Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:


Lange wurde von unterschiedlichster Seite darüber gerätselt, was der durch seine beharrliche Verteidigung des Kündigungsschutz-Status Quo zu enormem Ansehen in der italienischen Bevölkerung gelangte wichtigste Gewerkschaftsführer Sergio Cofferati (CGIL) nach seinem altersbedingten Abtritt als CGIL-Chef politisch machen würde. Im Rahmen einer Breitseite ausführlicher Interviews für verschiedene italienische Tageszeitungen Anfang August enthüllte er nun im “Corriere della Sera” vom 5.8.2002 seine politisch-strategischen Vorstellungen. Und - das können wir bereits vorwegnehmen - sie waren insgesamt weitaus kläglicher (und rechter) als von dem Mitglied des linken Flügels der (seit langem in der Neuen Mitte angesiedelten) Linksdemokraten (DS) - d.h. dem ehemaligen rechten Mehrheitsflügel der 1990 aufgelösten KP - erwartet worden war. Trotzdem bzw. gerade deshalb sind sie unseres Erachtens, vor dem Hintergrund der besonders weit entwickelten / zugespitzten sozialen Auseinandersetzung in Italien, auch für das übrige Westeuropa von beachtlichem Interesse und Aussagewert.



Politik und Gewerkschaft - Das Interview:


Ein einziger Führer für das neue Olivenbaum-Bündnis. Das Programm schreiben 20 Weise.”


Cofferati: Man muß auch die Antiglobalisierer, die girotondisti <Veranstalter und Teilnehmer der Demonstrationsreigen für die Autonomie der bürgerlichen Justiz, gegen Korruption und für bürgerlichen Medienpluralismus> und die Intellektuellen einbeziehen.

Die Ablehnung des alten politischen Führungsmodells <Alle auf einem “Ticket”>: Das Problem muß überwunden werden. Das ist eine alte Formel.


Also Cofferati, es ist ein Olivenbaum-Bündnis im “CGIL-Stil”, das man in den letzten Tagen in der parlamentarischen Auseinandersetzung um den Cirami-Gesetzentwurf erlebt hat. Zahlt sich eine so harte Opposition aus ?


“Ich denke: Ja. Das, was Sie den CGIL-Stil nennen, ist für mich die kohärente Haltung einer Gewerkschaft. Ihre Funktion ist mit der der politischen Kräfte nicht gleichzusetzen. Die Gewerkschaften streben mit den Tarifverhandlungen danach die Bedingungen der Personen, die sie vertreten, zu verbessern. Das Verhandeln und - möglicherweise - die Übereinkunft sind unsere natürliche Übung. In den letzten Monaten haben die Bedingungen gefehlt, um Abkommen abzuschließen. Im Verhalten der CGIL hat es eine große und rigorose Gradlinigkeit gegeben. Die Gewerkschaft muß nach dem Abkommen streben, aber nicht nach einem x-beliebigen Abkommen. Vielleicht führt das dazu das Verhalten des Olivenbaum-Bündnisses dem unseren anzugleichen.”


Es ist eine von großer Entschiedenheit gekennzeichnete Haltung. Eine Opposition, die gerade Sie für der Sache angemessen halten, die aber dem Klima des Landes vielleicht nicht immer guttut.


“Das sind - sowohl für die Gewerkschaft wie für die Politik - triftige Haltungen. Da setzt man sich nur angesichts realer Probleme auseinander und bringt Gegenvorschläge vor. Wenn aber eine objektive Frage existiert oder die grundlegenden Rechte, wie der Artikel 18 oder die Verfassungsnormen, angegriffen werden, ist es unerläßlich ‚Nein‘ zu sagen. Oftmals schwankt die Politik bei der falschen Suche nach der Alternative um jeden Preis, weil die Verteidigung des Existierenden als ein Akt der Konservierung betrachtet wird. Es handelt sich dabei um einen falschen und gefährlichen Reflex.”


Soll das heißen, daß das Olivenbaum-Bündnis bisher zu nachgiebig war ?


“Bei einigen Gelegenheiten: Ja. Manchmal hat man in der Vergangenheit die etwas abstrakte Vorstellung von der Auseinandersetzung akzeptiert und daher wurde die Opposition so gemacht, daß man Vermittlungen versucht oder Alternativen aufgezeigt hat, wo es nicht sinnvoll oder angemessen war. Zum Beispiel glaube ich, daß es ein Fehler gewesen ist, einer ganz unzuverlässigen Regierung gegenüber Gesprächsbereitschaft in bezug auf die institutionellen Reformen zu zeigen. Ich habe den Eindruck, daß das, was in der letzten Zeit als härtere Gegenposition erscheint, nichts anderes als die Rückkehr zu dieser banalen Dialektik ist.”


Wie es auch durch eine, in Corriere della Sera veröffentlichte, Untersuchung von <dem bekannten italienischen Meinungsforscher> Mannheimer verdeutlicht wurde, gefällt eine härtere Opposition, wie Sie sie verkörpern, dem Großteil der Mitte-Linken, erweitert aber nicht die Zustimmung.


“Ich würde die Richtigkeit einer Position niemals auf der Grundlage einer kurzfristigen Rückkehr beurteilen. Weder in der Politik noch in den sozialen Beziehungen. Der Kampf der CGIL zur Verteidigung und Ausweitung der grundlegenden Rechte erschien anfangs minoritär. Heute bezieht er dagegen sehr sehr viele Personen ein. Selbstverständlich muß die Auseinandersetzung immer nach dem Maximum an möglicher Kohärenz / Glaubwürdigkeit streben. Und um die eigenen Positionen herum muß man immer versuchen, die Zustimmung zu schaffen, um das Resultat zu erreichen. Wenn die Vermittlung dazu führt, daß man den Ausgangspunkt aus dem Blick verliert, dann entstellt sie die Positionen. Also verliert man. Man hält die Initiative des Gegners nicht auf und man verliert die eigene Identität. Und man erhält sich nicht die ursprüngliche Zustimmung. In der Politik darf man dann, wenn man Opposition gegen gravierende Maßnahmen betreibt, die Auseinandersetzung niemals allein auf die parlamentarische Debatte reduzieren. Man muß die eigenen Optionen mit gezielten und wirkungsvollen politischen Masseninitiativen in der Gesellschaft mit Leben erfüllen.”


Wie auch immer, das Problem ist es, zu gewinnen. Also ist es besser, ein breites und weniger kompaktes und hartes Lager zu haben, das Mehrheit im Lande sein kann oder rigoroser, aber minoritär ?


“Es gibt keinen Zweifel: Man muß das breitestmögliche Lager haben und gewinnen. Aber das ist der Endpunkt. Der Ausgangspunkt ist, wie ein breites Lager zu erhalten und zu gewinnen ist. Heute ist das erste in Angriff zu nehmende Problem das des institutionellen Modelles. Es gibt einen Willen zur Rückkehr zum Verhältniswahlrecht. Das ist ein Problem, das - wenn es nicht gelöst wird - Gefahr läuft das zu verfälschen, was danach kommt. Ich habe den Eindruck, daß ein nicht kleiner Teil der politischen Vertretung im Mehrheitswahlrechtssystem lebt, sich dabei jedoch so verhält als ob es noch das Verhältniswahlrecht wäre und denkt, daß dies nur eine Übergangsphase sei. Ich denke, daß die definitive Entscheidung für das Mehrheitswahlrecht die wirkungsvollste Lösung wäre, um Stabilität zu geben. Wenn man also die bipolare Ordnung neu bestätigt, müssen sich die Lager mit einem mittel- und langfristigen Projekt ausstatten, das dann zum Wahlprogramm wird. Die Opposition muß eine außerordentliche Anstrengung unternehmen, um sich mit diesem Projekt zu versehen und damit das Problem des Ausgangspunktes gelöst zu haben: Mehrheitswahlrecht mit bipolarer Ordnung. Andernfalls endet die Politik bei den Verlockungen der Kurzfristigkeit, was sich besser für den trasversalismo (die parteiübergreifenden Übereinkünfte) eignet. Das ist gefährlich.”


Also zuerst das Programm und dann die Führung.


“Ja. Heute gibt es Kräfte, die zusammen waren und sich dann in unterschiedlicher Weise artikuliert haben. Und es gibt eine radikale Linke, die an einem Wahlvorhaben teilgenommen, aber niemals beschlossen hat, sich <mit der Mitte-Linken auch organisatorisch> zu vereinen. Rifondazione Comunista bestätigt, daß dies ihre Entscheidung ist. Legitim. Jene Partei hat ein eigenes - und anderes - Projekt. Die anderen müssen sich, nachdem sie dies zur Kenntnis genommen haben, ihr eigenes Programm geben. Angesichts der Wahlen werden sich die Programme dann auseinandersetzen, um einen Berührungspunkt zu finden. Unnütz sich mit dem unrealistischen Vorhaben aufzuhalten, ein einziges Programm zu haben.”


Das heißt kein großes Olivenbaum-Bündnis.


“Wenn ich - als Wahlbürger - vom Großen Olivenbaum-Bündnis spreche, das ich mir wünsche, halte ich es für absehbar, daß Rifondazione ihre Identität und ihre externe Positionierung behält. Aber alle Anderen, von Di Pietro bis zu den Comunisti Italiani <PDCI = kleine, von Armando Cossutta und Oliviero Diliberto geführte, im Oktober 1998 entstandene Rechtsabspaltung von Rifondazione>, die bereits an einem gemeinsamen Experiment teilgenommen haben, haben die Bedingungen und das Erfordernis zu versuchen, heute das Neue Olivenbaum-Bündnis zu schaffen.”


Wie <kann man> dieses Subjekt schaffen ?


“Ausgehend vom Projekt. Das ist nicht einfach, aber es gibt keine Alternative. Man braucht den Beitrag einer Gruppe angesehener Personen, die für die Kulturen und die Sensibilitäten repräsentativ sind, die historisch in diesem Bogen von Kräften vorhanden sind. 20 wären ausreichend. Je höher das Profil des Versuches ist, um so besser sind die entsprechenden Probleme - die von heute - zu lösen. Und es muß sofort gemacht werden, weil es 2004 die Europawahlen gibt, 2005 die Kommunalwahlen und 2006 die Parlamentswahlen.”


Welche Art von Reformismus sollte aus diesem Programm hervorgehen ?


“Wenn man Europa betrachtet, glaube ich, daß man z.B. von dem Weißbuch ausgehen kann, das von Jacques Delors vor 10 Jahren erarbeitet wurde. <Das heißt von> Der Idee der Wirtschaft und des Wissens als Fundament der ökonomischen und sozialen Ordnung Europas, der gleichzeitig eine institutionelle Ordnung zu geben ist. In der Praxis <bedeutet das> eine Reihe von Entscheidungen, die das Gegenteil dessen sind, was die Rechten In Europa vorschlagen: der Idee eines Wachstums, das auf der Reduzierung oder der Zerstörung von Schutzbestimmungen und Protektionen basiert.”


Kommen wir zu dem von diesem, aus 20 Persönlichkeiten des Olivenbaum-Bündnisses zusammengesetzten, “Komitee der Weisen” vorbereiteten Projekt zurück.


“Einem Projekt, das Italien als Teil Europas betrachtet. Unsere Vorstellung muß die eines sozialen Europas sein, das das enge Tor der Einheitswährung durchquert, um sich eine, durch die Charta der Rechte ergänzte, Verfassung und ein Sozialmodell zu geben. Ein anderer wichtiger Aspekt: Bei der stufenweisen Schaffung des Programmes muß sichergestellt sein, daß die Initiatoren eine weitere innovative Entscheidung fällen, d.h. ein System von Beziehungen zu Subjekten aufbauen, die sich von der politischen Vertretung unterscheiden. Ich denke da an die Subjekte, die sich in den letzten Monaten - in der einen oder anderen Weise - auf der Bühne gezeigt haben: die Vereinigungen der Antiglobalisierer, die girotondi <= Demonstrations-Ringelreihen zur Verteidigung der Unabhängigkeit der bürgerlichen Justiz, des bürgerlichen Medienpluralismus und gegen Korruption> und die Intellektuellen-Bewegungen. Es handelt sich um Gruppen, die von der Idee einer Transformation ausgehen, die von der Bewahrung der Rechte und Werte begleitet wird sowie von Veränderungen und einer Transformation der Modalitäten und der Formen, mit denen jene Rechte und jene Werte zu respektieren und zu konsolidieren sind. Sie tun dies - verglichen mit der Tradition - in ziemlich neuer Form. Es sind durchaus auch sehr magma-artige Subjekte, die sich nicht selbst in der Politik repräsentieren wollen. Im Gegenteil, sie fordern von der Politik, daß ihre Forderungen bestmöglich zusammengefaßt und übernommen werden. Das ist eine außerordentliche Gelegenheit, die die Politik nicht verpassen darf. Also bedarf es bei der Schaffung jenes Projektes der Beiträge aller und man muß sich ein System von Beziehungen ausdenken, das auf dem gegenseitigen Respekt und der gegenseitigen Anerkennung, ohne Instrumentalisierungen basiert. Die Politik darf sich nicht an die Stelle jener Formen setzen, sie hegemonisieren oder sie einverleiben. Nur so wird man ein solides Netzwerk schaffen, das sich vom System der politischen Vertretung her dem Sozialen öffnet. Ich halte die Funktion der Parteien für fundamental, aber ihre historische Funktion muß wiederbelebt werden.”


An dem Punkt wird man über die Führung sprechen können.


“Wenn das Projekt definiert ist, wird eine kleine Gruppe anerkannter- weil für die vielen Sensibilitäten repräsentativer - Personen nötig sein, um das alles zu leiten. An dem Punkt wird man auch das überwinden, was heute ein Problem zu sein scheint, das die alte Formel nach sich zieht: das Ticket. Ein gerechtfertigtes Programm, wenn es ein hohes Profil hat und geteilt wird, eine Mannschaft und ein Führer.”


Ein Führer, einer ... ?


“Ja. Weil es an dem Punkt das von allen geteilte Programm ist, das alle diejenigen legitimiert, die sich daran beteiligt haben, um das Universum repräsentieren zu können, das sich mit jenem Programm identifiziert.”


Ein durch Vorwahlen <nach US-amerikanischem Muster> gewählter Führer oder wie ?


“Das wird man dann sehen. Das ist an diesem Punkt unwichtig.”


Welche Rolle wird Cofferati haben ? Was wird die Di Vittorio-Stiftung machen, die Sie leiten werden, wenn Sie die Führung der CGIL verlassen ?


“Ein Thema, das mehr Aufmerksamkeit verdient, ist das des Verhältnisses zwischen der politischen und der sozialen Vertretung in einem bipolaren <Parteien-> System. Die Ausübung der eigenen Souveränität und der eigenen Autonomie in einem bipolaren System hat ganz andere Modalitäten und Charakteristika als jene, die es beim Verhältniswahlrecht hatte. Wenn es entgegengesetzte Lager geben wird, die sich die Wählerstimmen streitig machen, muß die Gewerkschaft die eigene Vorstellung von Gesellschaft mit ihren Programmen messen und kann keinen Bezug auf die Entscheidungen der Lager abwärts der Wahlen herstellen, wie es beim Verhältniswahlrecht geschah. Die Dynamik der Beziehungen verändert sich und nur ein echtes (wenn auch begrenztes, aber definiertes) Projekt wird dafür sorgen, daß die Gewerkschaft von den Lagern autonom bleibt. Ich bin nicht agnostisch. Ich glaube, daß die Stiftung einen Beitrag zu all dem leisten kann.”


Diese Stiftung ja, aber Sie <auch> ?


“Wenn Sie sich auf das politische Engagement beziehen, denke ich an Formen, die sich von den traditionellen unterscheiden. Ich bedanke mich für die Beachtung, aber ich will die Vorstellung einer Vermischung von Politik und sozialer Vertretung abwenden, die von der Mitte-Rechten in instrumenteller Weise verbreitet wird. Und auch wenn die Autonomie der CGIL, jenseits dessen was ihr Generalsekretär tun wird, nachweisbar ist, will ich denjenigen auch keinen unfreiwilligen Beitrag leisten, die sagen, daß ich die Dinge, die ich in den letzten Monaten getan habe, mit Blick auf meine politische Zukunft getan hätte.”


Antonio Macaluso



Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

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