Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:

 

In der linken italienischen Tageszeitung „il manifesto“ vom 15.6.2004 veröffentlichte Rossana Rossanda den folgenden Kommentar zum Ergebnis der Europawahlen in Italien und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Linke. (Was die Wahlergebnisse anbelangt siehe den langen Vorspann zum nebenstehenden Interview mit dem Sekretär von Rifondazione Comunista, Fausto Bertinotti.)

Für alle, die sie nicht kennen: Rossana Rossanda ist mittlerweile 70 Jahre alt, lebt in Rom und war Ende in den 60er Jahren als Vertreterin des linken Flügels Mitglied des Zentralkomitees der italienischen KP (PCI). Nachdem sie Ende der 60er Jahre mit anderen zusammen ausgeschlossen wurde, widmete sie sich dem Aufbau der Zeitung und der kommunistischen Gruppe “il manifesto”, die zunächst moderat maoistisch, vor allem aber bewegungsorientiert war und später mit anderen Linken die Partei der Proletarischen Einheit (PdUP) schuf. Seit diese Partei Ende der 70er Jahre wieder auseinanderfiel, ist sie parteipolitisch nicht organisiert und konzentrierte sich auf ihre Tätigkeit als linke Journalistin und Publizistin. Lange Jahre war sie Chefredakteurin der Tageszeitung “il manifesto” und veröffentlicht auf deren Seiten bis heute regelmäßig Kommentare und Kolumnen. In deutscher Sprache sind von ihr zahlreiche Bücher und Broschüren erschienen, darunter: “Über die Dialektik von Kontinuität und Bruch – Zur Kritik revolutionärer Erfahrungen in Italien, Frankreich, der Sowjetunion ...” (Frankfurt/M. 1975), “Auch für mich – Aufsätze zu Politik und Kultur” (Hamburg 1994) und zusammen mit Pietro Ingrao: “Verabredungen zum Jahrhundertende – Eine Debatte über die Entwicklung des Kapitalismus und die Aufgaben der Linken” (Hamburg 1996).

 

Kommentar:

 

Spielraum eröffnet

 

Rossana Rossanda

 

Italien lässt sich nicht auf den Bipolarismus reduzieren. Das ist das erste Problem, das sich den beiden Koalitionen stellt, die sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen lieferten, deren Führer (Berlusconi und Prodi), die die Granaten dafür wären, allerdings eine herbe Enttäuschung erlitten haben. Der Erstere ist besiegt worden – der Einzige im Casa delle Libertà <Haus der Freiheiten = die regierende rechte Parteienkoalition> wirklich Geschlagene (und ohne den harten Wählersockel in der Lombardei und im Veneto wäre es ihm noch schlechter ergangen) – während der Zweite den Multiplikatoreneffekt der Kräfte des Olivenbaum-Bündnisses, der ihm zugeschrieben worden war, völlig verfehlt hat. Unter der Oberfläche tauchen erneut die Schösslinge der <1994 aufgelösten> Democrazia Cristiana (DC) und der <1995 aufgelösten> Sozialisten (PSI) auf, die <der Mitte 1992 aufgedeckte Schmiergeldskandal> Tangentopoli ausgerottet zu haben schien und sie liebäugeln sowohl mit der Rechten wie mit der Linken. Links vom Olivenbaum-Bündnis bleibt ein großes Wählerreservoir auf der Suche nach einer großen Partei.

 

Die Trübung der Führer spiegelt tieferliegende Widersprüche wider. Im Casa delle Libertà fungierte Berlusconi als Patron, als euroskeptischer Betriebswirt, der mit der <rechtspopulistischen> Lega Nord unter einer Decke steckt (das Symbol ist <Forza Italia-Finanzminister> Tremonti) und als Vermittler der Widerstände von Finis Alleanza Nazionale (AN) und Follinis <rechtschristdemokratischer> UDC in einer Person. Die auf seine Kosten belohnt wurden !  Wer wird von nun an vermitteln ?  Berlusconis arroganter Spruch: „Ich übernehme die Niederlage, aber ich gehe den Weg unbeirrt weiter !“, suggeriert, dass wir bis zu den Parlamentswahlen <im April 2006> das ganze Meinungsspektrum zu sehen bekommen werden.

 

Auch im Oppositionsbündnis läuft es nicht rund. Um das Haus der Freiheiten bei den Parlamentswahlen (und zuvor bei den Regionalwahlen) zu schlagen, werden Linksdemokraten (DS) und <die linksliberal-christdemokratische> Margerite gezwungen sein, mit den Kräften zu verhandeln, die links von ihnen stehen. Es wird allerdings nicht einfach werden ein Regierungsprogramm zu vereinbaren, das – im Unterschied zu den Programmen bei den Kommunalwahlen – sowohl die Frage der Stellung des Landes zu den Vereinigten Staaten als auch die des Sozialmodells behandeln muss. Das Emblem „Uniti nell’Ulivo“ (Vereint im Olivenbaum-Bündnis) wurde für das Schwanken in Sachen Irak-Krieg und für eine sozio-ökonomische Strategie bestraft, die Beschäftigung, Wohlfahrt und Sozialausgaben entsprechend den Verträgen von Maastricht und Amsterdam opfert und das mitten in einer Wachstumskrise. Es ist dasselbe, für das alle Regierungen auf dem Kontinent bestraft wurden. Das Europa der EU-Kommission, der EZB und der Verfassung wurde von rechts, vom Souveränitätsstreben der Euroskeptiker und von links, von der Welt der abhängigen Beschäftigung angegriffen, die weder gefragt noch gehört wurde. Competition is competition (Konkurrenz ist Konkurrenz) ist eine der für die europäischen Werktätigen desaströse Parole, die aus diesem Grund die Wahl von Blair, Schröder, Raffarin und bei uns nicht nur von Berlusconi verweigerten, weil das auch Prodis Slogan war. Daher ist vorhersehbar, dass – während man in einigen institutionellen Fragen (Verfassung, Richterschaft, Föderalismus und vielleicht Schulwesen) ohne große Hindernisse zu einem Abkommen zwischen dem (vereinten oder verschiedenen) Olivenbaum-Bündnis und den radikalen Linken gelangen kann, große Unterschiede bei der internationalen Stellung des Landes und beim Sozialmodell bestehen bleiben, wo die Margerite und ein Großteil der DS der UDC und den  Sozialisten <d.h. dem Teil, der sich Socialisti Uniti nennt, bei den Europawahlen 2% erhielt und auch zur Berlusconi-Koalition zählt> näher stehen als Rifondazione und den Comunisti Italiani (PdCI).

 

Schließlich gibt es die zu befürchtende Botschaft, die aus den Ländern des Ostens kam. Jene Bevölkerungen, denen zuerst durch die kommunistischen Regime und dann durch die wilde Liberalisierung die politische Beteiligung entzogen wurde und die nun in einer dramatischen Wahlenthaltung zum Schweigen gebracht wurden. Sie haben kein Vertrauen in niemanden mehr, höchstens in einige populistische Versuchungen und wollen aus Furcht vor Deutschland und Russland die treuesten Verbündeten der Vereinigten Staaten sein. Auch dort, wo das Referendum über Europa erfolgreich war, war die Wahlbeteiligung minimal.

 

In Italien, einem der wenigen Länder auf der Welt, wo man noch massenhaft zur Wahl geht, war sie das nicht. Sicher, Berlusconi hat genau das versucht, aber es handelt sich nicht nur um einen Fehler von ihm. Wir sind ein Land, das bei der Lust auf politische Repräsentanz noch eine Ausnahme darstellt. Es ist allerdings eine Ausnahme, die in vollem Umfang zu analysieren und auszuwerten ist. Welches wird, nun wo <FIAT-Präsident und Confindustria-Chef> Montezemolo es für richtig hielt Forza Italia zu exkommunizieren, die Vertrauenspartei der Bourgeoisie ?  Vor allem aber: Was kann zu Beginn des dritten Jahrtausends eine Linke links vom schwachen Olivenbaum-Bündnis sein ?  Es scheint, dass mindestens 15% der Italiener nach ihr verlangen. In den kommenden Tagen werden wir mehr als einen Vorschlag föderativer oder Gründungstreffen zu hören bekommen. Die Frage geht allerdings weit über den guten Willen hinaus und ist seitens der vorhandenen Kräfte bislang nicht gelöst worden. <Rifondazione Comunista-Sekretär> Bertinotti schlägt vor, dass sie ein Auffangbecken für die Bewegungen ist. <PdCI-Sekretär> Diliberto wird entscheiden müssen, ob er ein Erbe des realen Kommunismus ist oder nicht und warum dieser implodierte. Die neuen Subjekte haben die Frage einer Vertretung auf unbestimmte Zeit verschoben. Alle Probleme werden auf die Spitze getrieben. Berlusconis Niederlage hat sie glücklicherweise auf die Tagesordnung gesetzt.

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover