Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Die eigenständigen linken Basisgewerkschaften Italiens, die im Gefolge der selbstorganisierten Streikbewegungen im öffentlichen Dienst und einigen großen Metallbetrieben 1989 zumeist von enttäuschten ehemaligen Mitgliedern des linken CGIL-Flügels gegründet wurden, haben im Vorfeld des – gelungenen – 4stündigen Generalstreiks der großen sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftsbünde CGIL, CISL und UIL vom 24. Oktober 2003 eine unterschiedliche Position bezogen. Dem Aufruf des im Januar 1996 gegründeten, trotzkistisch (VS der IV.Internationale um Maitan und Krivine) beeinflußten Sin Cobas (real 4 000 Mitglieder) gemeinsam mit den großen Bünden gegen Berlusconis Rentenreform zu streiken und der Aktion einen weitergehenden Charakter zu geben, schlossen sich nur die vor allem im öffentlichen Dienst präsenten CIG Unicobas (real 1 200 Mitglieder) und die aus der Autonomia Operaia-Tradition stammende Confederazione Cobas (real 6 000 Mitglieder) an, die vor allem unter den Lehrern verankert ist (Cobas Scuola = 5 000 Mitglieder). Wie die beiden anderen Cobas-Zusammenschlüsse bestand sie dabei auf einem ganztägigen Streik. Und sie mobilisierte separat zu einer eigenen zentralen Demonstration in Rom, an der offiziell 30 000, real eher 3 000 Leute teilnahmen. Der größte Basisgewerkschaftsbund CUB (real 18 000 Mitglieder) ruft hingegen zu einem Generalstreik am 7.November auf, an dem auch die kämpferische CGIL-Metallergewerkschaft FIOM (nocheinmal) landesweit für ihren Tarifvertrag streiken wird. Die OrSA-Eisenbahnergewerkschaft (ca. 8-10 000 Leute) beteiligt sich an keinem der Streiks, stellte es ihren Mitgliedern sinnigerweise aber frei, sich individuell am 24.10. zu beteiligen. Der politisch auf den marxistisch-leninistischen Autonomia-Flügel zurückgehende und deutlich links von Rifondazione Comunista angesiedelte SLAI Cobas (real 3 500 Mitglieder), der allerdings zunehmend in verschiedene regionale und lokale Gruppen zerfällt, erwies sich auch hier als gespalten: Während sich beispielsweise Mailand und Florenz am 24.10. wie am 7.11. kritisch beteiligen wollen, orientieren z.B. die ebenfalls großen SLAI Cobas-Verbände in Neapel und Benevento zusammen mit der CUB und der sehr kleinen anarchosyndikalistischen USI (wenige Hundert Mitglieder) auf den 7.11.2003. Von der im Juni 2003 neu gegründeten linken Basistransportgewerkschaft SULT (ca. 12 000 Mitglieder) ist überhaupt keine Positionierung zu ermitteln.
Auch wenn dem Sin Cobas-Aufruf also wenig Resonanz in der Basisgewerkschaftsbewegung beschieden war, ist seine Position für Gewerkschaftslinke in Deutschland und Österreich u.E. dennoch sehr interessant. Daher hier die Übersetzung der beiden diesbezüglichen Stellungnahmen ihres führenden Kopfes Luciano Muhlbauer:
Haushalt und Renten:
Das Maß ist voll !
Berlusconi muß gestoppt werden !
Am 24.10.2003 müssen auch die Basisgewerkschaften und die FIOM streiken !
Erklärung von Luciano Muhlbauer (Nationales Sekretariat des Sin Cobas)
Das Maß ist wirklich voll. Der Kaufkraftverlust der Löhne und Renten erreicht derzeit den höchsten Stand. Die Tarifverträge für mehr als eine Million öffentlich Bediensteter sind seit fast zwei Jahren abgelaufen und die Prekarisierung des Arbeitslebens greift immer weiter um sich. Und was tut die Regierung ? Dem Inkrafttreten des Gesetzes 30, das für die Generalisierung der prekären Bedingungen sorgt, fügt sie einen neuen und unerträglichen Angriff auf das Rentensystem hinzu und stellt lächerliche Mittel für die Erneuerung der Tarifverträge des öffentlichen Dienstes bereit, die nicht einmal dazu ausreichen, sich einem Ausgleich für den in diesen Jahren verlorenen Lohn anzunähern.
Die Regierung Berlusconi ist auf der ganzen Linie gescheitert. Die Werktätigen und die Rentner sind heute ärmer und haben weniger Rechte. Und die einzige Antwort der Regierung darauf ist die Kürzung der Renten sowie eine weitere Reduzierung der Kaufkraft der Italiener. Es ist daher positiv, daß CGIL, CISL und UIL es abgelehnt haben die Verhandlungsfarce fortzusetzen und einen ersten Streik für den 24.Oktober anberaumt haben.
Der Sin Cobas schlägt der gesamten Basisgewerkschaftsbewegung und der FIOM, die den Generalstreik der Metallarbeiter für den 17.Oktober angesetzt hat, vor, mit auf den 24.Oktober zu gehen und einen ganztägigen Generalstreik für diesen Tag auszurufen.
Es ist notwendig einen großen Kampf- und Streiktag zu organisieren – als ersten Schritt, um Berlusconi zu stoppen. Es ist allerdings unzureichend zur Verteidigung der Dini-Reform <von 1995> aufzurufen und die Logik weiterer “Korrekturen” zu akzeptieren. Man muß vielmehr eine soziale Plattform schaffen, die die Gesamtheit der sozialen Notstände angreift, die durch das jahrelange Praktizieren der wirtschaftsliberalen Politik hervorgerufen wurden.
Das Rentensystem kann keine weiteren Verschlechterungen vertragen. Es darf nicht angetastet werden. Im Gegenteil, die Mindestrenten, die heute nicht einmal mehr ein würdiges Dasein im Alter erlauben, müssen erhöht werden. Das Gesetz 30 der totalen Prekarität muß abgeschafft werden. Die Tarifauseinandersetzungen können nicht mit weiteren Lohnerhöhungen, die unterhalb der realen Inflation liegen, abgeschlossen werden und es muß per Gesetz ein automatischer Mechanismus eingeführt werden, der die Erhaltung der Kaufkraft der Löhne, Gehälter und Renten wahrt. Dies sind die zentralen Punkte, die wir für die Mobilisierung zum 24. Oktober vorschlagen.
Ein Grund mehr, um am 4 Oktober in Rom <anläßlich des EU-Gipfels> gegen ein Europa auf die Straße zu gehen, das nicht die Werktätigen im Auge hat, sondern nur den Markt und die Händler. Das wird der erste Schritt sein, um den Generalstreik und einen Kampfherbst vorzubereiten, um die Regierung Berlusconi zu verjagen, aber auch die desaströse wirtschaftsliberale / Freihandelspolitik, deren Scheitern für alle offensichtlich ist.
Sincobas Pressebüro
Mailand, 1.Oktober 2003
Info: Tel. 0039 / 338 / 429 06 10.
<Hervorhebungen wie im Original !>
Zu den Inhalten und der Taktik des Sin Cobas beim Generalstreik führte die Tageszeitung von Rifondazione Comunista, “Liberazione”, das folgende Interview mit dem Kollegen Muhlbauer. Es erschien am 15.10.2003.
Der Sin Cobas geht wieder in die Offensive. Interview mit Luciano Muhlbauer:
“Berlusconi und Wirtschaftsliberalismus verjagen !”
Ihr vom Sin Cobas seid die erste Basisgewerkschaft gewesen, die den Streik am 24.Oktober vorschlug. Wie kam es dazu ?
“Angesichts der Schwere des Angriffs der Regierung auf die Renten und die Rechte, kann eine massenhafte Antwort aller Arbeiterinnen und Arbeiter und aller Bewegungen nicht länger warten. Es ist notwendig eine Phase des Kampfes einzuleiten und das Maximum der Kräfte mit einer klaren und einheitlichen Botschaft zu konzentrieren.”
Welche Differenzen gibt es gegenüber CGIL, CISL und UIL bezüglich der Modalitäten und der Plattform <d.h. dem Forderungskatalog> des Streiks ?
“Der Sin Cobas hat den Generalstreik für den ganzen Tag proklamiert, mit nationalen Initiativen in Neapel und Mailand. CGIL, CISL und UIL beschränken sich auf die Renten, allerdings mit bemerkenswerter Zweideutigkeit. Es ist eindeutig, daß wir den Abbau / das Verschrotten des öffentlichen Rentensystems erleben. Das ist der wirkliche Einsatz, der auf dem Spiel steht. Man kann die Erfahrung von 1994 <als Berlusconis erste Regierung am gewerkschaftlichen Widerstand gegen die versuchte Rentenreform scheiterte> nicht wiederholen. Das Problem ist nicht die Gegenreform mehr oder weniger graduell oder verdaulich zu machen, sondern sie zu verhindern. Das System der Altersversorgung befindet sich heute vom finanziellen Gesichtspunkt aus im Gleichgewicht und die Regierung tut alles, um es zu destabilisieren und zu privatisieren. Wir müssen dafür kämpfen, daß die Renten für alle gesichert sind und zwar auf einem Niveau, das den Lebenshaltungskosten angepaßt ist. Unter den neuen Armen in Italien befinden sich bereits zuviele Rentner.”
Im Mittelpunkt Eurer Mobilisierung stehen nicht nur die Renten...
“Der Versuch einen Kampf zur Verteidigung des öffentlichen Rentensystems zu führen, ist zum Scheitern verurteilt, wenn er sich nicht in einen allgemeineren Kampf einfügt. Der Angriff auf die Renten ist Teil einer Politik, die den Wohlfahrtsstaat beseitigen und die Arbeit ebenso wie den Arbeitenden auf eine abhängige Variable des Profites reduzieren will. Deshalb bedarf es einer Plattform, die sich mit der Gesamtheit der sozialen Frage und der Prekarität der Rechte befaßt. Wir müssen das Gesetz Nr. 30 beseitigen und mit Hilfe aller tarifpolitischen und den Instrumenten der sozialen Mobilisierung den Boykott seiner Umsetzung einleiten. Genauso wie es notwendig ist, das Bossi-Fini-Einwanderungsgesetz zu beseitigen, das die eingewanderten Arbeiter in eine servile Situation zwingt.”
Zu Euren Vorschlägen gehört die Frage der Rückeroberung einer Lohnpolitik.
“Heute ist das, was die konfliktbereite Gewerkschaftsbewegung seit vielen Jahren sagt, zur allgemeinen Meinung geworden. Das heißt, daß man länger arbeitet und dabei weniger verdient. Die Verarmung in der Welt der ‚garantierten‘ Arbeit wächst. Das Scheitern der sogenannten Einkommenspolitik ist also offensichtlich. Man muß die Erhöhung der Löhne auf ein Niveau oberhalb der realen Inflation sicherstellen und wieder einen automatischen Mechanismus zum Schutz des Wertes der Löhne, Gehälter und Renten einführen. Außerdem ist es notwendig Formen von sozialen Einkommen einzuführen, die Arbeitslose und prekär Beschäftigte schützen.”
Genügt es Widerstand gegen die Maroni-Reform <benannt nach dem amtierenden Arbeitsminister aus der rechtspopulistischen Lega Nord> zu leisten oder muß man sich von Berlusconi befreien ?
“Die wirtschaftsliberale Politik zeigt auch in den abgeschwächten Versionen einen Bankrott was Resultate und Zustimmung in der Bevölkerung anbelangt. Für uns ist der 24.Oktober kein Schlußpunkt, sondern der Beginn einer Mobilisierungsphase, die in einen großen Generalstreik münden muß, der das Land lahmlegt, eine weitere Verschlechterung der Dini-Reform verhindert und wieder einen sozialen Forderungskatalog in Sachen Löhne und Rechte lanciert. Man muß Berlusconi verjagen und zusammen mit ihm die wirtschaftsliberale Politik. Damit wenden wir uns an die gesamte Basisgewerkschaftsbewegung, an die FIOM und die anderen anti-wirtschaftsliberalen Teile der Gewerkschaftsbewegung.”
Das Interview führte: Claudio Jampaglia
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover