Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Die
Antiglobalisierungsbewegung rühmt sich gern die „Schwächen“ der „alten Linken“
überwunden zu haben und ihr überlegen zu sein. Tatsächlich zeichnet sie sich im
Gegensatz zu dieser allerdings in der Regel durch eine erstaunliche
Geschichtslosigkeit, eine mangelnde Fähigkeit zur kritischen Auswertung der
eigenen Erfahrungen und dem Ziehen von Konsequenzen aus. Auch wenn in den
letzten 3 Monaten (insbesondere nach dem nicht sehr erbaulichen ESF in London)
ein gewisser Trend zu selbstkritischer und kontroverser Auseinandersetzung in
der No global-Öffentlichkeit zu beobachten ist, bleibt diese doch – angesichts
der manifesten Krise – noch immer weit hinter dem Erforderlichen zurück.
Beispielhaft ist auch, wie wenig die Erfahrung des großen Vorbilds der
Bewegung (der brasilianischen Arbeiterpartei, der Lula-Regierung und der
mittlerweile abgewählten linken Stadtverwaltung von Porto Alegre) kritisch
ausgewertet oder überhaupt nur diskutiert wird. Zwar kommt auch hier in den
letzten Wochen etwas Bewegung in die Szenerie, doch verglichen mit dem Hype um
die „partizipative Demokratie“ und die „Alternative zum
Neoliberalismus“ ist die Debatte weiterhin sehr bescheiden und wird zudem
vor allem von Vertretern jener viel gescholtenen „alten Linken“ vorangetrieben.
Quantitativ wie qualitativ kein Vergleich zu den Diskussionen, die es in der
Linken und der Arbeiterbewegung zum Thema Oktoberrevolution und der Entwicklung
Sowjetrusslands gab.
Um dies
ein wenig zu ändern und die Diskussion anzuregen, wollen wir hier die
Einschätzungen und die taktische Konzeption von Joao Pedro Stedile
bekannt machen, einem der Köpfe der brasilianischen Bewegung der Landlosen
(MST) und wichtigsten Exponenten der sozialen Bewegungen in Brasilien. Das
erste Interview entstammt der von Rifondazione Comunista herausgegebenen
Tageszeitung „Liberazione“ vom 5.12.2004:
Stedile:
„Das sind die Gründe für die Krise der Lula-Regierung und der brasilianischen
Linken.“
Interview mit dem Führer der
Bewegung der Landlosen (MST)
„Die Agrarreform ist lahm
gelegt. Solange diese Wirtschaftspolitik beibehalten wird, ist eine ernsthafte
Reform unmöglich.“ Joao Pedro Stedile, der Führer der Landlosen Brasiliens
schlägt einen ungeduldigen Ton an. Dies ist die Strategie: Sich am Bruchpunkt
zeigen, ohne den Bruch <mit
Lula> wirklich herbeizuführen. Druck
auf Lula ausüben, damit der zeigt, dass er zumindest etwas von seinen großen
Versprechen verwirklicht, die er gemacht hat, bevor er zum Präsidenten gewählt
wurde.
Wenn die Lula-Regierung
einen Berater nach dem anderen verliert und dabei in der Krise die Balance
hält, ohne jemals durch größere Proteste auf der Straße in die Enge getrieben
worden zu sein, dann liegt das zum Teil auch an der Rücksichtnahme der Sem
Terra (Landlosen), die ihr bislang sicher ist.
Die größte Bauernbewegung
der Welt ist eine der Organisationen mit der stärksten Mobilisierungsfähigkeit
Brasiliens. Ende der 70er Jahre aus den Kämpfen um die Landreform entstanden,
hat sie niemals ausdrücklich für die Regierung Partei ergriffen. Nach der Wahl
Lulas, des Gründers der Arbeiterpartei (PT), der von den Sem Terra
massenhaft gewählt wurde, hat sie beschlossen, weiterhin Latifundien
(Großgrundbesitze) zu besetzen, um damit politischen Druck auszuüben und die
Verteilung der Ländereien zu erreichen. Nun, da zu den Protesten der PT-Linken
gegen Lulas Amtsführung die Rücktritte gemäßigter Persönlichkeiten aus dem
Gefolge des Präsidenten hinzukamen (der katholische Schriftsteller Frei Betto
als Erster – er ging, weil er die übermäßige Zögerlichkeit in der Sozialpolitik
kritisiert), hat sich die Debatte unter den Sem Terra über die
Positionierung gegenüber der Regierung aufgeheizt.
Was passiert derzeit in
der Lula-Regierung ?
„Lula wurde mit dem Auftrag
gewählt, das neoliberale Modell zu ändern. Das was er getan hat, war ein
Klassenbündnis zu schaffen und eine Regierung der Mitte zu bilden. Mit rechten,
zur Mitte gehörenden und linken Ministern. Wenn man das von diesem Standpunkt
aus betrachtet, befindet sich die Regierung nicht in der Krise. Viele von
denen, die Lula zum Präsidenten gewählt haben, weigern sich einzugestehen, dass
seine Regierung eine Regierung der Mitte ist – obwohl sie auch einige
Führungsmitglieder der PT so bezeichnet haben.“
Es gibt Jene, die
behaupten, dass Lula sich darauf vorbereite, mit Hilfe einer politisch –
verglichen mit der jetzigen – nach rechts abgedrifteten politischen Allianz für
eine zweite Amtszeit wiedergewählt zu werden. Und dass er mit dieser
Perspektive regiere. Ist das so ?
„Ich möchte die politische
Debatte nicht als Gefangene der Analyse der parteipolitischen Elite sehen. Im
Mittelpunkt der Diskussion muss das Nichtvorhandensein eines
Entwicklungsprojektes stehen. Das ist das Problem. Die Linke ist in der Krise.
Es ist notwendig eine große Anstrengung zu unternehmen, um die sozialen Kräfte
dazu zu bringen, über die Frage zu diskutieren wie der wirtschaftlichen und
sozialen Krise zu begegnen ist. Es muss ein Volksprojekt geschaffen werden,
dass es erlaubt die Kräfte zu vereinen und Zustimmung zu schaffen. Wenn es uns
nicht gelingt, einen Weg zu finden, werden die vom Neoliberalismus angebotenen
Modelle weiterhin die Hegemonie über die Gesellschaft ausüben.“
Wie sieht die Position
der Landlosenbewegung gegenüber der Regierung in dieser Phase aus ?
„Wir sind eine soziale
Bewegung. Wir müssen uns nicht wie eine Partei verhalten, die die Pflicht hat,
zu erklären, ob sie sich in Opposition zur Regierung befindet oder diese
unterstützt. Wir sind unabhängig. Wir agieren eigenständig. Unsere Aufgabe ist
es weder die Regierung zu verteidigen noch sie anzugreifen. Sie besteht darin die
Leute in einem Kampf zu organisieren und sie zu mobilisieren, um konkrete
Probleme zu lösen. Wir üben Druck aus, damit die Regierung das Land verwaltet,
um konkrete Probleme zu lösen. Wenn sie das nicht tut, kritisieren wir sie. Wir
haben die Absicht so weiter zu machen.“
An welchem Punkt befindet
sich die Agrarreform ?
„Sie ist lahm gelegt. Leider
gibt es keine Schritte vorwärts und zwar aus zwei fundamentalen Gründen: Vor
allem treffen alle Programme der Regierung zugunsten der Armen auf enorme
Schwierigkeiten – rechtlicher und bürokratischer Art. Sie stoßen auf
gegnerische politische Willen. Das geschieht, weil die Verwaltungsschiene
historisch gebildet wurde, um die Reichen, die Elite zu schützen. Der zweite
Grund betrifft den Charakter der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik, die in
Kontinuität mit dem neoliberalen Modell entwickelt wird, dessen Konsequenzen
die Konzentration der Rendite, die Arbeitslosigkeit und die Verengung des
Binnenmarktes waren. Die Agrarreform ist im Gegensatz dazu eine Maßnahme zur
Umverteilung des Reichtums, dient dazu den Bauern Arbeit zu geben und den
Binnenmarkt für Nahrungsmittel zu stimulieren. Solange diese Wirtschaftpolitik
beibehalten wird, kann man die Agrarreform nicht verwirklichen. Das ist die
Sackgasse. Und das ist der Grund für unsere Kritik an der Regierung Lula.“
Vergangene Woche sind auf
einem besetzten Großgrundbesitz in Mina Gerais 5 Bauern getötet worden. Was ist
genau geschehen ?
„Es handelte sich um eine
angekündigte Tragödie, weil der Großgrundbesitzer, der jenes Land für sich
beansprucht, uns seit Monaten bedroht hat. Das ist auf einem Staatsbesitz
geschehen, der der Regierung von einer Privatperson geraubt wurde. Die Arbeiter
haben ihn besetzt und die Regierung aufgefordert, den Besitz wieder zu
übernehmen, um ihn dann an die Bauern zu verteilen und private Wachleute haben
5 von ihnen getötet. Diese Morde vermitteln einen Eindruck von der
Straffreiheit, die die brasilianischen Latifundisten genießen und vom Grad
ihrer Vorherrschaft. Zum Glück hat sich die Polizei dieses Mal sehr
entschlossen gezeigt und die Verantwortlichen sofort verhaftet.“
Welche Bedeutung hat die
Niederlage der PT in Sao Paolo und in Porto Alegre bei den Kommunalwahlen vom
31.Oktober ?
„Das ist ein Problem der PT.
Den Landlosen missfällt einfach der Zuwachs für die rechten Parteien. Sicher
ist, dass in Porto Alegre, das traditionell links ist, die Niederlage einen
symbolischen Wert besitzt.“
Eine Analyse der
Ergebnisse von Lulas Sozialpolitik…
„Ich sehe keine
Veränderungen in der Sozialpolitik. Die wirtschaftlichen Entscheidungen haben
die Konzentration der Rendite, die Erhöhung der Arbeitslosigkeit, das Sinken
der Kaufkraft der Arbeiter und das Anwachsen der sozialen Ungleichheiten
begünstigt. Die Einzigen, die von dieser Politik profitieren, sind die Banken,
die Exporteure und die Transnationalen.“
Warum hat Lula Carlos Lessa als Präsidenten der Nationalen
Entwicklungsbank abgesetzt, d.h. der staatlichen Bank, die für 2004 über 13
Milliarden Euro verfügte, um Entwicklungsprojekte zu finanzieren ?
„Carlos Lessa hatte die
Kontinuität der wirtschaftspolitischen Entscheidungen der Regierung mit denen
der Vergangenheit öffentlich kritisiert. Deshalb konnte er die Nationalbank
nicht weiter leiten. Lula musste wählen: Entweder die Wirtschaftspolitik ändern
oder den Präsidenten der Bank auswechseln. Er hat die letztere Lösung gewählt.“
Welche Erwartungen hast
Du bezüglich des Weltsozialforums, das dieses Jahr <tatsächlich erst vom 26. bis
30.1.2005> wieder in Porto Alegre
stattfindet ?
„Sehr gute. Ich glaube, dass
die Beteiligung zunehmen wird. Die Idee ist, das Treffen um die Versammlung der
Sozialen Bewegungen kreisen zu lassen und zur Vereinbarung eines weltweiten
Kalenders gemeinsamer Kämpfe zu gelangen. Deshalb organisieren wir derzeit eine
Woche gemeinsamer Demonstrationen im April.“
Angela Nocioni
Zur
Ergänzung hier die (bislang noch unveröffentlichte) Übersetzung eines
Interviews mit Joao Pedro Stedile aus der linksunabhängigen italienischen
Tageszeitung „il manifesto“ vom 18.4.2004, das weitere Aspekte
der sozialen Realität Brasiliens unter der Lula-Regierung behandelt und
zugleich die Möglichkeit bietet, zu überprüfen, inwieweit sich Stediles (und
damit auch die Positionen des MST) in diesen knapp 8 Monaten verändert haben:
Interview:
„Lula allein genügt nicht“
Es spricht Joao Pedro Stedile,
Führer der Landlosenbewegung MST
Maurizio Matteuzzi
Joao Pedro Stedile ist der
charismatischste Führer des MST. Er hat klare Vorstellungen und bringt sie mit
absoluter Deutlichkeit zum Ausdruck, weshalb er sowohl als sehr feiner
politischer Kopf, aber auch – von gegnerischen politischen und journalistischen
Kreisen – als ein brandstiftender Radikaler angesehen wird. Für ein Interview
(per Telefon aus Sao Paolo) ist er der Ideale.
Die Zahlen des CPT
sprechen eine deutliche Sprache: 2003 war das gewalttätigste Jahr in der
Geschichte der Kämpfe um die Landreform und das Jahr 2004 kündigte sich
ebenfalls als schlecht an. Wie erklärst Du die Tatsache, dass im Anfangsjahr
des ersten linken Präsidenten die Zahl der getöteten oder verhafteten
Tagelöhner und Gewerkschafter gestiegen ist ?
„Auf dem Land existiert ein
Niveau permanenter Gewalt, die sich aus der ungerechten Struktur der Macht und
des Landbesitzes ergibt. Die Gewalt ist endemisch <d.h. eine ständige und
spezifische Erscheinung>, auch wenn
die Presse nur dann darüber berichtet, wenn es einen Toten gibt. Sie wird nur
dann beseitigt werden, wenn der Großgrundbesitz beseitigt wird. Die
Lula-Regierung kann für die Zunahme der Gewalt auf dem Lande nicht
verantwortlich gemacht werden. Mit Sicherheit hätte sie aber die Landreform
schneller einleiten können, die stattdessen stagniert.“
Im November 2003 wurde
der Nationale Agrarreformplan verkündet. Das hat die Landbesetzungen durch den
MST nicht aufgehalten, die im März 2004 alle Rekorde gebrochen haben…
„Der MST hat nur seine
Prioritäten neu gesetzt. Vorher haben wir uns darauf konzentriert, die
Organisationsarbeit der Bewegung in den Vordergrund zu stellen. Nun haben wir
begonnen, die Lautstärke der Kritik zu erhöhen und die Mobilisierungsaktionen
zu verstärken. Weil die Regierung 15 Monate verloren und sehr wenig für die
Agrarreform getan hat. Wir haben gesagt (und es der Regierung gegenüber
wiederholt), dass es eines kühneren Vorgehens bei der Enteignung des
Großgrundbesitzes bedarf. Sie und wir wissen, dass nur die Massenmobilisierung
zu Veränderungen in der Gesellschaft und auch in der Regierung führt. Wir
spielen nur unsere Rolle und führen Aktionen durch, die der Regierung nicht nur
bei der Agrarreform, sondern auch bei anderen sozialen Fragen helfen sollen.
Sonst wird die Regierung Lula ihre gesamten 4 Jahre als Geisel der Interessen
der herrschenden Klasse verbringen. Das heißt jener 2,4% der Familien, die 33%
des nationalen Reichtums zusammengerafft haben.“
Der MST ist im Januar 20
Jahre alt geworden und die Regierung Lula ein Jahr. Wie lautet Dein
Gesamturteil über den ersten linken Präsidenten in der Geschichte Brasiliens ?
„Die Regierung Lula
durchlebt, aus verschiedenen Gründen, die sich summieren, eine sehr komplexe
und ungünstige Konjunktur. Erstens leidet sie unter dem Erbe von 15 Jahren
Neoliberalismus und der Krise des Wirtschaftsmodells, die von 1980 herrührt und
zu einem Zerfall der Massenbewegung geführt hat. In diesem Rahmen war es eine
Überraschung, dass eine linke Partei die Wahlen im Oktober 2002 gewann. Es ist
das erste Mal in der Geschichte des 20.Jahrhunderts, dass eine linke Partei die
Wahlen bei einer zerfallenden Bewegung gewinnt. Das hat vom ökonomischen
Gesichtspunkt aus eine sehr schwierige Situation geschaffen und die Regierung
hat sich in eine Regierung der Mitte verwandelt. Dahinter steckt eine noch
schwierigere Krise: die Krise der brasilianischen Gesellschaft in ihrer
Gesamtheit, die über kein klares Projekt mehr verfügt. Wie einen alternativen
Weg zum Neoliberalismus und zur Abhängigkeit vom internationalen Kapital finden
? Nur durch einen starken Aufschwung der
Massenbewegung und der theoretischen Debatte kann man da herauskommen. Die
Regierung als solche zählt wenig. Lulas Aufgabe ist es, diese Debatte neu zu
starten und den Aufschwung der Bewegung zu begünstigen. Andernfalls wird er
allein dastehen und die Krise verwalten.“
Aber, wie sieht Deine und
die Meinung des MST in Bezug auf Lulas Wirtschaftspolitik aus ? Glaubst Du dem Diskurs, dass das erste Jahr
notwendig war, um die Wirtschaft zu stabilisieren und es ab dem zweiten Jahr
das geben wird, was er „die Wachstumsshow“ und damit auch die Antwort auf die
sozialen Fragen genannt hat ?
„Die Regierung Lula hat ihr
Mandat vor 15 Monaten zwischen Amboss und Hammer angetreten. Wenn sie Signale
des Wandels aussendet, droht das Finanzkapital mit neuen spekulativen Attacken.
Wenn sie keinen Wandel herbeiführt, bleibt alles so wie immer und das Kapital
fährt fort, Geld zu scheffeln. Und das Volk muss die Rechnung bezahlen. Nach 15
Monaten steckt sie noch immer in dieser Falle und sagt nicht, wie sie da rauskommen
will. Wenn sie da aber nicht herauskommt, wird die Situation sehr kompliziert
werden. Bisher war sie eine Geisel des internationalen Kapitals und das sieht
man. Die Wirtschaftspolitik der Regierung ist für das Volk und besonders für
die ärmsten Teile sehr schädlich. Es ist eine konservative Politik, die in
Kontinuität zu derjenigen von Cardoso steht. Es ist eine Politik, die zu einer
Senkung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) und zu einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit
geführt hat. Die Arbeitseinkommen sind um 15% gesunken und die
Industrieproduktion befindet sich auf dem Niveau von 1999. Wer hat davon profitiert ? Die Bankiers, die unter Lula einen Boom ihrer
Profite erlebten und die multinationalen Konzerne. Diese Wirtschaftspolitik ist
ein Desaster und wird für das brasilianische Volk zu einer Tragödie.“
Die prekäre Situation
Brasiliens hat dafür gesorgt, dass Lula – ein Mann der Linken – eine Regierung
auf die Beine stellen musste, die Du als Mitte bezeichnest. Welches sind die
besten und die schlechtesten Minister ?
„Die Schlimmsten von allen
sind ohne Frage die aus dem wirtschaftlichen Bereich. Das Paar Palocci –
Meirelles, d.h. der Finanzminister und der Zentralbankpräsident. Aber auch
Furlan (der Minister für Außenhandel) macht mit seiner idiotischen Fixierung
auf den Export keinen Scherz. Kein Land entwickelt sich nur dadurch, dass es
exportiert, sondern dadurch, dass es Güter und Dienstleistungen produziert, die
die Bedürfnisse der gesamten Bevölkerung befriedigen. An dritter Stelle kommt
der Landwirtschaftsminister Roberto Rodrigues. Er ist ein kompetenter Typ, nur
dass er sich wie der Präsident des Verbandes der 500.000 Fazendeiros <Großgrundbesitzer> verhält anstatt wie der Chef eines Ministeriums, das
sich mit den 5 Millionen Kleinbauern beschäftigen und für die gesamte
Bevölkerung arbeiten sollte. Zu den Besten ?
Der Beste war bislang Celso Amorim (der Außenminister). Weil er den Mut
hat, den Gringos entgegenzutreten. Dann Marina Silva (Umweltministerin),
die den Mut hatte unsere Umwelt und die Interessen des Volkes gegen die Monsato
und ein halbes Dutzend Holzgesellschaften zu verteidigen, die sich das
Amazonas-Gebiet aneignen wollten. Und an die dritte Stelle setze ich Marcio
Thomaz Bastos, den Justizminister.“
Glaubst Du, dass die
Agrarreform in den 4 Jahren von Lula abgeschlossen werden kann ?
„Jede Agrarreform ist ein
langer und komplexer Prozess. Die Tragweite der in den ländlichen Gebieten
Brasiliens angehäuften Probleme ist enorm. Es ist schwer zu glauben, dass man
in 4 oder 5 Jahren die Konzentration des Landbesitzes und des Großgrundbesitzes
beseitigen kann. Ich glaube allerdings, dass Lula ein umfangreiches
Agrarreformprojekt voranbringen könnte, dass auf der Enteignung der
Großgrundbesitze, der Schaffung kooperativer Agroindustrien und der
Demokratisierung der Bildung auf dem Land basiert. Diese Minimalziele zu
erreichen, hängt nach Ansicht des MST von der Fähigkeit zur Organisierung,
Mobilisierung und der Ausübung von Druck durch die Millionen <Kleinbauern und Landlosen> auf dem Land ab. Mit guten Vorsätzen erreicht man
gar nichts, weil die Regierung allein nicht die Kraft hat, um die Landreform
durchzuführen.“
Lula, der „companhero
presidente“ (Kollege / Kampfgenosse Präsident), hatte Euch im vergangenen
Jahr herzlich im Planalto-Palast, dem Sitz des Präsidenten, empfangen. Er hat
den MST allerdings auch viele Male gebeten, „Geduld zu haben“. Wieviel Geduld
hat der MST noch und was wird passieren, wenn die Geduld zu Ende ist ?
„Wir sind überzeugt, dass
Lula persönlich eine historische Verpflichtung gegenüber den armen Bauern in
Sachen Agrarreform verspürt. Auch deshalb, weil er weiß, dass eine Verleugnung
dieser Verpflichtung in dieser Phase der Meisterschaft sein politisches Ende
bedeuten würde. Letztlich sind wir als MST und Via Campesina nicht
sonderlich daran interessiert, was die Regierung und Lula selbst denken. Unsere
Aufgabe ist es seit 20 Jahren den Bewusstseinsbildungsprozess der armen Bauern
weiter voranzutreiben, sie zu organisieren und sie zum Kampf für die Eroberung
ihrer Rechte zu drängen. Das werden wir auch weiterhin tun. Egal, ob es Lula
gibt oder nicht.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
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