Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Zum
Abfeiern des 3. Europäischen Sozialforum, das vom 15.-17.10.2004 in London
stattfand, gibt es wenig Grund, auch wenn die (nicht nur) in Deutschland
verbreitete Jubelberichterstattung etwas anderes nahe legt. Ein inhaltliches
Niveau, das sich zumeist auf die wohlbekannten Allgemeinplätze beschränkte, die
fortgesetzte Tendenz ins Neo-Sozialdemokratische, die von der Socialist Workers
Party (SWP) und Socialist Action (einer vom Londoner New Labour-Bürgermeister
Ken Livingstone buchstäblich eingekauften ehemals trotzkistischen Kleingruppe)
weitestgehend monopolisierte und missbrauchte organisatorische Leitung, die
Staatstreue z.B. im Verhältnis zur Polizei und ihren Attacken auf Teile des
ESF, finanzielle Unregelmäßigkeiten und Fragwürdigkeiten, die erneut halbierte
Teilnehmerzahl der Abschlussdemonstration (Florenz 2002: real gut 50.000; Paris
2003: real 24.000; London 2004: real 11.000), erstmals mehrere gesprengte
Veranstaltungen sowie eine mangelnde politische Kontinuität und Konsequenz
zeigen, dass es so nicht weitergehen kann. Daher wurde von den das ESF
tragenden Organisationen für den 18. und 19.Dezember 2004 in Paris eine
außerordentliche Nach- und Vorbereitungsversammlung anberaumt. Über dieses
Treffen wurde, unseres Wissens, in den deutschsprachigen Medien bisher nicht
berichtet. Die unabhängige und der Bewegung kritisch verbundene linke
italienische Tageszeitung „il manifesto“ hingegen brachte dazu am 21.12.2004
den folgenden Artikel:
Sozialforum ohne Kurs
In Paris kein Abkommen über die
„Reform“. Am 19.März <2005> in Brüssel drei Demonstrationen. Und im Juni
kommt das Forum des Mittelmeerraumes. Unterdessen hofft Porto Alegre auf
Zapatero.
Angelo Mastrandrea – Berichterstatter in Paris
Zwei Tage Diskussion haben
weder ausgereicht, um eine andere Forumsidee zu gebären noch um ein Abkommen
über die europaweite Demonstration am 19. März <2005>
zu erzielen. Wo man sich auf die Organisation von Demonstrationen in
verschiedenen europäischen Städten und gleich drei Demonstrationen in Brüssel
zubewegt: Eine vom Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB <alias ETUC alias CES…>) zur Sozialpolitik der Union, die zweite von den
Bewegungen, die auch für den Rückzug der Truppen <aus dem Irak> demonstrieren wollen, während der EGB davon nichts wissen will; und
eine dritte von den Schülern. Sicher ist, dass die Orientierung der sozialen
Bewegungen bereits beginnend mit dem weltweiten Treffen in Porto Alegre vom 26.
bis 30.Januar kommenden Jahres (mit dem Start verschiedener Kampagnen) mehr auf
die Aktion ausgerichtet sein wird als auf die Diskussion. Größerer Raum also
für die Arbeit der thematischen Netzwerke, keine Plenarveranstaltungen, die als
kaum mehr denn als Laufstege für Politiker und Organisationen betrachtet
werden, mit Rednern, die auf Grundlage einer Aufteilungslogik bestimmt werden,
sowie Raum für vertiefende Seminare.
Außerdem werden wir
schwerlich ein Forum pro Jahr erleben. Wahrscheinlicher ist, dass wir einen
periodischen Wechsel zwischen dem weltweiten Treffen und dem kontinentalen haben
werden. Deutlich gesagt, was die Bewegungen vom Forum fordern, ist eine größere
Effizienz und Wirksamkeit und dass die Energien nicht alle – zulasten der
sozialen Kämpfe – für die Organisation der Treffen verbraucht werden. Ihr
Charakter als große „Volksuniversität“ und als Ort, wo Beziehungen zwischen
Bewegungen hergestellt werden, die untereinander sehr verschieden sind und aus
der ganzen Welt kommen, wird jedoch nicht zerstört. Das hat auch die
außerordentliche Versammlung gezeigt, die am Sonntag in Paris zu Ende ging und
einberufen worden war, um über die Erschöpfung der Formel zu diskutieren, die <im Herbst 2002> zu dem großen Erfolg in Florenz geführt hatte, in
London vor zwei Monaten jedoch nicht weiterkam. Auf den Aufruf reagiert haben,
außer den üblichen Organisationen aus Westeuropa, auch Bewegungen aus dem Osten
des Kontinents (von Ungarn bis Polen) sowie die Türken, die in die organisierte
europäische Zivilgesellschaft einverleibt (inglobati) werden noch bevor
sie in die Staatengemeinschaft der EU aufgenommen werden. Abwesend waren
hingegen die europäischen Gewerkschaftsbünde, mit Ausnahme der CGT, die die
Räumlichkeiten zur Verfügung stellte.
Am Ende wurde, nachdem die
wichtigsten Fragen (von der Parteienpräsenz bis zur internen Demokratie)
ungelöst geblieben waren, kein Dokument verfasst und <stattdessen> ein Treffen am 14. und 15.Januar <2005> in Brüssel vereinbart, um die Diskussion
fortzusetzen. Unterdessen ist die Agenda der sozialen Bewegungen für die
kommenden Monate dicht gedrängt: das Sozialforum in Porto Alegre im Januar, dem
ein Forum der Amazonas-Anliegerstaaten in Manaus (ebenfalls in Brasilien)
vorausgeht; der Protest gegen die Europatour des US-Präsidenten Bush im Februar
(in England, Deutschland und vielleicht in Frankreich); sowie die
Demonstrationen am 19.März.
Die echte Neuheit wird
allerdings das Forum des Mittelmeerraumes sein, das vom 12. bis 16.Juni <2005> in Barcelona stattfindet und – mit nicht geringen
Problemen aufgrund der Instabilität einiger Gebiete und der „ethnischen“
Beziehungen – die Bewegungen eines Gebietes zusammenbringen wird, das von
Marokko bis nach Israel und Palästina reicht. Ein Treffen, das bereits vor 1 ½
Jahren hätte stattfinden sollen, aber gerade aufgrund der organisatorischen
Schwierigkeiten, aber auch wegen des Misstrauens der Organisatoren des
Europäischen Sozialforums verschoben worden war, sich nun jedoch auf der
Zielgeraden befindet. Ein organisatorisches Vorbereitungstreffen wird Mitte
Januar in Marseille stattfinden. Während die Diskussionen über das nächste ESF
in Athen Ende März <2005> in der griechischen Hauptstadt beginnen werden. Vorläufig
geht die Orientierung dahin, es zwischen März und April 2006 zu realisieren.
Bereits in Porto Alegre, in
wenig mehr als einem Monat, wird die Formel eine andere sein. Unterteilt in 11
thematische Bereiche und an 11 verschiedenen Orten abgehalten, wird es auf dem
Forum keine großen Plenarveranstaltungen geben, sondern nur Seminare und
„Konfrontationen“, auf denen die Bewegungen auch mit denjenigen diskutieren
werden, die ganz anders denken als sie und wo in jedem Fall politische
Exponenten zugelassen sind. Die Anwesenheit des Präsidenten Lula ist noch
unsicher, auch wenn die brasilianische Regierung dieses Jahr finanziell und
politisch noch mehr in das Forum investiert hat als bei den vorherigen Ausgaben
und das trotz der Wahlniederlage gerade in der Stadt, die das Treffen
beherbergt. Kurioserweise (andererseits aber auch wieder nicht, wenn man den großen
finanziellen und Imagegewinn betrachtet) wird das Forum weiterhin sowohl von
der Kommune als auch von der Regierung des Bundesstaates Rio Grande do Sul <mit>finanziert, obwohl beide nicht <mehr> von Lulas PT regiert werden.
Die Zahlen sind, wie üblich,
beeindruckend und belegen eine große Vitalität der Bewegungen des Südens der
Welt, sowohl wegen des Effektes den das WSF hatte, das im vergangenen Jahr in
Mumbai <Indien> stattfand, als auch weil das nächste WSF
wahrscheinlich in Afrika abgehalten wird. Die Zahl der für die mehr als 1.800
Seminare Angemeldeten beträgt bereits 40.000, in Vertretung einer größeren Zahl
von Organisationen als in der Vergangenheit. Es wird keine Events von großer
medialer Bedeutung geben, auch wenn die Organisatoren auf den Volltreffer
Zapatero hoffen. Der spanische Ministerpräsident, der sich auf einer Tour durch
Lateinamerika befindet, wird gerade in jenen Tagen Lulas Gast sein und Viele
hoffen auf ein Erscheinen der Beiden, was das Forum ins internationale
Rampenlicht rücken würde. So wie es bereits vor zwei Jahren, bei Lulas erster
Rede als Präsident der Republik, der Fall war.
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover