Antifa-AG der Uni Hannover:

 

Am 30.April 2006 brachte die linke italienische Tageszeitung „il manifesto einen Kommentar von Maurizio Matteuzzi zu den Beschlüssen des Dreier-Gipfels von Evo Morales, Hugo Chavez und Fidel Castro in Havanna. In einem Leitartikel vom 13.5.2006 geht er, anlässlich des europäisch-lateinamerikanischen Gipfeltreffens in Wien, nun auf einen Aspekt ein, den er zunächst ausgespart hatte: Die Spaltung der lateinamerikanischen Staaten in die von radikalen Linken, die von Mitte-Linken und die von rechten, US-treuen Kräften regierten. Dabei beschäftigt er sich nicht nur mit der Frage nach den weiteren Perspektiven, sondern liefert auch eine nüchterne politische Charakterisierung der mehr oder weniger linken Fraktionen.

 

Editorial:

 

Lateinamerika gespalten – auf der Linken!

 

MAURIZIO MATTEUZZI

 

Vielleicht zum ersten Mal musste sich Lateinamerika auf dem Wiener Gipfeltreffen mit der Europäischen Union gegenüber einer Position der Stärke präsentieren. In der Lage sein, gegen ein Europa, das Wasser predigt und Wein trinkt, seine Rechte auf politischem und sein Gewicht auf ökonomischem Gebiet geltend zu machen, um dafür zu sorgen, dass ihm nicht mehr das Merkmal des armen Verwandten und eines Territoriums der zu erobernden Reichtümern anhaftet, die es (trotz der Jahrhunderte langen Ausplünderung) immer noch zu einem Eldorado machen. Gestärkt war es dadurch, dass es demonstriert hat, nicht mehr nur der Hinterhof der Vereinigten Staaten zu sein und einige Auswege aufgezeigt hat, die dem verheerenden und räuberischen Neoliberalismus der letzten 20 – 30 Jahre zuwiderlaufen.

 

In Wien präsentierte sich allerdings ein gespaltenes Lateinamerika. Und eine gespaltene lateinamerikanische Linke.

 

Es ist unbestreitbar, dass sich Lateinamerika erneut an einer entscheidenden Kreuzung befindet. Die Wende der letzten Jahre in (mitte-)linke Richtung reicht nicht mehr aus, um die Probleme und Gegensätze zu verbergen. Probleme und Gegensätze, die sich wieder zugespitzt haben, ohne dass es den neuen Integrationsmechanismen gelungen wäre, sie zu lösen (oder besser noch: zu vermeiden). Eine Wende, die alte und neue Kontroversen ans Tageslicht brachte, die mit einer Vielzahl von Kriegen und Scharmützeln (auch in jüngster Zeit) sowie mit Forderungen verbunden sind, die die Beziehungen vergiften. (Was die alten anbelangt, genügt es an die ein Jahrhundert alte Kontroverse über den, von Chile verweigerten, Zugangs Boliviens zum Meer zu erinnern. Zu den neuen zählt die Auseinandersetzung zwischen Argentinien und Uruguay wegen der papeleras <d.h. den an der gemeinsamen Grenze in Bau befindlichen Zellulosefabriken>.)

 

Anfangs schien es so als ob der Brasilianer Lula, der Argentinier Kirchner, der Venezolaner Chavez, der Uruguayo Vazquez, der Bolivianer Morales und sogar die Chilenin Bachelet alle im selben Kessel steckten. Es schien als ob der Mercosur, der 1991 von Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay geschaffene ökonomische Markt des Südens (dem gegenwärtig Venezuela beitritt und zu dem Bolivien hinzu stoßen möchte, mit Chile als entferntem Assoziationspartner), auf dem holprigen Weg zur Integration Fortschritte machen und sich eine der EU ähnliche Struktur geben könnte anstatt mehr oder weniger auf dem Niveau einer Zollunion zu verharren. Es schien als ob sich die eindeutige Ablehnung der <Freihandelszone> ALCA Made in USA durch Lula und Kirchner mit dem Hyperaktivismus (auch auf ideologischer Ebene) von Chavez und nun auch von Morales verbinden könnte. Es hatte den Anschein als ob die 2004 in Cuzco gegründete „Südamerikanische Gemeinschaft der Nationen“ diesen Prozess beschleunigen könnte. Es schien, dass die indianische Intifada in den Andenländern und der von Chavez vorangetriebene Antiimperialismus in Lulas (und auch in Vazquez’) orthodoxer und in Kirchners unorthodoxer Sozialdemokratie münden könnten. Es schien als ob der Energienationalismus (das venezolanische Erdöl, das bolivianische Erdgas und die große lateinamerikanische Gaspipeline) ein Auto anspringen lassen könnte, das nun jedoch eine Panne hat. Ein – erwarteter und durchaus nicht revolutionärer – Schritt, wie die Nationalisierung  des bolivianischen Erdgases, hat ausgereicht, um einem Motor, der bereits am Schnaufen war, einen Kolbenfresser zu bescheren.

 

Um Lateinamerika wieder in Gang zu bringen, gibt es heute drei verschiedene „Mechanismen“: Einer ist der Mechanismus des Mercosur, der – da es in ihm keine Kompensationsinstrumente zugunsten der kleineren Mitgliedsstaaten gibt (es genügt an die EU-Strukturfonds für Portugal und Spanien zu erinnern) – Gefahr läuft, zwischen den Hegemonieversuchen der, wenn auch wesentlichen, „sozialdemokratischen“ Achse Brasilien – Argentinien und dem berechtigten Zorn der schwachen Kettenglieder Uruguay – Paraguay auseinander zu brechen. Der zweite vorhandene Mechanismus ist die Achse Chavez – Morales (mit Fidel Castro in der Rolle des großen Alten), die – auch wenn man die Idiotien in der <großen linksliberalen italienischen Tageszeitung> „la Repubblica über die „militaristische Linke“ beiseite lässt – ein sehr viel radikaleres, antiimperialistisches und anti-neoliberales (und auch sehr viel riskanteres) Projekt im Kopf hat. Der dritte Mechanismus ist eine alte bekannte: der Washingtoner Mechanismus, der – da es ihm nicht gelingt die Maschinerie ALCA in Gang zu setzen – jedem einzelnen Land seinen schönen Freihandelsvertrag auf bilateraler Ebene anbietet (bzw. aufzwingt). An ihn haben sich bereits befreundete Länder (wie das Chile des Sozialisten Lagos) oder Vasallen (wie Toledos Peru und Uribes Kolumbien) gewandt und andere sind versucht, dies zu tun (wie das Uruguay des Sozialisten Vazquez und wie Ekuador).

 

Lateinamerika wird seine Probleme auf der Linken lösen müssen. Weil – wenn es das nicht tut – es wieder zu dem Beuteland wird, das es für alle Conquistadores (Eroberer) immer gewesen ist.

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover