Antifa-AG der Uni Hannover:
Den folgenden Bericht samt
kritischer Einschätzung des Jahrestreffens der bundesdeutschen Gewerkschaftslinken
entnahmen wir der „Infomail“ der linkstrotzkistischen Gruppe Arbeitermacht Nr.
198 vom 22.1.2005. Mehr Infos zu den Autoren findet Ihr im Internet unter: www.arbeitermacht.de
(Zwecks besserer
Übersichtlichkeit haben wir uns erlaubt zwei eigene Zwischenüberschriften
einzufügen, nämlich die erste und die dritte. Für die Nicht-Insider haben wir
am Schluss einige Zeitungstitel und Organisationskürzel kurz erläutert.)
DER SCHWERE WEG
ZUM KLASSENKAMPF
Bericht vom
Stuttgarter Kongress der Gewerkschaftslinken
Am 7. Kongress der
Gewerkschaftslinken am 14./15. Januar in Stuttgart nahmen 350 KollegInnen teil - immerhin doppelt so viel wie auf den letzten
beiden Tagungen in Köln und Berlin.
Diese große Teilnehmerzahl
drückt ein wachsendes Bedürfnis nach oppositioneller Organisierung
in den Gewerkschaften und Betrieben gegen die Politik der
Gewerkschaftsbürokratie, die Ausverkäufe und Verrätereien des
letzten Jahres aus. Im Vergleich zum letzten Kongress in Berlin
waren auch mehr AktivistInnen der Protestbewegung
gegen Agenda 2010 und Hartz-Gesetze, der
Montagsdemos oder von Anti-Hartz-Bündnissen anwesend.
Das ist zweifellos ein Fortschritt, weil dadurch auch ein Brückenschlag
zwischen gewerkschaftlicher und sozialer Protestbewegung
möglich ist.
Gleichzeitig brachte die
Konferenz aber auch alle Schwächen der Gewerkschaftslinken zum Ausdruck und die
Notwendigkeit einer qualitativen Veränderung ihrer Struktur und
Ausrichtung.
Drei Strömungen
Am Kongress manifestierten
sich drei politische Strömungen.
1.) Die
reformistische Führung um den Stuttgarter ver.di-Vorsitzenden
Bernd Riexinger, der, gestützt auf seine
Adlaten im Sekretariat der Gewerkschaftslinken den Kongress
weitgehend kontrollierte. Riexinger und Co.
wollen die Gewerkschaftslinke als eine Art pressure group für den Druck auf den
bürokratischen Apparat zur Wiederbelebung eines "kämpferischen"
Reformismus nutzen.
Zwar setzt sich Riexinger mit seiner Analyse des Generalangriffs des Kapitals
und der Kritik an der "Unterwerfungsstrategie" der Gewerkschaftsspitzen
deutlich von der Masse der mittleren und höheren Funktionäre ab, die
beim Rechtsdrift des Apparats mitmachen, mitschwimmen oder Kritik
nur unter vier Augen äußern. Andererseits will
er die Gewerkschaftslinke
für genau diese Leute offen halten.
Praktisch bedeutet das, dass
die Gewerkschaftslinke auf einen unverbindlichen Austausch
beschränkt werden soll, der möglichst wenig Kontur gegen die
Bürokratie gewinnt.
Typisch ist, dass er heute
das "Arbeitnehmerbegehren" von IG Metall und ver.di
nach den Großdemonstrationen am 3.April 2004 als den Abgesang auf
diesen bezeichnet; zugleich hatte er aber nach dem 3.4. selbst für
eine Unterschriftensammlung unter "konkreten" Forderungen geworben und
die einzige wirkliche Perspektive für die Steigerung und Politisierung
des Konfliktes - die Vorbereitung des Generalstreiks - abgelehnt.
Auch im Vorfeld des
Kongresses wurden Vorschläge, die in Richtung einer Politisierung, stärkerem koordinierten
Eingreifen und der Formierung der Gewerkschaftslinken in eine effektive
Opposition gegen die Bürokratie liefen, daher schon im Vorfeld
bekämpft und madig gemacht. Vorschläge, wie sie von Berliner KollegInnen, darunter auch GenossInnen
der Gruppe Arbeitermacht (http://www.labournet.de/GewLinke/vers/kongress7/berlin.pdf)
gemacht worden waren, wurden als "Schritte in Richtung kommunistische Kaderpartei"
bezeichnet und angegriffen.
Dabei wird darin lediglich
ein praktischer Vorschlag gemacht, wie sich die Gewerkschaftslinke
in den nächsten Monaten organisieren muss, um eine wirkliche
Opposition und klassenkämpferische Bewegung werden zu können:
"Die Gewerkschaftslinke braucht deshalb:
– ein eigenes Aktionsprogramm gegen den
Generalangriff;
– eigene Stellungnahmen, Flugblätter zu betrieblichen
und gesellschaftlichen Kämpfen;
– eine eigene politische Ausrichtung auf
nicht-sozialpartnerschaftlicher Grundlage.
Zu diesem Zweck braucht die Gewerkschaftslinke
eigene, handlungsfähige und demokratisch legitimierte Strukturen und
Einscheidungsfindungsprozesse.
Dazu soll, ausgehend von dieser Konferenz, ein
Ausschuss gebildet werden, der sich monatlich trifft, Stellungnahmen
und Infos erarbeitet. Der Ausschuss soll für VertreterInnen
örtlicher und betrieblicher gewerkschaftsoppositioneller Gruppen,
von sozialen Bündnissen, Zeitungen und politischen Organisationen
offen sein, die am Aufbau einer solchen Opposition teilnehmen wollen.
Als eine zentrale Aktivität sollen eine Kampagne
gegen Arbeitszeitverlängerung und für Arbeitszeitverkürzung auf 30
Stunden bei vollem Lohn- und Personalausgleich sowie für einen
Mindestlohn von 10 Euro durchgeführt werden. Außerdem soll die
Mobilisierung für Brüssel einen Schwerpunkt bilden.
Vor allem soll dieser Ausschuss einen bundesweiten
Kongress im Mai 2005 vorbereiten,
der über Programm, Struktur, Charakter, Verhältnis zu politischen
Parteien und Kampagnenschwerpunkte diskutiert und über bisherige
Diskussionsergebnisse informiert."
2.) Der zweite
politische Flügel kann am ehesten als links-syndikalistisch
bezeichnet werden. Er gruppiert sich um VertreterInnen
der Strömung „Express“ oder der GOG-Bochum. Als Zielvorstellungen vertreten sie
durchaus anti-kapitalistische Positionen. So kritisierte W.
Schaumberg aus Bochum in seinem Referat zurecht
die Beschränkung von Riexinger, Sauerborn und anderer
linker Bürokraten auf eine, radikalere, "globale Tarifpolitik", die Beschränkung auf
die Forderung nach "gerechter
Verteilung" und warf seinerseits die Eigentumsfrage und die
Perspektive einer zukünftigen planwirtschaftlichen Produktion auf.
Diese korrekte, linke Kritik
an den Riexinger und Co. bleibt jedoch folgenlos,
da überhaupt keine positiven Vorschläge für die Organisierung der
Gewerkschaftslinken jenseits reformistischer Tagespolitik gemacht werden.
Der Kritik an der Bürokratie
stellte dieser Flügel keine klassenkämpferische Organisierung der Opposition
entgegen. Im Gegenteil, er lehnt das ab, vor allem, weil eine solche
Perspektive untrennbar mit der Frage einer kommunistischen,
revolutionären Zielsetzung und dem Aufbau einer neuen Arbeiterpartei
verbunden ist.
3.) Der dritte
Flügel, der am Kongress stärker in Erscheinung trat, kann am ehesten
klassenkämpferisch genannt werden. Er setzt sich aus Organisationen
wie RSB und SAV, VertreterInnen des Rhein-Main-Bündnisses,
von linken MetallerInnen aus Stuttgart/Mettingen, der
Berliner Gewerkschaftslinken sowie der Gruppe Arbeitermacht zusammen.
Bei allen unterschiedlichen
Auffassungen sind diesen Kräften folgende Positionen gemeinsam: die
Einschätzung, dass alle Flügel der Bürokratie bekämpft werden
müssen; die Notwendigkeit einer organisierten Opposition; die
Entwicklung handlungsfähiger Strukturen mit für die KollegInnen
in den Betrieben und auf der Straße sichtbarer Aktivität und Kritik
an der Bürokratie; Entwicklung eines eigenen Aktionsprogramms gegen
den Generalangriff.
Verlauf des Kongresses
Der größte Teil des
Kongresses verlief gemäß der Regie der Riexinger-Fraktion.
Der Sonnabend begann mit vier Vorträgen, die den gesamten Vormittag
ausfüllten. Diskussion gab es keine !
Zuerst führte R. Sauerborn
aus, welche Linie linke Reformisten heute verfolgen. Ausgehend von
den veränderten Handlungsbedingungen in Zeitalter der Globalisierung
gipfelte seine Ausführung darin, dass die Gewerkschaften
international koordiniert agieren und internationale Tarifverträge
aushandeln müssten. Dann könnten verloren gegangene Positionen
wieder hergestellt werden.
Die Antwort auf die Krise
tradierter, auf der Verkaufsbedingungen der Ware Arbeitskraft
beschränkter Gewerkschaftspolitik bestehe einfach darin, diese im
Weltmaßstab neu aufzurollen.
So richtig es auch ist, die
nationale Beschränktheit der heutigen Gewerkschaften zu kritisieren,
so wenig ausreichend ist Sauerborns Antwort. Dieses "Programm" ist vollkommen
illusionär, wenn nicht zugleich die politische Bindung der
Gewerkschaften an das nationale Kapital zerbrochen wird.
Es verkennt überhaupt den
Charakter der gegenwärtigen Krise wie auch der imperialistischen Arbeitsteilung. Es negiert
die Notwendigkeit, auf einen politischen Generalangriff politisch zu
antworten. Wo in Wirklichkeit die Frage der Enteignung aufgeworfen
werden muss, bleibt Sauerborn in der Forderung nach "gerechtem Arbeitslohn im
Weltmaßstab" stecken.
Dieser utopische Reformismus
geht einher mit einem praktischen Fatalismus. Solange es keine
globalen Gewerkschaften gibt, kann man nur "Möglichkeitsspielräume"
ausloten. Haben wir das nicht auch von IG Metall und ver.di-Vorständen in den letzten Tarifrunden, beim Daimler-
und beim Opel-Deal gehört?
Dass Riexinger
hier keine grundsätzlich anderen Wege als der ver.di-Vorstand
gehen will, zeigte er nicht zuletzt in der Arbeitsgruppe zur
laufenden Tarifrunde im Öffentlichen Dienst. Der Zug in Richtung Ausverkauf
– pardon: Abschluss – wäre eben schon abgefahren, da könne man eben
nichts machen ... gegen den Lauf der Welt.
Nach Sauerborn sprachen ein
Vertreter der internationalen Hafenarbeitstreiks, Tom Adler, linker
Betriebrat und Vertrauensmann bei Daimler Mettingen sowie Wolfgang
Schaumberg von der GOG-Bochum.
Das Referat zum
Hafenarbeiterstreik verdeutlichte die Möglichkeit von Teilerfolgen
gegen die Angriffe von Regierungen, Kapital und EU-Kommission, trug
aber wenig zur späteren Debatte bei.
Adler und Schaumberg hielten
mit ihrer Kritik an der Bürokratie und deren Ausverkauf wenig hinter
dem Berg. Tom Adler forderte ein stärkeres Sichtbarwerden der Linken
und koordinierteres Vorgehen. Schaumberg brachte
Elemente einer Kapitalismuskritik ein, enthielt sich aber jeder politisch-organisatorischen
Schlussfolgerung.
Nach der Mittagspause trug
der Wiesbadener Betriebsrat Jakob Schäfer seine Thesen zu einer
grundlegenden Änderung der Arbeitsweise der Gewerkschaftslinken vor.
In der folgenden mehrstündigen Debatte – die einzige am ganzen Tag! –
trafen die verschiedenen Positionen in der Gewerkschaftslinken
aufeinander.
Die Strömung um Riexinger geriet in die Defensive. Eine bessere Koordinierung
und gemeinsame politische Akzente wären seiner Auffassung nach
verfrüht, weil die Gewerkschaftslinke noch nicht gut genug verankert
wäre. Dieser These schlossen sich auch die Links-SyndikalistInnen
an (sofern sie überhaupt an der Debatte teilnahmen).
Dem hielten Vertreter des
kämpferischen Flügels entgegen, dass die Gewerkschaftslinke gerade im letzten Jahr
versagt habe, öffentlich und für die KollegInnen
sichtbar eine Alternative zur Bürokratie darzustellen, dass ihre
Stagnation auf mangelnde Aktivität und eigenes Profil zurückzuführen
sei und dass dieser Zustand nur überwunden werden könne, wenn sie
sich an den Erfordernissen des Abwehrkampfes orientiere. Erst dann
würde sie für Viele zu einer realen Alternative.
Die Debatte endete mit einem
"zeitlichen Abbruch" durch
die Diskussionsleitung, die Jakob Schäfer ein Schlusswort verbot und
trotz Protesten auch die Einrichtung einer Arbeitsgruppe zu seinen
Thesen unterband. Ein weiteres Beispiel für den Mangel an Demokratie
auf diesen Treffen, der fast genauso eklatant wie bei der "wirklichen Gewerkschaft" ausfällt.
Die Abschlusserklärung
Der Druck aus dieser
Diskussion führte aber immerhin dazu, dass der Kongress am Ende
beschloss, die Forderungen des linken Flügels in die Abschlusserklärung
aufzunehmen.
So heißt es dort:
"Die Gewerkschaftslinke ist heute wichtiger denn
je! Wir rufen auf, in allen Orten Gruppen und Foren zu bilden und zu
stärken, Veranstaltungen durchzuführen und für eine Wende der
Gewerkschaftsbewegung zu kämpfen. Wir haben beschlossen, in den
nächsten Monaten einen weiteren Kongress abzuhalten.
Wir werden eine Plattform entwickeln und Strukturen
aufbauen, um
– kämpfende Belegschaften solidarisch zu unterstützen;
– aktive Gruppen vor Ort zu vernetzen und zu stärken;
– öffentlich Position zu ergreifen;
– in Aktionsbündnissen für breite Mobilisierungen
gegen die Angriffe der Regierung und der Unternehmer zu wirken und
eine politische Alternative zur Unterwerfung und Anpassung an dieses
System, eine Alternative zum Kapitalismus, seiner Ausbeutung und
seinen Krisen zu entwickeln."
Dass diesen Worten auch
Taten folgen, liegt freilich am weiteren Eingreifen all jener, die
aus der Gewerkschaftslinken eine wirkliche, klassenkämpferische
Opposition machen wollen.
Anmerkungen:
„Express“
ist eine monatlich erscheinende Zeitung und neben der linkssozialdemokratischen
(früher eurokommunistischen) Monatszeitschrift „Sozialismus“ und dem neu gegründeten
„Netzwerkinfo“ der Gewerkschaftslinken, eine ihrer drei wichtigsten
Publikationen. Sie entstand Anfang der 70er Jahre als Verschmelzung eines
Gewerkschaftsbulletins der 4.Internationale und einer Zeitung des
Sozialistischen Büros (SB). Während „Sozialismus“ mehr das Organ von Apparatlinken
ist, handelt es sich bei „Express“ mehr um das „Sprachrohr“ von radikaleren
linksoppositionellen Basisgewerkschaftern, Betriebsräten und Vertrauensleuten.
GOG steht
für „Gegenwehr ohne Grenzen“ (früher „Gewerkschaftsoppositionelle Gruppe“,
zwischenzeitlich „Standorte-Gruppe“), eine linke
Betriebsgruppe bei Opel Bochum, die dort Anfang der 70er Jahre entstand und
über einigen Einfluss im Werk verfügt. Als oppositionelle Liste erzielte sie auch
bei den Betriebsratswahlen immer wieder Wahlerfolge, was dazu führte, dass
zahlreiche GOG-Aktivisten und –Betriebsräte auf Jahre
hinaus aus der IG Metall ausgeschlossen wurden.
RSB =
Revolutionär-Sozialistischer Bund = die linkere und größere der beiden
deutschen Sektionen der offiziellen 4.Internationale. (Organ: „Avanti“)
SAV =
Sozialistische Alternative Voran = ebenfalls eine trotzkistische Organisation,
allerdings die deutsche Sektion des Comitee for a Workers International
(CWI), das einst von der Militant Tendency in der
britischen Labour Party gegründet wurde. Die SAV erzielte einige Aufmerksamkeit
durch einzelne Kommunalwahlerfolge in Bremerhaven, Aachen und Rostock, wo sie jeweils
ein Stadtratsmandat erringen konnte. Laut dem bundesweiten Verfassungsschutzbereicht
von 2003 hatte sie in jenem Jahr 380 Mitglieder (Organ: „Solidarität“). Beteiligt sich am Aufbau der Wahlalternative Arbeit
und Soziale Gerechtigkeit (WASG).