns nicht auf den Arm nehmen will – geschehen und das ist noch heute der Stand der Dinge. Dies anzuerkennen, bedeutet nicht, die Unterschiede zwischen rechts und links aus dem Blickfeld zu verlieren und den verheerenden qualitativen Sprung zu ignorieren, den Bush’s Präsidentschaft ausgelöst oder die Regression, die Berlusconis Rückkehr in den Palazzo Chigi <den italienischen Regierungssitz; im Mai 2001> auf der ethischen und politischen Ebene hervorgerufen hat. Es bedeutet vielmehr, nicht Glühwürmchen mit Leuchttürmen zu verwechseln.

 

Man muss wissen, dass ein eventuelles Verjagen Berlusconis nicht mehr als der Beginn eines neuen Befreiungskampfes wäre, der hart und nicht gerade kurzfristig zu werden verspricht. Es geht darum, jenen demokratischen common sense (allgemeinen Menschverstand) wiederherzustellen, der in den letzten 1 ½ Jahrzehnten mit Hilfe von Revisionismen, Liquidatorentum und Fetischisierungen des Neuen (nuovismi) unterschiedlicher Art systematisch zerstört wurde. Es ist notwendig ein neues Gefühl der Zugehörigkeit zu jener Gemeinschaft der Freien und Gleichen zurückzugewinnen, das die antifaschistische Verfassung „souveränes Volk“ nennt. Um diese Arbeit zu leisten, ist der Beitrag Aller erforderlich, der Politik in den Institutionen ebenso wie der Bewegungen. Es gibt nur einen Weg um das wirkungsvoll zu bewerkstelligen: Ab sofort die absolute Ablehnung des Krieges geltend zu machen, der zum Dreh- und Angelpunkt des Akkumulations- und internationalen Herrschaftssystems der Supermacht Amerika geworden ist.

 

Alberto Burgio

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover