Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Giorgio
Cremaschi
ist nicht nur Mitglied des Nationalen Sekretariates der mit Abstand größten
italienischen Metallarbeitergewerkschaft (der zur CGIL gehörenden FIOM),
sondern auch der Kopf des linken FIOM-Flügels und einer der wichtigsten
Vertreter des linken Flügels im Gewerkschaftsbund CGIL. Daneben ist er seit
einigen Jahren auch Mitglied von Rifondazione Comunista und ihrer nationalen
Leitung (dem zweithöchsten Führungsgremium der Partei). Ein Grund mehr für die
von Rifondazione herausgegebene Tageszeitung „Liberazione“ vom 3.7.2004
ihn zu den Versuchen zu interviewen, eine Renaissance der Sozialpartnerschaft
zwischen Gewerkschaften und dem wichtigsten Kapitalistenverband, der
Confindustria, einzuleiten, an denen sich mittlerweile auch die CGIL-Führung
fleißig beteiligt.
„Eine Sozialpartnerschaft der Neuen
Mitte“
Krise und gewerkschaftliche
Verhandlungen. Ein Interview mit dem Mitglied des FIOM-Sekretariates Giorgio
Cremaschi.
Alle bemühen sich die
Sozialpartnerschaft / die Konzertierte Aktion wieder in Gang zu bringen…
„Während die Regierung einen
Schlag vorbereitet, der Gefahr läuft, enorme soziale Schäden hervorzurufen und
gegen den man sofort kämpfen muss, wird weiter von Sozialpartnerschaft
gesprochen. Ich glaube, dass die Sozialpartnerschaft die gewerkschaftliche
Version der politischen Operation der Neuen Mitte ist, mit der die
Confindustria, Alleanza Nazionale (AN) und die Christdemokratische Union (UDC),
die <italienische
Zentralbank> Banca d’Italia und die <christdemokratische
Gewerkschaftszentrale> CISL versuchen,
aus der Krise der Regierung Berlusconi herauszukommen. Ich glaube, dass es
falsch wäre, dieser Operation zuviel Bedeutung beizumessen. Es gibt viele
Wunschvorstellungen und Schwierigkeiten dabei, aber die Absicht besteht. Und
das ist ein politischer Fakt.“
Also hälst Du Berlusconis
Linie für gestorben ?
„Es ist klar, dass er sich
in enormen Schwierigkeiten befindet, sowohl aus wahlpolitischen als auch aus
strukturellen Gründen. Die Achse Berlusconi-Tremonti-Lega Nord, d.h.
Steuersenkungen, <Prekarisierungs-> Gesetz Nr. 30 / 2003 und skrupelloser Einsatz des
Staates als Instrument der ökonomischen Konkurrenzfähigkeit, d.h. jene besondere
Form von populistischem Wirtschaftsliberalismus, sorgt für Lecks auf allen
Seiten. Was Berlusconi und die Kräfte der Neuen Mitte anbelangt <muss man feststellen>: Während es der ersten Linie deutlich an
Unterstützung und Umsetzbarkeit fehlt, ist die zweite im wesentlichen frei von
Inhalt. Die Sozialpartnerschaft wird als Appell an die nationale Einheit neu
lanciert, als Ideologie des Sozialpaktes, als politische und gewerkschaftliche
Mäßigung, hat bislang allerdings keine Idee hervorgebracht. Genau wie in der
Politik diskutiert man über die Form der Lager und der Bündnisse, ohne an ihre
Inhalte zu denken. Diese Entscheidung riskiert, die Kampfbewegung ihrer Macht
zu berauben.“
War die vorangegangene
Sozialpartnerschaft besser als diese ?
„Der ‚23.Juli’ <1993> war ein Abkommen, dass für die Werktätigen schädlich
war, aber es hatte ein konkretes Ziel: den Euro. Heute führt man, angefangen
beim neuen Präsidenten der Confindustria, bei dem man die Erfolge von Ferrari
mit den Möglichkeiten des gesamten industriellen Systems verwechselt, nebulöse
Diskurse. Es gibt viel Image-Propaganda und fast keine Substanz. Es ist kein
Zufall, dass Montezemolo das Problem des Lohnniveaus und des Gesetzes Nr.30
ignoriert. Das Problem ist, dass es nicht einmal eine gemeinsame Agenda gibt.
Ich sehe nur eine große Fähigkeit, die Rauchentwicklung anzukurbeln.“
Welchen Charakter hat diese
Krise und welchen Ausweg siehst Du ?
„Die industrielle Krise
Italiens ist auch eine Finanzkrise des Bankensystems, ist eine Investitions-
und Produktkrise. Es ist die Krise einer Unternehmerklasse. Die grundlegende
Antwort darauf ist die Rückkehr zur zentralen Rolle des Öffentlichen, der
industriellen Planung, der Intervention in die strategischen Sektoren. Es gibt
die nach wie vor offene Krise von FIAT und es gibt alle die Sektoren, in denen
die Privatisierungen nur zu Desastern geführt haben. Kurz, es ist notwendig die
Industriepolitik wieder zu planen und die öffentlichen Gewalten dorthinein
wirken zu lassen. Das heißt in die entgegengesetzte Richtung zu marschieren als
bei der markt-orientierten Politik der letzten Jahre. Daneben stellt sich die
große Frage der Einkommensverteilung und der Rechte. Man muss die italienische
Krise durch einen Zuwachs bei den Löhnen und den Rechten angehen. Der Punkt ist
aber, dass – wenn man die Krise in Angriff nehmen will – auf allen Ebenen eine
zum Wirtschaftsliberalismus alternative Politik notwendig ist. Und deshalb ist
die Sozialpartnerschaft eine falsche Antwort auf die Krise und auf die sozialen
Fragen des Landes.“
Haben die Gewerkschaften
(die CGIL inbegriffen) da nicht ein bisschen zu lange nur zugeschaut…
„In dieser Periode haben
CGIL, CISL und UIL aus eigener Schuld eine Gelegenheit versäumt, um die Fragen
der Arbeit in den Mittelpunkt der politischen Agenda zu stellen. CGIL, CISL und
UIL konnten und mussten vor den Ferien eine Kampfbewegung initiieren, um Einfluss
auf das Haushaltsgesetz und die Wirtschaftspolitik zu nehmen. Stattdessen sind
sie nicht einmal für den Forderungskatalog eingetreten, den sie vorgelegt haben
und den die Regierung schlicht ignoriert hat. Das heißt sie haben in
gewerkschaftlicher Hinsicht nichts getan. Es scheint, dass die Konzertierte
Aktion zwischen Fini und Berlusconi erfolgen muss, mit dem AN-Sekretär als
demjenigen, der eine soziale Funktion interpretiert. Mir erscheint das als ein
schwerer Rückschlag, über den man bei der nächsten Leitungssitzung diskutieren
muss und die dazu führt, dass man bis zum Herbst wieder eine echte
Kampfbewegung herstellt.“
Unterdessen schließen sie
allerdings Abkommen ab. Als Letztes z.B. das Tarifabkommen für den Handel…
„Abgesehen von wenigen
Ausnahmen verschlechtern die in dieser Periode unterzeichneten nationalen
Tarifverträge allesamt den ‚23.Juli’ und zwar sowohl auf der Ebene der Löhne
wie auf derjenigen der Rechte, mit Löchern, die sich in Sachen Widerstand gegen
das Gesetz Nr.30 weiter vergrößern. Es ist paradox, der Arbeitsminister Maroni <Lega Nord> ist zur Assolombarda <dem wichtigen lombardischen Regionalverband der
Industriellenvereinigung Confindustria>
gegangen und hat sich über Abkommen wie das bei Fincantieri beklagt, die das
Gesetz Nr.30 ausgrenzen. Mir ist aufgefallen, dass <CISL-Generalsekretär> Pezzotta vor kurzem wieder positiv über den <im Sommer 2002 nur von CISL und
UIL mit Confindustria und Regierung abgeschlossenen und den Kündigungsschutz
aushöhlenden> Pakt für Italien
gesprochen hat.“
Pezzotta hat auch gesagt,
dass man das Abkommen über die Regeln vor dem Metalltarifvertrag hinbekommen
muss und Montezemolo spricht von einem Treffen im Juli.
„Neue zentralisierte
Verhandlungen über die Regeln wären heute ein Unglück. Sie würden entweder zu
einem Separatabkommen oder zu einem einheitlichen Abkommen führen, das jenes
vom ‚23.Juli’ noch verschlechtert. Das wäre eine absurde Wiederherstellung der
Kontinuität mit dem Pakt für Italien. Es gibt keinen Bedarf an einem neuen
23.Juli, wie wir auf unserem Kongress gesagt haben, sondern daran, dass die
konkreten Probleme angepackt werden. Nach Melfi und vielen betrieblichen
Abkommen <in denen
die Forderungen der FIOM-CGIL in Vorverträge übernommen wurden> haben die Metallarbeiter das Recht, den Versuch zu
unternehmen, einen nationalen Tarifvertrag zu schaffen, der ihre Forderungen
beantwortet. Das ist stets das Kernproblem. Es geht darum Klarheit darüber zu
schaffen, ob wir den nationalen Tarifvertrag stärken wollen oder nicht. <Die Tageszeitung der
Confindustria> ‚Il Sole – 24 Ore’
hat ausgehend von dem Abkommen bei Siemens in Deutschland, mit dem von der
35-Stunden-Woche abgewichen wird, eine Kampagne gestartet. Es ist eine
Tatsache, dass man sowohl darüber nachdenken muss, was die padroni
wirklich wollen als auch darüber, dass wir – wenn wir das Terrain der
Konkurrenz über das Niveau der Rechte akzeptieren – in Italien und in Europa in
einem Desaster enden werden.“
<Das
Interview führte:> Fabio Sebastiani
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover