Gewerkschaftsforum Hannover:
Die Führungen des größten italienischen
Gewerkschaftsbundes CGIL und der ihr angehörenden Metallarbeitergewerkschaft
FIOM streiten offen und mit wenig Zurückhaltung um den politischen Kurs
gegenüber der Mitte-Links-Regierung Prodi, die auf
eine weitgehende Kontinuität mit der Politik Berlusconis setzt (wenn auch
softer präsentiert und sozialpartnerschaftlich verpackt). Da spitzt die
Bourgeoisie selbstverständlich die Ohren und die Tageszeitung des FIAT-Konzerns
„La Stampa“ sieht in einem
Kommentar vom 28.11.2006 gar „die tarifpolitische Funktion“
der Gewerkschaft und „die gewerkschaftliche Aktion“ „auf dem Spiel
stehen“ und erkennt (insbesondere bei der relativ linken FIOM)
verdammungswürdige „Fluchtbewegungen in die Ideologie“. Selbstlos und
besorgt wie er ist, hält Kommentator Giuseppe Berta auch gleich ein paar
Ratschläge bereit, wie solch ein „Abgleiten“ verhindert werden kann. Das
wiederum hat uns hellhörig gemacht, denn „befreundete Regierungen“ und
die Probleme mit ihnen gibt es nicht nur in Italien und „La Stampa“ ist unseres Erachtens gegenwärtig die
intelligenteste bürgerliche Tageszeitung auf der Halbinsel.
Meinungen:
Gewerkschaft: Regeln reichen nicht
Epifani hat
die FIOM aufgefordert sie einzuhalten. Auf dem Spiel steht allerdings die
gewerkschaftliche Aktion, die wieder beginnen muss auf dem Terrain der realen
Ökonomie und nicht der Politik zu verhandeln.
GIUSEPPE BERTA
Gestern
trat das Problem des Dissenses zwischen den führenden Funktionären der
Metallarbeiter und dem Generalsekretär des Gewerkschaftsbundes, Guglielmo Epifani, der die Ersteren zur Einhaltung der internen
Regeln aufforderte, offen zu Tage. Die manchmal deutlich zum Ausdruck
gekommene, manchmal untergründig vorhandene Spannung, die die Struktur der CGIL
in den letzten Jahren durchzog, war mittlerweile zu deutlich geworden als dass
man sie weiterhin stillschweigend hätte übergehen können. In der Geschichte der
CGIL bildeten die Metallarbeiter die Spitze des Diamanten, d.h. den Teil, der
sich selbst als die Avantgarde der Arbeiterbewegung verstand. Aus den Reihen
der FIOM kamen in der Vergangenheit einige der namhaftesten
Gewerkschaftsführer, angefangen bei Luciano Lama und Bruno Trentin
<beide ehemalige
CGIL-Generalsekretäre>.
Die Isolation als ideologische
Unterscheidung
Es handelt
sich allerdings um eine Geschichte, die seit langem vorbei ist. Die FIOM
scheint seit den Tagen, in denen einer der bekanntesten Männer der „Gewerkschaftslinken“
(Claudio Sabattini) die Branchengewerkschaft führte,
auf den ein nicht weniger radikaler Leader wie Gianni Rinaldini folgte, ihre Isolation innerhalb der CGIL als ein
Kennzeichen politischer Unterscheidung zu kultivieren. Das hat man bei der
Demonstration gegen die Prekarität am 4.November
gesehen, dem heutigen Stein des Anstoßes, als harte Parolen gegen den
Arbeitsminister Cesare Damiano gerufen wurden, der
ebenfalls der FIOM entstammt, allerdings Vertreter des Reformflügels war und
sich zu der Zeit von der CGIL entfernte als deren Führung in den Händen von
Sergio Cofferati lag.
Die
Versuchung besteht darin den aktuellen Gegensatz politisch zu interpretieren,
mit der CGIL die im wesentlichen für eine Regierung
Partei ergreift, die sie als „Freundin“
der Gewerkschaftszentralen betrachtet und einer vor allem mit dem
sozialen Antagonismus verbundenen FIOM. In vielen Kommentaren werden die
Streitigkeiten noch schematischer als ein Streit zwischen der Ausrichtung der
FIOM auf Rifondazione <Comunista> und den gemäßigteren
Neigungen der Führung des Gewerkschaftsbundes dargestellt.
Das ist
eine Lesart, die die Realität abreichert, weil sie alles auf eine
Auseinandersetzung zwischen der „Institutionsgewerkschaft“, die
hauptsächlich von der Dialektik mit der Regierung lebt, und der „Bewegungsgewerkschaft“ reduziert,
die den Kontakt zum Universum der COBAS und sogar den Centri
Sociali <von
linksradikalen Jugendlichen besetzte und selbstverwaltete
Soziale Zentren>
sucht.
Die tarifpolitische Funktion neu
lancieren
Aus dieser Kontraposition kann die Gewerkschaftsbewegung in ihrer
Gesamtheit nur herauskommen, wenn sie zu ihrer tarifpolitischen Funktion
zurückfindet, diese neu lanciert und die Fluchtbewegungen in die Ideologie
aufgibt, aber auch indem sie es vermeidet in den institutionellen Prozeduren
der Konzertierten Aktion eine Zuflucht zu finden. Es ist also nicht nur eine
Frage der Regeln, sondern der Rolle des gewerkschaftlichen Handelns. Man
erinnert sich nicht genug an die Tatsache, dass – vom Standpunkt der
Tarifpolitik aus – das Jahr 2006 auch deshalb im Gedächtnis bleiben wird, weil
nach zehn Jahren das neue betriebliche Abkommen bei FIAT unterzeichnet wurde.
Das bestätigt die Existenz eines Verhandlungsterrains in der Industrie, das
darauf wartet, wiederentdeckt zu werden. Dies ist der Prüfstein, bei dem sich
die Fähigkeit der Gewerkschaft zur Initiative erweist. Sie kann sich nur
dadurch erneuern, dass sie zu ihren Wurzeln und zu ihrem Daseinsgrund
zurückfindet, die weniger in der Politik als vielmehr in der Welt der realen
Ökonomie liegen.
Vorbemerkung, Übersetzung, Anmerkung und Einfügungen in eckigen
Klammern:
Gewerkschaftsforum Hannover